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Achtes Kapitel.

Mittlerweile war Effie Deans unter der zärtlichen Fürsorge ihrer Schwester Jeanie zu einem schönen blühenden Mädchen herangewachsen. Hellbraune Locken, von einem blauseidnen Netze mühsam gehalten, wallten von dem schönen Haupte, das an griechische Formen erinnerte, auf ein jugendlich lachendes Antlitz, das Bild der Gesundheit und Freude, nieder, und ihre ländliche, eng anschließende Kleidung von dunklem Braun zeichnete die Konturen der lieblichen Gestalt, die mit der Zeit wohl versprach, in den gewöhnlichen Fehler schottischer Schönheiten, die Fülle, zu verfallen, jetzt aber noch das herrlichste Ebenmaß der Formen zeigte.

Den Laird Dumbiedike ausgenommen, den ihr Jugendglanz nicht bewog, seine Blicke von Jeanie zu heben, gehörte ihr die allgemeine Bewunderung: kein Auge konnte das frische, blühende Mädchen betrachten, ohne die innigste Freude im Herzen zu fühlen; wen der Weg an Sankt-Leonard vorbeiführte, hielt in seiner Wanderung inne, wenn er ihr begegnete, und schaute ihr nach; die Jünglinge, die abends aus der Stadt ins Freie hinaus kamen, um sich mit frohem Spiel zu erlustigen, neideten einander jeden Blick von ihr; sie hieß die Lilie von Sankt-Leonard, und nicht bloß um ihrer Schönheit und Lieblichkeit, sondern auch der Unschuld willen, die über ihrer ganzen Erscheinung lag.

In ihrem Charakter lag aber doch manches, was bei dem greisen Vater, mit seinen starren Anschauungen über Leben und Glauben, Besorgnis, bei der nachsichtigen ältern Schwester Unruhe weckte. Effie war nämlich als die spätgeborene Tochter Vaters Nesthäkchen und infolgedessen ein wenig verzogen. Sie galt immer noch als »Effiechen« im Hause, als sie schon das mannbare Alter erreicht hatte, durfte, abgesehen an Sonntagen und zu den Betstunden, ausgehen, wann und wohin sie wollte, und brauchte über ihr Tun und Lassen so gut wie keine Rechenschaft abzulegen. Die ältere Schwester hatte bei aller Liebe und Sorgfalt, die sie ihr widmete, doch keine mütterliche Gewalt über sie, ja, je älter Effie wurde, desto mehr Recht meinte sie zu haben, nach ihrem eignen Köpfchen zu handeln, war sie doch, bei aller Unschuld und Gutherzigkeit, nicht frei von Dünkel und Eigensinn; auch konnte sie leicht aufbrausen, besaß sie doch von Natur ein hitziges Temperament, zu dessen Milderung die Freiheit, die ihr in der Kindheit gelassen worden, nichts beigetragen hatte. .

Wir werden sie dem Leser am besten kenntlich machen, wenn wir sie ihm in einer Szene vorführen, die sich eines Abends in der kleinen Heimstätte zutrug, die sie mit Vater und Schwester bewohnte.

Der Vater war draußen bei den Kühen, von deren Ertrag er das Leben fristete. Der sommerliche Abend war schon weit vorgerückt, und Effie war noch nicht wieder daheim. Sie war schon mehrere Abende zur selben Stunde verschwunden, erst kurze, dann immer längere Zeit ausgeblieben und schien heute gar nicht mehr ans Vaterhaus zu denken. Jeanie ängstigte sich, daß der Vater vor ihr zur abendlichen Hausandacht kommen und dann über ihr Ausbleiben schelten möchte. Sie trat vor die Tür hinaus und suchte, die Augen durch die erhobene Hand vor den Sonnenstrahlen schützend, mit ihrem besorgten Blicke die zur Hütte emporführenden Wege ab, doch lange umsonst. Ein Stück zum Tale hinunter lag eine Hecke, von der Landstraße durch einen Bretterzaun getrennt. Wiederholt hatte sie die Augen dorthin gerichtet; da sah sie auf einmal zu dem Gattertore des Zaunes zwei Menschen hinaustreten, einen Mann und ein Weib. . Der Mann verschwand schnell wieder hinter dem Zaune, wo sie beide, um nicht bemerkt zu werden, gestanden haben mochten; die weibliche Gestalt aber ging am Zaune hin in der Richtung auf Sankt-Leonard zu. . Sie kam bald näher, und Jeanie erkannte in ihr die Schwester . . Lustig kam sie auf sie zugesprungen, nach der Art von Frauen, denen darum zu tun ist, eine Verwirrung oder Verlegenheit zu verbergen, und trällerte ein damals beliebtes Lied:

Hast Du am Hügel den Elf geschaut
Im Heidekraut?
Als fröhliches Kind zogst Du hinaus,
Doch als Dirndl meide,
Lieb Kind, die Heide
Und bleib hübsch artig bei Muttern zu Haus!

