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Elftes Kapitel.

Butler hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, und doch empfand er weder Müdigkeit noch das Bedürfnis nach einer Erfrischung. Ueber dem Eifer, zu Jeanies Schwester zu gelangen, vergaß er beides. Er eilte schnellen Schrittes den Pfad entlang, der zur Stadt hin führte, als er mit einem Male zu seiner nicht geringen Verwunderung hinter sich schnaufen und husten und den schweren Tritt eines hochländischen Kleppers hörte. Jetzt wurde auch sein Name gerufen, und als er sich umsah, erblickte er den Laird von Dumbiedike, der hinter ihm her kam, so schnell sein Klepper trotten wollte. Zum Glück hatte er eine Strecke lang den gleichen Weg nach Dumbiedike, wie Butler nach der Stadt, denn sonst hätte er wohl darauf verzichten müssen, diesen noch einmal zu sehen . . Im Herzen den Klepper mitsamt seinem Reiter verwünschend, blieb Butler stehen . .

»Uf! Uf! Uf!« ächzte Dumbiedike, während er sich alle Mühe gab, sein störrisches Tier neben Butler zum Stehen zu bringen; »uf! uf! das Biest . . ist wahrhaftig ein . . dickköpfiges Biest!«

In der Tat hatte er Butler knapp vor der Stelle eingeholt, wo sich die Straße nach Dumbiedike von der nach Edinburg schied, und darüber hinaus hätte kein Mittel und keine Macht Rory Beans – so hieß nämlich der Klepper – bewegen können, auch nur eine Elle über den Pfad hinaus zu trotten, der ihn seinem Stalle zuführte.

Sobald der Laird das Quantum Atem wiedergefunden hatte, um das er durch den raschen Ritt gebracht worden war, – denn an ein solches Tempo war weder er noch sein Klepper gewöhnt – versuchte er den Grund seiner Umkehr zu sagen, konnte aber noch immer kein Wort zur Kehle herauf bringen, so daß drei ganze Minuten verstrichen, ehe Butler ein zweites »Uf! Uf!« hörte; und erst nach weiteren drei Minuten und mehrmaligem Ansatze fing der Laird an zu stammeln: »Ich . . ich . . es ist . . Herr Butler . . heute wirklich . . ein Herbsttag, der sich . . sehen lassen kann.«

»Ja, Sir,« antwortete Butler verdrießlich, »ein schöner Tag! ich wünsche guten Morgen, Sir!«, und wollte gehen . .

»Aber so bleiben Sie doch noch,« antwortete Dumbiedike, der nun schneller sprechen konnte, »ich möchte Ihnen noch was andres sagen.«

»Dann machen Sie es, bitte, kurz ab und nehmen Sie Rücksicht drauf, daß ich es eilig habe . . Sie kennen doch das Sprichwort: tempus nemini

Dumbiedike kannte weder das lateinische Wort, noch suchte er, wie vielleicht andere an seiner Stelle getan hätten, sich den Schein davon zu geben; er hatte all seine Fähigkeiten zu einer einzigen Hauptfrage gesammelt und konnte kein einziges Wort davon früher aussprechen, als bis er alles dazu in sich verarbeitet hatte . . .

»Ich wollte bloß fragen, Herr Butler,« stieß er nun hervor, »ob Sie wissen, ob Herr Saddletree wirklich ein großer Rechtsgelehrter ist?«

»Ich weiß darüber nichts, als was er selbst spricht,« versetzte Butler trocken, »bin indessen der Meinung, daß er doch am besten wissen muß, was er wert ist.«

»Ich verstehe, Herr Butler,« antwortete der wortkarge Laird, »und meine daraufhin, daß es wohl besser sein wird, meinen eignen Anwalt, Nichil Novit, den Sohn vom alten Nichil, der seinem Vater wohl kaum viel nachsteht, mit der Sache zu betrauen.«

Darauf legte er die Hand höflich an den goldverbrämten Tressenhut und gab seinem Klepper einen Hieb mit der Peitsche, den dieser, da er seinem Drange nach dem Stalle entgegenkam, sofort richtig auffaßte und befolgte, indem er Kehrt machte.

