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Zweites Kapitel

Beim Eintritt warf ich einen scharfen Blick auf meinen Führer; allein die Lampe im Vorhofe brannte so düster, daß ich meine Neugierde nicht befriedigen konnte. Da der Schließer das Licht in der Hand hielt, fielen die Strahlen heller auf seine eigne Gestalt, die aber wenig Anziehendes hatte. Es war ein wilder Patron, dessen krauses, rotes Haar das Gesicht bedeckte und verfinsterte, das sich im übrigen einzig und allein durch die unbändige Freude auszeichnete, die er beim Anblick meines Führers empfand. Er fletschte die Zähne, zitterte und lachte, und war nahe am Weinen, wenn er nicht wirklich weinte. Die Freude schien seine Stimme zu ersticken, und er konnte sich nur durch: »O! o! – Ei! ei! – 's ist lange, seit ich Euch sah!« und andre, gleich kurze Ausrufungen in einer mir unbekannten Sprache ausdrücken. Mein Führer reichte dem Schließer gnädig die Hand und fragte freundlich: »Wie gehts Euch, Dougal?«

»Ah! ah!« rief Dougal, die lauten Ausrufungen seines Staunens abschwächend und mit verstärkter Wachsamkeit umherblickend ... »Nein! Euch hier zu sehen! Euch hier! Was würde aus Euch werden, wenn die Gerichtsdiener Wind davon kriegten – die schmutzigen Halunken!«

Mein Führer legte den Finger auf den Mund und sagte: »Fürchtet nichts, Dougal; Eure Hand soll mich nie einriegeln.«

»Das soll sie nicht,« sprach Dougal; »sie sollte – sie würde – das heißt, sie möchte sich eher bis zum Ellbogen abhauen lassen. – Aber wann geht Ihr wieder hinunter? Und Ihr laßt michs doch wissen? Ich bin ja Euer armer Vetter, Gott weiß, nur im siebenten Grade.«

»Ich wills Euch wissen lassen, Dougal, sobald meine Pläne in Richtigkeit sind.«

»Und meiner Treu! Wenn Ihr's tut, und wenn's Sonnabend nacht wäre, schmeiß' ich dem Aufseher die Schlüssel an den Kopf oder brauche sie zu sonst was – und das, eh's Sabbath morgen wird – so wirds geschehen.«

Der geheimnisvolle Fremde unterbrach die Ausrufe seines Bekannten von neuem und redete ihn in der Sprache an, die, wie ich nachher erfuhr, Gälisch oder Ersisch war, vermutlich, um ihm zu sagen, was er von ihm verlangte. »Von Herzen gern! Von ganzer Seele!« war die Antwort, womit der Schließer seine Bereitwilligkeit zu erkennen gab. Dann putzte er die Lampe, die dem Verlöschen nahe war, und gab mir ein Zeichen zu folgen.

»Geht Ihr nicht mit?« fragte ich den Fremden.

»Es ist unnötig,« erwiderte er; »meine Gesellschaft könnte Euch ungelegen sein, und besser ists, ich bleibe und decke den Rückzug.«

»Ihr werdet mich doch nicht in Gefahr locken?« fragte ich.

»In keine Gefahr, die ich nicht selber im doppelten Maße teilte,« antwortete der Fremde mit einem so zuversichtlichen Tone, daß kein Mißtrauen aufkommen konnte.

Ich folgte dem Schließer. Er ließ die innere Pforte hinter sich offen, fühlte mich eine Wendeltreppe hinauf, dann durch einen schmalen Gang und trat, nachdem er eine Tür geöffnet hatte, in ein enges Gemach, setzte die Lampe auf den kleinen hölzernen Tisch, sah auf das Strohlager in einer Ecke und sagte dann mit leiser Stimme:

»Sie schläft.«

»Sie! – Wer? – Kann es Diana Bernon sein, in dieser Wohnung des Elends!« rief ich.

Ich wendete meine Blicke auf das Lager, und mit einem Gefühle, worin getäuschte Erwartung sich seltsam mit Freude mischte, sah ich, daß ich mich in meiner ersten Vermutung geirrt hatte. Ich erblickte einen Kopf, der weder jung noch hübsch war, mit dichtem, grauen Barte, in einer roten Nachtmütze. Der Schlummernde erwachte aus einem tiefen Schlafe, gähnte und rieb sich die Augen, ... und ich erkannte keine andern Züge, als die meines Freundes Owen. Um ihm Zeit zur Erholung zu lassen, zog ich mich ein wenig zurück. Da fiel mir zum Glück ein, daß ich nur ein Fremder in diesem Aufenthalte des Herzeleids war, und daß jedes Geräusch üble Folgen haben könnte.

