Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Julie Mannering an Mathilde Marchmont.

»Ich stehe eben vom Krankenbette auf, teuerste Mathilde, und will Dir die sonderbaren entsetzlichen Ereignisse erzählen, die ich erlebt habe. O, man sollte nicht über die Zukunft scherzen! Ich schloß meinen letzten Brief an Dich in fröhlichem Uebermute und dachte nicht daran, daß ich Dir binnen wenigen Tagen solche schrecklichen Dinge mitteilen müßte. Es ist etwas ganz anderes, liebe Mathilde, furchtbare Auftritte mit anzusehen, mit zu durchleben, oder sie nur in Schilderungen zu lesen; eben so verschieden, als wenn man, am Rande eines Abgrundes schwebend, an einem fast entwurzelten Strauche sich hielte, und solchen Absturz in einem Landschaftsbilde von Salvator Rosa sähe.

»Dem ersten Teil meines Berichts fehlt es zwar nicht an Grausen, doch tritt er, wie Du wissen mußt, meinem Herzen nicht nahe, Unser Küstenland ist für eine Schar verzweifelter Menschen, die auf der benachbarten Insel Man hausen, das richtige Eldorado, für die vielen Schleichhändler nämlich, die die Gegend schon so oft in Angst und Schrecken gesetzt haben, sobald jemand ihrem Treiben ein Ziel setzen wollte. Die Zollbeamten sind, aus Furchtsamkeit oder aus schlimmern Beweggründen, lässig und ängstlich, und gehen diesen Menschen, die durch solche schlaffe Justiz trotzig und verwegen geworden, am liebsten aus dem Wege. Mein Vater, der hier fremd ist und dem alles gerichtliche Ansehen fehlt, hat begreiflicherweise mit solchen Dingen im Grunde nichts zu schaffen. Aber wenn er meint, unter dem Zeichen des Mars geboren zu sein und von Kampf und Blutvergießen selbst in der tiefsten Einsamkeit und in friedlichen Lebensverhältnissen nicht verschont zu bleiben, so kann man ihm nicht unrecht geben.

»Am vorigen Dienstag, ungefähr gegen elf Uhr vormittags, als Hazlewood und mein Vater eben auf dem Wege zu einem kleinen See, ungefähr drei Meilen von hier, waren, wo sie wilde Enten schießen wollten, wurden wir, mit den Vorbereitungen zu unsrer Tagesarbeit befaßt, plötzlich durch Pferdegetrappel in Unruhe gesetzt, das sich auf dem hartgefrorenen Boden unheimlich laut anhörte. Im andern Augenblick kamen drei Reiter, jeder mit einem bepackten Rosse, auf dem Freiplatze vor dem Hause in Sicht, die in großer Bedrängnis und Eile zu sein schienen und sich oft umblickten, als ob sie Verfolger hinter sich wüßten...

»Mein Vater begab sich mit Hazlewood an die Haustür und fragte nach dem Begehren der Leute. Es waren Zollwächter, die mit Schmugglerware bepackte Pferde in einem nicht weit entfernten Dorfe weggenommen hatten und nun von dem verstärkten Haufen der Schleichhändler grimmig verfolgt wurden. Sie suchten Zuflucht in Woodbourne und baten meinen Vater, ihnen als Regierungsbeamten, die bei Ausübung ihrer Pflicht in Lebensgefahr geraten seien, seinen Schutz nicht zu versagen.