Auch Butler, der von dem gesunden Verstande des Lairds mit einem Male eine recht gute Meinung gewann, setzte nun rüstig seinen Weg fort. Hatte sich auch der schon längere Zeit genährte Argwohn gegen den ehrlichen Laird, daß seine Anhänglichkeit an die Familie Deans nicht bloß auf Freundschaft mit dem greisen Vater beruhen möchte, nach den Erfahrungen des heutigen Tages nicht verringert, sondern im Gegenteil verstärkt, so war er doch viel zu rechtlichen Sinnes, selbstsüchtige Gedanken aufkommen zu lassen . . »Der Laird hat Ueberfluß an dem, was mir fehlt,« sagte er bei sich, »und unbillig wäre es von mir, darüber zu schmähen, daß er ein paar Pfund von seinem Reichtum zum Wohle der armen Leute opfern will, zumal ich mich doch nur auf den guten Willen, ihnen zu helfen, beschränken muß . . Tue jeder, was in seinen Kräften steht, sie wieder glücklich zu machen und vor dem Jammer, vor der Schande zu bewahren, die ihr drohen . . Wenn mir der Herr nur dazu verhälfe, Jeanie vor dem Schrecklichen zu behüten, das sie vorhat! Ich will ja, und wenn mir auch das Herz darüber bricht, auf alle Hoffnung fassungsvoll verzichten.«

Er beschleunigte seine Schritte und hatte bald das Edinburger Gefängnis erreicht. Seine nächtliche Begegnung mit dem seltsamen Fremden, dessen Auftrag an Jeanie, die darauf folgende, ihm so schmerzliche Unterredung mit ihr und dann die Szene zwischen dem Vater und Saddletree hatten seine Sinne so vollständig eingenommen, daß ihm die tragische Begebenheit der Nacht, deren Teilnahme ihm aufgezwungen worden, ganz aus der Erinnerung gekommen war; ja weder die vielen Gruppen, die flüsternd in den Straßen herumstanden, noch die überall herumspionierenden Schergen und Häscher, noch das im Bewußtsein der Schuld scheu und ängstlich herumschleichende gemeine Volk und die verstärkten Stadt- und Torwachen konnten seine Gedanken darauf zurückführen. Erst als er vor dem Portale stand, vor dem eine Doppelreihe von Grenadieren aufmarschiert war, die ihm ein wiederholtes »Halt!« zuschrieen, und die Spuren von Feuer und Rauch an den Steinmauern und Torflügeln sah, traten ihm die grausen Vorgänge nacheinander wieder ins Gedächtnis. Der gleiche lange, hagere Schließer mit dem Silberhaar, den er am verwichenen Abend gesehen, trat ihm, als er nach Effie Deans fragte, entgegen.

»Ihr seid wohl derselbe,« fragte der Schließer, Butlers Wunsch, zu der Gefangenen geführt zu werden, auf echte Schottenmanier mit einer Gegenfrage umgehend, »der schon gestern nach der Dirne gefragt hat?«

Butler räumte ein, daß er dieselbe Person sei.

»Sie haben wohl auch gefragt,« examinierte ihn der Schließer weiter, »wann wir schlössen, oder ob wir des Porteous-Krawalls wegen früher schlössen als sonst?«

»Kann sein,« antwortete Butler; »ich frage doch aber jetzt, ob ich Effie Deans sprechen kann?«

»Darüber steht mir kein Entscheid zu,« antwortete der Schließer, »gehen Sie hier die Treppe hinauf, und dann in die erste Tür links . . dort fragen Sie wieder!«

