Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Der Glaube an Sterndeutung war fast allgemein in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, verfiel allmählich gegen Ende desselben und bekam im Anfange des achtzehnten überall bösen Leumund, wurde sogar allgemein verspottet. Noch immer hatte er jedoch, selbst in den Sitzen der Gelehrsamkeit, seine Anhänger. Ernste, bücherfleißige Männer gaben ungern die Berechnungen auf, die früher die Hauptgegenstände ihrer Forschungen gewesen waren, und sie hatten nicht Lust, von der Höhe hinabzusteigen, auf die sie das vermeinte Vermögen, durch Erforschung höherer Einflüsse und Verbindungen in die Zukunft zu blicken, vor andern Menschen gehoben hatte.

Zu denjenigen, welche dieses eingebildete Vorrecht mit bestem Glauben hoch hielten, gehörte ein alter Geistlicher, unter dessen Pflege Mannering in seiner Jugend stand. Er stumpfte seine Augen durch die Beobachtung der Gestirne ab und quälte seinen Verstand mit den Berechnungen über den gegenseitigen Stand der Himmelskörper. Dem Zöglinge wurde, von früher Jugend an, etwas von der Begeisterung des Lehrers zuteil, und er versuchte eine Zeitlang selbst, sich mit astrologischen Untersuchungen zu befassen, so daß ihm, ehe er sich von der Eitelkeit dieser Kunst überzeugt, mancher Meister das Lob eines trefflichen Jüngers erteilt hätte.

Sobald der Morgen angebrochen war, legte er Hand ans Werk, das Schicksal des Erben von Ellangowan zu erforschen. Er befolgte genau alle Kunstregeln, sowohl des Scheines wegen, als auch, weil er selber neugierig war, zu sehen, ob er in der eingebildeten Wissenschaft noch bewandert sei. Er teilte das Himmelsgewölbe in zwölf Häuser, stellte die Planeten darein und ordnete sie nach Stunde und Minute der Geburt. Bei dieser Beschäftigung zog ein Zeichen die Aufmerksamkeit unseres Sterndeuters besonders an. Mars, der im Gipfel des zwölften Hauses die Herrschaft hatte, drohte dem Neugebornen Gefangenschaft oder plötzlichen gewaltsamen Tod, und als Mannering die übrigen Kunstregeln zu Rate zog, um die Gewalt dieser bösen Vorbedeutung zu erforschen, ergab sich, daß vorzüglich drei Lebensabschnitte gefahrvoll sein würden, das fünfte, das zehnte und das einundzwanzigste Jahr.

Dabei überraschte ihn noch ein sonderbarer Umstand. Er hatte vor einiger Zeit, bei einer ähnlichen Anwandlung törichter Laune, seiner Geliebten, Sophie Wellwood, ebenfalls die Nativität gestellt und gefunden, daß der Einfluß der Gestirne ihr in dem neununddreißigsten Jahre Tod oder Gefangenschaft drohte. Sie war um diese Zeit achtzehn Jahre alt, so daß nach dem Ergebnisse der Berechnung, ihr in demselben Jahre eben das Unglück drohte, das dem in dieser Nacht geborenen Kinde geweissagt wurde. Erstaunt über dieses seltsame Zusammentreffen, wiederholte Mannering seine Berechnung, aber immer fand er das überraschende Ergebnis wieder, und endlich zeigte sich, daß sogar Monat und Tag zusammentrafen.

Niemand wird auf diesen Umstand großes Gewicht legen wollen, aber es geschieht ja so oft, daß wir, von dem Hange zum Wunderbaren verleitet, selbst bemüht sind, unsere bessere Einsicht zu verblenden. Mag das erwähnte Zusammentreffen wirklich einer von den sonderbaren Zufällen sein, die zuweilen gegen alle Berechnung sich ereignen, oder mag Mannering, verwirrt von den astrologischen Untersuchungen, zweimal demselben Faden gefolgt sein, um sich aus dem Irrgange zu finden; oder mag seine Einbildung, durch irgend eine scheinbare Ähnlichkeit getäuscht, ihm die Gleichheit beider Fälle auffallender gemacht haben, als sie in der Tat war – wer könnte es ausmitteln? Aber lebhaft und unauslöschlich war der Eindruck, den dieser Umstand auf sein Gemüt machte.