»Meinem Vater, einem begeisterten Anhänger von Recht und Gerechtigkeit, dem selbst ein Kind, wenn er im Namen des Königs käme, ein Gegenstand unbegrenzten Respekts wäre, gab sogleich Befehl, das Schmugglergut in seinem Haus in Sicherheit zu bringen, alles Dienstvolk zu bewaffnen und das Haus für jeden Notfall in Verteidigungszustand zu setzen. Hazlewood ging ihm wacker zur Seite, und selbst Sampson kam aus seiner Bücherhöhle hervor und ergriff eine Jagdflinte, die mein Vater abgelegt und mit einer jenen Explosionsbüchsen vertauscht hatte, die man in Indien zur Tigerjagd benutzt. Aber in der ungeschickten Hand des armen Bücherwurms ging die Jagdflinte los, und wenig fehlte, so wäre einer von den Zollwächtern von der Schrotladung getroffen worden. Bei diesem unerwarteten Zufalle rief natürlich Held Sampson sein Leibwort: »Ko-misch!«, wie gewöhnlich, wenn er in Erstaunen gerät. Aber niemand konnte ihn bewegen, die losgegangene Flinte aus der Hand zu legen, doch sorgte man dafür, daß ihm Pulver und Blei unzugänglich blieben. Hazlewood hat uns nachher all diese Dinge erzählt, die ich selbst, wie Du leicht denken kannst, in jenem Augenblicke nicht wahrnahm, und uns durch seine lustige Schilderungsweise unendlich viel Spaß gemacht.

»Als mein Vater alles zur Verteidigung hergerichtet und seine Leute mit Feuergewehren an die Fenster postierte, wollte er uns in Sicherheit, in einen Keller, glaube ich, bringen; aber wir rührten uns nicht von der Stelle. Ich habe, wenn ich auch heftig erschrocken war, doch so viel von meines Vaters Mut geerbt, daß ich der drohenden Gefahr lieber offen ins Auge blicken, als den Gang der Dinge nur aus der Ferne beobachten wollte, Lucy, bleich wie ein Marmorbild, heftete ihre Blicke auf Hazlewood und schien kaum zu hören, als er sie bat, wenigstens die Vorderseite des Hauses zu meiden. Die Gefahr war in der Tat unbedeutend für uns, wenn die Tür nicht erstürmt wurde, denn alle Fenstern waren mit Kissen und Polstern und, zu Sampsons großem Leidwesen, mit eilig herbeigeschleppten Folianten verschanzt worden, ja man hatte nur kleine Schießlöcher freigelassen.

»Wir sahen in dem dunklen Zimmer in banger Erwartung, Alle Männer standen schweigend auf ihren Posten. Mein Vater, in solcher Situation völlig zu Hause, wanderte vom einen zum andern und schärfte jedem ein, nicht früher zu schießen als auf sein Kommando. Hazlewood, durch meines Vaters Beispiel ermuntert, übernahm den Adjutantendienst und war gleichfalls immer unterwegs, um die Anordnungen meines Vaters überall und schnell in die Tat umzusetzen. Unsere Besatzung mochte sich auf annähernd ein Dutzend Köpfe belaufen.

»Endlich wurde die erwartungsvolle Stille wieder durch lautes Pferdegetrappel unterbrochen. Ich hatte mir ein kleines Loch in einen Fensterkasten gebohrt und sah, daß mehr als dreißig Berittene auf dem Platze vor dem Hause hielten. Niemals in meinem Leben habe ich gräßlichere Gestalten gesehen! Ungeachtet der heftigen Kälte gingen die meisten halbnackt, trugen seidene Tücher um den Kopf geschlungen und waren mit Karabinern, Pistolen und kurzen Säbeln bewaffnet. Ihre Pferde dampften von dem schnellen Ritte ... Wildes Geschrei erscholl, als sie inne wurden, daß ihnen ihre Beute aus den Zähnen gerückt war. Eine kurze Stille folgte. Die Räuber schienen Rat zu halten, denn die zu ihrem Empfange getroffenen Inrüstungen waren ihnen natürlich nicht entgangen. Endlich näherte sich einer, dessen Gesicht mit Pulver geschwärzt war, mit einem weißen Tuch auf dem Karabiner und verlangte mit dem Obersten Mannering zu sprechen. Zu meinem unsäglichen Schreck machte mein Vater das Fenster auf, vor welchem ich stand, und fragte, was man von ihm wolle ..

