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Sechstes Kapitel.

»Warum kommt Ihr so spät?« fragte Jarvie, als ich in die Eßstube trat; »es hat vor fünf Minuten schon eins geschlagen. Die Mathilde ist zweimal mit dem Essen an der Tür gewesen.«

Ich entschuldigte mich, so gut es ging, wegen dieser Unpünktlichkeit, und saß bald an der Tafel. Jarvie war ein höchst angenehmer Wirt und übte die ungezwungenste Gastfreundschaft, nötigte Owen und mich bloß allzu viel zu den schottischen Leckerbissen, von denen sein Tisch strotzte, die aber mit unserm Geschmack doch nicht so recht harmonierten. Ich fand mich einigermaßen damit zurecht, aber Owen, dessen Begriffe von Höflichkeit weit strenger und förmlicher waren, und der bei dem Freunde der Firma nicht gegen den Respekt verstoßen wollte, zwang sich mit kläglicher Gefälligkeit einen Bissen nach dem andern hinunter, und pries alles in einem Tone, aus dem der Widerwille, trotz aller Höflichkeit, deren er sich befleißigte, ziemlich scharf hervorklang.

Als wir abgegessen hatten, bereitete Jarvic mit eignen Händen einen kleinen Napf voll Branntweinpunsch, den ersten, den ich im Leben erblickt hatte. Wir fanden das Getränk sehr schmackhaft. Es führte zu einem langen Gespräch zwischen Owen und unserm Wirt über den Handelsverkehr, der sich seit der Vereinigung Schottlands mit England zwischen Glasgow und den britischen Ansiedelungen in Amerika und Westindien angeknüpft hatte, und über die vorzügliche Lage dieser Stadt für die Aus- und Einfuhr. Einige Bemerkungen Owens über die Schwierigkeit für Schottland, zu exportieren, ohne von England zu kaufen, veranlaßten Jarvie zu heftiger Entgegnung.

»Nein, nein, Herr,« sagte er, »wir stehen auf eignen Füßen – wir haben unsre Wolle, haben Leinwand aller Art, besser und wohlfeiler, als Ihr in London – und wir kaufen Eure nordenglischen Waren doch so wohlfeil in Liverpool wie Ihr, und machen gute Geschäft mit Kattun und Musselin. Nein, nein! Ihr werdet bald finden, wir Glasgower sind nicht so weit zurück, daß wir nicht folgen könnten. – Aber für Euch, Herr Osbaldistone, ist das eine schlechte Unterhaltung,« wandte er sich zu mit, da er bemerkte, daß ich einige Zeit geschwiegen hatte; indessen Ihr wißt wohl, es spricht nun mal jeder gern von seinem Handwerk.«

Zur Entschuldigung für meine Zerstreutheit und Nachdenklichkeit fühlte ich die bedauerlichen Umstände meiner Lage und die seltsamen Abenteuer dieses Morgens an. Auf diese Art erhielt ich, was ich suchte, nämlich die Gelegenheit, meine Geschichte ausführlich und ohne Unterbrechung zu erzählen. Einzig und allein der erhaltenen Wunde erwähnte ich nicht, als zu unbedeutend. Jarvie hörte mit großer Aufmerksamkeit und anscheinender Teilnahme zu, zwinkerte mit den kleinen grauen Augen, nahm ein paar Prisen und unterbrach mich nur zuweilen durch kurze Ausrufungen. Als ich zu der Nachricht von dem Zweikampf kam, faltete Owen die Hände, hob die Augen gen Himmel und zeigte das Bild kläglichsten Schreckens, während Jarvie hastig einfiel: »Unrecht – schweres Unrecht, den Degen zu ziehen gegen Euren Verwandten! das verbieten göttliche und menschliche Gesetze! Aber erzählt weiter – was geschah dann?«

Als ich nun von Campbell erzählte, stand Jarvie ganz verdutzt auf und schritt durchs Zimmer.