»Pst, Effie,« rief ihr die Schwester leise zu, »Vater wird gleich da sein. . Aber wo bist Du so spät gewesen, Effie?«

»Spät?« fragte Effie wieder, »es ist doch noch nicht spät, Schwesterchen!«

»An allen Uhren hat's schon acht geschlagen, und die Sonne ist auch schon hinter den Bergen. . Wo magst Du so spät gewesen sein?«

»Nirgends,« antwortete Effie.

»Und wer war der Mann, der mit Dir am Zaune stand?«

»Niemand!« antwortete Effie.

»Nirgends, Effie? Niemand, Effie? O, daß Du auf rechtem Wege und daß es ein rechtlicher Mann gewesen sein möchte, mit dem Du dort standest, Effie!«

»Mußt Du mir denn immer nachspüren, Jeanie?« fragte Effie; »tue ich es denn bei Dir? Kannst ja fragen! Daß ich Dich nicht belüge, weißt Du ja . . . Aber ich frag Dich doch auch nicht, warum Laird Dumbiedike täglich herkommt, um wie eine Wildkatze zu glotzen, daß man sich vor langer Weile totgähnen möchte?«

»Weil Du recht gut weißt,« antwortete Jeanie, »daß er zum Vater kommt, und nicht zu uns!«

»Und Butler, der Schulmeister? kommt der auch bloß zum Vater, der sich um seine lateinischen Floskeln so wenig reißt?« fragte Effie, herzensfroh, daß es ihr gelungen war, den Krieg ins feindliche Lager zu verlegen. . und nun maß sie die ältere Schwester mit einem ironischen Blicke und trällerte wieder:

»Wen traf ich dort
An der Friedhofspfort'?
Den Lord!
Doch geschwind war er fort
Und tat mir nichts – doch, ach!
Bald kam sein Schreiberlein nach . . .«

Aber sie hörte jäh zu trällern auf, denn sie hatte in den Augen der Schwester Tränen gesehen, sprang hin zu ihr, schlang die Arme um ihren Hals und küßte ihr die Tränen von den Wimpern; Jeanie aber, so gekränkt sie sich fühlte, wehrte dem herzigen Naturkinde nicht, wußte sie ja, daß solche Launen bei Effie nur die Folge von augenblicklichen Regungen waren und nicht aus schlechter Veranlagung entsprangen. Sie erwiderte die Küsse der Schwester, konnte ihr aber den sanften Vorwurf nicht ersparen: »Effie, Effie! woher hast Du die losen Lieder? Kennst Du sie, solltest Du sie doch für andere Gelegenheit aufsparen!«

»Ja doch, Schwesterchen,« antwortete Effie, den Arm um Jeanies Hals legend, »mir wäre schon lieber, ich hätt' sie nie gelernt, und lieber hätt' ich mir die Zunge verbrannt, statt Dich damit geärgert!«

»Lassen's wir gut sein, Effie,« sagte Jeanie, »mich kränken die Reden ja nicht; aber dem Vater tue nicht weh damit!«

»Nein, nein, Schwester,« rief Effie, »ich will den Vater nicht kränken! und sollte es morgen dort soviel Tänze geben, wie sich Sterne zur Mitternacht am Himmel drehen, so will ich doch keinen Fuß wieder dorthin setzen.«

»Zu Tanze gehen, Effie?« rief Jeanie erstaunt; »o, wie kannst Du von so etwas sprechen?«

