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Zehntes Kapitel.

»Kommt herein!« rief auf sein Klopfen die sanfte Stimme, die sein Ohr so gern hörte. Er klinkte, und stand im Hause der Trauer. Jeanie konnte dem Geliebten, den sie jetzt wiedersah unter Umständen, wie sie demütigender für ihren Mädchenstolz nicht denkbar waren, kaum einen Blick weihen. Viele Vorzüge, aber auch viele Mängel des schottischen Nationalcharakters entspringen, wie bekannt, aus dem engen Familienzusammenhange. Gleichwie der Adel sich mit Stolz rühmt, aus einem alten Geschlechte zu stammen, so legt der Schotte niedern Standes den höchsten Wert darauf, ehrlicher Leute Kind zu sein, an deren Rufe kein Makel haftet. Zeichnet sich ein einzelnes Mitglied in einer Familie aus, so gilt das in den Augen der übrigen Angehörigen als eine Bürgschaft für gemeinsames Wohlverhalten, während andererseits eine schlechte Handlung auf alle Mitglieder zurückfällt. So glaubte sich auch Jeanie durch die Schande, die ihre Schwester betroffen, nicht bloß in den eigenen Augen erniedrigt, sondern auch in denen des Freundes; vergeblich suchte sie dieses Gefühl zu unterdrücken, vergeblich sagte sie sich, daß sie solcherweise nur in Versuchung käme, das eigne Unglück über das größere der Schwester zu stellen: es half nichts, die Natur behauptete ihr Recht, und während sie herbe Tränen vergoß über das Schicksal der Schwester, mischten sich Tropfen, die dem eignen Jammer galten, darunter . .

Als Reuben den Fuß über die Schwelle setzte, hockte der Greis neben dem Herde, die zerlesene Taschenbibel in der Hand, die ihm anno 1686 von einem, der für seinen Glauben das Schafott bestiegen hatte, geschenkt worden und seitdem nicht von seiner Seite gewichen war.

Die Sonne warf einen hellen Schein zu dem kleinen Fenster herein, der die grauen Locken des Greises und die heiligen Worte traf, die er eben las. Ueber seinen starren Zügen lag trotz dem finstern Ernste, der sie erfüllte, ein gewisser Ausdruck stoischer Ruhe. Fest im Kampfe und zähe im Dulden, war sein Spruch gewesen im Leben, und ihm blieb er auch in dieser schwersten Prüfung seines Lebens treu.

Er blickte auf, als Reuben eintrat, aber, wie wenn ihm die Begegnung unvermutet und schmerzlich käme, gleich wieder auf seine Bibel. Dann hob er sie mit der Linken hoch, verdeckte das Gesicht damit und streckte die Rechte weit aus gegen Reuben, wie wenn er ihm den Schmerz, der sein Gesicht zerriß, verbergen wollte . .

Es mußte ja auch seinem Unglück gleichsam die Krone aufsetzen, sich in solcher Erniedrigung dem Manne zu zeigen, gegen den er sich bislang immer mit Stolz auf solch sittlicher Höhe zu halten gewußt hatte. Aber Butler ergriff die Hand des wackern Greises, der ihm in seiner Kindheit eine so treue Stütze gewesen, bedeckte sie mit Tränen und sprach, doch tief erschüttert und mit bebender Stimme, nichts als die Worte: »Daß Gott Euch tröste, Vater Deans! daß Gott Euch tröste!«

»Er wird's, Freund,« antwortete, sich ermannend, Vater Deans, durch die tiefe Bewegung, die der junge Mann zeigte, ergriffen, »und er tut's, Freund! O, und er wird mehr tun zu seiner Zeit! Reuben, ich war zu stolz auf das wenige, was ich für die gute Sache gelitten, und darum werde ich geprüft mit einer, die meinen Stolz in Spott, meinen Ruhm in Schmach wandelt . . O Reuben, wie stolz war ich, Engeln und Menschen ein Zeugnis zu sein und schon in meinem fünfzehnten Jahre für die gute Sache am Pranger zu stehen . . . und nun, Reuben, nun . . .«