»Robin schon wieder? Der Mensch ist toll! schier toll und töricht!« rief er. »An den Galgen wird er sich noch bringen und seine ganze Verwandtschaft in Schimpf und Schande stürzen! das wird man noch erleben! – Mein Vater, der Vorsteher, hat ihm die ersten, Strümpfe gewirkt – sonderbar, ich glaube, Threeplie, der Seiler, der jetzige Vorsteher, wird ihm die letzte Halsbinde drehen! – Doch sprecht weiter! wie ward's weiter?«

Ich erzählte die ganze Geschichte, so genau ich konnte, aber Jarvie fand immer noch an dem und jenem herumzureden, nach diesem und anderm zu fragen, bis ich, obgleich mit Widerwillen, auf die Begebenheit mit Morris und auf mein Zusammentreffen mit Campbell in Inglewoods Hause zurück gelangte. Jarvie hörte allem aufmerksam zu und schwieg eine Weile, nachdem ich ausgeredet hatte.

»Ueber alles dies bitt ich Euch nun um Euren Rat, Herr Jarvie; denn er wird mir ohne Zweifel den besten Weg zeigen, für meines Vaters Vorteil und meine eigne Ehre zu handeln.«

»Ihr habt recht, junger Mann, ganz recht,« sprach Jarvie. »Nehmt den Rat von Männern an, die älter und weiser sind als Ihr, und machts nicht, wie der gottlose Rehabeam, der mit jungen, unbärtigen Burschen Rat hielt und die Greise, die zu seines Vaters Salomo Füßen gesessen hatten, für nichts ansah. – Aber, junger Mann, ich mag nichts von Ehre hören; wir haben es hier einzig und allein mit der Kreditfrage zu tun. Ehre ist eine böse Madam, die umherspukt in allen Winkeln, die auf den Gassen Streit vom Zaune bricht; Kredit ist ein anständiger, ehrsamer Herr, der hübsch daheim bleibt und gut Spiel hat.«

»Ein wahres Wort, Herr Jarvie,« sprach unser Freund Owen, »Kredit ist die Hauptsumma, und wenn wir diese nur retten können, mit welchem Verlust es auch sei –«

»Recht so, Herr Owen, recht so,« erwiderte Jarvie; »Ihr sprecht verständig, und ich hoffe, die Sache wird sich noch wenden. Aber was Robin betrifft, so meine ich, er wird diesem jungen Manne gefällig sein, wenn es in seiner Macht steht. Er hat ein gutes Herz, der arme Robin, und ob ich gleich bei seinen frühern Geschäften zweihundert Pfund verlor, und nicht viel Hoffnung habe, je meine tausend Pfund Schottisch zurück zu sehen, die er mir jetzt verspricht, so sag ich dennoch, Robin meint's gut.«

»Ich darf ihn also für einen ehrlichen Mann halten?« fragte ich.

»I nun!« erwiderte Jarvie nach einigem Räuspern. – »Ja, er hat so eine hochländische Ehrlichkeit, – er ist ehrlich mit Vorbehalt, wie man zu sagen pflegt.«

»Aber glaubt Ihr,« fragte ich, »daß dieser Mann mir dienen kann, oder will, meinetwegen mit Vorbehalt – wie Ihr sagt – oder weiter, darf ich mich an den Ort wagen, wo ich ihn treffen sollte?«

»Ehrlich und aufrichtig gesagt, des Versuchs ist es wert. Ihr seht selbst, hier könnt Ihr ohne Gefahr nicht bleiben. Dieser Morris hat nicht weit von hier eine Zolleinnehmerstelle am Hafen bekommen. Alle Welt hält ihn bloß für einen Gänsekopf und ein Hasenherz, für einen Bummler und Leuteschinder; aber wenn er eine Anzeige macht, dann muß die Obrigkeit natürlicherweise sie annehmen und gelten lassen, wenn sie nicht widerlegt wird. Man könnte Euch also leicht einsperren, und das möchte für Eures Vaters Angelegenheiten doch sehr nachteilig sein.«