Der unglückliche Formalist hatte sich indessen von dem Strohlager aufgerichtet, und sich auf die eine Hand stützend und mit der andern seine Nachtmütze rückend, sprach er mit einem Tone, worin so viel Unmut, als er empfinden konnte, mit Schläfrigkeit stritt:

»Laßt Euch sagen, Herr Dugwell oder wie Ihr sonst heißen möget, die Totalsumme von der Sache ist, daß ich mich bei dem Lordmajor beklagen muß, wenn Ihr mich solchergestalt in meiner nächtlichen Ruhe stört.«

»Ein Herr will mit Ihnen sprechen,« erwiderte Dougal in dem echten mürrischen Tone eines Schließers, der grell abstach von dem hellen Klange hochländischer Begrüßung, womit er meinen geheimnisvollen Führer empfangen hatte, und entfernte sich.

Es verging einige Zeit, ehe ich den unglücklichen Schläfer so weit brachte, daß er wußte, wer da sei; aber der Schmerz des würdigen Mannes, der natürlicherweise voraussetzte, daß ich seine Gefangenschaft teilen sollte, war grenzenlos.

»O, Herr Franz! Wohin habt Ihr Euch und unser Haus gebracht! An mich selber denk ich nicht, ich bin gleichsam nur eine Ziffer; aber Ihr wäret Eures Vaters Hauptsumme – Ihr hättet der erste Mann im ersten Hause der ersten Stadt sein können, und nun eingeschlossen in einen schmutzigen schottischen Kerker, wo man nicht einmal den Staub von den Kleidern bürsten kann – o! das ist fürchterlich!«

Er rieb mit grämlicher Empfindlichkeit den braunen Rock, der ehedem nicht einen Fleck zeigte und jetzt allen Unrat des Fußbodens an sich hatte.

»O, der Himmel sei uns gnädig!« fuhr er fort. »Was für eine Neuigkeit wird das sein auf der Börse! Dergleichen hat man nicht gehört seit der Schlacht von Almanza, wo das Ganze des britischen Verlustes auf 5000 Tote und Verwundete und eine unbestimmte Anzahl von Vermißten angegeben ward – aber was ist das gegen die Nachricht, daß Osbaldistone und Tresham aufgehört haben zu zahlen?«

Ich unterbrach ihn, um ihm zu sagen, daß ich nicht Gefangener sei, obwohl ich kaum zu erklären vermochte, wie ich zu solcher Zeit an diesen Ort gekommen war. Ich konnte seine Fragen nur dadurch zum Schweigen bringen, daß ich ihn fortwährend über seine eigne Lage fragte, und er sagte mir alles, was er wußte. Unter den zwei Handelsfreunden meines Vaters in Glasgow, wo er wegen seines Verkehrs mit Schottland bedeutende Geschäfte machte, hatte sich das Haus Mac Vittie und Compagnie am gefälligsten und willfährigsten gezeigt und bei jeder Gelegenheit dem großen englischen Hause nachgegeben. Was mein Vater vorschrieb, war für Mac Vittie und Comp. Gesetz, und die Spitzfindigkeiten, deren sich Owen im Geschäftsverkehr befleißigte, waren ihnen kaum weniger heilig. Bei Owen galt dieser Ton tiefer Ehrerbietung für bare Münze, aber mein Vater, der das menschliche Herz genauer kannte, und entweder gegen solches Uebermaß von Unterwürfigkeit Argwohn faßte, oder als ein Freund der Kürze und Einfachheit im Geschäfte der weitschweifigen Beteuerungen dieser Herren müde war, hatte sich ihrem Verlangen, die einzigen Geschäftsträger im Hochlande zu werden, beständig widersetzt. Er ließ im Gegenteil vieles durch einen Handelsfreund von ganz entgegengesetzter Sinnesart besorgen, einen Mann, dessen gute Meinung von sich selber bis zum Dünkel stieg, den Engländern im allgemeinen ebenso abgeneigt, wie mein Vater den Schottländern, nur auf dem Fuße völliger Gleichheit verkehren wollend, überdies eifersüchtig, gelegentlich streitsüchtig war, und ebenso hartnäckig wie Owen an seinen Meinungen in bezug auf Form hing.

