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Fünfzehntes Kapitel.

Dorthin zurückgekehrt, setzte er die Unterredung mit Ratcliffe, dessen Beistandes er sich nun versichert hielt, fort . .

»Was sich jetzt als das notwendigste erweist, Kliff,« sagte er, »ist ein Besuch bei der Dirne, die wegen Kindsmords sitzt, bei der Effie Deans . . die müßt Ihr unbedingt einmal ins Gebet nehmen! . . Die kennt doch bestimmt Robertsons Schlupfwinkel! Säumt nicht, Ratcliffe, sondern befragt sie auf der Stelle!«

»Nichts für ungut, Herr Sharpitlaw,« sagte der Beifronskandidat, »aber das kann ich nicht, das geht nicht, Euer Gnaden.«

»Das geht nicht, Kliff? und warum nicht? Was hält Euch davon ab? . . . Ich dachte, wir seien hierüber im reinen?«

»Pardon, Euer Gnaden,« antwortete Ratcliffe, »der Dirne ist hier alles fremd, Aufenthalt, Ort und Behandlung . . Sie flennt den ganzen Tag und grämt sich um den wilden Buben . . und wenn sie ihn ins Unglück brächte, dann bräch' ihr das Herz! Damit muß man rechnen.«

»So geschwind bricht kein Weiberherz,« versetzte Sharpitlaw, »und viel Zeit dazu wird ihr ohnehin nicht bleiben, denn sie muß ja so wie so auch bald an die Kreide!«

»Sei dem, wie ihm wolle,« entgegnete Ratcliffe, »ich kann's nicht machen . . es geht mir wider das Gewissen.«

Mit Hohnlachen fragte Sharpitlaw: »Wider das Gewissen? Euch?«

»Ja, wieder das Gewissen,« versetzte Ratcliffe, ruhig wie bisher, »jedermann hat ein Gewissen, wenn es auch zuweilen schwer wird, den Weg zu ihm zu finden. Meines liegt, wie ich gern glaube, ein starkes Stück seitab, weiter seitab als bei den meisten Menschen, und doch geht's mir wie ihnen, manchmal gibt's einen Knacks, wie wenn man sich den Ellbogen wo stößt, und dann tut's einem eine Weile infam weh.«

»Na, Kliff, wenn Ihr so weichherzig seid, werde ich selber mit dem Weibsbild reden müssen,« sagte Sharpitlaw und ließ sich in die Zelle der unglücklichen Effie führen.

Sie saß, in tiefes Sinnen verloren, auf dem kleinen Strohlager, das ihr als Bett diente; auf dem Tische daneben stand ein bißchen Essen, von besserer Art, als es Gefangenen sonst zuteil wird. Aber der Fron, in dessen Ressort sie gehörte, sagte, sie nähme oft in vierundzwanzig Stunden nichts als einen Trunk Wasser zu sich.

Sharpitlaw setzte sich auf den Schemel, der die Stelle eines Stuhles vertrat, und hieß den Schließer gehen. Dann nahm er das Wort, bemüht, in seine Stimme und Miene alles Mitleid zu legen, dessen er fähig war; aber seine Stimme verlor nicht all die Härte und Rauheit, die ihr eigen war, und aus seiner Miene verschwand nicht alle List, Strenge und. Selbstsucht, die sie abstoßend machten . .

»Nun, Effie, wie geht's denn? Wie geht's, Kind?« fragte er.

Ein schwerer Seufzer war die Antwort.

»Geht man artig mit Dir um? Es ist meine Pflicht, mich danach zu erkundigen.«

»O, recht artig,« antwortete sie, aber es fiel ihr schwer, Worte zu finden; es schien, als wisse sie kaum, was sie sprach.

»Und über das Essen hast Du nicht zu klagen? Bekommst Du, was Du Dir wünschest, oder hast Du Verlangen nach was Besonderm? . . Mit der Gesundheit scheint's nicht zum Besten?«

»Ich danke, Herr. Es ist alles gut . . viel zu gut für mich!« erwiderte die arme Gefangene . . ach! wie so ganz anders klang ihre Sprache als ehedem in Sankt-Leonard! alle Frische, alle Munterkeit waren daraus geschwunden . . Sie war die Lilie von Sankt-Leonard nicht mehr!