»Allerdings,« erwiderte ich; »dennoch sehe ich nicht ein, wie ich meinem Vater einen Dienst leisten könnte, wenn ich Glasgow verließe, wo wahrscheinlich der Hauptschauplatz von Rashleighs Ränken sein wird, und wenn ich, mich der zweifelhaften Treue dieses Mannes hingeben wollte, von dem ich wenig mehr weiß, als daß er die Gerechtigkeit fürchtet, wozu er schließlich seinen guten Grund haben mag; ganz abgesehen davon, daß er in enger Verbindung mit jenem Manne steht, der wahrscheinlich der Urheber unsers Verderbens sein wird.«

»Ei, Ihr beurteilt Robin recht streng,« sprach Jarvie – »den armen Schelm; aber Ihr wißt nicht, wie es in unserm Gebirge steht oder, wie wir es nennen, im Hochlande. Dort wohnt ein ganz andrer Menschenschlag, wie bei uns. Da gibt es keine Gerichtshöfe, keine Obrigkeiten, die das Schwert nicht umsonst tragen, gleich mir und andern Beamten in dieser Stadt. – Sondern der Laird befiehlt, und die Taugenichtse müssen bereit sein, und sie kennen kein anderes Gesetz, als die Länge ihrer Dolche. Das Schwert ist der Ankläger, die Tartsche ist der Verteidiger, der ärgste Trotzkopf hält's am längsten aus – da habt Ihr einen hochländischen Prozeß.«

Owen seufzte tief, und mir machte diese Beschreibung keine große Lust, mich in ein Land zu wagen, das von Recht und Gesetz so wenig kannte und hielt.

»Wir sprechen nicht viel von diesen Dingen,« fuhr Jarvie fort, »weil sie uns bekannt sind; und was nützt es, sein Vaterland und seine Verwandten zu schmähen vor Fremden? Es ist ein schlechter Vogel, der sein eignes Nest besudelt.«

»Gut, Herr; da aber nicht zudringliche Neugierde, sondern wirkliche Notwendigkeit mich antreibt, Erkundigungen einzuziehen, werdet Ihr's hoffentlich nicht übel nehmen, wenn ich Euch um einige weitere Nachricht bitte. Ich habe für meines Vaters Rechnung mit verschiedenen Herren in jenen wilden Gegenden zu tun, und ich muß von Eurer Einsicht und Erfahrung die nötige Aufklärung hierüber erwarten.«

»Erfahrung,« antwortete Jarvie, dem meine letzten Worte sicherlich geschmeichelt hatten,«hab' ich am Ende wohl, und da Ihr willens seid, Euch von dem Rat eines Glasgower Webers leiten zu lassen, bin ich nicht der Mann, der dem Sohne eines alten Handelsfreundes seinen Rat verweigert. Nun, ich will also nichts reden von Hochverrat und dergleichen, oder was am Ende daran streifte; aber diese Hochländer haben lange Arme, und da ich hin und wieder mal mich in unsre Berge begebe, um alte Verwandte zu besuchen, so wollt' ich mir nicht gern böses Blut mit irgend einem ihres Clans machen. Um also fortzufahren – Ihr müßt wissen, unsre Hochlande sind eine wilde Art von Welt, voll Höhen, Wälder, Höhlen, Seen, Flüssen und Bergen, die selbst des Teufels Flügel ermüden würden, wenn er bis zu ihrem Gipfel fliegen sollte. In diesem Lande und auf seinen Inseln, die wenig besser oder wohl noch schlimmer sind, gibt es an die zweihundertdreißig Kirchspiele. Ob sie da alle Gälisch sprechen, weiß ich nicht, aber sie sind alle ein rohes Volk. Rechne ich nun mäßig jedes Kirchspiel zu achthundert Menschen, nach Abzug der Kinder unter neun Jahren, und addiere dann ein Fünftel für Kinder von neun Jahren und darüber hinzu, so wird die ganze Volksmenge –«

»Gerade 220800 betragen,« sprach Owen, der erfreut in diese Berechnungen einging.