Er konnte nicht weiter sprechen . . Butler war zwar mit den Ansichten des wackeren Greises nicht in allen Punkten einverstanden, achtete ihn aber zu hoch, um ihn jetzt, da er mit so stolzem Selbstbewußtsein seinen Schmerz zu bekämpfen suchte, durch Einwendungen zu kränken, und nahm im Gegenteil den Augenblick wahr, ihn durch erhebende Worte zu trösten:

»O Vater Deans, Ihr waret freilich immer ein wahrer und treuer Anhänger des Kreuzes, einer der, nach Hieronymus, per infamiam et famam grassari ad immortalitatem, das heißt, trotz bösem oder gutem Leumund das ewige Leben gewinnen muß . . waret einer der Starken, zu denen die furchtsamen und bangen Seelen in den Schauern der Mitternacht rufen: Treuer Wächter, wie tief ist die Nacht? . . Und gewiß! diese schwere Prüfung, da sie Euch nicht treffen konnte ohne Gottes Zulassung, muß ihren besonderen Zweck und heiligen Nutzen haben.«

»So empfange ich sie in Demut,« erwiderte Deans, den Händedruck des jungen Freundes erwidernd, »und wenn ich auch die Heilige Schrift nur auf schottisch zu lesen verstehe« – denn selbst im Schmerz ließ er Butlers lateinische Zitate nicht still an sich vorübergehen – »so habe ich doch aus ihr gelernt, diesen harten Schlag mit Ergebung zu tragen. Aber, Reuben Butler, was soll der Erleuchtete wie der weltlich Gesinnte denken von einem Führer, der die eigene Familie nicht bewahren konnte vorm Straucheln? . . wie werden sie Lehren hinnehmen, wenn der Lehrer seine Kinder so tief wie Belials Abkömmlinge sinken ließ? Aber ich will es mir immer ins Herz schreiben, daß alles, was ich bei mir oder den Meinen gut nannte, nur ein Licht gewesen ist, ähnlich demjenigen kriechender Insekten, die nur leuchten, wenn alles umher in finstrer Nacht ruht . . und die, wenn der Morgen über den Bergen dämmert, arme elende Würmer sind . . und so soll Demut mir mein Kreuz tragen helfen.«

Kaum hatte er ausgesprochen, so ging die Tür zum andern Male auf, und Herr Bartel Saddletree zeigte sich auf der Schwelle, mit dem Dreispitz auf dem Hinterkopfe und dem seidnen Schnupftuch darunter, das ihn kühl halten sollte; und mit dem Stock mit goldner Spitze in der Hand, ganz in der Haltung eines wohlhabenden Bürgers, der sich mit dem Gedanken trägt, ein Amt beim Magistrat, wenn nicht gar Sitz und Stimme darin, zu erhalten.

Ein französischer Philosoph, Larochefoucauld, der in manche Tiefe des menschlichen Herzens hinein geleuchtet hat, sagt irgendwo: »In Unglücksfällen, auch unsrer besten Freunde, liegt immer etwas, das uns nicht ganz zuwider ist.« Das traf auf Herrn Saddletree zu, der es freilich sehr krumm genommen hätte, wenn ihm jemand gesagt hätte, die jetzige Trübsal der Familie Deans freue ihn; und doch hätte es sich sehr gefragt, ob es ihm nicht bitter angekommen wäre, die heimliche Befriedigung zu missen, die es ihm bereitete, mit seinen Rechtsfloskeln in einem so ernsten Falle, wie er hier vorlag, um sich zu werfen und den gelehrten Juristen zu spielen. Das war doch einmal ein Fall wirklicher Not, wo er nicht, wie sonst, seinen Rat unnützerweise aufdrang, sondern wo Rat gebraucht wurde und gern gehört werden mußte – und er fühlte sich glücklich darüber, wie ein Knabe, der die erste wirklich gehende Uhr, mit richtigen Zeigern und richtigem Zifferblatt, erhält. Zudem kribbelte ihm noch der Fall Porteous im Kopfe, mit dem gewaltsamen Tode des Hauptmanns und allen Folgen, die daraus für Stadt und Bürgerschaft erwachsen konnten: so daß er also sozusagen »in Materie schwamm«. Kein Wunder, daß er, getragen von dem Bewußtsein seiner Würde, mit der Absicht in die Stube trat, das Füllhorn seiner juristischen Weisheit über die unglückliche Familie auszuschütten.