Diese Eigenheiten der Gemütsart machten es schwierig, mit Nikolaus Jarvie zu verhandeln, und gaben gelegentlich Anlaß zu Differenzen zwischen ihm und dem englischen Handelshause, die nur deshalb nicht zum offnen Bruche führten, weil man auf beiden Seiten Vorteile für sich hatte. Ueberdies wurde Owens persönliche Eitelkeit bei den Erörterungen, die sie veranlaßten, zuweilen ein wenig gekränkt, und man kann sich daher nicht wundern, daß unser alter Freund immer seinen Einfluß zu gunsten der höflichen, bescheidenen, willfährigen Herren Mac Vittie und Mac Fin anwendete, und Jarvie als einen trotzigen, eingebildeten schottischen Krämer bezeichnete, mit dem sich kein Geschäft machen ließe.

Unter diesen Umständen, die ich erst späterhin genauer erfuhr, konnte es nicht überraschen, daß Owen in der verdrießlichen Lage, in welche das Haus durch meines Vaters Abwesenheit und Rashleighs Verschwinden geraten war, bei seiner Ankunft in Schottland, wo er zwei Tage vor mir eintraf, sich an die Freundschaft jener Handelsherren wendete, die sich immer gefällig und dankbar gezeigt hatten und seinem Herrn von Herzen zugetan waren. Man empfing ihn im Kontor von Mac Vittie und Mac Fin beinahe wie einen Schutzheiligen. Aber die Saiten erklangen auf einmal ganz anders, als er den Handelsfreunden die Bedrängnisse des Hauses eröffnete und sie um Rat und Beistand bat. Mac Vittie wäre fast in die Erde gesunken, als er solche Kunde vernahm, auf die er ganz und gar nicht gerechnet hatte, und Mac Fin stellte sofort im Hauptbuche fest, auf welcher Seite zwischen den beiden Häusern der Vorteil sei. Leider neigte sich die Schale bedeutend gegen die englische Firma, und die Gesichter der Handelsfreunde, die bisher nur bleich und zweifelnd ausgesehen hatten, wurden nun unheilverkündend, mürrisch und finster. Sie beantworteten Owens Ansuchen um Beistand mit dem Gegenverlangen schnellster Sicherstellung wegen des drohenden Verlustes, und forderten endlich unverhohlen, daß zu diesem Zweck gewisse Zahlungsmittel, über die in andrer Weise verfügt werden sollte, in ihre Hände gegeben würden. Owen verweigerte diese Forderung mit großem Unwillen als entehrend für sein Handelshaus, ungerecht gegen die andern Gläubiger, und sehr undankbar von seiten derjenigen, welche sie stellten.

Owen hatte, wie es wohl immer sein mag, einen kleinen Anteil an dem Geschäfte des Hauses, dessen erster Buchhalter er war, und mußte daher für die Verbindlichkeiten desselben persönlich haften. Die schottischen Handelsherren wußten dies, und um ihn ihre Macht fühlen zu lassen, oder vielmehr, um ihn dadurch zu den für sie vorteilhaften Maßregeln zu drängen, ließen sie ihn einstweilen verhaften, ein Vorgehen, zu welchem die Gesetze Schottlands, wie es den Anschein hat, den Gläubiger berechtigen, der beschwört, daß der Schuldner sich mit der Absicht der Landesflucht trage. Auf solche beschworne Aussage hin war der arme Owen einen Tag früher, als ich auf so wunderbare Weise in sein Gefängnis geführt wurde, in Verhaft genommen worden. Mir standen die Gefahren, von denen wir umringt waren, deutlich vor Augen, aber desto schwerer war, es, Hilfsmittel zu finden. Die Warnung, die ich bereits erhalten hatte, schien anzudeuten, daß meine persönliche Freiheit gefährdet werden könnte, wenn ich offen für Owen eintreten wollte. Owen hegte dieselbe Besorgnis und versicherte mir in übertriebner Angst, daß ein Schotte, ehe man ihn in Gefahr setzte, einen Pfennig durch einen Engländer zu verlieren, mit allen Vollmachten ausgestattet würde, dessen Weib, Kinder, Knechte, Mägde und Fremde von Haus und Hof weg zu verhaften.