»Richtig, Herr Owen, vollkommen richtig. Und da im Hochlande jeder Mann zwischen achtzehn und sechsundfünfzig Jahren die Waffen trägt, kommt eine Zahl von annähernd 57500 Männern heraus. Nun ist's aber eine traurige Wahrheit, daß es weder Arbeit, noch den Anschein von Arbeit für die Hälfte dieser armen Menschen gibt; das will sagen, daß Ackerbau, Viehzucht, Fischerei und andre ehrliche Gewerbe nicht der halben Volksmenge Beschäftigung geben, und mögen sie noch so faul sein! Unter diesen annähernd 60000 Männern nun mag es an 28–29000 rüstige Jünglinge geben, die waffenfähig sind und Waffen tragen, und verteufelt wenig Lust haben, sich nach ehrlichen Mitteln für ihren Lebensunterhalt umzusehen, wenn sie's auch könnten, was aber leider nicht der Fall ist.«

»Ist's möglich? soll dies eine treue Schilderung eines so ansehnlichen Teils unsrer britischen Insel sein?« fragte ich.

»Ich will's Euch ganz klar machen, Herr,« sprach Jarvie. »Wir wollen annehmen, daß jedes Kirchspiel, gleich verteilt, fünfzig Pflüge beschäftigt, was in einem so armseligen Lande viel ist und Weide genug hat für Pferde, Ochsen und Kühe; nun setzen wir zur Besorgung des Feldes und Viehes fünfundsechzig Familien, jede zu sechs Köpfen, oder in runder Summe fünfhundert Menschen, die Hälfte der Bevölkerung, welche arbeiten und sich von saurer Milch und Haferbrei nähren mag; aber ich möchte wohl wissen, was die andern fünfhundert tun?«

»Mein Gott!« rief ich, »was sagt Ihr, Herr Jarvie? Es schaudert mich, wenn ich an ihre Lage denke!«

»Herr,« sprach Jarvie, »Ihr würdet noch mehr schaudern, wenn Ihr in ihrer Nähe lebtet. Ich will zugeben, daß die Hälfte von ihnen sich ehrlich durchschlägt in Nieder-Schottland durch Erntearbeit, Viehtreiben, Heuen und Feldarbeit; aber es gibt noch immer manches Hundert oder Tausend langbeiniger hochländischer Burschen, die nicht arbeiten und bei ihren Verwandten umher liegen müssen, oder davon leben, daß sie tun, was der Laird befiehlt, mag's recht oder unrecht sein. Und vornehmlich kommen viele hundert an die Grenze des Niederlandes, wo es was zu nehmen gibt, und leben vom Viehdiebstahl und von anderen Räubereien. Das ist bejammernswert in einem christlichen Lande, um so mehr, als sie stolz darauf sind und Herdendiebstahl für eine wackre Tat halten, die sich besser für seine Leute zieme, als durch ehrliche Arbeit einen Tagelohn zu verdienen. Die Lairds sind genau so schlimm wie die Burschen; denn wenn sie Raub und Diebstahl auch nicht anbefehlen, so verbieten sie's ihnen doch auch nicht, und geben ihnen Schutz und Zuflucht in ihren Wäldern und Gebirgen und festen Schlössern, wenn der Diebstahl verübt worden ist. Das ist eine Plage unsrer Hochlande, die seit vielen hundert Jahren all den gesetzlosen, unchristlichen Landstreichern, die unser ruhiges, gottesfürchtiges West-Schottland beunruhigt haben, Aufenthalt und Unterstand gegeben hat.«

»Und ist dieser Verwandte von Euch und Freund von mir auch ein solcher Laird?« fragte ich.

»Nein,« erwiderte Jarvie; »er ist keiner von den Häuptlingen, wie man sie nennt, Er ist aber von guter Herkunft. Ich kenne sein Geschlecht; er ist allerdings mein naher Verwandter, und, wie gesagt, von edlem, hochländischem Blute, obwohl Ihr leicht denken könnt, daß ich mir wenig aus solchem unsinnigen Begriff mache, denn das ist schlecht und flockig Garn, wie unsereins sagt.«

»Wenn er aber auch keiner von den Häuptlingen ist, von denen ich meinen Vater erzählen hörte, so hat doch Euer Vetter in den Hochlanden vermutlich viel zu sagen?« fuhr ich fort.