»Es muß doch ein recht schlechter Kerl gewesen sein, der Dich so ins Elend gebracht hat, Effie!« Die Aeußerung hatte ihren Ursprung zum Teil in einem natürlichen Gefühl, von dem er sich trotz aller Härte seines Wesens nicht völlig frei machen konnte; zum größern Teil aber in der Absicht, die Unterhaltung auf den Gegenstand hinzuleiten, der ihn herführte . . »Ja, ein miserabler Kerl,« sagte er wieder, »hätt' ich ihn bloß unter den Fingern, die Peitsche wäre ihm sicher!«

»Mich trifft mehr Schuld als ihn,« sagte Effie, »ich mußte weiter sehen . . aber er, der Aermste!« . . sie hielt inne . .

»Den Du so nennst,« fiel der Polizeimeister ihr ins Wort, »war ein Taugenichts, einer aus nichtschottischem Lande, Effie, und ein Kumpan des nichtsnutzigen Kerls, des Andrew Wilson.«

»O, ihm wär's besser, hätte er den Wilson nie gesehen!«

»Magst recht haben, Effie . . Aber wo trafst Du Dich gewöhnlich mit ihm, Kind? Beim Calton-Grunde, nicht wahr?«

Bis hierher war das arme, niedergebeugte Mädchen dem Wege gefolgt, den Sharpitlaw sie führte; denn was er listig vorbrachte, war so auf ihren augenblicklichen Seelenzustand berechnet, daß ihre Antworten gleichsam nur die laute Wiedergabe ihrer Gedanken waren: eine Beobachtung, die man oft bei Menschen findet, die durch Krankheit oder schweres Herzeleid zu Geistesabwesenheit neigen. Die letzte Frage war aber zu schroff gestellt, als daß sie die Absicht nicht hätte merken sollen, aus der sie gestellt wurde; und indem sie sich aus ihrer gebeugten Stellung aufrichtete und sich das Haar aus dem bleichen, noch immer schönen Gesicht strich, richtete sie das Auge durchdringend auf den ihr gegenüber sitzenden Mann und rief: »Was habe ich gesagt? Was habe ich gesagt? . . O, Herr, Sie sind zu brav und gut, als daß Sie auf die Worte, die ein armes Geschöpf spricht, das kaum noch seine Sinne beisammen hat, sonderlich achten sollten . . Gott steh mir bei! Gott steh mir bei!«

»Ja, Gott helfe uns, und zwar zu Deinem Besten!« knüpfte Sharpitlaw an ihre Worte an; »Dir könnte eins nützen, Kind, wenn's uns nämlich glückte, den Schurken hinter Schloß und Riegel zu bringen.«

»O, schmähen Sie ihn nicht, Herr,« flehte Effie, »denn er hat auch Sie nie geschmäht . . Robertson? . . O, ich habe gegen keinen Mann etwas zu sagen, der diesen Namen führt, und will und werde nichts sagen.«

»Aber, Effie, wenn Du auch Dein eignes Leid nicht achtest, so solltest Du doch jenes andern Leids nicht vergessen, das er über die Deinigen gebracht hat!«

»O, helf mir Gott!« rief die Unglückliche, »mein armer Vater! meine liebe Jeanie! Ach, Herr, das ist das Schrecklichste! O, wenn Sie ein Herz im Leibe, nur einen Funken von Mitleid haben – denn hier ist jeder Mensch so hart wie Stein – dann geben Sie Weisung, daß man die Schwester zu mir lasse, wenn sie herkommt und mit mir sprechen will . . Ach, wenn ich höre, wie sie weggewiesen wird, wenn ich umsonst versuche, zu dem Fenster hinaufzusteigen, wenn ich nichts von ihr sehe als einen Zipfel ihres Kleides, dann muß ich, muß ich ja von Sinnen kommen!« Sie sah ihn so flehentlich, so demütig an, und ihr Blick ging ihm so unmittelbar zu Herzen, daß er in seinem Vorsatze wankend wurde, daß er stockend antwortete:

»Nun, Effie, Du sollst sie sehen, die Schwester . . und wenn Du mir sagst . .« Aber er brach schnell ab, sprang auf und sah sie einen Augenblick lang an . . »Nein, nein!« rief er dann, »Du sollst sie sehen, die Schwester, ob Du mir etwas sagst oder nicht!«

Er stand auf und ging aus der Zelle.