In Sorge, vielleicht selbst solchem Schicksal zu verfallen, richtete ich die Frage an Owen, ob er sich nicht auch an den andern Handelsfreund meines Vaters, Nikolaus Jarvie, gewandt habe? Er antwortete, daß er ihm heute morgen geschrieben habe; aber wenn das glattzüngige, höfliche Haus in Gallowgate ihn so behandelt habe, was ließe sich dann von dem mürrischen Grobian auf dem Salzmarkte erwarten? »Ihr könntet ebenso leicht,« sprach Owen, »von einem Mäkler verlangen, daß er seine Prozente aufgebe, als von ihm eine Gefälligkeit erwarten, ohne eine dagegen. Nicht einmal geantwortet hat er auf den Brief, der ihm doch auf dem Frühgange zur Kirche übergeben wurde.« – Hier warf sich der trostlose Mann auf das Strohlager und rief: »Mein armer, lieber Herr!« – »O, Franz, Franz! das kommt alles von Eurer Hartnäckigkeit! Gott verzeih mir, daß ich Euch das sage in Eurer Bedrängnis! Es ist Gottes Schickung, und der Mensch muß sich unterwerfen.«

Meine Philosophie konnte nicht verhindern, daß ich den Kummer des armen Mannes teilte. In der Mitte unsers vereinten Kummers wurden wir plötzlich durch lautes Pochen am äußern Gefängnistore gestört. Ich lief hinaus an die Treppe, um zu lauschen, konnte aber nichts als die Stimme des Schließers vernehmen, der abwechselnd laute Töne zu jemand draußen, und leise mit dem Manne sprach, der mich hergeführt hatte. »Er kommt! er kommt!« sagte er laut; dann mit gedämpfter Stimme: »O, du meine Güte, was wollt Ihr nun machen? – Geht die Treppe hinauf und verbergt Euch hinter des Gefangenen Bett!« – laut: »Er kommt so schnell als möglich!« – leise: »Ach! es ist der Profos mit den Gerichtsdienern und der Wache – und der Aufseher kommt auch! die Treppe herab. – Gott steh Euch bei! geht hinauf, oder er sieht Euch!« – laut: »Er kommt! er kommt! – die Schlösser sind so verrostet!«

Während Dougal unwillig und so langsam wie irgend möglich Schlösser und Riegel öffnete, da die draußen Stehenden sich nicht länger zurückhalten ließen, kam mein Führer die Wendeltreppe hinauf und sprang in Owens Gemach, wohin ich ihm folgte. Er blickte schnell umher, als ob er einen Ort suchte, wo er sich verbergen könnte, dann sprach er zu mir: »Leihet mir Eure Pistolen! – Doch es liegt nichts dran, ich kanns ohne sie vollbringen. Was Ihr auch sehen möget, bekümmert Euch nicht darum und mengt Euch nicht in andrer Leute Händel. Die Sache hier geht nur mich an, und ich muß fertig zu werden suchen, so gut es geht; ich bin schon oft ebenso arg in der Klemme gewesen, und wohl noch schlimmer als jetzt.«

Bei diesen Worten warf der Fremde seinen Mantel ab, stellte sich der Tür gegenüber, auf die er einen scharfen, entschlossenen Blick warf, und zog sich ein wenig zurück, seine Kraft zu sammeln, einem guten Rosse gleich, das über eine Schranke setzen will. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß er die Absicht habe, um sich aus seiner Verlegenheit zu ziehen, bei Oeffnung der Türe auf den Eintretenden loszuspringen und sich durch tollen Widerstand den Weg auf die Straße zu erzwingen.

Nach einem Augenblick banger Erwartung öffnete sich die Tür, und es erschien – nicht eine Wache mit Bajonetten oder Wächter mit Keulen, Säbeln und Hellebarden – sondern ein freundliches Mädchen mit hochgeschürztem Kleide und einer Laterne in der Hand. Diesem Mädchen folgte ein starker, kleiner, ziemlich wohlbeleibter Mann, der Würde nach, wie sich bald zeigte, eine Magistratsperson mit Stutzperücke, lärmend und atemlos vor mürrischer Ungeduld. Mein Führer wich bei dem Eintritt desselben zurück, als ob er sich der Beobachtung hätte entziehen wollen; allein er konnte dem durchdringenden Blick nicht entgehen, womit dieser Beamte das Gemach übersah.