»Das dürft Ihr wohl glauben, – kein Name ist besser bekannt als der seinige. Robin war einst ein so wackrer, tätiger Viehhändler, als man unter zehntausend nur finden kann. Es war eine Freude, ihn zu sehen in seinem umgeschlagnen Plaid und seinen Riemenschuhen, mit der Tartsche auf dem Rücken und Tasche und Dolch am Gürtel, wie er Hunderten hochländischer Ochsen folgte, mit einem Dutzend rüstiger Gesellen, so rauh und wild, wie die Tiere, die sie treiben. Er war ein höflicher Mann und im Handel ein rechtlicher Mann. Ich hab's selbst mit angesehen, daß er fünf Schillinge auf ein Pfund Sterling herausgegeben hat.«

»Fünfundzwanzig Prozent,« sprach Owen – »ein schweres Diskonto.«

»Und er hat's gegeben, Herr, sag ich Euch; zumal wenn er glaubte, der Käufer sei arm und könne einen Verlust nicht verschmerzen. Aber es kamen schwere Zeiten, und Robin wagte viel. Es war nicht meine Schuld; er kann's mir nicht zuschreiben. Ich hab's ihm gesagt. Seine Gläubiger, besonders einige mächtige Nachbarn, griffen nach seinem Eigentum, und man erzählt, sie hätten sein Weib aus dem Hause geworfen und noch dazu mißhandelt. Schändlich! Schändlich! Ich bin ein friedlicher Mann und eine obrigkeitliche Person, aber hätte jemand meine Dienstmagd Mathilde so schlecht behandelt, wie sie Robins Weib behandelt haben mögen, ich glaube, ich hätte das Schwert wieder in Bewegung gesetzt, daß mein Vater, der Vorsteher, bei der Bothwellbrücke brauchte. – Gut, Robin kam heim und fand Verwüstung, Gott erbarm's! wo er Ueberfluß verlassen hatte. Er sah nach Westen, Osten, Süden und Norden, und sah weder Halt noch Hoffnung, weder Schutz noch Zuflucht. Da drückte er die Mütze in die Augen, gürtete das Schwert an seine Seite, ging ins Gebirge und war ein geschlagner Mann.«

Die Stimme des wackern Bürgers wurde durch widerstreitende Empfindungen unterdrückt. Offenbar bildete er sich heimlich etwas ein auf die Verwandtschaft mit dem Hochländer, während er seinen Stammbaum zu verachten schien.

»In seiner Verzweiflung,« sprach ich, als Jarvie in seiner Erzählung nicht fortfuhr,«ist Euer Vetter wohl einer von den Räubern geworden, die Ihr uns geschildert habt?«

»Ganz so schlimm ja nicht,« erwiderte Jarvie – »aber er erhob Schutzgeld, und in weit größerm Umfange, als in unsern Tagen je geschehen ist; bis an die Tore von Stirling-Schloß hat ers erhoben!«

»Schutzgeld? – Was soll ich darunter verstehen?« fragte ich verwundert.

»Nun seht, Robin scharte einen Haufen Blaumützen um sich, was ihm bei seinem alten angesehenen Namen, mag er auch noch so tief heruntergedrückt worden sein, wahrlich nicht schwer fiel, und da es ihm leid tat, wie er sagte, daß solche Räübereien an der südlichen Grenze des Hochlands verübt werden könnten, schlug er vor, wenn ein Erbherr oder Pächter ihm vier Pfund Schottisch für jedes hundert Pfund Einkünfte bezahlte, was gewiß ein mäßiger Anschlag sei, so wollte er sie schadlos halten. Da mochten sie nun zu ihm schicken, wenn ihnen auch nur eine Klaue gestohlen worden, und Robin verpflichtete sich, sie wieder zu schaffen oder nach ihrem Vollwerte zu ersetzen – und er hielt immer Wort – ich muß bekennen, er hält sein Wort. Und diese Meinung herrscht im ganzen Lande.«

»Ein sonderbarer Versicherungsvertrag,« bemerkte Owen.