»Unser Gut wollen wir, das uns die Schnapphähne von Zollwächtern geraubt haben,« lautete die Antwort. »Unser Leutnant läßt Euch melden, daß wir abziehen wollen, sobald uns alles Gut wieder ausgefolgt wird, und daß wir den Schurken dann nicht an den Kragen gehen werden, die so frech waren, es uns abzunehmen .. daß wir aber, falls unserm Willen nicht Folge geleistet wird, dem Obersten den roten Hahn aufs Dach setzen und nichts drinnen schonen werden, bis auf den letzten Blutstropfen!«

Die Drohung war mit entsetzlichen Flüchen begleitet.

»Wer ist Euer Leutnant?« fragte mein Vater.

»Der dort auf dem Grauschimmel, mit dem roten Tuch um den Kopf,« erwiderte der Kerl.

»Nun, dann sagt ihm,« rief mein Vater mit lauter Stimme, »wenn er und die Schurken, die bei ihm sind, nicht auf der Stelle den Platz räumen, so lasse ich Feuer geben!«

Mit diesen Worten schlug er das Fenster zu.

Kaum war der Bote wieder zu dem Haufen zurückgekehrt, als alle unter wildem Geheul ihre Gewehre gegen das Haus abfeuerten. Klirrend Prasselten die Scheiben aus den Fenstern: aber die von meinem Vater angeordneten Schutzmaßregeln bewährten sich, und es wurde niemand von einer Kugel getroffen. Dreimal schossen die Belagerer, ohne daß auch nur ein Schuß aus dem Hause auf sie fiel. Als aber mein Vater nun wahrnahm, daß die Belagerer zu Beilen und Brechstangen griffen in der offenkundigen Absicht, das Haustür zu erbrechen, kommandierte er laut: »Keiner feuert, außer mir und Hazlewood! Sie, Hazlewood, nehmen den Botschafter aufs Korn!«

Von seiner Kugel getroffen, fiel im andern Augenblicke der Mann, den sein Kamerad als den Leutnant bezeichnet hatte, von seinem Schimmel, und Hazlewood erwies sich als ebenso tüchtiger Schütze, denn der Schmuggler, der inzwischen abgestiegen war und sich mit der Axt in der Hand heranschlich, stürzte ebenfalls. Infolge dieser kräftigen Gegenwehr sank den anderen der Mut: sie rannten zu ihren Pferden, gaben wohl noch ein paar Schüsse ab, dann jedoch Fersengeld, nahmen aber ihre beiden angeschossenen Gefährten mit. Ob sie noch größeren Verlust erlitten, konnten wir nicht feststellen. Gleich nach ihrer Flucht erschien zu unsrer großen Freude ein Kommando Soldaten, das in die benachbarten Dörfer gelegt wurde. Eine Abteilung geleitete die Zollwächter mit dem konfiszierten Schmugglergute nach einem kleinen Hafenorte in der Nähe, und auf meine dringliche Bitte blieb eine andere Abteilung bis zum folgenden Tage bei uns im Hause, um uns vor etwaiger Rache der Schmuggler zu schützen.