»Wünsche guten Morgen, Herr Deans! . . Ei, guten Morgen, Herr Butler! Hab keine Ahnung davon gehabt, daß Sie hier im Hause bekannt sind.«

Reuben gab nur flüchtige Antwort, denn es konnte ihm begreiflicherweise nicht beikommen, einem ihm so gleichgültigen Menschen wie Saddletree in seine ihm heiligen Beziehungen zu Deans und seiner Tochter Einblick zu geben.

Der ehrsame Bürger und Sattlermeister ließ sich würdevoll auf einen Stuhl nieder, wischte sich den Schweiß von der Stirn, schöpfte tief Atem und hub mit einem schweren Seufzer an:

»Eine schreckliche Zeit, in der wir leben, Nachbar, wirklich eine schreckliche Zeit!«

»Eine sündhafte, schmachvolle, gottlose Zeit!« versetzte leise der tiefgebeugte Pächter.

Saddletree, die Backen aufblasend, nahm auf der Stelle wieder das Wort: »Mit mir ist's jetzt wirklich zu arg, ich weiß kaum noch, um was ich mich zuerst und zuletzt kümmern soll, ob um die Not meiner Freunde oder um die Not meines Vaterlandes. Aller Witz, den die Leute sonst an mir rühmten, geht mir noch verloren, so daß ich mir nachgerade vorkomme, als lebte ich nicht unter gebildeten Menschen, sondern inter rusticos et asinos . . Stehe ich da heute in aller Herrgottsfrühe auf, mit den klarsten Ideen darüber, was sich zur Verteidigung der armen Effie unternehmen ließe; und kommt mir nicht, wie vom Himmel geschneit, die Geschichte mit dem Porteous-Krawall dazwischen, daß mir alle guten Gedanken wie Splint in Rauch aufgingen?«

Trotz des schweren Leides, das auf seinem Herzen lastete, erregte die Mitteilung, den Hauptmann betreffend, die Aufmerksamkeit des greisen Pächters. Saddletree war sogleich bei der Hand, eine ausführliche Schilderung des Vorfalles und der wahrscheinlich mit ihm verknüpften Folgen zu geben. Butler hielt die Gelegenheit für günstig zu einer Rücksprache mit Jeanie, und das Mädchen schien einen ähnlichen Gedanken zu haben, denn sie verließ, als habe sie draußen zu tun, die Stube. Butler folgte ihr, und Deans wurde durch Saddletree so in Anspruch genommen, daß er seine, wie auch Jeanies Abwesenheit nicht merkte.

Butler fand sie in der Milchkammer, still, niedergeschlagen, mit Mühe die Tränen zurückhaltend. Sonst ließ sie, auch während der Unterhaltung, die Hände nie ruhen; heute aber war sie von ihren Gedanken so niedergedrückt, daß sie wie blöde in einem Winkel hockte. Aber als Butler sich zeigte, wischte sie sich die Tränen aus den Augen und richtete mit der ihr eigentümlichen Schlichtheit das Wort an ihn . .

»Es ist mir recht lieb, daß Sie kommen, Herr Butler,« sagte sie, »weil . . weil ich Ihnen doch sagen muß, daß nun alles zwischen uns aus ist, aus sein muß . . und Reuben, es ist so am besten für uns beide.«

»Aus?« fragte Butler erstaunt, »und warum, Jeanie? Es ist wohl eine schwere Prüfung über uns gekommen, aber nicht Sie, Jeanie, haben Sie verschuldet . . Unglück, das uns Gott sendet, müssen wir tragen, aber gelobte Treue braucht deshalb nicht gebrochen zu werden, kann deshalb nicht gebrochen werden, solange sie beiden Teilen heilig ist.«