Butler stieg die Treppe hinauf, gefolgt von dem Schließer, in dessen Hand das Schlüsselbund unheimlich rasselte . . Kaum war Butler in den ihm bezeichneten Raum getreten, als der Schließer, mit geübter Hand den richtigen Schlüssel fassend, die Tür von außen zuschloß. Im ersten Augenblick meinte Butler, hierin nur eine übliche Vorsichtsmaßregel erblicken zu sollen; als der Schließer jetzt aber nach der Wache rief und gleich darauf Waffenklirren an sein Ohr schlug, rief Butler:

»Aber, mein Lieber, ich muß auf der Stelle mit Effie Deans reden; bringen Sie mich also bald in ihre Zelle!«

Keine Antwort . .

»Geht es wider Ihre Instruktion, mich zu der Gefangenen zu führen,« rief Butler wieder, »so sagen Sie es, bitte, und lassen Sie mich meinen Geschäften wieder nachgehen.« – In sich hinein aber murmelte er den lateinischen Vers: » Fugit irreparible tempus «.

»Wenn Sie in der Stadt noch was zu besorgen hatten,« antwortete von draußen der Schließer, »so wär's gescheiter gewesen, Sie hätten das vorher abgemacht; denn es wird Ihnen wohl gehen wie manchem andern, der auch schneller hinein als heraus war.«

»Was sollen solche Reden?« fragte Butler; »Sie scheinen mich für einen andern zu halten? Ich bin Geistlicher, Reuben Butler aus Libberton.«

»Ich weiß, ich weiß,« versetzte der Schließer, ohne aus seiner Ruhe zu kommen.

»Nun, wenn Sie wissen, wer ich bin,« rief Butler, »so verlange ich zu wissen, auf Grund welcher Vollmacht Sie mich zurückhalten, als Recht, das jedem britischen Untertan zusteht.«

»Vollmacht?« wiederholte der Schließer; »es sind zwei Frone nach Libberton unterwegs, Sie zu holen. Hätten Sie, nach ehrlicher Leute Art, die Nacht zu Hause verlebt, so wäre Ihnen solcher Besuch wohl erspart geblieben; wenn Sie sich nun aber gar selbst herbemühen, sich einsperren zu lassen, so kann ich Ihnen am allerwenigsten dabei helfen, mein Lieber!«

»Also kann ich Effie Deans nicht sprechen?« rief Butler; »und frei lassen wollen Sie mich auch nicht?«

»Allerdings nicht,« erwiderte der grämliche Alte; »statt um Effie Deans, bekümmern Sie sich wohl besser um Ihre eigenen Sachen? Und hinausgelassen werden Sie kaum früher werden, als das Gericht es anordnet . . Einstweilen machen Sie es sich also hier bequem! Ich muß den Zimmerleuten auf die Finger sehen, die uns die Türen wieder einsetzen sollen, die Ihre feinen Kameraden uns gestern nacht zertrümmert haben.«

Butler war es im ersten Augenblick, als sei er nicht recht bei Verstand. Sich hinter Schloß und Riegel zu wissen, wenn auch zufolge falscher Anklage, hat immer, selbst für starke Menschen, etwas Schreckliches; nun war aber heute Butlers Nervenapparat in der größten Aufregung, und wenn ihm auch die Festigkeit nicht fehlte, die uns Pflichtgefühl und guter Wille verleihen, so fehlte ihm bei seiner schwachen Konstitution und lebendigen Einbildungskraft doch jener Gleichmut gegen Gefahren, die das glückliche Erbteil von Menschen mit starker Gesundheit und schwachem Empfindungsvermögen sind. Wie ein Nebel schwamm ihm die unklare Vorstellung dessen, was ihm drohte, vor den Augen; und in der Hoffnung, daß sich ihm Mittel und Wege zeigen würden, seine Anwesenheit unter dem Pöbelhaufen zu rechtfertigen oder wenigstens zu erklären, – denn nur darin, sagte er sich, war der Grund zu seiner Verhaftung zu suchen – rief er sich die Vorgänge der Nacht wieder in das Gedächtnis. Daß ihm kein Zeuge zur Seite stand, auszusagen, wie sehr er sich umsonst bemüht habe, der aufrührerischen Menge den Rücken oder doch ihren Sinn zum Bessern zu kehren, milderte die bange Stimmung, die ihn jetzt beschlich, so wenig, wie der Gedanke an die Not der Familie Deans und an die gefährliche Zusammenkunft Jeanies mit dem seltsamen Fremden, die er nun nicht mehr verhindern konnte.