»Er steht im krassen Widerspruch zu unsern Gesetzen, das muß man eingestehen,« sprach Jarvie. »Schutzgeld zu erheben und Schutzgeld zu bezahlen ist straffällig; wenn mir aber das Gesetz Scheune und Stall nicht beschützen kann, warum sollt' ich mich nicht mit einem Hochländer einlassen, der's kann? – Darauf gebt mir Bescheid!«

»Aber wird dieser Schutzgeldvertrag, wie Ihr's nennt,« fragte ich, »seitens der Landbesitzer und Pächter freiwillig geschlossen? wenn nicht, was geschieht? und was ist die Folge, wenn jemand sich weigert, solchen Tribut zu bezahlen?«

»Nun, ich will jedem Freunde raten, sich mit Robin zu einigen, denn wer noch so sehr auf seiner Hut ist, ist und bleibt doch, mögen sie wachen, wie sie wollen, und tun, was sie wollen, wenn bei uns die langen Nächte herbeikommen, noch immer Schrecken genug ausgesetzt. Gewiß! es haben sich ja hin und wieder Lairds geweigert, den Tribut zu entrichten; aber was hatten sie davon? schon im ersten Winter ging ihnen die halbe Herde verloren; und seitdem halten's die meisten für das beste, mit Robin sich gütlich zu einigen. Er meint's ehrlich mit jedem, der's mit ihm ehrlich meint; aber wer ihn aufbringt, der kann ebenso gut mit dem Teufel anbinden.«

»Und auf diese Weise,« fuhr ich fort, »hat er sich zu den Gesetzen des Landes in Konflikt gesetzt?«

»In Konflikt? – Nun, Ihr könnt's ja so nennen! sein Genick würde seine Last wohl spüren, wenn sie ihn fingen. Aber er hat gute Freunde unter den Großen, und ich könnte Euch eine gar vornehme Familie nennen, die ihm, soweit sie es mit Anstand kann, die Stange hält, um ihn als Dorn für andre zu brauchen. Zudem ist er ein so verschlagner Schelm, wie nie einer in unsern Tagen dies Handwerk getrieben hat oder treiben könnte. Manch tollen Streich hat er gespielt, – mehr als in ein Buch ginge, und ein wunderliches Buch würde es sein – so gut, als Robin Hood oder Wilhelm Wallace, voll kühner Taten und Erinnerungen, wie sie die Leute gern erzählen an Winterabenden.«

Ich verfolgte nun meine Nachforschungen durch die Frage, welchen Einfluß dieser Robert Campbell auf meine oder meines Vaters Angelegenheiten haben könne?

»Was Eures Vaters Sache anbetrifft,« erklärte Jarvie, »nun, so müßt Ihr wissen, daß in den letzten zwanzig Jahren einige Lairds und Häuptlinge im Hochlande ihren eignen Vorteil besser eingesehen haben. Euer Vater und noch andre kauften mehrere Waldungen, und Eures Vaters Haus gab dafür bedeutende Wechsel. Osbaldistone und Tresham hatten guten Kredit – und ich sag's Herrn Owen ins Gesicht, wie hinter seinem Rücken, bis auf das Unglück, das Gott geschickt hat, war niemand redlicher im Handel, und die hochländischen Herren, Inhaber dieser Wechsel, fanden für die Wechsel von Eurem Vater oder doch für den weitaus größten Teil der Wechsel in Glasgow und Edinburg willige Nehmer – so daß – aha! versteht Ihr mich nun?«

Ich bekannte, daß ich seine Meinung nicht ganz verfolgen könne.