Jeanie richtete einen zärtlichen Blick auf ihn . . »Ich weiß schon, Reuben,« sagte sie, »daß Sie mehr für mich sorgen als für sich! und eben darum kann ich Ihnen meinen Dank jetzt dadurch erstatten, daß ich Ihr Glück ins Auge fasse gleich meinem eignen . . Sie sind unbescholten, Reuben, gehören dem geistlichen Stande an und werden es, wenn auch Armut Sie zurzeit niederdrückt, dereinst sicher zu Ansehen in der Kirche bringen. Armut ist freilich ein schlimmer Freund, Reuben, das wissen Sie recht gut; aber übler Ruf ist ein schlimmerer Feind, und durch mich sollen Sie diese Wahrheit nie kennen lernen, Reuben!«

»Was meinen Sie mit diesen Worten?« fragte Butler mit Ungeduld; »in welchem Zusammenhange steht die Schuld Ihrer Schwester, wenn sie in der Tat schuldig ist, mit unserm Verlöbnis? Wie kann sie uns, wie Ihnen oder mir, von Schaden sein?«

»Wie können Sie so fragen, Butler? Wird die Schmach, so lange wir diesseits des Grabes weilen, jemals vergessen werden? Wird sie nicht uns und unsern Kindern und Kindeskindern anhängen? Die Tochter eines rechtlichen Mannes zu sein, konnte mir zur Ehre gereichen, aber die Schwester einer . . . o Gott! o Gott!«

Die mühsam aufrecht gehaltene Fassung verließ sie . . und Tränen schossen aus ihren Augen.

Reuben gab sich alle Mühe, ihren Schmerz zu stillen, und es gelang ihm auch; aber sie gewann die Fassung nur wieder, um die eben geäußerte Meinung auf das bestimmteste zu wiederholen . . »Nein, Reuben, ich mag keinem Manne Schande ins Haus bringen. Das eigne Elend kann ich tragen, muß ich tragen; aber es einem andern aufbürden, nein, Reuben, nein! das kann ich nicht, das werde ich nicht . . nun und nimmer!«

Wer liebt, neigt immer zu Argwohn, und Jeanies Wille, mit ihm zu brechen, unter dem Vorwande der Rücksicht auf sein Wohl und seinen Frieden, schien ihm in schrecklichem Zusammenhange mit dem Auftrage zu stehen, den ihm jener Unbekannte draußen bei den Salisbury-Felsen gegeben hatte. Zitternd, mit stockender Stimme, fragte er sie, ob wirklich nichts anderes als das Unglück der Schwester sie zu solchen Worten bewege? – »Was sonst?« fragte sie schlicht, »was sonst als dies? Sind wir uns nicht seit zehn Jahren schon im Worte?«

»Zehn Jahre?« wiederholte Butler; »eine lange Zeit, Jeanie . . eine so lange Zeit, daß es ein Mädchen wohl satt bekommen kann!«

»Satt bekommen, Reuben?« wiederholte sie, »ja, ein Kleid wohl, wenn sie Lust am Putze hat; aber nicht einen Freund, Reuben . . Nach Abwechslung mag sich das Auge sehnen, das Herz kann es nie!«

»Nie, Jeanie?« wiederholte Butler . . und setzte nach kurzer Pause hinzu: »Ein kühnes Versprechen, Jeanie, ein sehr kühnes Versprechen!«

»Nicht kühner, Reuben, als wahr,« antwortete sie mit jener Ruhe und Ehrlichkeit, die nie von ihr wich, weder in bösen noch in guten Stunden . . weder in Augenblicken der Erregung noch in dem Einerlei des Lebens.

Butler gab keine Antwort, richtete aber den Blick fest auf sie . . und nach einer Weile sagte er: »Jeanie, ich habe was an Sie auszurichten.«

»Was an mich auszurichten? und von wem?« fragte sie; »was kann mir jemand mitzuteilen haben?«

»Ein Fremder hat's mir aufgetragen,« versetzte Butler, bemüht, ruhig zu sprechen; aber das Zittern in seiner Stimme strafte ihn Lügen . . »ein junger Mensch, den ich heute morgen zwischen den Salisbury-Felsen getroffen habe.«

»O Himmel!« rief Jeanie eifrig, »und was sagte er? Reuben! was sagte er?«

»Daß er dort, wo er gedacht, nicht länger auf Sie warten könne, daß er aber verlange, von Ihnen verlange, Jeanie, daß Sie ihn heute nacht, nach Mondesaufgang, bei den Muschatfelsen erwarten.«