»Ratcliffe,« sagte er, als er in seine Stube zurückkehrte, »Ihr habt recht, mit dem Frauenzimmer ist nichts anzufangen. Bloß eins weiß ich jetzt bestimmt, daß Robertson der Vater ihres Kindes ist. Also wird's wohl auch Robertson sein, der heute nacht bei den Muschat-Steinen die Schwester treffen will . . und dort, Kliff, dort wollen wir ihn fassen, oder ich müßte nicht Gideon Sharpitlaw sein!«

»Aber, wenn es an dem wäre,« meinte Ratcliffe, dem an Robertsons Verhaftung nicht viel zu liegen schien, »so müßte ihn doch Butler, als er ihn bei den Salisbury-Felsen traf, für die Person erkannt haben, die in der Maske der Madge Wildfire den Pöbel anführte.«

»Das kann man nicht ohne weiteres sagen, Ratcliffe,« versetzte Sharpitlaw, »bedenkt doch den Tumult, das unsichre Licht, die Verkleidung, die Schminke! Und hab ich nicht Euch selbst schon so vermummt gesehen, daß Euch der Gottseibeiuns, so gut er Euch doch kennt, so wenig gewittert hätte wie ich?«

»Da habt Ihr freilich 'mal recht,« sagte Ratcliffe.

»Zudem, Ratcliffe,« fuhr Sharpitlaw fort, »hat der Geistliche denn nicht gesagt, es sei ihm vorgekommen, als habe er die Züge des Burschen, den er bei den Felsen traf, schon früher 'mal gesehen, bloß wisse er nicht, wo?«

»Mir leuchtet ein, daß Euer Gnaden recht haben,« antwortete Ratcliffe.

»Drum wollen wir uns zusammen heute nacht auf den Fang hinaus begeben, Kliff, aber beizeiten, daß er uns nicht entwischen kann!«

»Ich werde Euer Gnaden dabei wenig nützen, Herr,« sagte Ratcliffe, sichtlich zögernd.

»Aber Ihr seid doch mit der Lokalität bekannt, Ratcliffe! Wie sollt Ihr da nicht nützen können? . . Nein, nein! Ihr müßt mit, Freund! und verlaßt Euch drauf, ich lasse Euch nicht aus den Augen, bis uns der Bursche sicher ist!«

»Nun, wenn Ihr drauf besteht, Herr,« sagte Ratcliffe, »dann meinetwegen! Aber vergeßt nicht, daß wir's mit einem Menschen zu tun haben, der zu allem fähig ist!«

»Wir wollen schon für Mittel sorgen, seiner Herr zu werden!«

»Aber Euch bei Nacht nach den Muschat-Steinen zu führen, Herr, das kann ich wirklich nicht auf mich nehmen. Bei Tage finde ich den Platz so gut wie jeder andere . . aber im Mondschein sieht dort ein Stein aus wie der andere, da finde ich mich unmöglich zurecht.«

»Kommt mir nicht dumm, Ratcliffe,« rief Sharpitlaw zornig; »Ihr wißt doch wohl, daß das über Euch verhängte Urteil noch nicht aufgehoben worden ist?«

»Freilich weiß ich das, Euer Gnaden,« antwortete Ratcliffe, »denn so was vergißt sich nicht . . und wenn Euer Gnaden meine Gegenwart nicht missen wollen, nun, so muß ich eben mit . . aber ich hätte doch gedacht, die Madge Wildfire müßte Euch eine bessere Führerin sein als ich, kennt sie doch den Weg und Steg dort ganz genau . . «

»Teufel auch! Bildet Ihr Euch ein, ich hätte Lust, mich solch verrücktem Weibsbild in die Hände zu geben?«

»Nun, wie Ihr meint, Herr! So was versteht Ihr schließlich besser als ich . . aber wenn man sie bei guter Laune hielte – und dafür würde ich gern sorgen – ließe sich schon was erreichen . . treibt sich das tolle Weibsbild doch im Sommer ganze Nächte in den Felsenklüften herum!«

