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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Julie Mannering an Mathilde Marchmont.

Wie kannst Du mir vorwerfen, teuerste Mathilde, daß meine Freundschaft erkaltet und meine Zuneigung unbeständig sei? Konnte ich die Freundin vergessen, die mein Herz auserwählte, und in deren treue Brust ich jedes Gefühl niedergelegt habe, das ich mir selbst einzugestehen wage? Und eben so unrecht tust Du mir, wenn Du mir vorwirfst, daß ich jetzt Lucys Freundschaft Deiner Liebe vorziehe. Ich beteure Dir, sie hat nicht die Eigenschaften, die ich bei einer Busenfreundin suchen muß. Wohl ist sie ein liebes Mädchen; ich bin ihr auch recht gut und will es Dir nur gestehen, unsere Morgen- und Abendunterhaltungen haben mir weniger Zeit zum Schreiben gelassen, als ich zu dem verabredeten regelmäßigen Briefwechsel brauchte. Aber es fehlt ihr gänzlich an allen feineren Vollkommenheiten, die Kenntnis des Französischen und Italienischen ausgenommen, die sie dem seltsamsten Ungeheuer verdankt, das Du je gesehen hast, dem Manne, dem mein Vater seine Büchersammlung anvertraut hat, und den er, wie ich glaube, bloß unter seinen Schutz genommen hat, um der Welt zu zeigen, daß er ihrer Meinung trotzt. Mein Vater scheint sich vorgenommen zu haben, nichts für lächerlich gelten zu lassen, so lange er es vertritt oder an sich hat, oder damit in Verbindung steht. Ich erinnere mich, wie er einst in Indien irgendwo einen Hund eingefangen, mit krummen Beinen, langem Rücken und großen schlappen Ohren. Von der Idee, dieses wunderliche Geschöpf, allem Geschmacke zum Trotz, zu seinem Lieblinge zu machen, war er nicht abzubringen, und ich besinne mich, daß er einmal als Beweis für Browns mutwillige Laune, wie er Browns Weise zu nennen liebte, den Umstand anführte, daß Brown sich über Bingos schiefe Beine und schlappe Ohren aufgehalten habe. Wahrlich, Mathilde, ich glaube, seine hohe Meinung von diesem linkischen Schulfuchs beruht auf einem ähnlichen Grunde. Könntest Du doch den Mann hören, wie er das Tischgebet spricht, das sich ungefähr anhört wie das Geschrei eines Ausrufers in den Straßen von London. Dann schlingt er seine Bissen hinunter, ohne, wie es scheint, zu wissen, was er schluckt, und sobald er, als Dankgebet, abermals ein Paar unverständliche Töne von sich gegeben, stapft er hinaus, um sich unter einen Haufen wurmstichiger Bücher zu begraben, die so absonderlicher Art sind, wie er selbst. Ich könnte ihn allenfalls noch ertragen, wenn ich nur jemand hätte, der mit mir lachte; aber ich darf nur etwas vorbringen, das aussieht wie ein Scherz über den Herrn Sampson – das ist nämlich dieses gräßlichen Subjekts Name – so sieht Lucy Bertram mich mit so kläglichen Blicken an, daß ich allen Mut verliere, mich weiter mit ihm zu befassen, zumal dann auch mein Vater die Stirn runzelt und Flammenblitze aus seinen Augen auf mich schießt, wenn er sich nicht gar in die Lippe beißt und Worte spricht, die für mein weicheres Gefühl sich sehr hart anhören.

Doch ich wollte Dir von dem grundgelehrten Manne weiter nichts sagen, als daß er Lucy in den neueren Sprachen unterrichtet hat, und ich glaube, sie verdankt es nur ihrer guten Vernunft oder ihrem Eigensinne, daß nicht auch Griechisch und Lateinisch, und vielleicht gar Hebräisch, zu ihren Kenntnissen gehören. Sie hat in der Tat sehr viele Kenntnisse, und ich wundere mich jeden Tag, wieviel Mittel sie durch ihre große Belesenheit besitzt, sich selbst zu unterhalten; wir lesen jeden Morgen miteinander, und ich fange an, mehr Gefallen an dem Italienischen zu finden, als zu der Zeit, wo der eingebildete Pinsel Cicipici uns unterrichtete.

»Aber vielleicht liebe ich Lucy mehr wegen der Vollkommenheiten, die ihr fehlen, als wegen der Kenntnisse, die sie besitzt. Von der Tonkunst versteht sie gar nichts, und vom Tanzen nicht mehr, als alle Landleute hier, die doch den Tanz nur wenig lieben. Ich bin also auch ihre Lehrerin geworden. Sie ist mir sehr dankbar für Klavierunterricht, und ich habe ihr schon gezeigt, was ich von unserm Tanzmeister, Le Pique, gelernt habe, der, wie Du weißt, mich für eine sehr hoffnungsvolle Schülerin hielt.