Effie war ganz in der Stimmung, der Schwester ihr Herz zu offenbaren, und hätte es gewiß getan und mir den Kummer, diese traurige Mär zu erzählen, erspart, aber in diesem Augenblicke war Vater Deans hinter dem Hause vorgetreten und hatte das Wort Tanz aufgefangen . . . »Was sprecht ihr da?« rief er finster, »Tanz? und das sagt ihr auf meiner Schwelle? Laßt solchen unheiligen Zeitvertreib! Ich rat's euch im guten . . wer hat je getanzt als die in Götzendienst versunkenen Israeliten vor dem güldenen Kalbe, und jene schreckliche Herodias, die dem Täufer den Kopf vom Rumpfe tanzte? Höre ich noch einmal solches Wort aus eurem Munde, oder laßt ihr's euch gar beikommen, euch wie jene Königstochter nach den Klängen der Fidel zu drehen, so seid ihr meine Kinder nicht mehr, so gewiß die Seele meines Vaters bei den Gerechten wohnt . . So, und nun geht hinein, Kinder,« setzte er in milderem Tone hinzu, denn beide Mädchen, und Effie nicht am wenigsten, weinten bitterlich – »und lasset uns Gott bitten, uns vor aller Torheit zu bewahren, die uns zur Sünde führt, die Hölle bereichert und wider das Reich des Lichtes streitet!«

Die Mahnungen waren recht gut gemeint, aber recht zur Unzeit erteilt; denn in Effies Brust erregten sie einen Zwiespalt der Gefühle und hielten sie ab, der Schwester das Herz zu erschließen. »Was möchte sie von mir denken,« sprach Effie bei sich, »wenn ich's ihr sagte, daß ich auf der Wiese viermal, und bei Maggie Macqueen einmal mit ihm getanzt hab? Verabscheuen möchte sie mich, und drohen würde sie mir, es dem Vater zu sagen, und mich ganz unter ihr Regiment ziehen . . Nein, nein! ich will kein Wort reden; aber hingehen will ich erst recht nicht mehr, gewiß nicht mehr: in meine Bibel will ich ein Blatt legen, was mir ebensoviel gilt wie ein Eid!«

Eine volle Woche lang hielt sie das Gelübde, war aber die ganze Zeit über mürrisch und unwirsch, was man sonst nie, oder doch nur, wenn ihr was nicht recht war, an ihr bemerkt hatte.

Für die Schwester waren all diese Dinge Grund genug, sich zu beunruhigen, und zwar um so mehr, als sie es Effie nicht antun wollte, mit dem Vater über den Verdacht, der sich in ihr regte, der aber vielleicht noch unbegründet war, zu sprechen. Die Ehrfurcht, die sie vor dem Vater im Herzen trug, ließ sie doch nicht verkennen, daß er die Abneigung gegen Jugendfreunde in seinem Starrsinn zu weit treibe, weiter als es sich mit Vernunft vereinbaren ließe und als es Frömmigkeit geböte. Ebenso sagte sie sich, daß es nicht gut bei Effie tun würde, wenn ihr die bisherige Freiheit auf einmal verkürzt würde, ja daß ihr vielleicht gerade dadurch die Möglichkeit gegeben würde, die starre Strenge des Vaters als Entschuldigung dafür anzusehen, daß sie sich zu anderen Lebensanschauungen bekenne . . In den höheren Ständen sind junge Mädchen, wenn sie zum Leichtsinn neigen, noch immer mehr unter der elterlichen Kontrolle als auf dem Lande, wo sich zu Hause kaum eine Gelegenheit zur Zerstreuung für sie bietet, sondern nur an Orten, die der Gefahren übergenug für sie bergen . . Das alles beschäftigte Jeanies Gemüt, und sie überdachte ängstlich die Folgen, die sich daraus ergeben könnten, als ein Umstand eintrat, der angetan zu sein schien, sie all dieser Sorgen zu entheben.

Frau Saddletree, die dem Leser bereits vorgestellt worden ist, war mit David Deans weitläufig verwandt, und da sie immer auf guten Ruf gehalten, es auch zu einigem Vermögen gebracht hatte, war zwischen den beiden Familien immer ein gewisser Verkehr aufrecht erhalten worden. Nun traf es sich, daß die Frau etwa anderthalb Jahre vor dem Beginn dieser Erzählung Ursache hatte, sich nach einer Hilfe in ihrem Laden umzusehen, und da war sie auf den Gedanken gekommen, mit David Deans dieserhalb zu sprechen, weil sie der Meinung war, daß sich ihre Muhme Effie für solche Stellung doch ganz gut eigne . .