»O, sagen Sie ihm,« antwortete Jeanie nicht minder eifrig, »daß ich dort sein werde, gewiß dort sein werde!«

Reubens Argwohn mehrte sich zufolge des Eifers, mit dem Jeanie ihm antwortete, und er erwiderte mit auffälliger Kälte: »Ich darf wohl fragen, wer der Mann ist, dem Sie zu so ungewohnter Zeit und an solchem Orte eine Zusammenkunft gewähren?«

»Man muß manches tun,« antwortete sie, »was man nicht gern tut.«

»Zugegeben,« antwortete ihr Geliebter, »aber was zwingt Sie jetzt zu solchem Schritte? Und wer ist der Mann? Was ich von ihm gesehen, sprach nicht zu seinen Gunsten . . wer ist der Mann, Jeanie, und was ist der Mann?«

»Ich weiß es nicht« antwortete sie.

»Sie wissen es nicht?« fragte Butler, ungeduldig in der Kammer hin und her gehend; »und doch wollen Sie ihm, einem jungen Menschen, nächtlicherweile an diesen einsamen Ort folgen? folgen auf seinen Befehl? . . Wie kann jemand, den Sie nicht kennen, solche Gewalt über Sie haben? . . Jeanie, was soll ich davon denken?« »Nichts Reuben, als daß ich Wahrheit rede, als stünde ich vor dem jüngsten Gericht! Ich kenne den Mann nicht – weiß nicht, ob ich ihn je gesehen, und doch muß ich ihm die Zusammenkunft, die er fordert, gewähren . . ich muß, Reuben, denn es gilt Leben und Tod!«

»Wollen Sie es dem Vater nicht sagen?« fragte Reuben, »oder ihn mitnehmen?«

»Ich kann nicht,« versetzte Jeanie, »mir fehlt die Erlaubnis dazu.«

»Darf ich mitgehen? Ich will mich bis zur Nacht bei den Felsen aufhalten und Euch dort treffen.«

»Es kann nicht sein,« erwiderte sie, »denn es darf niemand hören, was der Mann mit mir spricht.«

»Haben Sie auch bedacht, was Sie tun wollen, Jeanie? Ort und Zeit, und den verdächtigen Eindruck, den der Mensch macht? Sie hätten's ihm, wenn er's hier, in Rufnähe des Vaters, von Ihnen verlangt hätte, weigern müssen, mit ihm allein zu sein!«

»Reuben, ich muß mein Wort halten«, antwortete sie. »Mein Leben steht in Gottes Hand und meine Sicherheit nicht minder; aber beides zu wagen bei dieser Zusammenkunft, darf ich mich nicht besinnen.«

»Dann müssen wir,« sagte er fest, »miteinander brechen, Jeanie, kurz und bündig, und Abschied voneinander nehmen für immer . . denn kann zwischen einem Mann und der ihm verlobten Braut in einem so wichtigen Punkte kein Vertrauen bestehen, so muß er dies als Beweis dafür ansehen, daß sie ihm nicht mehr jene Achtung entgegenbringt, die für ein dauerndes Verhältnis schicklich und notwendig ist.«

Jeanie sah ihn an, ein schwerer Seufzer entrang sich ihrer Brust, und sie sagte: »Ich hatte gemeint, die Trennung überwinden zu können, bin aber nicht darauf gefaßt gewesen, daß es im Unfrieden sein werde . . Nun, ich bin Weib, und Sie sind Mann: bei Ihnen mag das anders sein. Gewährt es Ihrem Gemüt Erleichterung, Schlimmes von mir zu denken, so mag ich Ihnen nicht zumuten, Ihre Meinung zu ändern.«

»Sie sind, wie immer, Jeanie, besser und weiser als ich,« sagte Butler, »aus angeborenem Gefühle, und darum auch weniger egoistisch, als ich, trotz aller Hilfe, die ein Christ aus der Philosophie zu schöpfen vermag . . Aber trotzdem frage ich: warum – warum wollen Sie auf einem so verzweifelten Unternehmen beharren? . . warum soll ich Ihnen nicht als Begleiter oder Beschützer oder doch wenigstens Berater dienen dürfen?«

»Aus keiner andern Ursache, als weil ich nicht die Erlaubnis habe, jemand mitzubringen,« antwortete schlicht und ehrlich das Mädchen, fuhr aber, plötzlich erschreckt auf . . »Still! Was war das? . . Vater wird doch nicht krank geworden sein?«

In dem Raume nebenan wurden Stimmen laut . .