»Abends liest uns mein Vater öfter vor, und das muß ich sagen, ich habe Gedichte nie von einem andern Manne so trefflich vortragen hören wie von ihm; nicht etwa wie ein Deklamator, der sich als Mittelding von Vorleser und Schauspieler aufspielt, die Stirn runzelt, das Gesicht verdreht und ein Gebärdenspiel treibt, als ob er in vollem Theaterschmucke auf den Brettern stände. Nein! ganz anders ist meines Vaters Art; durch Gefühl, durch Geschmack, durch Modulation der Stimme, bringt er die feinsten Wirkungen hervor, nicht durch Gebärdenspiel und Mummerei. Lucy reitet sehr gut, und durch ihr Beispiel ermuntert, habe ich es schon so weit gebracht, sie auf ihren Ritten zu begleiten. Auch gehen wir, trotz der Kälte, viel ins Freie. Und so habe ich freilich nicht mehr so viel Zeit zum Schreiben als sonst.

»In der Tat, liebe Mathilde, muß ich auch die Entschuldigung aller einfältigen Briefschreiber brauchen, »daß ich weiter nichts zu sagen habe.« Meine Hoffnungen, meine Besorgnisse beanspruchen geringes Interesse, seit ich weiß, daß Brown frei und gesund ist. Und ich denke auch, er hätte bis jetzt wohl Zeit finden können, mir Nachricht von sich zu geben. Unser Verhältnis mag unbedachter Art gewesen sein, aber ich möchte es nicht eben schmeichelhaft für mich finden, wenn Brown dies zuerst herausgefunden haben und daraufhin zurückgetreten sein sollte. Er könnte sich schon darauf verlassen, daß unsere Meinungen, wenn er solcher Meinung wäre, nicht sonderlich auseinandergehen möchten, denn es ist mir oft so vorgekommen, als ob ich mich in dieser Sache recht töricht benommen habe. Aber ich habe wirklich eine so gute Meinung von Brown, daß ich den Gedanken nicht loswerden kann, es müsse eine besondere Bewandtnis mit seinem Stillschweigen haben.

»Aber noch einmal, liebe Mathilde, wegen Lucy Bertram magst Du ganz unbesorgt sein. Sie kann nie, nie Deine Nebenbuhlerin werden, und Deine zärtliche Eifersucht ist ohne Grund. Ja, sie ist ein hübsches, gefühlvolles, recht herzliches Mädchen, und ich glaube, bei solcher Freundin, wie sie es ist, würde ich am liebsten Trost in allen wirklichen Lebensleiden suchen. Aber diese treten uns so selten in den Weg, und man braucht einen Freund, der an eingebildeten Leiden Anteil nimmt, wie an wirklichem Mißgeschicke. Gott weiß es, und Du weißt es, meine teure Mathilde, daß wahre Herzens-Krankheiten den Balsam des Mitgefühls und der Zuneigung ebenso brauchen, wie Leiden, die offener zu Tage liegen und den Menschen schärfer alterieren. Lucy Bertram aber hat nichts von diesem freundlichen Mitgefühle, gar nichts, liebe Mathilde. Läge ich im Fieber krank, so säße sie jede Nacht an meinem Bette und pflegte mich mit der unermüdlichsten Geduld; aber an dem Herzensfieber, das meine Mathilde so oft gelindert hat, nimmt sie ganz ebensowenig Anteil wie ihr alter Lehrer. Und was mich nicht wenig ärgert, das spröde Aeffchen hat Dir wirklich einen Liebhaber, und ihre gegenseitige Neigung – denn für gegenseitig halte ich sie – ist recht romantisch. Sie war einst, wie Du schon weißt, eine reiche Erbin, die durch die unvorsichtige Freigebigkeit ihres Vaters und die Niederträchtigkeit eines abscheulichen Menschen, dem er blindes Vertrauen schenkte, um ihr Vermögen kam. Einer der schönsten jungen Männer in dieser Gegend ist ihr Liebhaber; aber da er der Erbe eines ansehnlichen Besitztumes ist, will sie seine Bewerbungen, eben der ungleichen Finanzverhältnisse halber, nicht dulden.«

