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Elftes Kapitel.

Hoch zu Roß, auf seinem muntern und gut zugerittnen Gaule, mit Demi-Pique-Sattel und Schabracke drauf, die ganz zu dem Kostüm paßte, das er als Reiter trug, machte der Baron von Bradwardine keine üble Erscheinung, freilich der alten Schule. Er trug den lichtfarbnen, gestickten Rock mit der reich bordierten Weste; auf der stolz getürmten Perücke thronte das schmucke, mit Tressen besetzte Jägerhütlein mit breiter Krempe, kurz: die Tracht der Zeit paßte vortrefflich zu diesem Manne der Zeit. Begleitet wurde er zudem von zwei Dienern, beritten gleich ihm, und ebenfalls, wenn auch nicht mit der Pracht wie er, gut ausstaffiert, und mit langen Reiterpistolen in den Halftern.

In solchem Anzug ging es querfeldein, über Berg und Tal, an alten Pachthöfen vorbei, zum Staunen der Insassen, bis sie »tief unten waren im grasigen Tal«, wo sie David Gellatley trafen mit den Rüden, zwei überschlanken Windhunden, zu denen sich noch ein halbes Dutzend Dachshunde gesellte, und wohl ebenso viel barfüßige und barhäuptige Dorfjungen, die sich durch allerhand schmeichelhafte Anreden Meisters Gellatley, den sie im gewöhnlichen Leben bloß als den »verrückten Doktor« kannten, die Ehre der Teilnahme am Jagdvergnügen des Barons zu verschaffen gewußt hatten.

Aber wie es heute noch in der Welt ist, so war es auch schon vor sechzig Jahren in der Welt, und wie in der Welt, so auch in Tully-Veolan: und so wird es wohl noch sein in sechshundert Jahren später, wenn das buntscheckige Konglomerat von Geschöpfen und Dingen, das wir mit dem Ausdruck »Welt« benennen, noch vorhanden sein sollte: die Schmeichelei wird gegen Leute, die in einem Amte sind, wird immer in Brauche stehen.

Diese barfüßigen Burschen sollten dem Baron und seinem Gaste das Wild zutreiben, also die Büsche abklopfen, und das verstanden sie so geschickt, daß schon nach Verlauf der ersten halben Stunde ein Rehlein aufgescheucht, gehetzt und erlegt war. Der Baron jagte, wie weiland Graf Percy, auf seinem Schimmel herbei, um in eigner Person dem »Jagdstück« mit seinem »couteau de chasse« den »Fang zu geben«, und es auszuweiden, was bei dem französischen Jägervolk »faire la Curée« heißt.

Als er dieses Stück »Jägerwerk« vollbracht hatte, geleitete er seinen Gast wieder heim in seine Penaten, aber auf weitem Umwege, der einen reichen Ausblick auf die Dörfer und Weiler der Umgegend eröffnete. Fast bei jedem Weiler wußte Baron Bradwardine allerhand Bemerkungen geschichtlicher und genealogischer Art anzubringen, zwischen die er freilich auch allerhand Vorurteile streute. Aber um der klugen Anschauungen willen, und um der achtbaren Empfindungen willen, die ihnen zu grunde lagen, war es wohl der Mühe wert, ihnen ein achtsames Ohr zu leihen.

Dieser Morgenritt war für beide Männer angenehm, und die Unterhaltung, die sie dabei führten, gewährte ihnen einen hohen Reiz, wenn auch oder vielleicht grade weil sie in ihren Anschauungen und Grundsätzen erheblich von einander abwichen. Edward war, wie der Leser ja weiß, von lebhaftem, feurigem Temperament, las gern und viel, empfand und dachte echt romantisch und hatte einen starken Hang zu Poesie. Der Baron hingegen war das »pure« Gegenteil hiervon; er rühmte sich, mit noch derselben geraden, unbeugsamen, stoischen Würde seine Lebensbahn zu wandeln, wie gelegentlich seiner abendlichen Spaziergänge auf der Terrasse, auf der er stundenlang .  ein leibhaftes Bild des alten Hardyknut,   »gleichmäßig schritt gen Osten hin, gleichförmig wandelte dem Abend zu«.