»I nun,« sprach er, »wenn die Wechsel nicht bezahlt werden, so halten sich die Kaufleute in Glasgow an die hochländischen Lairds, die aber kein Geld haben und nicht wiedergeben können, was längst durchgebracht ist. – Sie werden in Verzweiflung geraten – fünfhundert Menschen werden aufstehen, die sonst daheim gesessen hätten – und die eingestellte Zahlung von Eures Vaters Hause wird den Ausbruch der Revolte im Hochlande beschleunigen, wo ja schon lange alles gärt und rumort, seitdem König Georg – Gott segne ihn! – die Tausende von Pfunden nicht mehr an die Clans und Häuptlinge zahlen läßt, die ihnen von König Wilhelm und Königin Anna bezahlt wurden, um sie in Ruhe zu halten.«

»Ihr glaubt also,« sprach ich, überrascht von dieser sonderbaren Ansicht der Sache, »daß Rashleigh meinem Vater so viel Schlimmes bloß zugefügt hat, in der Absicht, einen Aufstand der Hochländer zu beeilen?«

»Ohne Zweifel ist dies die Hauptursache gewesen. Eine andre ist das bare Geld, das er mitgenommen hat. Für Euren Vater ist dies nur ein geringer Verlust, obwohl es für Rashleigh der Hauptgewinn sein mag. Die mitgenommenen Papiere haben gar keinen Nutzen für ihn; damit kann er sich die Pfeife anzünden. Er hats bei Mac Vittie und Comp., wie ich durch einen guten Freund erfuhr, versucht, sie umzusetzen; aber sie haben ihn mit schönen Redensarten abgespeist. Man kennt Rashleigh in Glasgow besser, als man ihm traut, denn er war hier, anno 1707, in ein Jakobiten- und Papisten-Abenteuer verwickelt und hinterließ Schulden über Schulden. ... Nein, nein, hier wird er kein Papier los, denn man traut ihm nicht, wie er dazu kam. Er wird diese Ware im Hochlande in Sicherheit bringen, und mein Vetter Robin könnte wohl dazu gelangen, wenn er wollte.«

»Würde er aber geneigt sein, uns darin zu dienen?« sprach ich. »Wenn er die Sache der Jakobiten unterstützt und in ihre Anschläge verwickelt ist, wird er um meinetwillen oder, wenn Ihr wollt, um der Gerechtigkeit willen, dann etwas tun wollen, was Eurer Ansicht nach ihren Plänen von solchem Nachteil wäre?«

»Darüber kann ich nichts Bestimmtes sagen. Die Großen unter ihnen trauen Robin nicht, und er mag ihnen nicht trauen – er hat sich gut eigentlich nur mit den Argyles gestanden. Wäre er nicht in Bedrängnis, so würde er lieber auf Argyle's Seite treten, als auf Breadalbane's, denn es besteht eine alte Feindschaft zwischen der gräflichen Familie Breadalbane und seinem Stamm und Namen. Eigentlich steht Robin für sich allein. Er wird sich auf die Seite schlagen, die ihm am besten zusagt. Wenn der Teufel Laird wäre, so würde Robin sein Lehnsmann sein, und Ihr könnt's ihm nicht verargen, dem armen Schelm, in seinen Umständen. Aber eins ist sehr gegen Euch – Robin hat eine graue Mähre in seinem Stalle.«

»Was meint Ihr damit?«

»Robins Weib – ein furchtbares Weib. Sie kann den Anblick eines freundlichen Schottländers nicht ertragen, wenn er aus Nieder-Schottland kommt, viel weniger den eines Engländers, und sie wird eifrig für alles sein, was den König Jakob emporbringen und den König Georg stürzen kann.«

»Es ist doch seltsam,« erwiderte ich, »daß die Handelsunternehmungen Londoner Bürger mit Staatsumwälzungen und Revolten verwickelt werden sollten.«

»Durchaus nicht seltsam,« entgegnete Jarvie, »das sind nur Eure törichten Vorurteile. Ich habe erst letzt in Backer's Chronik gelesen, daß Londoner Kaufleute die Bank in Genua zwingen konnten, dem König von Spanien eine ansehnliche Summe, die sie ihm versprochen hatten, nicht vorzuschießen, wodurch die große spanische Armada ein halbes Jahr aufgehalten wurde. Was sagt Ihr dazu?«