Eine Stunde mochte so verronnen sein, als ein Fron in seine Zelle trat, um ihn vor den Magistrat zu führen. So sehr es ihn verlangte, Klarheit über seine Verhaftung zu erlangen, ergriff ihn doch, als er die starke Bedeckung sah, unter der er nach dem Verhandlungszimmer geführt wurde, ein Beben, das ihm nichts Gutes zu bedeuten schien.

An einem langen, grünen Tische saßen die Ratsherren versammelt. Am untern Ende desselben stand ein Mann, den sie verhörten. Als Butler vom Frone herbeigeführt wurde, fragte einer der Räte, ob das der Geistliche aus Libberton sei. Als der Fron mit Ja antwortete, sagte der Ratsherr, es werde nicht mehr lange dauern, das Verhör vielmehr bald zu Ende sein, Butler solle sich setzen. Einer der Beisitzer fragte, ob Butler nicht besser so lange wieder abgeführt werde? Der Ratsherr verneinte. Butler mußte sich, während ein Soldat von der Wache neben ihm Posten faßte, am entgegengesetzten Ende des Zimmers auf eine Bank setzen.

Es war ein sehr großer Raum, aber eigentümlich beleuchtet. Alles Licht von dem einzigen Fenster, das er hatte, fiel, ob nun zufällig oder vom Baumeister so eingerichtet, auf den untern Teil der Tafel, wo sich die angeklagten Personen aufstellen mußten, während der obere Teil, wo die Richter ihre Plätze hatten, in tiefem Schatten lag.

In der Erwartung, in dem Gefangenen, mit dessen Verhöre sich die Ratsherren befaßten, einen der Aufrührer der gestrigen Nacht zu erkennen, richtete Butler die Blicke auf ihn. Aber so auffallend auch das Gesicht des Mannes war, so konnte Butler sich doch nicht entsinnen, ihn je vorher im Leben gesehen zu haben. Er war von dunkler Farbe und schon im vorgerückten Alter. Das tiefschwarze, doch schon grau gesprenkelte Haar trug er kurz geschoren und glatt über die Stirn gekämmt. Sein Gesichtsausdruck war eher verschmitzt als gewalttätig, und die grellen schwarzen Augen, die scharfen Züge, das hämische, gemeine Lächeln mit dem frechen Zug um seine Lippen gaben ihm ganz das Aussehen eines verschlagenen Halunken, den man, wenn man ihm auf einem Jahrmarkte begegnet wäre, auf den ersten Blick für einen Pferdehändler gehalten hätte. Auch die Kleidung, die er trug, die lange bis an den Hals zugeknöpfte Reitjacke, die spitzen Metallknöpfe daran, die groben blauen Drilchhosen mit den daran festgemachten Wadenstrümpfen und der heruntergeklappte Hut, ließ auf diesen Stand schließen. Nur eins fehlte, den Eindruck vollständig zu machen: die Peitsche unterm Arme und die Sporen am Fuße.

»Euer Name ist Ratcliffe, James Ratcliffe?« fragte der Ratsherr.

»Mit Verlaub, Euer Gnaden, ja.«

»Das heißt: falls mir der Name nicht genehm wäre, würdet Ihr Ja auch zu einem andern Namen sagen?«

»Mit Verlaub, Euer Gnaden, bei etwa zwei Dutzend Namen könnte das zutreffen, Euer Gnaden,« erwiderte der Mann.