»Dies war die erste wirkliche Angst, liebe Mathilde, die ich in meinem Leben ausgestanden habe. Fast hätte ich vergessen, Dir zu sagen, daß die Räuber den Kerl mit dem geschwärzten Gesicht auf der Landstraße vor einer Hütte zurückgelassen haben, wahrscheinlich weil er nicht weiter transportabel gewesen ist. In der andern halben Stunde hat derselbe seinen Geist aufgegeben. Bei der Leichenschau wurde festgestellt, daß es ein Bauer aus der Umgegend war, der als Schleichhändler schon lange im schlimmsten Rufe gestanden. Von den benachbarten Familien laufen fortwährend Gratulationen zu der glücklichen Abweisung des Ueberfalles ein, und allgemein herrscht die Meinung, daß wir uns auf das mannhafteste gewehrt hätten. Mein Vater hat unter das Dienstvolk Prämien ausgeteilt und Hazlewood für den bewiesenen Mut außerordentlich gelobt; auch Lucy und ich haben ein paar beifällige Worte aus seinem Munde vernommen, weil wir die Situation weder durch Geschrei noch durch Widerspruch erschwert hätten. Mit Magister Sampson wollte mein Vater die Tabaksdosen austauschen. Der brave Mensch sträubte sich erst dagegen, war aber nachher höchst erfreut über solches Ansinnen und fand der Worte gar nicht genug, die Schönheit seiner neuen Dose zu preisen, die ganz so aussähe, sagte er – »ko-misch, ko-misch!« – wie echtes Gold aus Ophir. Es wäre nun allerdings merkwürdig gewesen, wenn sie nicht so ausgesehen hätte, denn sie war von Gold; aber um dem ehrlichen Tolpatsch Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, so glaube ich, daß er, wenn er den wahren Wert der Dose gekannt hätte, seiner Dankbarkeit gegen meines Vaters Edelsinn auch keinen schärferen Ausdruck hätte geben können, als jetzt, da er nicht anders meinte, als sie sei aus Tombak und nur vergoldet ... Viel Arbeit und Mühe hat es ihm heut bereitet, die Folianten, die als Schanzkörbe oder Bollwerke gebraucht wurden, wieder an ihren Platz zurückzuschaffen; er wird wohl auch manche Ecke haben gerade biegen und manches Eselsohr glatt streichen müssen. Ja er hat uns sogar ein Paar Kugeln gezeigt, die er aus den Büchern gezogen hatte, und wäre es mir wohler zu mute, so könnte ich Dir eine gar lustige Geschichte erzählen von dem Eifer und Staunen, das dieser »Held des Tages« an den Tag gelegt und mit welcher Bravour er uns von den Wunden erzählt hat, die sich ein Thomas von Aquino und andere Heilige in andern harten Kämpfen geholt! ...Aber ich habe zu scherzen jetzt keine Lust und will Dir lieber eine andere Sache erzählen, die ich noch in petto habe und die Deine Teilnahme wohl mehr in Anspruch nehmen dürfte. Doch nicht gleich; denn ich bin so erschöpft von meiner heutigen Mühsal, daß ich erst morgen fortfahren kann ... Ich will aber den Brief, um Dir keine Sorge zu bereiten, nicht eher abschicken, als bis ich meine Nachschrift fertig habe ...«

 

Ich nehme, meine teuerste Freundin, den Faden meines gestrigen Berichtes wieder auf ...

»Von der ausgestandenen Belagerung war natürlich mehrere Tage lang ausführlich die Rede, und allerhand Weiterungen wurden nicht minder daraus erwartet: wir machten deshalb meinem Vater den Vorschlag, eine Tour nach Edinburg zu unternehmen, oder eventuell wenigstens bis nach Dumfries: um den Schleichhändlern Zeit zur Beruhigung zu gönnen; mein Vater jedoch will nichts davon wissen, er meint nämlich, daß der Empfang, den die Schurken gefunden, sie kaum zu einem zweiten Besuche animieren dürfte; daß aber anderseits, wenn er durch Entfernung Furcht zeige, leicht das Gegenteil eintreten konnte; jedenfalls käme es ihm niemals in den Sinn, das ihm anvertraute Haus und Eigentum widerstandslos Bösewichtern in die Hände fallen oder gar die Seinigen ohne seinen Schutz und Beistand zu lassen. Durch solche Worte ermutigt, gewannen auch wir unsere Ruhe wieder und nahmen unsere früheren Spaziergange wieder auf; doch mußten auf Befehl meines Vaters die Männer zuweilen die Flinten mitnehmen, und es entging mir auch nicht, daß mein Vater nachts manchmal recht besorgt war und dem Dienstvolk untersagte, sich anders, als mit Waffen über dem Bette, schlafen zu legen.