Als Jeanie und Butler die Stube verlassen hatten, war Saddletree von dem Thema Porteous rasch auf das andere übergegangen, das dem unglücklichen Greise näher lag . . Deans hatte, niedergedrückt durch das Unglück, das auf ihm lastete, ohne Widerspruch angehört, was ihm Saddletree vorgeschwatzt hatte über die Gefahr, die über seiner Tochter schwebte, über die Gattung des Verbrechens, unter dessen Anklage sie stand, und über die Schritte, die zu ihrer Verteidigung eingeleitet werden müßten. Bei jeder Pause, die Saddletree in seinem Vortrage machte, hatte Deans gesagt, er bezweifle nicht, daß es Saddletree gut mit ihm meine, sei doch seine Frau weitläufig mit ihnen verwandt . . Erst als Saddletree den Wortlaut der Anklageschrift gegen seine Tochter, von der er sich eine Kopie zu verschaffen gewußt hatte, rekapitulierte, war Deans aufgesprungen und hatte ihn gebeten, einzuhalten . .

»Nicht weiter, nicht weiter!« hatte er gerufen, »lieber stoßt mir ein Schwert in die Brust, als daß Ihr noch eine Silbe hinzufügt.«

»Es möchte Euch aber zum Troste gereichen, Deans,« sagte Saddletree, der sich so leicht nicht werfen ließ, »wenn Ihr alles gut übersähet . . Aber, wie Ihr wollt . . Wir kämen also zu der Frage, was in solchem Falle am besten zu tun bleibt.«

»Nichts, nichts, Nachbar,« versetzte Deans heftig, »als zu dulden, was der Herr über uns ergehen läßt . . O, wenn Er es doch gefügt hatte, daß dieses graue Haupt vor dieser schrecklichen Heimsuchung in die Grube gefahren wäre! Aber Sein Wille geschehe! Sein Wille geschehe!«

Als ihm Saddletree darauf riet, für seine Tochter einen Anwalt zu nehmen, war er über dem Für und Wider in den heftigsten Zorn geraten . .

»Bleibt mir vom Leibe damit!« hatte er gerufen; »ich tue es nicht, und wenn Ihr noch soviel redet. Ich stehe auf den heiligen Worten der Bibelschrift: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut! und wenn das Leben meines unglücklichen Kindes, wenn Jeanies Leben und mein eignes davon abhinge, daß ich solchen Sklaven Satans aufforderte, sich mit einer Silbe für uns zu verwenden, so mögen wir alle lieber untergehen!«

Die leidenschaftliche Art, wie er diese Worte geschrien, war es gewesen, die Jeanie so erschreckte, daß sie das Gespräch mit Butler abbrach und, von ihm gefolgt, in die Stube stürzte. Hier fanden sie den Greis in der stärksten Erregung, schier außer sich vor Gram und Aerger; sein Gesicht glühte, seine Stimme war heiser, er hielt die Faust geballt, und Tränen standen ihm in den Augen; Butler, von solcher heftigen Erschütterung die schlimmsten Folgen für den hochbejahrten Mann fürchtend, trat zu ihm, nahm seine Hand und wagte es, ihn zu Geduld und Ruhe zu mahnen . .

»Ich bin geduldig – ich bin ruhig,« versetzte der Greis bitter, »ruhiger als irgend einer, der den schmerzlichen Verfall dieser Zeiten mit durchlebt, es sein sollte! und brauche wahrlich niemand, am wenigsten aber Söhne von Cromwellschen Reitern, mein graues Haupt zu lehren, wie es sein Kreuz tragen soll.«

Butler nahm den herben Ausfall gegen seinen längst im Grabe ruhenden Großvater mit Ruhe hin, ihn der Erregtheit des unglücklichen Greises zu gute haltend, und bemühte sich, ihn milder zu stimmen . . . Aber es war alles vergeblich . . . Deans erhob sich mühsam von dem Stuhle, auf den er wieder niedergesunken war, richtete sich zu voller Höhe auf, streckte, wie wenn er der Reden und Anwesenheit der beiden Männer müde sei, abwehrend die Hand aus, schüttelte den Kopf und verließ die Stube, um sich in seine Schlafkammer zu flüchten . .