Deans hatte gegen solchen Gedanken nichts einzuwenden, da Frau Saddletree einen guten Lohn bei freier Beköstigung in Aussicht stellte, auch versprach, immer ein wachsames Auge auf das Mädchen zu haben, sie auch zu fleißigem Kirchgang anzuhalten, was um so leichter für sie war, als sich ihr Laden in unmittelbarer Nähe der sogenannten Zöllnerkirche am Zollhaustore befand, wo noch solche Prediger ihres frommen Amtes walteten, die, wie Deans sich ausdrückte, »ihr Knie noch nicht vor Baal zu beugen gelernt hatten.« Das einzige, worin er sich nicht so leicht finden wollte, war der Umstand, daß seine Tochter unter einem Dache mit einem so weltklugen Manne hausen sollte, wie es seiner Meinung nach Herr Saddletree war, dessen juristische Brocken er nämlich für bare Münze nahm in der Meinung, der Mann sei wirklich ein rechtsgelehrter Herr und nicht das, wofür ihn andere hielten, ein eingebildeter Dummkopf. Da aber alle rechtsgelehrten Herren in seinen Augen Rechtsverdreher waren, so mußte ihm Frau Saddletree versprechen, sich seiner Tochter auch nach dieser Richtung hin fleißig anzunehmen, und die letztere verwarnte er, sich nicht zu den Grundsätzen dieses weltlich gesinnten Mannes zu bekennen.

Jeanie sah die Schwester mit sehr geteilten Empfindungen aus dem väterlichen Hause ziehen: sie hatte zu Effies Einsicht nicht die gleiche Zuversicht wie ihr Vater, denn sie hatte sie genauer beobachtet und konnte die Gefahren, denen sie in der großen Stadt ausgesetzt sein mußte, auch besser würdigen als er; anderseits erschien ihr Frau Saddletree als eine achtbare und kluge Frau, die es vielleicht recht gut verstehen würde, Effie mit Ernst und Liebe in Zucht zu halten. Auch daß Effie durch diesen Aufenthaltswechsel von gewissen Bekanntschaften abgezogen wurde, mit denen sie sie im Verdacht hatte, betrachtete sie für günstig, und so gewann sie schließlich die Ansicht, daß bei der Sache die Vorteile doch die Nachteile überwögen, und fand sich darein, die Schwester ziehen zu sehen. Als aber der Augenblick der Trennung da war, schlug ihr doch das Herz wieder in recht banger Schwestersorge, und während sie einander umarmten und küßten, unterließ sie es nicht, Effie in allen Dingen die größte Achtsamkeit und Vorsicht ans Herz zu legen. Effie hörte ihr still und andächtig zu, ohne ein einziges Mal die langen dunklen Wimpern aufzuschlagen, von denen die Tropfen wie aus einem Springquell herniederrannen. Tief aufseufzend, gelobte sie der Schwester, sich treu an ihren Rat zu halten . . dann noch eine Umarmung, noch ein Paar innige Küsse . . und dann schieden sie von einander . .

In den ersten Wochen erfüllte Effie alle Hoffnungen, die von Frau Saddletree in sie gesetzt worden waren, ja sie übertraf dieselben zuweilen; es kam aber bald anders, und Effie ließ in ihrem Eifer merklich nach; Frau Saddletree bekam immer öfter Anlaß, nicht bloß zu Verdruß, sondern zu offnem Tadel; wenn sie mal wohin geschickt wurde, blieb sie allemal über Gebühr lange weg, und wenn sich Frau Saddletree darüber beschwerte, wurde das Mädchen trotzig und unwillig; immerhin meinte die brave Frau, solches Betragen entschuldigen zu müssen, da dem Mädchen noch alles neu in der Stadt sei, und sich Aufmerksamkeit und Gehorsam nicht im Nu lernen ließen; »Holyrood,« sagte sie, »sei auch nicht in einem Tage gebaut, worden, und ohne Zeit und Weile gäb's nun einmal keine Vollkommenheit.«

Es schien, als ob Frau Saddletree mit diesen Ansichten recht behalten solle, denn nach ein paar Monaten zeigte Effie wieder ihren früheren Eifer, nur verrichtete sie ihre Arbeiten nicht mehr mit der frohen Miene und dem leichten Wesen wie früher; sie weinte oft, wenn aber Frau Saddletree fragte, weshalb, dann war nichts aus ihr herauszubringen; indessen würde die Veränderung, die mit ihr vorging, daß ihr Schritt schwerer, ihr Gesicht bleicher wurde, dem Auge der klugen Frau nicht verborgen geblieben sein, hätte sie um diese Zeit herum nicht selbst eine schwere Krankheit befallen, die sie monatelang ans Bett fesselte. Das waren bange Tage für Effie, und oft drohte Verzweiflung sie zu übermannen, denn so sehr sie sich anstrengte, die Schmerzen und Zufälle zu verbergen, denen sie sich jetzt unterworfen sah, so ließ sie sich doch soviel Versehen im Dienste zu schulden kommen, daß Bartel Saddletree, der sich infolge der Krankheit seiner Frau mehr um den Laden kümmern mußte als früher und sich deshalb in seiner Liebhaberei für den edlen Rechtsberuf arg verkümmert sah, oft recht unwillig wurde.