»Drei Tage später aber trug sich ein Vorfall zu, der mich in weit größere Angst und Unruhe versetzte, als der Angriff der Schleichhändler auf unser Haus. Ich habe Dir schon gesagt, daß nicht weit von Woodbourne ein kleiner See liegt, wo mein Vater und Hazlewood zuweilen auf Wildenten jagen. Beim Frühstück gab ich dem Wunsche Ausdruck, eine Partie dorthin zu unternehmen, um uns die Schlittschuhläufer anzusehen, die jetzt dort ihrem gesunden Sport obliegen. Der verschneite Boden war fest gefroren und von den Schaulustigen, die täglich zum See hinauswanderten, ein so fester Pfad getreten worden, daß Lucy und ich keinerlei Bedenken trugen, uns bis zum See hinaus zu wagen, Hazlewood erbot sich, uns mit seiner Büchse zu begleiten; zuerst lachte er über unsere Aengstlichkeit, aber um uns zu beruhigen, gab er einem Reitknecht, der auch zuweilen den Wildhüter macht, – da er sich selbst nicht damit beschweren wollte, – den Befehl, ihm mit der Flinte zu folgen.

»Mein Vater, der alles Menschengedränge und Schaugepränge haßt, solches soldatischer Natur ausgenommen, hatte keine Lust, sich an dem kleinen Ausfluge zu beteiligen.

»Wir brachen in aller Frühe auf. Es war ein frischer, schöner Morgen, und wir fühlten uns bald durch den Genuß der reinen Winterluft wunderbar gestärkt. Der Weg zum See bot allerhand Reiz, und die kleinen Strapazen, die wir dabei überwinden mußten, waren so recht danach beschaffen, uns in lustige Stimmung zu versetzen; galt es doch, hin und wieder einen glatten Hang hinunterzurutschen oder über einen gefrorenen Graben zu springen, und mancherlei solche Dinge mehr, die uns Hazlewoods Beistand unentbehrlich machten; und daß dieselben Lucy den Weg etwa nicht angenehm hätten, möchte ich keinesfalls Dir vorschwatzen.

»Der See bot einen allerliebsten Anblick: auf der einen Seite wird er von einem steilen Felsen begrenzt, von welchem tausend und abertausend Eiszapfen, oft von erstaunlicher Größe und wie Kristall im Sonnenscheine glitzernd, herniederhingen; auf der andern Seite stand ein Fichtenwäldchen, dessen dunkle, mit Schnee beladene Wipfel ein höchst pittoreskes Bild zeigten. Ueber die gefrorene Fläche hin flogen zahllose Gestalten; die einen flink und behend, wie Schwalben, die andern lustig im Kreise sich drehend, noch andere eifrig um die für allerhand winterliche Spiele ausgesetzten Preise ringend.

»Wir gingen um den See herum; Hazlewood führte uns, unterhielt sich aufs freundlichste mit alt und jung und schien überhaupt recht beliebt unter dem Volke zu sein. Endlich dachten wir an die Heimkehr.

»Warum erzähle ich Dir all diese Kleinigkeiten so ausführlich? Nein, sicherlich nicht deshalb, weil ich mir einbilde, daß sie Dich jetzt sonderlich interessieren könnten, sondern nur, weil ich, dem Ertrinkenden ähnlich, der nach dem schwanken Zweige greift, alles wahrzunehmen suchte, was mich in die Möglichkeit setzt, den nun folgenden grausigen Abschnitt meiner Schilderung aufzuschieben. Aber ich muß es Dir erzählen; muß es in dieser Form erzählen; denn für das herzzerreißende Unglück muß ich wenigstens bei einem freundlichen Wesen Mitgefühl zu wecken suchen.