»Das heißt doch, das Leben eines Kindes geradezu wegwerfen,« rief Saddletree, als er mit Butler und Jeanie allein in der Stube stand; »wer hätte je, etwas davon gehört, daß man in solchem schweren Falle keinen Anwalt nimmt?«

Da trat ein neuer Gast ein: Lord Dumbiedike, der den Zaum seines Kleppers um den gewohnten Haken schlang und sich auf seinen gewohnten Platz, begab. Seine Augen aber hatten einen ungewohnten Glanz und wanderten unruhig vom einen zum andern, bis ihm durch Saddletrees letzte Worte der traurige Sinn der schon draußen gehörten Worte des alten Pächters klar wurde. Er blieb auf dem Wege zu seinem gewohnten Platze stehen, trat langsam auf Saddletree zu, näherte die Lippen dem Ohre desselben und fragte mit unsichrer ängstlicher Stimme:

»Kann . . kann Geld nicht helfen?«

Saddletree legte das Gesicht in ernste Falten. »Hm,« sagte er mit Wichtigkeit, »Geld kann freilich helfen, kann mehr im Parlamentshause helfen als irgend sonst etwas. Aber woher soll Geld kommen? Sie haben ja doch gehört, daß Herr Deans von nichts wissen will . . Meine Frau ist freilich weitläufig mit der Familie verwandt; aber allein wird sie ein so großes Opfer auch nicht bringen . . Ja, wenn sich jeder Freund der Familie zu etwas verstehen wollte, dann ließe sich schon reden . . Ich möchte gewiß am allerwenigsten, daß die Sache zum Schlimmsten käme, ohne verfochten zu werden . . . Es wäre ja auch gar nicht mit der Ehre verträglich, mag der eigensinnige Mann reden, soviel er will.«

»Ich . . ich . . will«, sagte Dumbiedike, all seinen Mut aufbietend, »ich will . . gutsagen für . . zwanzig Pfund.« Doch kaum waren, die Worte aus seinem Munde, so stand er wie starr vor Staunen über die von ihm bekundete Entschlossenheit zu einer großmütigen Handlung.

»Gott möge es Ihnen lohnen, Laird!« rief Jeanie dankerfüllten Herzens.

Laird Dumbiedike, schüchtern von ihr weg auf Saddletree blickend, sagte noch einmal: »Ja, zwanzig Pfund . . wenn's nicht anders geht, meinetwegen auch . . . dreißig.«

»O, da wird es gehen, gut gehen!« rief Saddletree, sich die Hände reibend, »und an mir soll es nicht liegen, wenn es nicht geht . . ich will mein bestes Wissen und Können dran setzen, dem Gelde volles Gewicht zu geben . . Lassen Sie mich nur machen! Wenn jemand versteht mit diesen Habichten umzugehen, so bin ich es . . Knapp halten muß man sie, knapp halten, und immer vorreden, daß man sie zu noch anderen und besseren Prozessen im Auge habe . . Dann legen sie sich ins Zeug! Dann machen sie es gnädig mit der Berechnung, weil sie sich für die Zukunft mehr versprechen.«

»Und ich?« fragte Butler . . »kann ich gar nichts tun? Freilich besitze ich kaum mehr als den Rock, den ich auf dem Leibe trage: aber ich bin jung und rüstig, bin der Familie vielen Dank schuldig . . kann ich wirklich nichts tun?«

»Sie können freilich was tun, Herr,« erwiderte Saddletree, »indem Sie Zeugen herbeischaffen; und wenn wir bloß einen auftreiben, der unter seinem Eide aussagt, sie habe ihm einen Wink über ihren Zustand gegeben, so ist ihr durchgeholfen. Herr Croßmyloof hat's mir gesagt, daß die Anklage durch den Beweis des Verteidigers widerlegt werden müsse, aber anders ginge es nicht . . und Herr Croßmyloof versteht's . . darauf können Sie sich verlassen!«

