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Neunzehntes Kapitel.

Was Zimmer, das Flora Mac-Ivor für sich bewohnte, war äußerst schlicht und einfach eingerichtet; denn in Glennaquoich wurden alle Ausgaben auf das möglichste eingeschränkt, um nicht die Gastfreiheit zu beeinträchtigen, die als die Hauptpflicht des Burgherrn galt. Aber keine Spur von solcher Sparsamkeit ließ sich in der Garderobe der Dame wahrnehmen, die aus den geschmackvollsten, reichsten Stoffen sich zusammensetzte und teilweis Pariser, teilweis die einfachere Mode des Hochlands zeigte, aber auf das geschickteste zu einem schönen Ganzen gefügt war. Ihr Haar wallte in natürlichen Locken ihren Nacken hernieder und wurde bloß durch einen Diamanten-Reif zusammengehalten. Sie hatte die auffälligste Ähnlichkeit mit ihrem Bruder Fergus und war eine große Dame. Sie hatte das gleiche Profil wie er, von eben solcher Reinheit und antikem Schnitt, sie hatte dieselben Augenbrauen, dieselben Wimpern, die gleiche zarte Gesichtsfarbe, nur mit dem Unterschiede, daß die Farbe bei Fergus einen Stich ins Bräunliche aufwies als Folge der vielen Bewegung im Freien und der größeren Strapazen. An Stelle der Strenge aber, die das Merkmal von den Gesichtszügen des Bruders bildete, zeigte das Antlitz der Schwester eine liebliche Weichheit und Sanftmut. Auch ihre Stimmen wiesen hohe Verwandtschaft im Klange auf und unterschieden sich nur durch die verschiedne Lage. So sanft und süß wie die Stimme des Mädchens klang, so dröhnend und gewaltig war die des Bruders. Während in seinem Auge wildes Feuer loderte, lagerte in ihrem Auge tiefe Schwermut. Sein Blick schien nach Ruhm und Macht, nach allem, was ihn über die Mitmenschheit herausheben konnte, zu lechzen; ihr Blick hingegen mitleidsvoll auf die herabzusehen, die nach anderm als Herzensruhme trachteten. Ihre Empfindungen standen mit dem Ausdruck ihres ganzen Wesens in innigster Harmonie. Die Erziehung, die sie genossen hatte, hatte in ihr Herz dieselbe Anhänglichkeit an das alte Königshaus gepflanzt, wie in das des Bruders, und sie hielt es für dessen Pflicht, wie für die Pflicht jedes Mannes und jedes Clans in England wie Schottland, welches Los auch ihrer harren möchte, für die Wiedereinsetzung des alten Königshauses einzutreten mit allen Kräften des Geistes und Leibes und mit allen Fasern dafür zu kämpfen.

Aber während der Bruder dabei die eignen Interessen mit verfolgte, wie der Leser aus der ihm kurz gegebnen Charakteristik bereits ersehen hat, brannte in Floras Herzen die Flamme der Treue gegen das Haus Stuart rein und lauter und ungetrübt von irgend welchem Gefühle des Eigennutzes. Nach dem Hinscheiden seiner Eltern war Fergus eine Zeitlang Edelknabe am Hofe des vertriebenen Fürsten gewesen, während Flora auf Kosten seiner Gemahlin mehrere Jahre in einem französischen Kloster erzogen worden war. Selbstverständlich hatte diese zwiefache Auszeichnung die Liebe der beiden Geschwister noch fester gekittet.

Wir haben nun dem Leser eine ausreichende Schilderung von Floras Wesen und Charakter gegeben und können uns mit allem weitern kurz fassen. Sie verfügte über eine gute Bildung und besaß all jene feineren Sitten, die sich von einem jungen Fräulein erwarten lassen, das schon seine Kindheit, an einem Fürstenhofe zugebracht hat. Aber eins hatte sie nie gelernt: die Sprache der Höflichkeit an die Stelle des wahren Empfindens treten zu lassen. Seit sie in der Einsamkeit von Glennaquoich lebte, pflegte sie neben fleißiger Lektüre die edle Kunst der Musik und beschäftigte sich mit Vorliebe mit der alten Bardendichtung des Hochlands.

Auch die Liebe zu ihrer Heimat, zu ihrem alten Clan wohnte nicht minder tief in ihrem Herzen als in dem des Bruders. Ihre patriarchalische Würde zu wahren, war sie ebenso eifrig beflissen wie Fergus, und alle ihre Einkünfte   sie verdankte ihrer Fürstin eine kleine Jahresrente   verwandte sie auf Sorge für alte und kranke Leute ihres Clans, die nicht im stande waren, sich durch Arbeit den Lebensunterhalt zu schaffen. Flora genoß infolgedessen eine geradezu beispiellose Liebe und Verehrung im Clan sowohl wie im ganzen Hochland, und mancher Bardensang kündete ihr Lob.

In zärtlicher Liebe hing sie an Rosa Bradwardine, und wenn die beiden Mädchen zusammen waren, so hätten sie dem Maler sitzen können als Modelle für die Muse des Frohsinns (Rosa) und für die Muse der Schwermut (Flora).

Allgemein herrschte die Ansicht   bloß hätte es niemand dem Baron von Bradwardine sagen dürfen   daß Flora keinen geringen Anteil hatte an der gütlichen Beilegung des zwischen den beiden Männern ausgebrochenen Zwistes, der leicht zu einer Blutfehde hätte führen können, da ja doch der Baron sich schon früher an dem Clan vergangen hatte. Sie verstand es, dem Bruder von einer Seite beizukommen, wo er eigentlich nur zu fassen war, das war die Rücksicht auf das Alter des Barons. Sie stellte ihm all den Schaden vor, der auch ihm erwachsen müsse, wenn er es aufs Aeußerste mit dem im ganzen Unterland so hoch angesehenen Baron kommen ließe; und das hatte schließlich die Ursache gegeben zur Absendung Evan Dhus, womit seitens des Häuptlings der erste Schritt zur Verständigung getan worden war.

Bei dieser Dame, die jetzt an ihrem Teetisch als Herrscherin saß, führte jetzt Fergus den Kapitän Waverley ein, und Flora begrüßte ihn mit aller gebotenen Artigkeit und Höflichkeit.


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