»Wir gingen auf dem Fußpfade weiter, der durch ein junges Föhrendickicht lief. Lucy hatte Hazlewoods Arm losgelassen, denn sie will Beistand von ihm bloß in den dringendsten Fällen in Anspruch nehmen. Ich aber hing noch an seinem Arme. Lucy ging dicht hinter uns, und der Reitknecht mochte etwa drei Schritte noch weiter hinter uns sein. Jetzt machte der Pfad eine jähe Biegung ... und da stand auf einmal, wie aus der Erde emporgewachsen, Brown vor uns. Er war sehr schlicht, ja ich muß sagen, fast ordinär gekleidet, und in seinem ganzen Wesen lag eine gewisse Wildheit oder Verstörtheit. Ich schrie laut auf, halb verdutzt, halb erschreckt; Hazlewood mißverstand, was mich erregte; und da Brown sich auf mich zu bewegte, als ob er mit mir sprechen wollte, herrschte Hazlewood ihn an, er solle den Weg frei geben und mich nicht in Unruhe setzen ... Brown gab eine nicht minder stolze, ja heftige Antwort: er brauche keine Belehrung über den Umgang mit Damen, am wenigsten von einem so jungen Menschen ... Ich bin ganz entschieden der Meinung, daß Hazlewood der Meinung war, in dem ihm unbekannten Manne einen Genossen der Schleichhändler vor sich zu haben, den böse Absicht hierher geführt. Er riß dem Reitknecht, der inzwischen dicht zu uns herangetreten war, die Flinte aus der Hand, legte sie auf Brown an und befahl ihm noch einmal kurz, den Weg freizugeben, widrigenfalls er ihn niederschießen wolle wie einen Hund ... Brown, sich also bedroht sehend, sprang auf Hazlewood zu und rang mit ihm. Ich stieß einen Schrei des Entsetzens aus, der das unglückliche Ereignis noch beschleunigte. Brown hatte Hazlewood fast schon die Waffe entwunden, als der Schuß losging und Hazlewood an der Schulter blessierte. Auf der Stelle brach der arme Mensch zusammen. Ich sah nichts mehr, hörte nichts mehr, sondern schwankte ohnmächtig zurück. Wie Lucy mir nachher erzählt hat, blickte der unglückliche Brown einen Augenblick aus das entsetzliche Schauspiel, bis ihr furchtbares Geschrei Leute vom See herbeilockte. Brown sprang über einen Zaun, der den Pfad von dem Dickicht trennte; seitdem ist nichts mehr von ihm zu hören gewesen. Der Reitknecht machte keinen Versuch, ihn fest- oder auch nur aufzuhalten; was er den herbeistürzenden Leuten von ihm erzählte, bestimmte dieselben auch mehr, sich um mich zu bemühen, als hinter einem Flüchtlinge herzusetzen, der nach der vom Knechte gegebenen Schilderung ein Mensch von furchtbarer Stärke und bis an die Zähne bewaffnet sein sollte. »Hazlewood wurde nach Woodbourne gebracht. Ich glaube, seine Wunde ist in keiner Hinsicht gefährlich, aber er hat große Schmerzen auszustehen. Für Brown dagegen müssen die Folgen höchst schwerer, wenn nicht ganz unglücklicher Natur sein: ist doch mein Vater ohnehin schon mehr denn erbittert auf ihn, und droht ihm doch größere Gefahr noch durch die Verfolgung der Behörde und die Rache des alten Hazlewood, der alles in Bewegung setzen will, den Täter zu entdecken. Wie wird es Brown möglich sein, solcher Rachgier zu entgehen? Wie wird er, wenn er gefangen wird, sich gegen die Strenge des Gesetzes verteidigen? Steht ja doch, wie ich höre, sogar sein Leben dadurch in Gefahr! Lucys maßloser Kummer über die dem Geliebten zugefügte Verwundung geht mir ebenfalls tief zu Herzen, Wie konnte aber Brown sich durch sein Ungestüm zu solcher Unbesonnenheit hinreißen lassen!

»Ich war zwei Tage lang recht krank. Aber Hazlewood befindet sich wieder auf dem Wege der Besserung. Von Brown hat sich nirgendwo eine Spur gefunden, und alles glaubt, daß er zu den Schleichhändlern gehöre. Dies beides leiht mir einigen Trost. Brown wird die Flucht um so leichter sein, als sich der Verdacht auf jene Bösewichter gelenkt hat, und hoffentlich befindet er sich bereits in Sicherheit.