»Aber die Tatsache, mein Herr,« wandte Butler ein, »daß das Mädchen einem Kinde das Leben gegeben hat, müssen die Ankläger doch erst beweisen?«

Während Lord Dumbiedikes Gesicht, das sich die ganze Zeit über wie auf einer Angel von einem zum andern gedreht, sich aufzuklären anfing, erwiderte Saddletree nach einigem Besinnen: »Das wohl, das wohl! bloß wird's in diesem Falle insofern nicht vonnöten sein, als das Mädchen die Schuld ja doch gestanden hat.«

»Den Mord gestanden?« rief mit erschütterndem Aufschrei die Schwester.

»Das habe ich nicht gesagt,« versetzte Saddletree, »aber daß sie einem Kinde das Leben gegeben, hat sie gestanden.«

»Und was ist aus dem Kinde geworden?« fragte Jeanie weiter voll Angst, »sie hat mir nichts gesagt, bloß geweint und geseufzt.«

»Sie sagt, das Weib, bei dem sie das Kind geboren und die ihr Beistand in ihrer schwerer Stunde geleistet, habe es ihr genommen.«

»Und was für ein Weib war das?« fragte Butler, »durch sie kann die Wahrheit doch ans Tageslicht gebracht werden . . Wer ist's? Und wo wohnt sie? . . Ich will auf der Stelle zu ihr.«

»Schade, daß ich nicht so jung bin wie Sie und mich nicht so schnell bewegen kann wie Sie, und die Worte nicht so gut setzen kann wie Sie,« sagte Dumbiedike.

»Wo finde ich dieses Weib?« fragte Butler ungeduldig, »was ist es für ein Weib?«

»Ja, wer kann das wissen,« sagte Saddletree, »als Effie selbst? . . aber sie hat sich geweigert, im Verhör auf dergleichen Fragen Antwort zu geben.«

»So will ich auf der Stelle selbst zu ihr gehen,« sagte Butler; »leben Sie wohl, Jeanie, aber,«– und dabei trat er zu ihr heran – »keinen übereilten Schritt, bis Sie von mir hören! – Adieu!«

»Ich ginge ja auch gern,« sagte Laird Dumbiedike, und aus seiner Stimme klang es wie Verdruß, wenn nicht Eifersucht, »aber ich brächte meinen Klepper auf keinen andern Weg als von Dumbiedike hierher und wieder zurück, um alles in der Welt nicht!«

»Besser wird's ihr nützen,« meinte Saddletree, mit ihm das Haus verlassend, »wenn Sie mir die dreißig Pfund für sie schicken.«

»Dreißig Pfund?« stammelte der Laird, jetzt außer dem Bereiche der Augen, die ihn zu solcher Großmut begeistert hatten, »ich . . habe doch nur . . von zwanzig gesprochen?«

»Zuerst ja,« erwiderte Saddletree, »aber nachher haben Sie dreißig Pfund genannt.«

»Wirklich? Wirklich? . . . Mir ist's . . . nicht mehr in . . . Gedanken,« antwortete Dumbiedike, »aber . . . was ich gesagt, werde ich . . . halten. Haben Sie wohl gesehen, Herr . . . Saddletree, wie ihre . . . Augen glänzten? ganz wie . . . Karfunkelsteine!«

»Auf Weiberaugen, Laird,« erwiderte Saddletree, der nicht zu den empfindsamen Herren gehörte, »verstehe ich mich nicht besonders, mache mir auch nicht viel draus, und wünschte nur, ich wäre vor ihren Zungen ebenso gefeit; obwohl ich sagen darf,« setzte er rasch hinzu, indem ihm auf einmal klar zu werden schien, daß es Pflicht für ihn sei, sein Ansehen als Hausherr zu wahren, »daß schwerlich ein Frauenzimmer in schärferer Räson gehalten wird als meines, denn bei mir gibt's nichts von Rebellion oder laesae majestatis wider meine Ober-Eheherrlichkeit.«

Der Laird erblickte in dieser Antwort Herrn Saddletrees nichts, was Antwort erheischt hätte; und so gingen sie, nach einem stummen Gruße, auseinander, jeder seines Weges.


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