»Eine schöne Sache, Stanchells,« sprach er zu dem Oberaufseher, der sich jetzt mit Ehrerbietung an der Tür zeigte, »mich eine halbe Stunde vor dem Tor stehen zu lassen. Was soll das heißen? – Fremde im Kerker nach der Schließzeit? Das soll untersucht werden, Stanchells, darauf verlaßt Euch. Haltet die Tür verschlossen, ich will mit diesen Herren ein Wörtchen reden. – Aber erst muß ich mit dem alten Bekannten hier schwatzen. – Herr Owen! Herr Owen! wie stehts mit Euch?« »Körperlich wohl, ich dank Euch, Herr Jarvie,« erwiderte langsam der arme Owen; »aber sehr bekümmert im Geiste.«

»Ohne Zweifel, ohne Zweifel. – Ja, ja, eine böse Sache – obendrein für einen, der den Kopf so hoch trug! Herr Osbaldistone ist ja ein guter, ehrlicher Mann, aber ich habs immer gesagt, er gehört zu den Leuten, die Türen mit Hörnern einrennen, wie mein Vater, der ehrwürdige Vorsteher, zu sagen pflegte. Ich habs dem Herrn Osbaldistone auch gesagt, und er schien's nicht ganz so freundlich aufzunehmen, wie ich's meinte, aber es war gut gemeint, gut gemeint.«

Diese Anrede, die mit wundersamer Geläufigkeit und sichtlicher Selbstgefälligkeit vorgetragen wurde, machte uns Hoffnung, von Jarvies Händen Beistand zu erhalten; aber es zeigte sich bald, daß wir uns geirrt haben sollten, denn als Owen sich etwas verletzt darüber äußerte, daß man ihn in seiner jetzigen Lage an solche Dinge erinnere, nahm ihn Jarvie bei der Hand und rief ihm zu: »Habt guten Mut! Meint Ihr, ich wäre um Mitternacht hergekommen und hätte fast den Sabbath verletzt, nur um einem gefallenen Manne von seinen Fehltritte zu erzählen? Nein, nein, das tut Niklas Jarvie nicht, und so machte es auch vor ihm sein würdiger Vater nicht, der Vorsteher. Hört, Mann! Es ist meine Regel, am Sabbath nie an weltliche Geschäfte zu denken, und ob ich mir gleich alle Mühe gab, mir Euren Brief, den ich heut morgen erhielt, aus dem Sinne zu schlagen, so hab ich doch den ganzen Tag mehr, daran gedacht als an die Predigt. – Und es ist meine Regel, mit dem Schlag zehn Uhr in mein Bett mit den gelben Vorhängen zu gehen, wenn ich nicht einen Kabeljau mit einem Nachbarn esse oder ein Nachbar mit mir.

– Fragt nur das Mädchen hier, ob das nicht Grundregel in meinem Hause ist. Und heute hab ich gesessen und in guten Büchern gelesen und gegähnt, als ob ich die St. Enox-Kirche verschlingen wollte, bis es zwölf schlug. Da war's erlaubte Zeit, in mein Hauptbuch zu blicken und zu sehen, wie die Sachen zwischen uns stehen, und da Zeit und Flut auf niemand warten, mußte das Mädchen die Laterne anbrennen, und ich ging hierher, um zu überlegen, was in Eurer Sache getan werden kann. Stadtvogt Jarvie kann zu jeder Stunde ins Gefängnis kommen, bei Tag und bei Nacht, und so konnte es auch mein Vater, der Vorsteher, zu seiner Zeit – der redliche Mann; geehrt sei sein Andenken!« Obwohl der tiefe Seufzer, den Owen bei Erwähnung des Hauptbuchs ausstieß, die Befürchtung in mir weckte, daß auch hier die Rechnung nicht günstig für uns stehe, und obwohl in den Worten des würdigen Beamten viel Selbstgefälligkeit und Stolz auf sein überlegnes Urteil lagen, so ließ sich doch auch, eine gewisse offne und derbe Gutmütigkeit nicht darin verkennen, die mir wieder Hoffnung machte. Er bat um einige Papiere, nahm sie hastig aus Owens Hand, setzte sich auf das Strohlager, ließ sich von dem Mädchen leuchten, und überflog sie, während er bald über das schlechte Licht klagte, bald über den Inhalt der Papiere brummte oder schalt.