»Aber Euer gegenwärtiger Name ist Ratcliffe?« . . Der Mann nickte . . . »Und welches Gewerbe betreibt Ihr?« fragte der Ratsherr weiter.

»Gewerbe wäre wohl kaum der richtige Name für das, was ich treibe, Euer Gnaden,« sagte der Mann.

»Nun, dann wollen wir die Frage so stellen: wovon lebt Ihr?« fragte der Ratsherr.

»Je nun, Euer Gnaden, ich meine, das wissen Eure Gnaden doch gerade so gut wie ich.«

»Mag sein. Aber Ihr müßt Euch darüber hier deutlich aussprechen.«

»Ich, Euer Gnaden? Hier, Euer Gnaden? Solches sei ferne von James Ratcliffe!«

»Keine solchen Ausflüchte, Mann! Ihr habt hier klare und bestimmte Antwort auf jede Frage zu geben.«

»Richtig, Euer Gnaden,« antwortete der Mann, wem's drum zu tun ist, pardonniert zu werden, der soll von der Leber weg reden . . Euer Gnaden verlangen, daß ich aussage, was ich treibe? . . wovon ich lebe? . . Ein nicht sonderlich günstiger Ort, auf solche Fragen klippklar zu antworten, Euer Gnaden, wenigstens für mich nicht . . Aber, Euer Gnaden, wie heißt das siebente Gebot?«

»Du sollst nicht stehlen,« antwortete der Richter.

»Wirklich? heißt's so?« fragte der Mann; »dann steht meine Arbeit freilich im krassen Widerspruche zu dem Gebot, denn ich hab den Text immer gelesen: Du sollst stehlen! . . Wenn's auch bloß ein kleines Wörtchen ist, das fehlt, so macht's doch einen argen Unterschied aus.«

»Kurz also, Ratcliffe, Ihr seid ein berüchtigter Dieb?« fragte der Ratsherr.

»Hoch- und Unterland können's bezeugen, und England und Holland dazu, Euer Gnaden,« versetzte der Angeklagte mit maßloser Frechheit.

»Auf welches Ende habt Ihr mithin zu rechnen?« fragte der Ratsherr.

»Gestern hätte ich's aufs Haar prophezeit, aber heute bin ich meiner Sachen nicht mehr sicher.«

»Und welches Ende hättet Ihr Euch gestern prophezeit, Ratcliffe?«

»Den Galgen, Euer Gnaden,« erwiderte Ratcliffe mit Seelenruhe.

»Ihr seid ein gar frecher Kujon, Ratcliffe! . . Und wie kommt Ihr dazu, für Euch etwas Besseres zu erhoffen?«

»Ich meine, Euer Gnaden, es sei doch ein himmelweiter Unterschied, ob einer im Loche sitzt, weil er muß, oder weil er gutwillig drin bleibt . . Was hätte mich gestern, als die Menge mit Kapitän Porteous abzog, am Verduften gehindert? . . Und daß ich expreß geblieben sei, um Hanf zu riechen, das werden doch Euer Gnaden nicht glauben?«

»Weshalb Ihr da geblieben seid, weiß ich nicht; weshalb Euch das Gericht aber eingesteckt hat, weiß ich, Ratcliffe! um Euch nächsten Mittwoch über acht Tage hängen zu lassen!«

»Nicht doch, Euer Gnaden,« erwiderte Ratcliffe zuversichtlich, »mit Verlaub, Euer Gnaden; aber das glaube ich erst, wenn ich unterm Galgen stehe . . . Mit den Gerichten bin ich doch jahrelang auf Verkehrsfuß, habe auch schon manchen Tanz mit ihnen gedreht; aber so schlimm wie ihr Ruf, sind sie nicht, bei weitem nicht . . . Ich hab im Gegenteil immer gefunden, daß sie mehr bellen als beißen.«

»Ratcliffe, meines Wissens seid Ihr schon zum vierten Male zum Galgen verurteilt,« sagte der Ratsherr, »wenn Ihr nun nicht darauf rechnet, gehängt zu werden, als Ihr vorzogt dazubleiben, statt wie die andern auszubrechen, worauf habt Ihr dann gerechnet?«

»Auf ein Pöstchen in dem alten Kasten, an dem ich nun mal Geschmack gefunden habe,« sagte Ratcliffe.