»Wenn Ihr meint, Ratcliffe, daß sie uns richtig führen kann,« erwiderte Sharpitlaw, »so hätt' ich ja nichts dawider, sie mitzunehmen . . Aber seht Euch vor! denn von Eurem Verhalten in diesem Falle hängt Euer Leben ab.«

»Schlimm, sehr schlimm,« dachte Ratcliffe bei sich, »aber sitzt einer mal so tief drin wie ich, dann kann er, weiß Gott! nicht mehr ehrlich sein, mag er's gleich anfangen, wie er will.«

Sharpitlaw überließ ihn, um die Vorbereitungen zu der nächtlichen Expedition zu treffen, ein paar Minuten sich selbst und seinen Betrachtungen . . .

Als aber der Mond sich am Himmel zeigte, hatte der kleine Trupp schon die Stadtmauern hinter sich. Bald lagen die Salisbury-Felsen, gleich einem mächtigen granitnen Gürtel, mit dem an das Bild eines ruhenden Löwen erinnernden Artursberge im Nebel vor ihnen. Sie schlugen den Pfad ein, der auf der Südseite von Canongate zu der Abtei von Holyrood führt. Zuerst waren es ihrer vier, aus denen sich der Trupp zusammensetzte: Sharpitlaw, ein Fron, beide mit Pistolen und Hirschfänger bewaffnet, Ratcliffe, der keine Waffen hatte, weil man ihm noch immer nicht traute, und die Madge Wildfire.

Am Fuße der Berge stießen noch zwei Frone zu ihnen, die Sharpitlaw, um kein Aufsehen zu machen, vorausgeschickt hatte. Ratcliffe schien diese Verstärkung ungern zu sehen, da er bisher geglaubt haben mochte, daß es Robertson durch Mut und Schnelligkeit gelingen werde, sich Sharpitlaw und dem Frone durch Flucht zu entziehen. Jetzt war aber die Uebermacht zu bedeutend, und wenn er noch versuchen wollte, Robertson zu retten, – ein Plan, der in Ratcliffes grauem Sünderhaupte keimte, seitdem ihn Sharpitlaw zur Teilnahme an der Expedition gezwungen – so blieb kein anderes Mittel mehr als ihn durch ein Signal zu warnen.

Dieser Gedanke mochte ihn wohl schon geleitet haben, als er vorgeschlagen hatte, die Madge Wildfire mitzunehmen; denn zu ihrer Lunge hatte er Vertrauen, und in ihre List, draußen im Freien zu singen, setzte er keinen Zweifel. Sie täuschte ihn auch in beiden Annahmen nicht; denn sobald sie die Berge sah, fing sie an, so redselig zu werden, daß Sharpitlaw nicht übel Lust hatte, sie mit einem der Frone wieder in die Stadt zurückzuschicken.

»Weiß denn wirklich keiner von Euch den Weg zu der vertrackten Stelle?« fragte er ärgerlich; »soll ich allein auf das verrückte Weibsbild angewiesen sein?«

Da sich keiner bereit finden wollte, die Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen, wandte sich Sharpitlaw mit der Frage, was er für das klügste halte, an Ratcliffe, der dabei blieb, daß es ohne die Madge kaum gehen werde . . »Und was soll's schließlich schaden können, wenn sie ein bißchen lärmt und singt? . . Selbst wenn er's hört, so braucht er doch nicht gleich zu wittern, daß sie in solcher Gesellschaft kommt!«

»Ihr habt vielleicht nicht unrecht,« sagte Sharpitlaw, »ja vielleicht kommt er sogar in der Meinung, sie streife allein herum, aus seinem Versteck heraus, statt sich vor ihr zu verstecken? . . . Jedenfalls haben wir schon zuviel Zeit verloren, als daß wir uns noch lange besinnen dürften . . Seht wenigstens zu, daß sie uns nicht vom rechten Wege abbringt.«

Ratcliffe ließ sie, um keinen Argwohn in ihr zu wecken, ruhig ein Stück vorausgehen, hielt sich aber ziemlich dicht auf ihren Fersen. Plötzlich blieb sie auf der Spitze eines niedrigen Hügels stehen, sah sich um, dann in die Höhe, stand noch eine Weile wie in Gedanken versunken und stieß plötzlich einen schweren Seufzer aus . .

