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Zwölftes Kapitel.

Wir lassen jetzt Butler allein in seiner Zelle, allein mit seinen trüben Gedanken, die bei der mißlichen Lage, in die er geraten ist, nicht ausbleiben können, und die vor allem auf den Schmerz fußen, daß ihm alle Möglichkeit genommen worden, der unglücklichen Familie in Sankt-Leonard in ihrer schwersten Not beizustehen. Wir kehren zurück zu der armen Jeanie Deans, die den Freund scheiden sah, ohne daß ihr Gelegenheit zu weiterer Befragung blieb, und nun auf all die zarten Wünsche und Hoffnungen Verzicht leisten sollte, die sie so lange in ihrem Busen gehegt . . Sich von zarten, zwischen Lust und Schmerz die Wage haltenden Empfindungen zu trennen, fällt starken Herzen – und Jeanie trug das Herz einer Heldin unter ihrem dörflichen Mieder – wohl am schwersten! . . Eine Weile lang konnte sie auch den Tränen nicht Einhalt tun, die ihr in die Augen drangen; aber bald verdrängte die Erinnerung an den tiefen Gram des Vaters, an den namenlosen Schmerz der Schwester alles persönliche Herzeleid . . sie besann sich auf den Brief, der ihr heut in aller Frühe zum Fenster hineingeworfen worden, nahm ihn aus der Tasche und las ihn. Er war von seltsamer Fassung, heftig, ergreifend, fast auf Wahnsinn deutend . . . »Wenn Jeanie ein menschliches Geschöpf von der allerschwersten Schuld und ihren gräßlichen Folgen erretten, wenn Jeanie Leben und Ehre der Schwester aus den Fängen des ungerechtesten Gesetzes, das je erlassen worden, befreien . . wenn Jeanie nicht ihr eigenes zeitliches und ewiges Glück gefährden wolle,« – so lautete die wilde Beschwörung, – »so solle sie sich bereit finden lassen, dem Schreiber dieser Zeilen eine sichre, geheime Zusammenkunft zu bewilligen; denn sie allein könne ihn, und er allein die Schwester retten.« Auf dem Zettel stand weiter, die Lage des Schreibers dieser Zeilen legte ihm die Bedingung auf, ihr dringend ans Herz zu legen, daß sie sich unter keinen Umständen beikommen lasse, einen Zeugen zu der Zusammenkunft mitzubringen, weder ihren Vater noch sonst jemand, auch niemand, sei es, wer es sei, diesen Zettel zu zeigen oder von diesem Anliegen irgend welche Andeutung zu geben, denn sie würde dann nicht bloß die Unterredung in Frage stellen, sondern Unglück über ihn und die Schwester bringen; der Zettel schloß mit eindringlichen Beteuerungen, daß sie für ihre Person nichts zu fürchten habe . . .

Was ihr von Butler mitgeteilt worden war, stimmte mit dem Inhalt des Zettels überein bis auf den Ort und die Zeit, die sich verändert hatten. Dem Anschein nach war der Fremde durch irgendwelche Notwendigkeit zu dem Entschlusse gedrängt worden, sich Butlern gegenüber einigermaßen zu offenbaren; und deshalb war auch Jeanie wiederholt willens gewesen, dem Freunde den Zettel zu zeigen, wenn auch nur, um den von ihm wider sie gefaßten Verdacht zu beseitigen; aber gekränkter Unschuld wird es gar oft schwer, sich zu rechtfertigen; zudem ängstigte sie die Warnung vor den schweren Folgen irgendwelcher Andeutung, daß sie solchen Zettel bekommen habe . . . und doch hätte sie sich, wäre sie länger mit Butler zusammen gewesen, dazu entschlossen, ihn ins Vertrauen zu ziehen; nun aber die Gelegenheit dazu verloren war, schmerzte es sie bitter, denn ihr Herz sagte ihr, daß sie gegen einen Freund, dessen Rat ihr von so großem Nutzen hätte sein können, und dessen treue Anhänglichkeit ihr unbedingtes Vertrauen verdiene, höchst ungerecht gehandelt habe.

Dem Vater von der befremdlichen Zumutung etwas zu sagen, erschien ihr bedenklich, denn in welchem Lichte er den Fall betrachten würde, ließ sich gar nicht beurteilen, traten doch bei so außerordentlichen Vorfällen seine starren Grundsätze immer in einen sehr bedenklichen Vordergrund . . Am schicklichsten wäre es freilich gewesen, eine Freundin um Begleitung zu bitten; aber sie hatte unter den Nachbarsleuten nur oberflächliche Bekanntschaft, was bei der zurückgezogenen Lebensweise, die sie führte, und ihrer Gemütstiefe nur zu erklärlich sein dürfte.