»Auf ein Pöstchen am Pranger, meint Ihr?« rief der Richter.

»Nicht doch, Euer Gnaden, an den Pranger hab ich nicht gedacht, denn wer viermal zum Galgen verurteilt worden, der ist über Pranger und Stockhiebe doch längst hinaus.«

»Dann sagt mir aber, auf was für einen Posten könnt Ihr zu rechnen meinen?«

»Auf den eines Beifrons, Euer Gnaden,« erwiderte Ratcliffe mit maßloser Ruhe; »ich habe gehört, es sei einer vakant . . Um den des Scharfrichters will ich mich nicht bewerben, denn der paßte nicht so gut für mich wie für andere . . ich wenigstens hab in meinem ganzen Leben kein Tier umbringen können, geschweige einen Menschen.«

»Das spricht wenigstens nicht zu Euren Ungunsten,« sagte der Richter, den Ratcliffe, so schlau er seine Absicht zu bemänteln wußte, wirklich zur Milde gegen sich stimmte . . . »Aber,« fragte der Richter, »wie könnt Ihr Euch auf einen Posten als Beifron spitzen, nachdem Ihr doch aus nahezu allen Gefängnissen Schottlands ausgebrochen seid?«

»Mit Verlaub, Euer Gnaden,« versetzte Ratcliffe, »wenn ich es gut verstanden habe, zu entwischen, so werde ich es wohl besser noch verstehen, Leute am Entwischen zu verhindern . . Wer mich halten will, wenn ich fort will, muß früh aufstehen, Euer Gnaden; aber noch früher müßte der aufstehen, der fort will, wenn ich mir vorsetze, ihn zu halten.« – Dem Richter schien das einzuleuchten; er gab Ratcliffe keinen Bescheid, sondern ließ ihn abführen, beugte sich aber, sobald der verwegene Wicht verschwunden war, zu dem Stadtschreiber und fragte ihn, was er zu solcher Frechheit sage . . .

»Es steht mir nicht zu, ein Urteil zu fällen,« antwortete dieser, »soviel aber meine ich, sagen zu dürfen, daß es, falls es Ratcliffe wirklich darum geht, gut zu tun, keinen zweiten in der Stadt gibt, der ihr im Diebesfache soviel nützen könnte wie er.«

Nun wurde Butler zum untern Ende der Tafel geführt. Der Ratsherr begann das Verhör, höflich, aber doch in einem Tone, der nicht verkennen ließ, daß er starken Verdacht gegen Butler habe. Dieser räumte mit der seinem Stand und Charakter angemessenen Ehrlichkeit seine ihm aufgezwungene Gegenwart bei der Ermordung des Hauptmanns Porteous ein, legte auch, auf Verlangen des Ratsherrn, einen ausführlichen Bericht der schrecklichen Begebenheit ab, der vom Schreiber zu Protokoll genommen wurde. Sobald er geendigt hatte, nahm ihn der Richter ins Kreuzverhör, dem auch der Unschuldigste leicht erliegt, auch wenn sich ein Fall nicht so schwierig gestaltet wie gerade der Butlers nach einer mit so ergreifenden Umständen verknüpften Schilderung, die unmöglich so klar vorgetragen werden konnte, daß nicht Zweifel und Widersprüche hätten wachgerufen werden sollen.