»Hat der Teufel seine Hand im Spiele, um sich zu rächen, daß wir mit einer Kunst scherzen, die ihren Ursprung aus der Hölle haben soll?« sprach er zu sich selbst, »Oder hätte etwa Bacon recht, wenn er mit andern behauptet, daß an verständig und regelmäßig angewandter Sterndeutung etwas Wahres ist, und daß man den Einfluß der Steine nicht leugnen soll, obgleich die Anwendung der Kunst durch die Betrüger, die damit ihr Unwesen treiben, in solchen Mißkredit gesetzt worden?« – Nach kurzem Nachdenken verwarf er jedoch diese Meinung als einen törichten Einfall, den jene verständigen Männer bloß darum ausgesprochen hätten, weil sie es nicht wagten, das allgemeine Vorurteil ihrer Zeit auf einmal anzugreifen, oder weil sie selbst noch nicht ganz frei von dem ansteckenden Einflüsse des herrschenden Aberglaubens waren. Die Wirkung, die der Erfolg seiner Untersuchungen auf sein Gemüt machte, war indes so erfreulich, daß er sich, wie Prospero, In Shakespeares Sturm vornahm, nie wieder, weder im Scherze noch im Ernste, sich mit der Sterndeutung abzugeben.

Er überlegte lange, was er dem Herrn von Ellangowan von dem Horoskop des Neugeborenen mitteilen sollte; endlich entschloß er sich jedoch, ihm alles offenherzig zu sagen, aber ihm zugleich die Trüglichkeit und Torheit der Regeln zu zeigen, die er bei seinen Untersuchungen befolgt hatte. Mit diesem Vorsatze stieg ei auf die Anhöhe vor dem alten Schlosse.

Nicht minder schön, als im Mondlichte, war die Umgebung von Ellangowan in der Beleuchtung der Morgensonne. Das Land lachte, selbst im November, in ihrem milden Scheine. Ein steiler Pfad führte von dem Erdenwall auf die benachbarte Anhöhe bis zur alten Burg. Sie bestand aus zwei starken, runden Türmen, die aus einer flachen Mauer, die sie verband, finster hervorsprangen und den weiten Eingang schützen, der durch einen hohen Schwibbogen in den innern Schloßhof führte, wo man noch die Falze für Fallgatter und Zugbrücke sah. Ein plumpes Tor von zusammengenagelten Föhrenstangen war jetzt die einzige Schutzwehr des einst so furchtbaren Einganges. Der Freiplatz vor der Burg bot eine herrliche Aussicht.

Die öde Gegend, wodurch Mannering am vorigen Tage seinen Weg genommen, war durch einige Anhöhen verdeckt, und die Landschaft, anmutig abwechselnd mit Tal und Hügeln, durchzog ein Fluß, der bald hervorblinkte, bald zwischen tiefen waldigen Ufern strömte. Eine Kirchturmspitze und einige Häuser bezeichneten die Lage eines Dorfes nicht weit von der Stelle, wo der Strom ins Meer sich ergoß. Die Täler schienen gut angebaut zu sein, und die Einfriedigungen, womit sie abgeteilt waren, liefen bald am Fuße der Hügel hin, bald stiegen sie in frischen Hecken zu den Anhöhen hinauf. Höher lagen üppig grünende Weiden, auf denen Hornvieh, zu jener Zeit Haupterzeugnis dieser Gegenden, die Landschaft belebte. Ernster erhoben sich die entfernteren Hügel und schwollen im tiefsten Hintergrunde zu dunklen Bergen empor, die, den Gesichtskreis abschneidend, die Grenze des angebauten Landes bezeichneten und den freundlichen Gedanken an eine stille Abgeschiedenheit erweckten. Die Seeküste, die Mannering jetzt in ihrer ganzen Ausdehnung erblickte, war mannigfaltig und schön, wie auch die Aussicht ins Binnenland. Hier und da erhob sie sich in hohen Felsen, häufig bedeckt mit den Türmen alter Burgen; Türmen, denen man der Sage zufolge, eine solche Lage gegeben, daß sie bei feindlichen Einfällen, oder in bürgerlichen Kriegen, zu gegenseitiger Verteidigung oder Beschützung durch Zeichen eine Verbindung unterhalten konnten. Das Schloß Ellangowan war die ansehnlichste dieser alten Burgen und bestätigte, was die Sage von dem Ansehen erzählte, das seine Gründer einst unter den Edlen des Landes genossen hatten. An andern Stellen gab die Küste einen anmutigen Anblick und war, wo das Ufer sanft sich senkte, in kleine Buchten zerschnitten oder streckte waldige Vorgebirge ins Meer.

