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Fünftes Kapitel.

Als das Boot den Hauptmann an Bord gebracht hatte, wurden die Segel aufgezogen, und das Schiff begann die Fahrt. Es grüßte mit drei Schüssen die Burg Ellangowan, und ein günstiger Landwind trieb es schnell von der Küste.

»Ei, seht doch!« rief der Burgherr seinem Gaste zu, den er schon einige Zeit gesucht hatte: »Da fahren sie hin, die Schleichhändler! Das ist Hauptmann Dirk Hatteraick mit seiner Jungfer Hagenslaapen; halb Holländer, halb Teufel, Wie das geht, mit Bugspriet, großen Schoten, Mars und Bramsegel! – Ihm nach, wer's kann! Der Kerl ist ein Schrecken aller Zollschiffe; sie können ihm nichts anhaben, so pfiffig weiß er ihnen zu entkommen. Doch bei dem Zoll fällt mir ein, daß ich Sie zum Frühstücke holen wollte, – Sie sollen einen Tee trinken, der –«

Mannering bemerkte, daß sich bei Bertram die Gedanken seltsam zu verketten begannen, und brachte ihn durch eine Frage über Dirk Hatteraick noch zur rechten Zeit wieder auf den Punkt, von dem der gute Mann ausgegangen war.

»O, er ist – ein gutes Menschenkind,« antwortete Bertram; »ein Schleichhändler, wenn er seine Kanonen als Ballast braucht, und ein Freibeuter, oder auch gar wohl ein Seeräuber, wenn sie geladen sind.«

»Aber es wundert mich, Herr Bertram, daß ein solcher Mensch hier Schutz und Aufmunterung findet.«

»Aber, lieber Herr Mannering, jedermann braucht Branntwein und Tee, und man kann's nicht anders haben, als auf diese Art. Da gibt's kurze Rechnungen, und zu Weihnachten findet man wohl ein Paar Fäßchen, oder ein Dutzend Pfund Tee vor der Stalltür, statt der verwünschten langen Rechnungen, die der Krämer schickt, der bares Geld braucht oder nur kurze Zeit borgt. Aber Hatteraick nimmt Holz oder Gerste oder was er sonst gerade brauchen kann. Ich will Ihnen eine hübsche Geschichte davon erzählen. Es war einmal ein Gutsherr, der hatte eine große Menge von Zinshühnern – wie hierzulande der Gutsherr von den Pächtern erhält, – Die meinigen sind immer schlecht gefüttert; die Pächtersfrau Finniston schickte vorige Woche drei; schändliches Zeug, sag' ich Ihnen, und sie hat doch eine ganz fette Aussaat – es ist die Frau von Dunean Finniston, der kürzlich gestorben ist – wie wir denn freilich alle sterben müssen. – Doch vom Sterben sprechen? jetzt wollen wir leben, denn das Frühstück steht auf dem Tisch, und der Magister ist schon bereit, das Gebet zu sprechen.«

Sampson sprach den Segen, die längste Rede, die Mannering bislang von ihm gehört hatte. Der Tee, der ohne Zweifel aus des edlen Hauptmannes Vorräten gekommen war, wurde für vortrefflich gefunden, doch gab Mannering mit gebührender Bescheidenheit einen Wink über die Gefahr, solchen Desperados des Geschäft zu erleichtern ... »Wäre es auch nur,« meinte er, »um der Zollgerechtigkeit keinen Eintrag zu tun.«

»Ja,, die Zollbeamten,« fiel Bertram ein, der, da ihm die Fähigkeit abging, sich in eine Materie hineinzudenken, vom Zollwesen weiter nichts als Einnehmer, Aufseher und Zollbereiter kannte – »die Zollbeamten wissen's für sich schon zu machen. Niemand braucht ihnen zu helfen, und sie haben ja auch Soldaten zum Beistande. Und was die Gerechtigkeit betrifft, damit habe ich gar nichts zu tun, und es wird Sie wundern, Herr Mannering, ich bin nicht einmal Friedensrichter.« Mannering antwortete mit dem verwunderten Blicke, auf den der andere gerechnet, obgleich er der Meinung war, daß das Friedensrichterkollegium durch die Abwesenheit dieses freundlichen Mannes keine Einbuße erlitte. Herr Bertram war aber nun auf einen der wenigen Gegenstände gekommen, die ihm nahe gingen, und ließ sich mit einigem Nachdruck aus.

»Nein, lieber Herr,« fuhr er fort, »der Name Godfrey Bertram von Ellangowan ist nicht unter den neuernannten Friedensrichtern, obgleich hier jeder, der nur für ein Pferd Land zu pflügen hat, zu den Gerichtssitzungen reitet und das Wort Friedensrichter hinter seinen Namen setzen kann ...«

Von einem aufs andere überspringend, verlor er sich in eine weitschweifige Erörterung wie dieser und jener durch Neid oder Nörgelei ihn um die Auszeichnung gebracht, und durch welche Vor- und Zufälle, diese feindselige Stimmung gegen ihn geweckt und genährt worden war.