»Daß die Kaufleute ihrem Vaterlande einen goldenen Dienst erwiesen, dessen unsere Geschichtsbücher ehrenvoll erwähnen sollten.«

»Das ist meine Meinung auch, und wer die drei bis vier ehrlichen hochländischen Häuptlinge davon abhielte, Hals über Kopf sich und ihre armen Leute ins Verderben zu stürzen, und Eures Vaters Kredit und mein eignes gutes Geld, das ich von Osbaldistone und Tresham zu fordern habe, rettete, der würde sich um Staat und Menschheit verdient machen – wer das bewirken könnte, den sollte man, und wenn er nur ein armer Weber wäre, behandeln und rühmen, wie irgend einen, den der König ehren will.«

»Wie weit die öffentliche Dankbarkeit sich erstrecken würde, maße ich mir nicht an zu entscheiden,« sprach ich; »aber wir würden es an Dankbarkeit sicher nicht fehlen lassen, Herr Jarvie.«

»Daran zweifle ich nicht! Könnte man nur die Papiere den Händen der Philister entwinden, es sind gute Papiere, und wenn sie in den rechten Händen wären, und das sind ja die Eurigen, Herr Owen, wären sie auch die rechte Ware! Drei Männer in Glasgow, so gering Ihr auch über uns denken möget – Sandie Steenson, John Pirie und ein dritter, den ich jetzt nicht nennen will, würden das nötige Geld vorschießen, um den Kredit Eures Hauses zu erhalten, und keine bessere Sicherheit verlangen.«

Owens Augen glänzten bei dieser Aussicht, aber sein Gesicht trübte sich sogleich wieder, als er erwog, wie unwahrscheinlich es sei, die Papiere wieder zu erlangen.

»Verzweifelt nicht, Herr!« sprach Jarvie. »Ich bin gerade wie mein Vater, der Vorsteher, der sich auch nicht in die Geschäfte eines Freundes mischen konnte, ohne sie schließlich zu seinen eignen zu machen. – Morgen will ich mir die Stiefel anziehen und mit Herrn Franz ins Hochland reiten. Wenn ich den Robin nicht zur Vernunft bringe und sein Weib dazu, so weiß ich nicht, wer's kann. Sonst war ich ein guter Freund von ihnen, gar nicht davon zu reden, daß ich in der vergangenen Nacht so getan, als sei mir Robin nicht bekannt, während es ihm doch an den Kragen gegangen wäre, wenn ich ihn namhaft gemacht hätte. Auf mancherlei Vorhalt in der Ratssitzung werde ich mich freilich gefaßt machen müssen, denn es scheint bereits ruchbar zu sein, daß Robin in der Stadt war und daß man ihn mit mir gesehen hat. ... Meine Verwandtschaft mit ihm wird mir ja ohnehin oft genug vorgehalten. ... Aber warum sollt ich auf solch Geschwätz achten? Steht Robin in Acht, so sag's man ihm selbst. Ich habe eine schottische Zunge, und wenn sie fragen, so werde ich schon antworten.«

Mit großer Freude sah ich, daß Jarvie nach und nach die Schranken der Vorsicht überschritt, indem er seinem vaterländischen Geist und dem natürlichen Wunsche, seinen Schaden wieder auszuwetzen, Rechnung trug, und freudig nahm ich seinen Vorschlag an, am nächsten Morgen die Reise mit ihm zu unternehmen.

Wir beschlossen, früh um fünf Uhr abzureisen. Owen, dessen Begleitung keinen Nutzen für uns haben konnte, sollte unsre Rückkehr in Glasgow erwarten. Ich verschaffte ihm in meinem Wirtshause ein Zimmer neben dem meinigen, befahl Andreas, zur bestimmten Stunde einzutreffen, und legte mich mit besseren Hoffnungen zur Ruhe, als es in der letzten Zeit mein Los gewesen war.


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