»Doch bei all dieser Besonnenheit, Selbstverleugnung, Bescheidenheit und so weiter, ist Lucy ein kluges Kind, gewiß, sie liebt den jungen Hazlewood, und ebenso gewiß weiß ich, daß er es ahnt und sie wohl zu einem Geständnis ihrer Liebe brächte, wenn mein Vater oder sie selber ihm Gelegenheit dazu vergönnen wollte. Aber Du mußt wissen, mein Vater ist immer bei der Hand Lucy jene kleinen Aufmerksamkeiten zu erweisen, die einem jungen Manne in Hazlewoods Lage die beste Gelegenheit zu freundlicher Annäherung schaffen würden. Ich wollte, mein lieber Vater wäre ein wenig mehr auf der Hut, damit er nicht noch die Strafe bezahle, die gewöhnlich nicht ausbleibt, wenn man sich in fremde Händel mengt. Wahrlich, wenn ich Hazlewood wäre, so hätte ich wohl ein schärferes Auge auf diese Artigkeiten und Komplimente. diese Bemühungen, die Mantille umzuhängen, den Shawl abzunehmen, die Hand zu führen, den Arm zu reichen, und so weiter und so weiter: ich glaube übrigens, daß er sich in manchen Augenblicken auch seine Gedanken darüber macht. Denke Dir, wie einfältig bei solchen Gelegenheiten Deine arme Julie sich ausnimmt! Hier tut mein Vater schön mit meiner Freundin; dort bewacht Hazlewood jedes Wort, das über ihre Lippen kommt, und jede Bewegung ihres Auges, und ich habe nicht das armselige Vergnügen, den Blick irgend eines menschlichen Wesens auf mich zu ziehen, nicht einmal jenes seltsamen Geistlichen, denn auch der sitzt immer da mit offenem Munde und heftet die großen glotzenden Augen voller Bewunderung auf Fräulein Bertram.

»Alles dies macht mich zuweilen nervös, zuweilen sogar ein bißchen boshaft. Ich war neulich so ärgerlich auf meinen Vater und das Liebespaar, weil niemand sich mit mir befaßte oder mit mir sprach, daß ich mich bei Hazlewood direkt beschwerte, und auf eine Weise, die es ihm unmöglich machte, still zu bleiben, wenn er nicht unhöflich werden wollte. Er wurde unmerklich warm bei seiner Verteidigung. Du kannst es mir glauben, Mathilde, er ist ein sehr geschickter, ein sehr hübscher junger Mann, und er war mir noch nie in so günstigem Lichte erschienen wie gerade jetzt. Aber mitten in unserer lebhaften Unterhaltung drang mir ein leiser Seufzer aus Lucys Munde ins Ohr, und – wie ich bekenne – zu meiner gar nicht geringen Freude. Aber diesen kleinen Sieg weiter zu verfolgen, ließ meine Großmut nicht zu, auch wenn mir nicht vor meinem Vater bange gewesen wäre. Zum Glück war er in diesem Augenblick gerade in einer langen Schilderung der merkwürdigen Sitten eines indischen Volksstammes befaßt, der in einer abgelegenen Gegend wohnt, und erläuterte seine Beschreibung durch Zeichnungen von Trachten, die er auf Lucys Stickmuster machte, ohne es zu gewahren, daß er ein paar dadurch verdarb. Ich glaube, sie hat in diesem Augenblicke wohl weniger an ihr eigenes Kleid als an die indischen Turbane gedacht. Recht gut, daß er nicht sah, was ich durch mein kleines Manöver angestellt hatte, denn er hat sonst ein Falkenauge, und alles, was irgend nach Liebelei aussieht, ist ihm in den Tod verhaßt.

»Auch Hazlewood vernahm den kaum hörbaren Seufzer aus Lucys Munde, bereute sogleich die flüchtige Aufmerksamkeit, die er einem so unwürdigen Gegenstande erwiesen, wie Deine Julie es einmal ist, und mit einem wahrhaft lustigen Ausdruck von Schuldbewußtsein postierte er sich wieder hinter Lucys Stickrahmen. Er sprach ein paar nichtssagende Worte, und ihre Antwort war so beschaffen, daß nur das scharfe Ohr eines Verliebten oder eines so neugierigen Beobachters, wie ich, einen stärkeren Grad von Kälte oder Dürre heraushören konnte, als man gewöhnlich wohl darin finden mag. Der schuldbewußte Held fühlte indes den Vorwurf und schlug errötend die Augen nieder. Nicht wahr, es würde einen zu großen Mangel an Großmut verraten haben, wenn ich nicht die Vermittlerin hätte machen wollen? Ich mischte mich also in ihr Gespräch, gelassen und ruhig, wie es sich einer unaufmerksamen, unbefangenen Teilnehmerin schickt, und lenkte sie unmerklich wieder in die frühere leichte und bequeme Unterhaltung zurück. Als mir dies aber gelungen war, animierte ich sie zu einer Schachpartie, trat zu meinem Vater, der noch immer mit seinen Zeichnungen befaßt war, und neckte ihn ... Die Schachspieler saßen nicht weit vom Kamine vor einem Nähtischchen; mein Vater saß in einiger Entfernung vor einem Büchertische.