»Den besten Trost gibt mir Hazlewoods edelsinnige Aufrichtigkeit. Er bleibt bei der Erklärung, daß die Flinte, in welcher Absicht uns auch der unbekannte Mensch in den Weg getreten sei, während des Ringens sich zufällig entladen habe. Der Reitknecht hingegen behauptet, daß die Flinte Hazlewood aus der Hand gewunden und vorsätzlich auf ihn gerichtet worden sei. Auch Lucy neigt zu dieser Auffassung. Daß diese beiden die Situation absichtlich fälschen wollen, glaube ich nicht; aber man sieht hieraus, wie armselig es um Zeugnis aus menschlichem Munde bestellt ist ... Ich kann die Situation unmöglich anders auffassen, als daß der Schuß zufällig, ohne jede Absicht von seiten Hazlewoods Gegners gefallen ist ... Vielleicht wäre es das beste, wenn ich Hazlewood mein Geheimnis offenbarte? Aber er ist doch noch gar so jung, und es ist mir nicht möglich, die Abneigung zu überwinden, die ich davor habe, ihm meine Torheit zu bekennen. Neulich wollte ich Lucy das Geheimnis offenbaren; ich fragte sie, ob sie sich der Gestalt und Gesichtszüge des Mannes noch entsänne, der uns in den Weg gekommen sei; aber sie gab von diesem »Buschklepper«, wie sie ihn nannte, eine so greuliche Schilderung, daß mir aller Mut und alle Lust vergingen, ihr meine Zuneigung zu ihm zu gestehen. »Wahrlich! Lucy hat sich von ihrem Vorurteil ganz eigentümlich blenden und von ihrem Mitleid für den Geliebten vollständig irreführen lassen; denn es gibt wohl nur wenig schönere Männer als gerade Brown.

»Ich hatte ihn lange nicht gesehen; aber selbst ein plötzliches Auftauchen und seine durchaus unvorteilhafte Erscheinung hat seiner Schönheit keinerlei Eintrag tun können – ja, ich möchte fast sagen, seine Züge seien noch edler, noch männlicher geworden. Werde ich ihn je im Leben wiedersehen? Ach, wer kann es sagen? Schreibe mir bald, recht bald, und schreib' recht freundlich! Doch, wann schriebst Du mir je anders? Aber glaube mir, teuerste Freundin! Ich bin nicht in der Stimmung, Rat oder Tadel annehmen zu können; ich bin nicht kräftig, nicht mutig genug dazu, sie mit einem Scherze von mir zu weisen! Ich komme mir vor wie ein Kind, das in gedankenloser Spielerei eine Maschine in Gang gesetzt hat und nun über die schreckliche Kraft der rollenden Räder und rasselnden Ketten, die es mit seiner schwachen Hand in Bewegung gesetzt, wohl erstaunt und erschrocken ist, – das vor den schweren Folgen, die dadurch entstehen können, wenn nicht müssen, wohl angstvoll zurückbebt, aber kein Glied rühren kann, sie abzustellen ...

»Mein Vater ist, wie ich nicht vergessen darf, Dir zu sagen, gegen mich sehr gütig und liebevoll; die Angst, die ich ausgestanden, entschuldigt hinlänglich die Klagen über Nervenschwäche, die über meine Lippen kommen; einzig und allein die Hoffnung hält mich aufrecht, daß Brown in England oder vielleicht in Irland, wenn nicht gar auf der Insel Man, eine sichere Zuflucht gefunden haben möchte; in beiden oder, wenn Du willst, allen drei Fällen wird er den Ausgang der Krankheit mit Sicherheit und in Ruhe abwarten können, denn die Verbindung Schottlands mit beiden Ländern in Dingen der Rechtspflege ist – in diesem Falle sage ich, Gott sei Dank! – ziemlich loser Natur ... Ach! schrecklich müßten die Folgen sein, wenn man Brown jetzt ergriffe! Gegen die Möglichkeit solches Unglücks suche ich mein Gemüt auf alle Weise zu wappnen ... O, teure Freundin! wie rasch ist Herzeleid und Kummer in meine einförmige, ruhige Lebensweise gedrungen – aber nicht länger will ich Dich mit Klagen peinigen ... Lebe wohl, teure Mathilde!

Deine Julie Mannering.«

Ende des ersten Bandes.


 << zurück