Seine wissenschaftliche Bildung dankte er Werken, wie sie damals den literarischen Markt beherrschten, zum Beispiel dem Epithalamium von Georges Buchanan, David Lindsay, Barbour Bruce und Harry Wallace. An den Sonntagen boten ihm Johnstouns Psalmen und die »Deliciae Poetarum« erbaulichen Genuß. Den Poeten im allgemeinen war er nicht besonders hold, seiner Meinung nach wurde viel zu viel Zeit auf diese armselige, unfruchtbare »Versdrechselei« verwandt, und außer Allan Ramsay wollte er keinen, der sich in diesem Gebiete zu betätigen versucht hatte, gelten lassen. Aber sie fanden sich beide, wie gesagt, trefflich in einander. Edward war glücklich, einen Mann in dem Baron gefunden zu haben, der ein Gedächtnis besaß, das ein förmliches Register alter und neuer Anekdoten war, und Bradwardine war nicht minder froh, in Edward einen Jüngling zu besitzen, »bonae spei et magnis indolis« also frei von jedem mutwilligen Flattersinn, der entweder die Geduld verliert oder verächtlich denkt bei Unterhaltungen mit älteren Personen oder über die guten Ratschläge hinweg eilt, die das Alter so gern der Jugend erteilt. Der Baron versah sich für solchen jungen Freund eines herrlichen Fortgangs im Leben.

Außer dem Pfarrer Rubrik hatten sie auf dem Edelsitze wie in der Umgegend desselben niemand, der mit ihnen harmonierte; dieser geistliche Herr war indessen ein Mann, der durch eine gediegene Bildung und eine treffliche Redegabe ganz zu ihnen paßte.

Bald nach dem Essen schlug der Baron vor, Miß Rosa einen Besuch auf ihrem Zimmerchen zu machen, oder, wie er zu sagen beliebte, sich in die »troisième étage« hinauf zu verfügen, gleich als ob er dadurch den Beweis hätte erbringen wollen, daß seine Worte über Mäßigkeit nicht bloß theoretischer Natur seien.

Waverley wurde durch ein Paar Gänge geführt von jener Art der Baukunst, die auf die Menschen den Eindruck macht, als hätten die Meister, die sie bauten, ihre Mitmenschen damit bloß nasführen wollen. Am Ende dieser paar Gänge oder Korridore stieg Mr. Bradwardine eine schmale, steile Wendelstiege. empor, und zwar immer zwei Stufen auf einmal, so daß sowohl Herrn Rubrik dem Pfarrer als auch Waverley dem Junker schnell der Atem ausging.

Der Baron hingegen gewann auf diese Weise die nötige Zeit, seine Tochter von dem ihr bevorstehenden Besuche zu unterrichten, und während sich seine beiden Freunde noch mühten, diesen senkrecht aufsteigenden Korkzieher sich emporzuwinden, bis sie endlich in dem kleinen, mit Strohmatten gedeckten Vorgemach standen, das zu Rosas »Sanctuarium Sanctorum« führte und ihnen Zutritt zu dem eigentlichen Wohngemach eröffnete, stand der Baron schon eine ganze Weile mitten darin. Es war ein kleines, aber freundliches Stübchen, das auf der Mittagsseite belegen und mit Tapeten behangen war; auch zwei Bilder schmückten die Wand der Sonnenseite gegenüber, eins davon stellte ihre Mutter dar im Kostüm als Schäferin, mit dem Schäferstab in der Hand; das andre den Baron im zehnten Jahre seines Lebens, im blauen Rock mit gestickter Weste, auf dem Kopfe den Tressenhut über der Perücke mit Haarbeutel und in der Hand die Armbrust mit dem Bogen. Edward konnte sich eines matten Lächelns nicht erwehren über diese Tracht sowohl wie über diese vielleicht versuchte, aber keineswegs vorhandene Aehnlichkeit zwischen dem runden, blanken und pausbäckigen Gesichtchen auf dem Bilde und dem hagern, bärtigen, sonnverbrannten und hohläugigen Gesicht, zu dem sich das Original mit den Jahren durch Reisen und Strapazen im Kriege und durch das Auf und Ab des Lebens gewandelt hatte.