Der Ratsherr begann mit der Bemerkung, Butler habe sich nach Libberton begeben wollen und wolle doch am Westtor vom Pöbel gestellt worden sein . . »Ist das Ihr gewöhnlicher Weg nach Libberton?« fragte er, nicht ohne Ironie; »durch das Westtor?«

Von Eifer erfüllt, seine Unschuld darzutun, versetzte Butler schnell: »Nein, freilich nicht, aber ich befand mich zufällig dem Westtore am nächsten, und der Torschluß stand unmittelbar bevor.«

»Allerdings ein recht unglücklicher Zufall!« bemerkte der Ratsherr trocken; »aber als Diener der Kirche, zumal Sie zur Teilnahme an dem gesetzlosen Tun gezwungen wurden, haben Sie doch Widerstand und Flucht versucht?«

Die große Zahl der Meuterer, erwiderte Butler, habe seine Widerstands- und Fluchtversuche unmöglich gemacht.

»Abermals ein recht verdrießlicher Zufall!« sagte ebenso trocken wie vorhin der Ratsherr, worauf er noch eine Reihe von Fragen über das Verhalten des Pöbels und die Kleidung, die die Rädelsführer getragen hätten, stellte und dann unvermittelt zu andern Punkten des von Butler gegebenen Berichts übersprang, immer bemüht, durch hinterlistige Fragen ihm Fallen zu legen. Indessen ertappte er Butler auf keinem Widerspruche, der auch nur einigen Halt gegeben hätte, den gegen ihn bestehenden Argwohn tiefer zu begründen. Endlich fiel in dem Verhöre der Name Madge Wildfire, und hierbei wechselten Ratsherr und Stadtschreiber einen vielsagenden Blick. Es folgte nun eine peinliche Befragung Butlers über Gesicht und Kleidung dieser Person, aber über das erstere viel zu sagen, war Butlern insofern nicht möglich, als es durch Schminke und Ruß völlig unkenntlich gemacht und obendrein durch eine über die Stirn gezogene Weiberhaube verdunkelt worden war. Auf Befragung erklärte er sich außer stande, besagte Madge Wildfire, wenn sie ihm in andrer Kleidung vorgeführt würde, anders als an ihrer Stimme wiederzuerkennen.

Der Ratsherr stellte ihm nun die Frage, zu welchem Tore er am Morgen nach der Begebenheit zur Stadt hinausgegangen sei.

Butler nannte das Cowgate-Tor.

»Und war dieses der nächste Weg nach Libberton?« fragte der Richter.

Butler erwiderte, abermals nicht ohne Verlegenheit: »Das freilich nicht; aber es wäre mir keiner näher gewesen, mich aus der Nähe des Pöbels zu entfernen.«

Ratsherr und Stadtschreiber sahen einander wieder an . .

»Ist es vom Grasmarkt nach Libberton näher als durch das Cowgater oder Bristoler Tor?« fragte der Ratsherr.

»Das nicht,« entgegnete Butler; »aber ich wollte zu einem Freunde mit herangehen.«

»So?« fragte der Ratsherr, »es war Ihnen also wohl darum zu tun, die Kunde von dem Vorfalle unter die Leute zu bringen?«

»Nein, gewiß nicht. Ich habe mit keiner Silbe von den Ereignissen der Nacht gesprochen, so lange ich in Sankt-Leonard war.«

»Auf welchem Wege begaben Sie sich nach Sankt-Leonard?« »Ueber die Salisbury-Felsen,« erwiderte Butler.

»So? über die Salisbury-Felsen? . . . Nun, nehmen Sie mir das nicht übel, aber Sie scheinen ein recht großer Freund von Umwegen zu sein . . und wen haben Sie gesehen, seit Sie der Stadt den Rücken wandten?«

Butler schilderte all die verschiedenen Gruppen und Haufen, an denen er im Laufe des Morgens vorbeigekommen war, ihre Anzahl, ihr Aussehen, ihr Verhalten. Endlich tat er des geheimnisvollen Fremden Erwähnung, den er zwischen den Felsen getroffen hatte, und über den er gern rasch hinweggegangen wäre. Aber kaum hatte er ein Wort über ihn geäußert, als ihm vom Ratsherrn die eingehendsten Fragen gestellt wurden, mit der Ermahnung, sich aufs strengste an die Wahrheit zu halten und nichts unerwähnt zu lassen, so geringfügig es ihm auch erscheine . .