»Es ist gewiß nicht recht, Herr Bertram,« antwortete Mannering, »daß Ihnen solche Rücksichtslosigkeit widerfährt in einem Lande, wo Ihre Vorfahren wohl in recht hohem Ansehen gestanden haben.«

»Allerdings, Herr Mannering. Ich bin ein schlichter Mann und weiß wenig von solchen Dingen, aber ich wollte, Sie hätten hören können, wie mein Vater von den alten Gefechten der Helden von Mac-Dingawaie mit den Irländern und Hochländern erzählte und von den Zügen ins heilige Land, ich meine nach Jerusalem und Jericho. Sie haben Reliquien mitgebracht, wie man sie bei den Katholischen antrifft, auch eine Türken-Fahne, die oben auf dem Boden liegt. Sie hätten besser getan, wenn sie nach Jamaika gegangen wären, wie Herrn Thomas Kittlecourts Oheim, und Kisten mit Rohzucker und Fässer mit Rum heimgebracht hätten, dann befänden wir uns jetzt wohl. – Aber Sie vergessen ja ganz Ihr Frühstück, Herr Mannering! Kosten Sie doch von diesem Salme; John Hey hat ihn gefangen, es sind Sonnabend gerade drei Wochen.«

Der gute Mann fiel jetzt wieder in seine gewöhnliche schleppende Unterhaltung, und Mannering hatte Zeit genug, über die Nachteile der Lage, die ihm eine Stunde früher so beneidenswert geschienen, seine Betrachtungen zu machen. Er hörte hier einen Landedelmann, dessen schätzbare Eigenschaft stille Gutmütigkeit zu sein schien, gegen andere murren, und zwar über Dinge, die, mit wahrem Herzeleid im Leben verglichen, gar nicht in Betracht kommen konnten. Aber so teilt die Vorsehung allen mit gleicher Gerechtigkeit zu, und diejenigen, denen große Leiden nicht drohen, haben kleine Plackereien zu tragen, die ihnen aber bedeutend genug dünken, sich den Frohsinn stören zu lassen.

Neugierig, die Sitten des Landes zu erforschen, benutzte Mannering eine Pause in Bertrams Erzählungen zu der Frage, was Hauptmann Hatteraick wohl mit der Zigeunerin zu schaffen habe.

»Vermutlich will sie sein Schiff segnen. Sie müssen wissen, Herr Mannering, diese Freihändler oder Schmuggler, wie die Herren von der Gerechtigkeit sie nennen, haben keine Religion; lauter Aberglauben, nichts als Hexenwerk, und Zaubersprüche und Unsinn –«

»Torheit und Schlimmeres!« fiel Sampson ein. »Verkehr mit dem Bösen! Zaubersprüche, Amulette, Wahrsagerei, alles kommt von ihm.«

»Seid doch ruhig, Magister! Ihr sprecht ja immer« – der gute Mann hatte seit dem Gebete den Mund noch nicht geöffnet – »Herr Mannering kann ja vor Euch gar nicht zu Worte kommen. Aber, Herr Mannering, bei Sternseherei und Zaubersprüchen fällt mir ein, waren Sie denn so gütig, an die Dinge zu denken, von denen wir gestern abend gesprochen?«

»Ich möchte fast, lieber Herr Bertram, mit Ihrem würdigen Freunde glauben, daß ich mit – Messern gespielt habe. Weder Sie noch ich, noch sonst irgend ein verständiger Mann kann den Vorhersagungen der Sterndeutern Glauben beimessen, aber es hat sich zuweilen wohl zugetragen, daß Nachforschungen über die Zukunft, die im Scherze angestellt wurden, einen sehr ernsthaften und nachteiligen Einfluß auf Handlungsweise sowohl als auf Gemütsart gehabt haben; darum wünsche ich in der Tat, Sie möchten mir die Antwort auf Ihre Frage erlassen.«

Dieser ausweichende Bescheid reizte Bertrams Neugierde noch mehr. Mannering dagegen wollte das Kind vor den Nachteilen, die ihm aus der Voraussetzung, daß sich ihm unglückliche Weissagungen in die Fersen hingen, entspringen konnten, behüten und übergab darum seinem Wirte das Papier mit der Bitte, das Siegel fünf Jahre lang, bis nach Ablauf des Monats November, unversehrt zu lassen. Nach Verfluß dieser Zeit sollte ihm gestattet sein, die geheimnisvolle Schrift zu öffnen. Hierbei leitete ihn die Meinung, daß, wenn der erste Unglückstermin vorüber sei, den beiden andern niemand mehr Bedeutung beimessen werde. Bertram versprach es gern, und um ihn zum Worthalten zu vermögen, deutete Mannering auf Unglück, das unfehlbar eintreffen müßte, wenn seine Weissagungen nicht befolgt werden sollten. Der übrige Teil des Tages, den Mannering auf Bertrams Einladung noch im Schlosse blieb, verfloß ohne einen merkwürdigen Vorfall, und am Morgen des folgenden ließ unser Reisender sein Pferd satteln, nahm herzlichen Abschied von seinem gastfreien Wirte und seinem geistlichen Hausfreunde, wiederholte seine guten Wünsche für das Glück des ganzen Hauses, und als er die Straße nach England eingeschlagen, entschwand er bald den Blicken der Bewohner von Ellangowan. Auch unsern Blicken wird er einstweilen entschwinden, bis wir in der spätern Zeit seines Lebens, in die unsere Geschichte fällt, ihm wieder begegnen werden.


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