»Traun!« meinte der Baron, »das Bild war eine lustige Laune meiner alten Mutter. Sie war die Tochter des Laird von Tulliclaum, Kapitän Waverley; ich habe Euch das Haus unterwegs gezeigt, besinnt Ihr Euch? als wir oben auf dem Schinniheuch standen. Es wurde Anno 1715 niedergebrannt von den holländischen Hilfstruppen, als die neue Regierung ins Land kam. Ich hab dem Maler später bloß einmal noch gesessen, und das geschah auf Wunsch des Marschalls Herzogs von Berwick, der sich davon nicht abbringen lassen wollte.«

Daß ihm der Herzog diese Ehre erzeigte für eine Heldentat im Feldzuge 1709   der Baron hatte nämlich als erster eine feindliche Bresche erstiegen  , das sagte der Baron nicht hierbei, aber der Pfarrer erzählte das nachher dem Junker. Ganze zehn Minuten lang hatte der Baron in der Bresche gegen eine ganze Uebermacht von Feinden stand gehalten, mit einer bloßen Halbpike als Waffe, bis dann Unterstützung zu ihm hin gelangen konnte.

Miß Rosa trat jetzt aus einem weiter hinten zu gelegenen Zimmer in das Stübchen, worin die drei Männer warteten. Sie sagte dem Vater einen herzlichen guten Morgen und begrüßte dann die beiden Herren freundlich. Die Handarbeit, mit der sie beschäftigt war, verriet viel natürlichen Geschmack, wenn er auch noch Ausbildung verlangte. Der Vater hatte ihr Unterricht in der französischen und italienischen Sprache, gegeben, und in einem kleinen Bücherschrank, der an der Wand hing, standen, stolz ein paar Schriftsteller dieser beiden Nationen. Auch mit der Musik hatte sie sich vertraut gemacht, indessen wer die Fähigkeit, ein Lied zu Klavier zu singen oder auf dem Klavier zu begleiten, es nicht herausgebracht. Aber das waren für das damalige Schottland schon Dinge, die weit über das durchschnittliche Bildungsniveau hinausgingen.

Eine Bartisane oder vorspringende Galerie, die vor den Fenstern ihres Zimmer entlang lief, wies eine weitere Lieblingsbeschäftigung des jungen Mädchens nach, die Blumenpflege: Pflanzen und Blumen der reichsten Art standen auf dem Querbrett der Galerie und kündeten alle die fürsorgliche Hand einer lieben Freundin.

Ein aufspringender Turm führte auf jenen gotischen Balkon, von dem aus man die lieblichste Aussicht genoß. Tief unten lag der streng angelegte Garten mit seinen hohen Fassungsmauern, durch die Perspektive zusammengedrängt, wie es den Anschein hatte, auf ein bloßes Quartier, während sich darüber hinaus der Blick erstreckte weithin über ein waldiges Tal, in welchem, zuweilen sichtbar, zuweilen verdeckt durch Buschwerk, das munter plätschernde Flüßchen sichtbar wurde. Links sah man ein paar zum Dorfe gehörige Hütten, die übrigen lagen hinter dem Rücken eines Hügels versteckt. Das Tal fand seinen Abschluß in einem kleinen See, Loch-Beolan benamst, in den der Bach, auf dem eben die Sonne glitzerte, sich ergoß. Die weiter entfernt liegende Landschaft bot eine reich abwechselnde Oberfläche, wenngleich sie nicht durch Wald gerahmt war, und die weitere Fernsicht wurde durch nichts unterbrochen bis zu der blauen Hügelkette am Horizont, die den südlichen Grenzpunkt der ganzen Talgegend bildete. Auf diesen freundlichen Fleck hatte Miß Bradwardine den Kaffee bringen lassen.

Das Bild, das die alte Burg bot, brachte das Andenken an einige Familienanekdoten in Gang, die der Baron mit großer Verve vortrug.

Der Gipfel einer überhängenden Felsklippe, die ganz nahebei sich befand, trug den Namen »Swithings Sessel«, und war der Schauplatz eines besonderen Aberglaubens, der durch verschiedene alte Lieder im Munde des schottischen Volkes sich fortpflanzte, »wie es mit ähnlichen Dingen ja der Fall ist bei allen Völkern, wie ja auch schon im Altertum sich allerhand Wunderbares auf diesem Gebiete nachweisen läßt und dort vielleicht in noch reicherem Maße als in der neueren Zeit.«

Auf diese Worte ihres Vaters sagte Miß Rosa zu Kapitän Waverley, daß ihr Vater gegen alles, was ins Reich des Wunderbaren falle, ein unbekämpfbares Mißtrauen habe, und daß er beispielsweise einmal bei einer höchst merkwürdigen Affäre sich nicht vom Fleck gerührt habe, während eine ganze Klerisei von presbyterianischen Gottesgelehrten dabei in die Flucht gejagt worden ist.

