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Sechstes Kapitel.

Als Frau Bertram wieder so weit genesen war, daß man ihr erzählen konnte, was sich während ihrer Niederkunft ereignet hatte, wollte in der Wochenstube das Geschwätz über den hübschen jungen Studenten von Oxford, der das Glück des Stammerben aus den Sternen gelesen haben sollte, kein Ende nehmen; Gestalt, Sprache, Benehmen des Fremden wurden sorgfältig zergliedert und Pferd, Saum, Sattel und Steigbügel haarklein beschrieben. Alles machte auf das Gemüt der guten Frau, die ziemlich abergläubisch war, tiefen Eindruck.

Sobald sie das Bett verlassen, ließ sie es sich nicht nehmen, ein kleines Beutelchen von Sammet für das Horoskop zu stricken, das ihr Mann ihr übergeben hatte. Es juckte ihr oft in den Fingern, das Siegel zu lösen, aber ihre Leichtgläubigkeit war stärker als ihre Neugier, und sie besaß Selbstbeherrschung genug, das Papier in zwei Pergamentstreifen zu nähen, damit es nicht zerknittert werden könnte. Dann wurde es in das oben erwähnte Sammetbeutelchen gesteckt und dem Kinde als Amulett um den Hals gehängt, wo es nach der Mutter Willen hängen sollte, bis die Zeit, es zu öffnen, gekommen sei.

Der Vater nahm sich seinerseits vor, dem Kinde die beste Erziehung zu geben; Herr Sampson ließ sich bestimmen, sein Schulmeisteramt aufzugeben und seinen Wohnsitz im Schlosse zu nehmen, um gegen einen Lohn, womit ein Dienstbote kaum zufrieden gewesen, dem künftigen Herrn von Ellangowan Gelehrsamkeit einzuimpfen; Herr Bertram fand bei dieser Einrichtung noch den Nebenvorteil, jemand um sich zu haben, der ihm, allein mit ihm, geduldig zuhörte, und auf dessen Kosten, wenn er Gäste bei sich hatte, er einen Spaß machen konnte.

Ungefähr vier Jahre nach dieser Zeit entstand eine lebhafte Bewegung in der Grafschaft, zu der Ellangowan gehört. Ein neues Ministerium war ans Ruder gekommen, und nach der darauf erfolgten Auflösung des Parlaments wurde zu neuen Wahlen geschritten, Thomas Kittlecourt, dessen glückliche Lage Herrn von Ellangowan schon lange ein Dorn im Auge war, warb wieder um Stimmen; die Freunde der neuen Machthaber hatten schon ihre Blicke auf einen andern Mann geworfen, der die besten Hunde und Jäger in der Grafschaft hatte. Zu denen, die sich zu der Fahne der Neuerer hielten, gehörte auch Gilbert Glossin, der Verwalter des Burgherrn von Ellangowan, der über eine, auf Ellangowanschem Gebiete ruhende Stimme verfügte und entschlossen war, seinem Gönner auch eine solche zu verschaffen, da kein Zweifel obwalten konnte, auf welche Seite der Burgherr sich schlagen werde, und er wußte ihrer so viele Stimmen auf die einst so mächtige Herrschaft Ellangowan zu ziehen, daß er über zehn Stimmführer zu gebieten hatte. Diese Verstärkung entschied den Kampf. Der Burgherr und sein Verwalter teilten die Ehre, aber der eigentliche Profit fiel dem letztern zu. Bertram wurde bald nach dem Zusammentritt des neuen Parlaments Friedensrichter. Sein Ehrgeiz hatte nun das höchste Ziel erreicht, denn wenn auch das Amt seine Bürde brachte, war er doch der Meinung, daß es ihm auch Würde gab, die nur boshafte Mißgunst nicht achten konnte. »Toren muß man kein Gewehr in die Hand geben,« sagt ein altes schottisches Sprichwort, und in der Tat war Bertram kaum im Besitze der richterlichen Gewalt, nach der er sich so sehr gesehnt hatte, als er sie auch mit Strenge ausübte und die günstige Meinung, die man von seiner Gutmütigkeit hegte, gänzlich Lügen strafte. Ohne Erbarmen ging er gegen die Gauner und Spitzbuben vor, die seit einem halben Jahrhundert ungestört seine Nachbarn gewesen, und flugs lernte nun mancher Lahme wieder gehen, mancher Blinde sehen, mancher Sieche arbeiten. Allbekannte Bettler, die seit zwanzig Jahren ihre regelmäßigen Bittgänge durch die Nachbarschaft machten, wurden ins nächste Arbeitshaus geschickt, und gleiches Schicksal fand ein altes, hinfälliges Mütterchen, das sich auf einer Trage von Haus zu Haus hatte schleppen lassen. Der »taube Hans,« ein Mittelding von Schelmerei und Blödsinn, der seit beinahe fünfzig Jahren der Dorfjugend zum Zeitvertreib gedient, mußte ins Zuchthaus wandern, wo er, der frischen Luft entbehrend, in knapp einem halben Jahre hinsiechte und starb; und ein alter Seemann, der seit vielen Jahren das Gesinde in allen Küchen durch seine muntern Matrosenlieder ergötzt hatte, wurde darum des Landes verwiesen, weil er Irländisch reden sollte.

Alle diese Dinge blieben nicht unbemerkt, sondern brachten den Burgherrn von Ellangowan in um so bösern Ruf, als er vordem beliebt gewesen war, ...»Wie konnte er den Armen so hartherzig mitspielen! Sein Großvater hieß der böse Gutsherr, und es war nicht viel an ihm; er ging mit schlechten Leuten um und hatte sich dem Trunk ergeben; aber so etwas hätte er doch um alles in der Welt nicht getan. Nein, nein, zu seiner Zeit rauchte die Esse im alten Schlosse wie ein Schmelzofen, und es waren so viele arme Leute im Hofe und vor der Tür, die den Abhub verspeisten, als nette Leute im Speisesaal. Und so oft Weihnachten kam, gab seine Hausfrau jedem Armen zwölf Silberlinge, zu Ehren der Apostel.«

So ging die Rede beim Kruge Dünnbier in jeder Schenke drei bis vier Meilen um Ellangowan, denn soweit ungefähr reichte der Kreis, in welchem unser Freund, der Friedensrichter Bertram, als erstes Licht glänzte. Noch mehr aber kamen die bösen Zungen in Gang, als eine Horde von Zigeunern vertrieben wurde, die ihren Sitz auf dem Gebiete von Ellangowan hatte.


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