»Das Schachspiel ist wohl sehr amüsant, Vater,« hob ich an.

»Es gilt allgemein dafür,« antwortete er, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

»Es muß wohl so sein; sonst würden wohl Herr Hazlewood und Lucy sich nicht so ernst damit befassen.«

»Mein Vater blickte schnell auf mich und hielt den Bleistift eine Weile untätig in der Hand. Wahrscheinlich aber sah er nichts, was seinen Argwohn wecken konnte, denn er skizzierte weiter an seinem Mahratten-Turban, dessen Falten ihm nicht recht gelingen wollten.

»Wie alt ist denn eigentlich Fräulein Bertram, Vater?« hob ich wieder an.

»Wie kann ich es wissen! Vermutlich so alt wie Du!«

»Sie dürfte wohl älter sein, Vater! Sie sagten mir ja immer, Lucy wisse sich so anständig beim Teetische zu benehmen ... Warum wollen Sie ihr nicht ein für allemal den Vorsitz dort einräumen?«

»Julie,« antwortete mein Vater, »Du bist entweder ein recht albernes Ding oder findest am Unheilstiften mehr Lust und Vergnügen, als ich Dir bis jetzt zugetraut habe.«

»O, lieber Vater, legen Sie mir doch nicht alles aufs schlimmste aus! Ich möchte um alles in der Welt nicht gern für ein albernes Ding gelten.«

»Warum führst Du denn aber Reden, die auf solche Meinung führen müssen?« »Du meine Güte, Vater – mir kommt, was ich sage, gar nicht so albern vor – wirklich nicht! weiß doch alle Welt, daß Sie noch ein sehr hübscher Mann sind« (ein leichtes Lächeln wurde sichtbar) – »ich meine, für Ihr Alter« (der Schimmer von Fröhlichkeit schwand), »wenn Sie auch noch in den besten Jahren stehen. Warum sollten Sie nicht Ihrer Neigung folgen? Ich weiß wohl, daß ich nur ein unbesonnenes Mädchen bin, und wenn eine ernsthaftere Lebensgefährtin Sie glücklicher machen könnte, warum sollte es dann nicht Ihnen anheimgestellt sein, sie sich zu suchen?«

»Auf seine Züge trat, als er jetzt meine Hand nahm, ein seltsames Gemisch von Verdruß und herzlicher Liebe; und mir bedeutete dasselbe eine ernste Zurückweisung des kleinen Scherzes, den ich mir mit seinen Empfindungen erlaubt hatte... »Julie,« sagte er, »ich bin sehr nachsichtig gegen Deinen Mutwillen, weil ich glaube, daß ich es schuldigerweise versäumt habe, strenger über Deine Erziehung zu wachen. Aber daß Du Deinen Mutwillen auch mit einem so zarten Gegenstande treiben willst, entspricht nicht meinen Wünschen. Willst Du die Empfindungen nicht ehren, die im Herzen Deines Vaters nach wie vor für Deine Mutter wohnen, so achte wenigstens das heilige Recht des Unglücks. Vergiß nicht, daß, wenn auch nur das leiseste Wort von solchem Scherze Lucy zu Ohren käme, sie ihre jetzige Zuflucht nicht allein auf der Stelle verließe, sondern sich ohne Schutz in die Welt hinausgestoßen sähe, deren rauhe Seite sie doch schon mehr als genug empfunden hat.«

»Was konnte ich dazu sagen, Mathilde? Ich bat ihn herzlich um Verzeihung und versprach, in Zukunft ein frommes Kind zu sein. So stehe ich denn wieder ganz allein. Ich darf nun, ohne mich dem eigenen Vorwurfe auszusetzen, die arme Lucy nicht mehr durch neckische Manöver gegen Hazlewood quälen, ebensowenig es aber wagen, meinem Vater gegenüber den zarten Punkt noch einmal zu berühren. Da sitze ich denn und brenne Papierröllchen ab und zeichne mit dem schwarzen Ende Türenköpfe auf Karten oder spiele auf dem leidigen Klavier und fange wohl auch an, irgend ein ernsthaftes Buch von hinten an zu lesen, wie es die Juden machen sollen.