Dieser Anblick übertraf so sehr die Erwartung, die die nächtliche Reise erweckt hatte, daß Mannering sich dem freundlichen Eindruck gern überließ. Zu seinen Füßen lag das neue Gebäude, freilich ein schlechtes Werk der Baukunst, aber die Lage war sonnig und anmutig. »Wie glücklich,« dachte er, »würde das Leben in dieser Abgeschiedenheit dahinfließen! Hier die hehren Ueberreste alter Größe und das geheime Gefühl von der Würde der Ahnen, das sie erwecken, und dort so viele Zierlichkeit und Gemächlichkeit, daß jeder bescheidene Wunsch Befriedigung finden könnte. Hier, und hier mit Dir, Sophie –«

Wir überlassen den Verliebten seinem wachen Traume. Er stand eine Minute mit untergeschlagenen Armen, bis er sich endlich zu den Burgtrümmern wandte.

Die rohe Pracht des innern Hofes glich dem großartigen Aeußeren. Auf der einen Seite lief eine Reihe hoher, breiter Fenster, durch ausgehauene Pfeiler abgeteilt, die einst die große Halle des Schlosses erleuchtet hatten; auf der andern zeigten sich Bauwerke, die zwar von ungleicher Höhe und aus verschiedenen Zeitaltern waren, aber doch ein gleichförmiges Ganzes bildeten. Türen und Fenster waren mit vorspringenden rohen Bildwerken verziert, die teils unversehrt, teils zertrümmert, teils mit Efeu und andern, üppig unter den Trümmern wachsenden Schlingpflanzen bedeckt waren. Die dem Eingange gegenüberliegende Seite des Hofes war ehedem auch durch eine Reihe von Gebäuden geschlossen gewesen, doch hatte dieser Teil der Burg durch das Geschütz während des Bürgerkrieges unter Cromwell, wie man sagte, so sehr gelitten, daß sich hier in den Trümmern eine weite Kluft öffnete, durch die Mannering das Meer und ein kleines bewaffnetes Fahrzeug in der Mitte der Bai erblickte. Als er in den Trümmern sich umsah, hörte er aus einem Gemache zur Linken die Stimme der Zigeunerin schallen, die er am vorigen Abende gesehen. Er fand bald eine Oeffnung, durch die er sie ungesehen beobachten konnte, und ihre Gestalt, ihre Beschäftigung und ihre rauhe Umgebung mußten ihn an eine alte Sibylle erinnern.

Sie saß auf einem zerbrochenen Eckstein im Winkel eines gepflasterten Gemachs, wo sie einen Platz für ihre kreisende Spindel reingefegt hatte. Ein heller Sonnenstrahl fiel durch ein hohes schmales Fenster auf ihre wilden Züge und ihren auffallenden Anzug, und gab ihr Licht zu der Arbeit. Tiefe Dämmerung war in dem übrigen Teil des Gemaches. Aus Wolle von dreierlei Farbe, schwarz, weiß und grau, zog sie einen Faden vom Rocken auf die Spindel und sang während des Spinnens einige Worte, die wie ein Zauberspruch klangen. Vergebens suchte Mannering die Worte des Gesanges aufzufassen, und machte dann nach einigen Stellen, die er deutlich verstanden, folgende Nachbildung, die er für ziemlich treu hielt:

Spinnt und drehet so wie hier,
Mischt im Lebensfaden schier
Hoffnung, Furcht und Fried und Streit
Freude sich und Traurigkeit.

Zauberfaden wird gesponnen,
Kindes Leben hat begonnen;
Schaut! in trüber Dämm'rung Schweigen
Seltsam sich Gestalten zeigen.

Wildes Treiben, eitler Wahn,
Freude, schnell der Pein voran;
Argwohn, Zweifelmut und Grau'n
Sind im Zaubertanz zu schau'n,

Wachsen jetzt und jetzt vergehen,
Kreisend mit der Spindel drehen.
Spinnt und drehet! so wie hier
Mischt sich Freud und Trübsal schier.

Ehe der Nachbildner seine Reime geordnet hatte, war die Zigeunerin mit ihrer Arbeit fertig oder ihre Wolle versponnen. Sie wickelte darauf die Spindel ab, indem sie den Faden um den Ellbogen wand und zwischen dem Zeigefinger und dem Daumen durchschlang, und, ihn messend, murmelte sie die Worte: »Eine Haspel, aber keine ganze – ein Schock Jahre und zehn, aber dreimal zerrissen und dreimal wieder angeknüpft – wird ein glückliches Menschenkind werden, wenn er da hindurchkommt.«

Mannering wollte eben die Wahrsagerin anreden, als eine Stimme, rauh, wie die Wogen, mit deren Geräusch sie sich mischte, zweimal mit wachsender Ungeduld laut wurde: »Meg, Meg Merrilies! Zigeunerin! Hexe! Alle Hagel!«