Die Nachbarn und anderen Dienstboten merkten aber recht gut, wie es um das Mädchen stand, maßen sie mit halb neugierigen, bald mitleidigen Blicken, verfolgten mit Schadenfreude die Wandlung, die sich mit ihrer Gestalt vollzog, die Veränderung ihrer Gesichtszüge, das Zu-enge-Werden ihrer Kleider, und so weiter. Aber sie würdigte niemand ihres Vertrauens, erwiderte spöttische mit verbitterten Bemerkungen und setzte allen ernstlichen Fragen hartnäckiges Leugnen entgegen oder lief weg, um bitterlich zu weinen.

Inzwischen hatte sich Frau Saddletree wieder erholt; es ließ sich voraussehen, daß sie bald wieder ihrem Hauswesen vorstehen werde . . da fing Effie an, noch unruhiger und aufgeregter zu werden als sie bisher gewesen war, und eines Tages, als wieder davon gesprochen worden war, daß sie nun bald nicht mehr allein im Laden sein würde, bat Effie Herrn Saddletree um die Erlaubnis, ein paar Wochen zu den Ihrigen zurückzukehren, da ihr ein bißchen Erholung auf dem Lande not täte. Saddletree, in den alltäglichen Dingen des Lebens der unwissendste Mensch, der sich denken ließ, hatte nichts dawider, daß Effie sein Haus verließ, schöpfte aber nicht den geringsten Verdacht, daß etwas nicht in Ordnung mit ihr sei. Später freilich stellte sich heraus, daß zwischen dem Tage, an welchem sie Saddletrees Haus verlassen hatte, und dem Tage, an welchem sie zu den Ihrigen nach Sankt-Leonard zurückgekehrt war, eine Zeit von vollen acht Tagen lang.

In Sankt-Leonard war man über ihr Aussehen förmlich erschrocken. Als blühendes Mädchen war sie von dort nach der Stadt gegangen, und mehr einem Gespenst als einem lebendigen Wesen ähnlich kehrte sie nun von dort wieder. Die Schwestern hatten einander in den letzten Wochen nicht gesehen: Wie hatte die Krankheit ihrer Herrin zum Vorwande genommen, nicht nach Sankt-Leonard hinaus zu kommen, Jeanie dagegen war mit häuslichen Arbeiten derart überhäuft, daß sie an einen Weg in die Stadt nicht hatte denken können. Bis nach Sankt-Leonard hinaus war aber das Gerede, in welches Effie sich gebracht hatte, noch nicht gedrungen. Jeanie, auf den Tod erschrocken über das Aussehen ihrer Schwester, bestürmte sie mit Fragen; Effie aber gab erst wilde, zusammenhanglose Antworten, saß dann eine Weile, wie in sich gekehrt, um zuletzt in eine schwere Ohnmacht zu sinken.

Nun wußte Jeanie, wie es um die Schwester stand, und sah sich vor die grausame Wahl gestellt, ihrem alten Vater entweder alles zu offenbaren oder kein Mittel unversucht zu lassen, ihm alles zu verheimlichen. Als Effie wieder zu sich gekommen war, versuchte Jeanie von neuem, sie zu fragen, aber Effie blieb stumm; sie gab der Schwester weder Auskunft über den Mann, der sie verführt hatte, noch darüber, was aus dem Kinde geworden, dem sie das Leben gegeben . . sie blieb stumm . . stumm wie ein Grab, das sich ihr öffnete. Jeanie, in Angst und Verzweiflung, daß Effie, als sie nochmals eindringlich nach dem Kinde fragte, schier von Wahnsinn befallen zu werden schien, wollte schon nach der Stadt rennen, um sich bei Frau Saddletree Rat oder Auskunft zu holen, als ein neuer Schicksalsschlag, ihr Unglück auf die höchste Stufe jagend, sie dieser Mühe überhob . . .