»Was ist denn mit ihr?« rief Sharpitlaw, »sagt ihr doch, Ratcliffe, daß wir weiter wollen.«

»Da kann bloß Geduld helfen, Euer Gnaden,« versetzte Ratcliffe, »wenn sie nicht will, dann setzt sie keinen Fuß vom Flecke.«

Sie fing wieder zu lachen an, hob wieder die Augen zum Himmel und die Arme zum Monde . . dann fing sie auf einmal laut zu singen an:

Guter Mond, ich grüße dich,
Guter Mond, ich bitte dich,
Laß mich meinen Liebsten sehn,
Guter Mond, ich bitte schön.

Aber schrill brach sie ihren Gesang ab . . »Wozu brauch ich den Mond zu bitten? . . Ich kann doch den Liebsten sehen, wann es mir paßt . . es soll aber niemand hinter mir herreden, ich hätte was geschwatzt oder ihn gar verpetzt . . Nein, niemand! niemand! . . Aber das Kleine, wollt ich, wär noch am Leben! Du lieber Gott! Der Himmel wölbt sich über uns allen,« – sie seufzte wieder schwer – »und der Mond scheint auch über uns allen und die Steine funkeln auch über uns allen . . « und jetzt lachte sie wieder . .

Sharpitlaw wurde ungeduldig. »Sie läßt uns womöglich die ganze Nacht hier stehen . . Ratcliffe, zieht sie doch hinter Euch her!«

»Ganz gut und schön, Euer Gnaden,« antwortete Ratcliffe, »aber wir wissen bloß nicht, wohin wir sie ziehen sollen. Madge, komm, wir treffen, wenn wir uns unterwegs so lang aufhalten, zuletzt den Nikol Muschat gar nicht mehr . . Führ uns doch weiter zu den Steinen!«

»Ja doch, Kliffchen! ja doch,« antwortete sie, nahm ihn beim Arme und schritt tüchtig wieder aus . . »O, Kliffchen, wie sich der Nichil freuen wird, daß wir kommen, und die Frau auch . . Als sie noch auf dem Posten war, Kliff – als ihr der Nichil den Hals noch nicht umgedreht hatte, Ihr wißt doch – ach! die Blutflecke! sie wollen gar nicht aus der Leinwand heraus, auch nicht, wenn man sie im Sankt-Antons-Brunnen wäscht – auch nicht mit dem neuen Bleichwasser, das Meister Sanders verkauft – ich sage, Kliff, als sie noch laufen konnte – nein, nein! Blut geht nicht aus Leinwand: ich hab selbst zu Haus probiert mit einem Lumpen, drin Blutflecke von einem kleinen Schreibalge waren – der irgendwie zu Schaden gekommen – nein, nein! die sind waschecht, Kliff – wie gesagt, Kliff, als sie noch gesund war, dem Nichil seine Frau, da hat sie immer gesagt, geht mir bloß mit dem Kliff! das ist ein Höllenhund, wie es keinen zweiten mehr in der Welt gibt . . aber ich gäb was drum, wenn ich 'mal mit ihm reden könnt! . . Ihr wißt schon, Kliff, gleich und gleich, das Sprichwort bleibt immer wahr . . und ihr beide seid ein Paar Teufelsrangen, wer von euch beiden den wärmsten Platz an Teufels Herde verdient, wer könnte wagen . . . es zu sagen?«

Ratcliffe fing am ganzen Leibe zu zittern an . . »Madge! schwatzt keinen Unsinn! ich hab nie Blut vergossen!«

»Aber verhandelt hast Du's, Kliff, oft genug . . Mit der Zunge läßt sich's ebenso morden wie mit der Hand, mit Worten manchmal leichter als mit dem Messer.

Sieh, da kommt der Metzger her!
Mit der Mulde groß und schwer –
Was er Freitags niedersticht,
Hält er Samstags feil, der Wicht!«

»Und mach ich's wohl anders?« dachte Ratcliffe . . »aber, hol's der Teufel! ich mag nicht schuld sein an Robertsons Elend, so lang ich's ändern kann.« – Er trat näher zu der Irren heran und fragte leise, ob sie denn keines von ihren alten lustigen Liedern mehr wisse?