Diesen Umstand schien mein Führer benutzen zu wollen, um sich davon zu machen. Er gab mir ein Zeichen, nichts zu sagen, und hob den Fuß, nach der Tür zu schleichen. Allein der wachsame Beamte, sehr verschieden von meinem alten Bekannten, Richter Inglewood, merkte alsbald den Braten und rief: »Aufpassen, Stanchells! – Verschließt die Tür und haltet Wache draußen!«

Des Fremden Stirn verfinsterte sich, und er schien einen Augenblick darauf zu sinnen, gewaltsamerweise sich zu entfernen; doch ehe er entschieden hatte, war die Tür verschlossen und der schwere Riegel vorgeschoben. Er murmelte einige heftige Worte in seiner Landessprache, schritt durch das Gemach, und mit einer Miene mürrischer Entschlossenheit, als wenn er nun das Ende der Sache abwarten wolle, setzte er sich auf den eichenen Tisch und pfiff ein Liedchen.

Jarvie, in Geschäftssachen offenbar höchst gewandt, wandte sich zu Owen: »Gut, Herr Owen, gut – Euer Haus ist an Mac Vittie und Comp. gewisse Summen schuldig. – Schämen sollten sich die Honigmäuler; sie haben das reichlich gewonnen bei dem Handel mit dem Eichenholz von Glen-Cailziechat, den sie mir aus den Zähnen rissen, zufolge Eurer freundlichen Fürsprache, wie ich wohl sagen darf, Herr Owen – aber das hat jetzt nichts zu sagen. Ihr seids nun einmal schuldig, und deshalb hat man Euch hinter Schloß und Riegel bringen lassen; Ihr mögt auch bei andern Leuten noch in der Kreide stehen – vielleicht bei mir auch.«

»Ich kanns nicht in Abrede stellen, Herr Jarvie,« sprach Owen, »die Bilanz dürfte gegen uns sein; aber Ihr wollt bedenken –« »Ich habe jetzt keine Zeit zu bedenken. – So nahe am Sabbath, und außer dem warmen Bette zu solcher Nachtzeit, – da ist keine Zeit zu bedenken. Aber was ich sagen wollte, Ihr steht in meiner Schuld, das läßt sich nicht leugnen, und wie hoch, das wird sich zeigen. Aber dann seh' ich nicht ein, Herr Owen, wie Ihr, als Mann, der die Geschäfte versteht, die Sachen abmachen wollt, weshalb Ihr noch hier seid und wie Ihr uns alle befriedigen wollt, wie ich Euch zutraue, wenn Ihr hier im Gefängnis liegen müßt. Nun, Herr, wenn Ihr eine Bürgschaft findet könntet, daß Ihr nicht aus dem Lande gehen, sondern vor unsern Gerichten erscheinen und Euren Bürgen erledigen wollt, das ist judicio sisti, so könnt Ihr noch heut morgen in Freiheit gesetzt werden.«

»Wenn ein Freund solche Sicherheit für mich leisten wollte, Herr Jarvie, so könnt' ich ohne Zweifel meine Freiheit nützlich für die Firma anwenden und für alle, die mit ihr in Verbindung stehen.«

»Nun, Herr Owen,« entgegnete der Bürger von Glasgow, »ich habe kein Mißtrauen gegen Euch, und wills beweisen – wills beweisen. Ich bin ein bedächtiger Mann, das ist bekannt, und arbeitsam, wie die ganze Stadt bezeugen kann, und ich weiß mein Geld zu gewinnen und zu bewahren, und auch zu zählen, wie irgend jemand in Glasgow. Und ich bin ein verständiger Mann, wie mein Vater, der Vorsteher, es auch war; aber eh' ein wackrer, höflicher Mann, der das Geschäft versteht, und allen gerecht werden will, hier im Gefängnisse liegen soll, außer stände sich selbst oder sonst jemand zu helfen – Nein! Ich will selber Euer Bürge sein. – Aber merkts Euch, es ist Bürgschaft judicio sisti, wie unser Stadtschreiber sagt, nicht judicatum solvi, für Eure Schuld zu stehen, denn das ist ein großer Unterschied.«

Owen versicherte, daß er unter den obwaltenden Umständen nicht erwarten könne, eine Bürgschaft für die wirkliche Zahlung zu finden, daß aber nicht im mindesten zu besorgen sei, er werde auf gehörige Ladung nicht erscheinen.


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