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Siebzehntes Kapitel.

Mit diesem Entschlusse nahte sich David Deans festen Schrittes der Kammer, die ehedem beiden Schwestern als Schlafstätte gedient hatte. Effies Bett stand noch darin, und seine Augen fielen, als er den Fuß über die Schwelle setzte, unwillkürlich darauf. Die schmerzvollen Erinnerungen, die jetzt auf ihn einstürmten, beraubten ihn fast der Sprache. Indessen sollte die Beschäftigung, über der er seine ältere Tochter traf, ihm sein Vorhaben erleichtern: er fand sie nämlich mit einem Papier in der Hand, in dessen Lesung sie vertieft und das nichts anderes war als die gerichtliche Vorladung, von welcher Middleburgh ihm gesagt hatte, und die dieser, während er mit dem Vater gesprochen, der Tochter durch einen Fron hatte behändigen lassen. Dieser Umstand kam ihm jetzt zu statten, denn er sparte ihm jede peinliche Auseinandersetzung . . »Ich sehe,« beschränkte er sich deshalb zu sagen, »daß Du schon weißt, um was es sich handelt.« Aber er sprach die wenigen Worte mit dumpfer, zitternder Stimme.

»Vater,« wehklagte Jeanie, »zwischen welch grausame Gesetze menschlicher und göttlicher Herkunft sind wir gestellt! . . Wie sollen, wie dürfen wir uns verhalten?«

Ihre Unruhe rührte aber nicht, wie beim Vater, aus dem Zweifel, ob ihr Gewissen es zulasse, vor Gericht zu erscheinen, so oft auch diese Frage von Glaubensgenossen ihres Vaters in ihrer Gegenwart erörtert worden war, sondern weil sie, der Unterredung gedenkend, die sie bei den Muschatsteinen mit dem Unbekannten gehabt, vor der grausamen Entscheidung stand, ob sie ihre Schwester durch einen Meineid retten solle oder nicht . . Und dieser Zweifel erfüllte sie so ganz, daß sie des Vaters Worte: »Ich sehe, Du weißt schon, um was es sich handelt,« auf den ihr so heimlich und doch so eindringlich gegebenen Rat bezog. Mit erschrecktem Blicke sah sie zu ihm auf, und was der Vater weiter sagte, war, so weit sie sie es wenigstens deuten konnte, nicht danach beschaffen, sie zu beruhigen.

»Jeanie, ich habe immer die Meinung vertreten,« sagte er, »daß in zweifelhaften, einander widerstrebenden Fragen jeder Christ sein eigenes Gewissen zum Wegweiser nehmen solle. Geh also mit Dir selbst zu Rate, prüfe Dein Gemüt, und wenn Du das Rechte gefunden zu haben meinst, so handle.«

»Vater,« antwortete Jeanie, vor dem Sinn erschreckend, den im Augenblick diese Worte für sie hatten, »kann es hierbei einen Zweifel geben? Wie lautet das achte Gebot? Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten!«

David Deans schwieg. Aber auch er paßte ihre Worte seinen Gedanken an, und da wollte es ihm scheinen, als sei sie als Weib, als Schwester, zu so strengen Bedenklichkeiten nicht befugt, nachdem doch er, als in diesen schweren Prüfungen einer so verhängnisvollen Zeit wohlerfahrener Mann, ihr den Wink gegeben hatte, den natürlichen Gefühlen ihres Herzens zu folgen. Indessen hielt er fest an dem Entschlusse, die Entscheidung allein ihr zu überlassen . . aber als seine Augen wieder das Bett trafen, worin sein jüngstes Kind so oft im süßen Schlummer gelegen, da trat ihm die holde Gestalt, die er von klein auf heranwachsen gesehen, so lebendig vor die Seele, daß ihm fast unbewußt Worte entschlüpften, deren Sinn nur erklärlich wurde, wenn man sie auf Vaterliebe zurückführte.

»Jeanie,« sagte er, »daß Dein Pfad immer frei bleiben wird von jeder Gefahr, zu straucheln, läßt sich nicht annehmen. In solchem Falle stehen wir jetzt. Freilich gilt es ja vielen als Sünde an sich, Zeugnis abzulegen, und ich selbst habe diesen Standpunkt immer eifrig vertreten. Aber ich meine, wie es überall im Leben Ausnahmen gibt, so auch hierbei, und zwar in Fällen der Blutsverwandtschaft. Indessen sei es durchaus ferne von mir, in Dich hineinzureden, Kind, denn ich spüre recht wohl, daß mir die irdischen Gelüste noch immer sehr anhaften und mich zu beirren drohen. Aber, Jeanie . .« und hier nahm seine Stimme, ihren harten Klang verlierend, eine fast wehmütige Färbung an, »Wenn es Dir möglich ist, mit Gott und Deinem Gewissen zu sprechen . . für dies arme, unglückliche Geschöpf, das von Deinem Blute ist, das die Tochter einer Heiligen ist, die schon im Himmel weilt, aber, so lange sie hienieden weilte, auch an Dir Mutterstelle vertrat . . Jeanie, wenn es Dein Gewissen erlaubt, für sie vor Gericht zu zeugen, dann tue es, aus schwesterlicher Liebe . . aber wenn es nicht an dem ist, es Dein Gewissen Dir nicht erlaubt, dann laß Dich nicht beirren, Jeanie, auch durch mich nicht, dann . . dann . . laß Gottes Willen geschehen!«

Schnell verließ er die Kammer und ließ die Tochter in tiefstem Kummer und heftigster Bestürzung zurück . .

»Waren das wirklich Worte aus Vaters Munde?« rief sie, als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, »oder hat der böse Feind sich in seine Gestalt gesteckt und seine Stimme angenommen, um mir verderblichen Rat, der die Seele tötet, zu geben? . . Meiner Schwester Leben in der einen, des Vaters Weisung, wie es zu retten, in der andern Schale der Wage . . Gott im Himmel, leih mir Deinen Beistand in dieser furchtbaren Versuchung, und erleuchte mich!«


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