Waverley lauschte gespannt und war neugierig, das Weitere von diesem Vorfalle zu erfahren.

»Nun,« sagte Miß Bradwardine, »so will ichs Euch erzählen. Einst lebte hier eine alte Frau mit Namen Gellatley,. und die stand allgemein in dem Verdacht, eine Hexe zu sein, weil sie steinalt war und häßlich und blutarm. Aber sie hatte zwei Söhne, und einer davon war ein Dichter, der andre ein Narr. Und da sagten nun die Leute in der Nachbarschaft, das sei die Heimsuchung Gottes an ihr für ihre sündhafte Zauberei. Es kam so weit, daß man sie acht Tage lang in den Glockenturm der Dorfkirche sperrte, wo sie nur karge Nahrung erhielt und nicht schlafen durfte, bis sie eben dadurch die feste Ueberzeugung selbst bekam, sie sei eine Hexe, wie es der Glaube war bei ihren Anklägern. Und nachdem der Zustand ihrer Seele auf solche Weise gebessert und erleuchtet worden war, da ließ man sie heraus aus dem Turme, um mit ihr ein »Dean breast« vorzunehmen, nämlich sie zu einem offnen Bekenntnis ihrer Hexerei vor dem ganzen Adel der Gegend und der Klerisei der Whigpartei zu zwingen, die der neuen Regierung gleichfalls noch nicht gehuldigt hatte. Und da ging nun mein Vater hin, um abzuwarten, wie die Verhandlung zwischen der Geistlichkeit und der Hexe verlaufen würde; denn die der Hexerei angeklagte Greisin war gebürtig aus seinem Gebiete. Und als sie nun beichtete, daß ihr der Feind erscheine, und daß er zu ihr käme als ein schöner schwarzer Mann, und als die Zuhörer ihre Worte vernahmen mit Entsetzen und Grausen, und die Geistlichen mit zitternden Händen ihr Einbekenntnis aufzeichneten, da wandelte sich plötzlich die schmerzliche, klagende Stimme, mit der sie bislang gesprochen hatte, in ein schrilles Geschrei, und sie rief: »Nehmt Euch in acht! nehmt Euch in acht! denn ich sehe den Bösen; dort sitzt er mitten unter Euch!« Und da gabs eine Verwirrung, und ein Durcheinander, und Schrecken und Grausen beherrschte aller Gemüter, und alles fing an zu fliehen. Dabei ist manche Halskrause zerrissen worden, und mancher Hut hat Beulen bekommen, und manche Perücke ist auf dem Kopfe ihres Trägers verrutscht, und mancherlei ist dabei verloren gegangen und gestohlen worden. Und man überließ es dem dickköpfigen Geistlichen, der die Greisin verfolgte, mit ihr und ihrem schönen schwarzen Herrn von Bewunderer zu verfahren, wie es ihm für gut und recht scheine; aber mein Vater ist, wie ich Euch schon sagte, Herr Junker, nicht mit der Klerisei und der ganzen Zuschauerschaft ausgerissen, sondern hat sich der Greisin angenommen und hat sie mit sich zurück ins Dorf genommen, wo sie aber wenige Stunden darauf eines natürlichen Todes gestorben ist.«

»Risu solvuntur tabulae,« schloß der Baron die Erzählung, »und war sie am Leben geblieben, so war ihr auch der Prozeß nicht wieder neu gemacht worden, denn die Pfaffen und Gerichtspersonen waren zu sehr beschämt über die Angst, die sie gezeigt hatten, und haben es niemals gern gesehen, wenn die Geschichte wieder aufs Tapet gebracht wurde.«

Unter Gesprächen solcher Art schloß sich unserm Helden der andre Abend seines Aufenthalts auf dem Edelsitze von Tully-Veolan.


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