Alles irdischen Rates ermangelnd, nahm ihre Seele nun den Weg zu jenem Führer, dessen Ohr sich dem Rufe des Bedrängten nimmer verschlossen hält. Niederknieend, flehte sie inbrünstig zu Gott, ihr den rechten Weg in dieser schweren Lage zu zeigen, und Gott zeigte ihr den Weg, den sie zu gehen habe . . . »Ich will den Unglücklichen sprechen,« sagte sie zu sich, als sie sich mit gestärkten Herzen erhob, »denn unglücklich muß er ja sein, wenn er, wie ich nicht zweifle, der Urheber all des Unglücks ist, das meine arme Effie trifft . . Mag werden daraus, was wolle, sprechen muß ich ihn, denn ich will mir später nicht den Vorwurf machen, ich hätte aus Rücksicht auf das eigne Wohl oder aus persönlicher Furcht irgend etwas nicht getan, was ihr doch vielleicht noch hätte Rechnung bringen können.«

Als sich der Tag neigte, traf sie die Vorbereitungen zu ihrem nächtlichen Gange. Von dem Vater, nachdem sie das Abendgebet mit ihm verrichtet hatte, vermißt zu werden, durfte sie nicht fürchten. Er schlief in einem andern Teile des kleinen Hauses, und bei seiner Regelmäßigkeit in allen Lebensdingen kam es nie vor, daß er die Schlafkammer wieder verließ, wenn er sie erst einmal aufgesucht hatte. Es war mithin leicht für Jeanie, zu der bezeichneten Zeit sich aus dem Hause zu schleichen, und doch fiel es ihr zentnerschwer, als der Augenblick da war . . Ihr Leben war in der stillen Einförmigkeit friedlichen Familienlebens verstrichen; sie hatte ihrem Vater nie etwas zu verbergen brauchen und nie etwas verborgen; sie hatte niemals Zeit für sich zu irgend welcher Zerstreuung, zu einem Gang ins Freie oder einem abendlichen Vergnügen beansprucht, außer in Begleitung des strengen Vaters; und nun allein so weit, obendrein bei Nacht gehen zu wollen, kam ihr so abenteuerlich, so gewagt vor, daß sie mehr denn einmal in dem gefaßten Entschlusse wankend wurde.

Als sie ihr schönes Haar unter das Band schlang, das den einzigen Kopfschmuck der Mädchen im Hochlande bildet, zitterten ihr die Hände; als sie das karierte schottische Tuch umnahm, das bei den schottischen Frauen Mantel und Schleier vertritt, wäre sie fast umgesunken; so bange war ihr vor der Gefahr, die mit dem, was sie vorhatte, schließlich doch verbunden sein konnte, und vor der Unschicklichkeit solches Schrittes. Als sie die Tür des väterlichen Hauses aufklinkte, um den Fuß zur Nachtzeit über seine Schwelle zu setzen, überkam sie neue Besorgnis, und als sie sich auf freiem Felde sah, fehlte wenig, so wäre sie umgekehrt . . Auf dem Wege mehrten sich die Schrecknisse. Manch schauerliche Sage knüpfte sich an die dunklen Klüfte und an die grünen, von Felsblöcken bedeckten Schluchten, die oft der Schlupfwinkel von Räubern und Missetätern gewesen waren, wo auch Hexen und böse Geister gehaust hatten . . Mit jedem Schritt weiter auf dem öden, stellenweis wild überwucherten Pfade wuchs das Grauen und wich die Aussicht auf menschlichen Beistand; schreckensvolle Bilder von allerhand Greueln, die ihr von dieser Einöde zu Ohren gekommen, stiegen vor ihren Augen auf, als sie den Fuß zwischen die kahlen Felsen setzte; der Mond warf sein zitterndes Licht über die Gegend, und eine unbeschreibliche Angst ergriff das einsame Mädchen, das mit bebendem Fuße über Dorn und Stein bald im Schatten, bald im Mondlicht, entlang schritt . . . aber der Gedanke an die Schwester hielt sie aufrecht, und wieder empfahl sie sich dem Schutze dessen, der sie schon so oft gestützt und getröstet, der ihr den Weg bis hierher gezeigt hatte.


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