Es war ihr gelungen, den Vater, der über das Aussehen seines jüngsten Kindes nicht minder erschrocken war als sie, von allen eindringlicheren Fragen zurückzuhalten . . Nun traf es den Greis wie ein Donnerschlag, als zu der Stunde, die wie immer den Laird von Dumbiedike zu ihm ins Haus führte, noch andere Gäste, schreckliche und unvermutete Gäste, bei ihm erschienen, Diener der Gerechtigkeit mit einem Haftbefehl, lautend auf Euphemia Deans, wegen Kindesmords . .

Der Schlag schmetterte den Greis zu Boden, er kam zu plötzlich, zu betäubend . . neben dem Herde schlug er in voller Länge auf die Dielen, der Greis, der in seinen Mannsjahren starr an seinen Grundsätzen festgehalten hatte, ob ihm auch Schwert und Kugel, Marter und Galgen drohten . . und die Schergen, froh seines Zustandes, der ihnen ihr Amt um vieles erleichterte, und besorgt darum, schon fern von dem Hause zu sein, ehe er das Bewußtsein wieder fände, rissen das Mädchen rauh von ihrem Lager und schoben sie in den Verbrecherwagen, den sie zu dem Zwecke mit nach Sankt-Leonard gebracht hatten.

Kaum war es Jeanie gelungen, den Vater wieder halbwegs zu sich zu bringen, als ihre Aufmerksamkeit durch Wagengerassel abgelenkt wurde . . sie brachten sie fort, ihr armes, unglückliches Schwesterchen! . . Mit wildem Schrei rannte sie dem Wagen nach, aber ein paar freundliche Nachbarinnen, herbeigeführt durch den ungewohnten Anblick eines Polizeiwagens an dem einsamen Orte, zogen sie, fast mit Gewalt, ins Haus zurück. Die kleine Familie stand in der ganzen Gegend in gutem Ansehen, und alles fühlte aufrichtige Teilnahme mit ihr; die Nachbarinnen erfüllten die kleinen Räume mit ihrem Wehgeschrei; selbst Laird Dumbiedike wurde aus seiner Lethargie gerissen und trat zu Jeanie, griff in die Tasche, nach seiner Börse suchend, und sagte: »Jeanie, Jeanie, weine nicht! es ist ein gar schweres Ding, Dirne . . aber . . Geld kann helfen . . Geld wird helfen.«

Inzwischen hatte der Greis sich aufgerichtet und blickte sich um, wie wenn er jemand suche, den er vermisse; nur langsam schien er sich seines Elends und Jammers bewußt zu werden . . und als er es geworden, da schrie er mit einer Stimme, daß die Wände dröhnten: »Wo ist sie, die Buhlerin, die das Blut eines rechtlichen Mannes geschändet? wo ist sie, die keinen Platz unter uns mehr hat, aber uns noch befleckt mit ihrer Sünde wie die Brut Satans die Kinder Gottes? . . Jeanie, wo ist sie? Jeanie, bring sie mir, daß ich sie töte mit Blick und Wort!«

Alle scharten sich um ihn, und jeder suchte ihm Trost zu bringen auf seine Weise: der Laird hielt ihm die goldgefüllte Börse hin, Jeanie nahte ihm mit stärkendem Wasser, und die Nachbarinnen mit beschwichtigenden Worten . . .

»David,« sagte der Laird, noch immer die grüne volle Börse ihm vor die Augen haltend . . »soll Gold nicht helfen?«

»Dumbiedikes,« versetzte Deans, »meine ganze Habe hätt ich geopfert, sie vor diesem Fallstrick der Hölle zu bewahren . . Nackt und bloß hätte ich hinausziehen wollen und mich doch glücklich gepriesen. Aber nicht den zehnten Teil eines Hellers könnte ich opfern, um sie von der öffentlichen Strafe ihres öffentlichen Fehltritts zu lösen . . Nein! Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut, wie es geschrieben stehet im Gesetze des Herrn! . .Laßt mich allein, ihr lieben Leute, daß ich auf meinen Knien nach Kraft ringe, die schwere Prüfung zu tragen.«

Jeanie vereinigte ihre Bitten mit denen des Vaters zu dem gleichen Zwecke, und der andere Tag fand Vater und Tochter noch in tiefer Zerknirschtheit; aber der Vater ertrug das Unglück als wahrer Christ und mit finstrer Ruhe, die Tochter bannte den eignen Schmerz, um nicht den seinen rege zu machen . .

So stand es um die unglückliche Familie, am Morgen nach der Ermordung des Hauptmanns Porteous, dem Zeitpunkte, zu welchem wir in unsrer Erzählung nun wieder zurückkehren.


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