»Sie stehen ja in gutem Rufe,« fügte der Ratsherr, »wie ich durchaus nicht verhehlen will; aber es ist uns recht gut bekannt, daß sich Männer aus Ihrem Stande, sonst von untadelhaftem Charakter, von Unternehmungen nicht fern gehalten haben, die sich wider Ruhe und Wohlfahrt des Staats richteten. Ich will ganz offen gegen Sie sein. Daß Sie hier sagen, Sie hätten sich auf zwei verschiedenen und recht großen Umwegen nach Ihrem Heimatsdorfe begeben wollen, gefällt mir ganz und gar nicht, zumal kein bis jetzt von uns vernommener Zeuge ausgesagt hat, es sei ihm so vorgekommen, als hätten Sie sich irgendwie gezwungen bei der Affäre gefühlt. Die Wächter am Cowgate-Tor wollen im Gegenteil bemerkt haben, Ihr Benehmen hätte einen ängstlichen Eindruck gemacht, wie wenn Sie sich von Schuld bedrückt gefühlt hätten, ja einer von ihnen hat ausgesagt, Sie hätten ganz so befohlen das Tor zu öffnen, als hätten Sie gemeint, noch an der Spitze der Aufrührer zu stehen.«

»Gott verzeih es den Leuten!« erwiderte Butler, »ich habe nichts weiter begehrt, als frei durch das Tor zu passieren. Wollen mir die Leute nicht wissentlich zu Schaden sein, so müssen sie zugeben, sich in solcher Meinung geirrt zu haben.«

»Ich will gern das Beste annehmen, Herr Butler,« versetzte der Ratsherr, »aber wenn Sie Ihre Situation nicht verschlimmern wollen, dann müssen Sie offen gegen mich sein. Sie haben bekannt, mit einem fremden Manne zwischen den Sankt-Leonard-Felsen zusammengekommen zu sein; ich muß darauf bestehen, daß Sie mir über die Unterredung, die Sie mit dem Fremden geführt haben, genauen Aufschluß geben.«

Butler hatte die Unterredung nur verschweigen wollen, weil er befürchtete, Jeanie Deans durch sie bloßzustellen; zufolge der eindringlichen Aufforderung des Richters hielt er es aber für besser, nichts darüber zu verschweigen.

»Sie glauben also,« fragte der Ratsherr, als Butler zu Ende war, »daß die Person sich zu dem Orte begeben werde, so geheimnisvoll die Aufforderung dazu ist?«

»Ich fürchte, daß das Mädchen es tun werde,« antwortete Butler.

»Warum fürchten Sie es?«

»Weil mir um ihre Sicherheit bangt, wenn sie zu solcher Zeit und an solchem Orte, auf solche Botschaft hin, sich mit einem Menschen trifft, der mir den Eindruck zu machen schien, als sei er mehr als desperat.«

»Für die Sicherheit ihrer Person soll Sorge getragen werden,« erklärte der Ratsherr; »und was Sie selbst betrifft, Herr Butler,« setzte er hinzu, »so muß ich Ihnen leider sagen, daß es nicht angeht, Sie schon jetzt in Freiheit zu setzen. Ich denke aber, es wird nicht notwendig sein, Sie lange in Ihrer Freiheit zu beschränken . . Fron, führen Sie den Gefangenen wieder in seine Zelle, tragen Sie aber Sorge, daß es ihm an nichts fehlt, und daß er über nichts zu Beschwerde oder Klage Veranlassung findet.«

Butler wurde wieder ins Gefängnis abgeführt. Die vom Ratsherrn gegebenen Weisungen betreffs seiner Haltung wurden streng beobachtet.


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