»Browns Stillschweigen macht mich wirklich recht verdrießlich. Hätte er das Land verlassen müssen, so hätte er mir doch gewiß geschrieben! Sollte mein Vater seine Briefe aufgefangen haben? Doch nein, das wäre durchaus gegen seine Grundsätze! Ich glaube nicht, daß er einen Brief öffnete, den ich abends erhielte, selbst wenn er dadurch verhüten könnte, daß ich am andern Morgen aus dem Fenster spränge! Doch was für Worte sind mir da entschlüpft! Ich sollte darüber erröten, Mathilde, wenn ich es auch nur Dir gegenüber im Scherze ausgesprochen! Aber ich kann kein Verdienst darin erblicken, wenn man handelt wie man handeln muß. Brown ist ja kein so feuriger Liebhaber, daß er die Person, der seine Neigung gehört, zu dergleichen unbedachten Schritten verleiten möchte! Im Gegenteil! er läßt einem Zeit genug zu ruhiger Ueberlegung. Doch ich will ihn nicht ungehört tadeln, will mir nicht herausnehmen, an der männlichen Festigkeit seines Gemüts zu zweifeln, das ich Dir oft genug gepriesen habe. Wäre er imstande, Zweifel und Besorgnis zu hegen, wäre er fähig, Unbeständigkeit auch nur leise zu argwöhnen, so hätte ich wahrlich nur geringe Ursache, seinen Verlust zu beklagen.

»Du wirst fragen, warum ich, wenn ich solch ideale Anschauungen von einem Liebhaber nähre, so ängstlich bekümmert um Hazlewoods Tun und Lassen sei? oder wem er den Hof mache? Die gleiche Frage stelle ich mir wohl hundertmal am Tage selbst, finde aber immer nur die recht törichte Antwort, daß man, auch wenn man zu ernstlicher Untreue nichtsdestoweniger denn animieren möchte, doch über jede, wenn auch nur scheinbare Vernachlässigung sich ärgert.

»Ich schreibe Dir all diese Kleinigkeiten, weil Du schreibst, daß sie Dich amüsieren; aber daß dem so ist, wundert mich doch! Ich erinnere mich wohl, wie Du bei unsern Ausflügen in die Welt der Poesie immer nur Meinung hattest für das Große und Romantische! Rittergeschichten, Zwerge, Riesen, bedrängte Fräulein, Wahrsager, Geisterspuk und dergleichen waren Dein Fall, während mich nur die gewöhnlichen Lebensverwickelungen fesseln konnten, oder höchstens nur das bißchen von Wunder, das wir durch einen morgenländischen Genius oder eine wohlwollende Fee bewirken können. Du hättest Deine Lebensbahn gern über das weite Weltmeer, durch seine Windstillen, seine heulenden Stürme, seine Wirbelwinde, seine berghohen Wogen geführt; ich aber wäre mit meinem kleinen Boote bei frischem Winde lieber in einen Landsee oder eine stille Bucht eingelaufen, wo man wohl immer noch Geschicklichkeit hätte aufbieten müssen, aber schließlich keine Gefahr gelaufen wäre. Du also, Mathilde, hättest meinen Vater haben müssen mit seinem Kriegsruhm und seinem Ahnenstolz, seinem ritterlichen Ehrgefühl, seinen hohen Geistesgaben und seiner Vorliebe für allerhand tiefsinnige, geheimnisvolle Forschungen; Deine Freundin hätte aber Lucy Bertram sein müssen, deren Altvordern mit Namen, die sich so wenig behalten wie schreiben lassen, in diesem romantischen Lande herrschten, und deren Geburt, wie ich freilich nur aus unbestimmten Nachrichten weiß, unter ganz sonderbaren Umständen erfolgt ist. Unsere von Bergen umringte Wohnung und unsere Spaziergänge zwischen gespenstervollen Trümmern wären Dir auch recht gewesen. Mir aber hätte der schöne Park einer freundlichen, nachsichtigen Tante zufallen mögen, mit ihrer Betstunde am Morgen, ihrem Mittagsschläfchen und ihrer Whistpartie am Abend, die drallen Kutschpferde und den noch dralleren Kutscher nicht zu vergessen! Uebersieh aber nicht, daß Brown in diesen Tausch nicht eingeschlossen ist! Sein freundliches Gemüt, seine lebhafte Unterhaltungsgabe, seine frischfröhliche Tapferkeit passen ebensogut zu meinem Lebensplane, wie seine kräftige Gestalt, seine schönen Züge, sein hoher Mut mit Ritterlichkeit vereinbar wären. Wir können also keinen vollständigen Tausch eingehen, und so wird jeder doch eben behalten müssen, was er hat.


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