»O, viele, Kliffchen, gar viele! und lustig singen kann ich sie immer noch wie ehedem!« und plötzlich fing sie an zu schmettern, daß es weit in den Wald hinein schallte:

Steigt der Falke in die Höh',
Duckt die Lerche sich ins Korn,
Scheu im Busch duckt sich das Reh,
Stößt der Jäger in das Horn.

»Stopf ihr den Schnabel, Kliff, und wenn Du ihr den Hals umdrehen mußt!« rief Sharpitlaw; »dort regt sich jemand; heran, Jungens! zu mir heran! schleicht die Höhe hinauf! George, Ihr bleibt bei Ratcliff und dem Weibsbild . . Ihr andern, im Schatten voran!«

»Mit Robertson ist's vorbei,« dachte Ratcliffe, als er die drei Häscher, verschlagen wie Indianer, möglichst das Mondlicht meidend, entlang kriechen sah . . »Das junge Volk ist aber auch zu unbedacht! Muß er sich mit dieser Jeanie Deans hier treffen! Ich dächte, er könnt an der einen genug haben . . Nein! da muß er seinen Hals in solche Gefahr bringen . . Und dieses dumme Weibsstück hier? Die ganze Nacht hat sie gekräht wie ein Hahn, der den Koller hat, und jetzt, wo's drauf ankommt, kann sie den Schnabel nicht rühren? . . Aber so ist's immer mit dem vertrackten Weibsvolk . . Ich muß sie aufs Tapet zu bringen suchen, ohne daß es der sakrische Spürhund merkt . . «

Nun begann er leise die Melodie einer Ballade zu trällern, die immer die Lieblingsnummer der närrischen Person gewesen war und die in entfernter Beziehung zu Robertsons Lage stand:

Der Köter späht durch Zinnwalds Grün
Von fern dringt Waffenstrahl . .
Die Dirne sitzt im Zinnwald drin,
Ihr Lied schallt durch das Tal.

Kaum hatte Madge die Worte vernommen, als sie Ratcliffes Hoffnung erfüllte und mit schmetternder Stimme einfiel:

Herr Ritter, rief sie, hurtig auf!
Gefahr ist im Verzuge!
Spornt Euer Roß zu wildem Lauf!
Der Feind rückt an im Fluge . . .

Ratcliffe befand sich noch in beträchtlichem Abstande von den Muschatsteinen, und doch hatte er mit seinen Falkenaugen erkannt, daß die Warnung gefruchtet hatte . . Der Fron, der neben ihm stand und kein so scharfes Auge hatte, wie er, hatte Robertsons Flucht so wenig bemerkt, wie Sharpitlaw und seine Kameraden. Aber nach etwa einem halben Dutzend Minuten entdeckten sie, daß er ihnen entwischt war, und während Sharpitlaw kreischte, außer sich vor Wut: »Auf! Ihm nach, Jungen! Den Hügel hinauf! Dort oben an der Ecke sehe ich ihn!« eilten seine Schergen in der bezeichneten Richtung hinweg.

Sharpitlaw drehte sich im andern Augenblicke nach Ratcliffe herum.

»He, Kliff! hierher, und dies Frauenzimmer festgehalten! . . George, lauf zum Gatter hin und schließ es! Ratcliffe, hierher! auf der Stelle! Zuvor aber schlag dem tollen Weibsbilde den Schädel ein!« »Madge, Du reißt am besten aus!« flüsterte Ratcliffe der Verrückten zu. »Denn mit einem Zornigen ist's nicht gut arbeiten.«

So von Sinnen war nun Madge Wildfire nicht, daß sie den gutgemeinten Rat nicht hätte verstehen und nützen sollen . . Während Ratcliffe zu Sharpitlaw eilte, um Jeanie Deans von ihm in Empfang zu nehmen, entfloh sie in der entgegengesetzten Richtung . . Aber es half ihr nichts, denn am andern Morgen wurde sie aufgegriffen und wieder ins Stockhaus gebracht. So war der kleine Trupp völlig auseinander geraten, nur Ratcliffe war noch mit Jeanie Deans, die keinen Fluchtversuch wagte, bei den Muschatsteinen zurückgeblieben.


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