»Ich komme, ich komme, Hauptmann!« antwortete sie, und in wenigen Augenblicken kam der ungeduldige Befehlshaber durch die Kluft in den Trümmern zum Vorschein. Er hatte das Ansehen eines Seefahrers, kaum von Mittelgröße, und sein Gesicht war braun von tausend Kämpfen mit den Nordostwinden. Er zeigte so ungeheure Muskelkraft und rüstige Derbheit, daß ein Mann von höherem Wuchse es im Ringen mit ihm wohl kaum hätte aufnehmen mögen. In seinen rauhen Zügen fand man nichts von dem sorgenfreien, fröhlichen Mute und der harmlosen Neugier, durch die der Seemann auf dem Lande sich auszeichnete; es verfinsterte sie ein mürrisches, wildes Wesen ... »Wo bist Du, Mutter Teufelsbrut?« sprach er mit einem fremdländischen Tone, obgleich in ganz gutem Englisch, »Donner und alle Wetter! Wir haben schon eine halbe Stunde gewartet. Komm und segne das liebe Schiff und unsere Reise, und sei Du vermaledeit, irdisches Satanskind!«

In diesem Augenblick ward er Mannering gewahr, der in der Stellung, in der er dem Zauberspruch der Zigeunerin gelauscht hatte, da der Pfeiler, hinter dem er stand, ihn verbarg, ganz so aussah wie einer, der sich verstecken wollte. Der Hauptmann schwieg bestürzt und fuhr mit der Hand schnell in den Busen, als ob er eine Waffe gesucht hätte ... »Was gibt's, Brüderchen, Du stehst wohl auf der Lauer? He?«

Ehe Mannering, leicht betroffen über die drohende Gebärde und trotzige Anrede, antworten konnte, kam die Zigeunerin aus dem Gewölbe und näherte sich dem Fremden. Der Seemann fragte sie, auf Mannering blickend, leise: »Ein Spürhund, he?«

Sie antwortete in gleichem Tone: »Nicht doch, er ist im Schlosse, ein fremder Herr.«

Des Hauptmanns Gesicht heiterte sich auf ... »Guten Morgen, lieber Herr,« sprach er. »Ich höre, Ihr seid ein Gast meines werten Freundes, Herrn Bertram. Verzeiht mir, ich hielt Euch für etwas anderes.«

»Und Ihr seid wahrscheinlich der Herr des Schiffes in der Bai?« antwortete Mannering.

»So ist's. Ich bin der Hauptmann Dirk Hatteraick, vom Schiffe Jungfrau Hagenslaapen, und wohlbekannt hierzulande. Ich schäme mich nicht meines Namens, noch meines Schiffes, und eben auch nicht meiner Ladung.«

»Ihr habt auch wohl nicht Ursache dazu, sollt ich meinen.«

»Alle Hagel, nein! Ich treibe ehrlichen Handel. Frisch geladen bei Douglas auf der Insel Man – schöner Kognak – echtes Haisan und Souchong-Brabanter Spitzen, wenn Ihr etwas davon gebrauchen könnt,« »Ich bin auf der Reise,« erwiderte Mannering, »und wüßte von all diesen Sachen jetzt keinen Gebrauch zu machen.«

»Nun, so gehabt Euch wohl; mein Geschäft ruft mich. Oder wollt Ihr mit mir an Bord gehen und meinen Schnaps versuchen? Ihr sollt auch eine Büchse Thee haben. Dirk Hatteraick weiß auch zu leben.«

Es war eine Mischung von Unverschämtheit, Kühnheit und argwöhnischer Furcht in dem Manne, und alles dies machte ihn unbeschreiblich widerlich. Sein Benehmen verriet den Räuber, der des Verdachts, den er weckt, sich bewußt, aber durch die erzwungene Miene unbefangner und dreister Vertraulichkeit ihn niederzuschlagen sucht, Mannering lehnte die angebotene Höflichkeit ab, und nach einem trocknen guten Morgen ging Hatteraick mit der Zigeunerin zu dem Teile des alten Schlosses, wo er sich zuerst gezeigt hatte, Das würdige Paar stieg auf einer schmalen Treppe hinab, die zum Seeufer führte und wahrscheinlich einst bei Belagerungen gedient hatte, die Besatzung zu verproviantieren. Der sogenannte Hauptmann ging darauf mit zwei Leuten, die ihn zu erwarten schienen, in ein kleines Boot! die Zigeunerin aber blieb an dem Gestade zurück und sprach in singendem Tone ein paar Worte, die sie mit heftigen Gebärden begleitete.


 << zurück weiter >>