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Achtzehntes Kapitel.

Julie hatte Verstand, Grundsätze und ein gefühlvolles Herz; aber es machte sich bei ihr auch der Einfluß einer mangelhaften Erziehung durch eine irregeleitete Mutter geltend, die ihren Mann im Herzen so lange einen Tyrannen schalt, bis sie ihn als solchen fürchten lernte, und so lange Romane über Romane las, bis sie sich in die darin geschilderten Irrungen und Verwirrungen so verstrickte, daß sie nicht mehr anders konnte, als selbst einen kleinen Familienroman anlegen, in welchem ihre Tochter, ein sechzehnjähriges Mädchen, die Hauptheldin spielen sollte. Sie fand ihr Vergnügen an kleinen Geheimnissen und Ränken und zitterte vor dem Unwillen, wozu diese unwürdigen Schritte ihren Mann reizten. So faßte sie bloß aus Uebermut oder Hang zum Widerspruche den Plan zu einem Anschlag, verwickelte sich unmerklich tiefer, suchte sich durch neue Künste herauszuziehen oder ihren Fehler durch Verstellung zu beschönigen, verstrickte sich in ihren eigenen Schlingen und sah sich, um sich aus der Situation zu helfen, in die Mutwille sie gestürzt hatte, zu Ränken und Intrigen gezwungen.

Der junge Mann, den sie so unvorsichtigerweise zu ihrem Vertrauten machte und ermunterte, seine Blicke auf ihre Tochter zu richten, besaß zum Glück strenge Grundsätze und edlen Stolz, und sie hatte einen minder gefährlichen Hausfreund in ihm gefunden, als sie wohl hätte rechnen dürfen. Ein anderer Einwand als zweifelhafte Herkunft ließ sich nicht gegen ihn machen; aber Edelmut und Ruhmbegier eröffneten ihm glänzende Aussichten, und jeder, der den wackern Jüngling im Auge hielt, sagte ihm eine glückliche Laufbahn voraus. Daß er Lockungen, wie sie ihm durch Juliens unvorsichtige Mutter bereitet wurden, hätte widerstehen oder gegen ein Mädchen, dessen Schönheit und Anmut zur Liebe aufmunterten, hätte gleichgiltig bleiben sollen, ließ sich nun freilich nicht erwarten, zumal auf einem Schauplatz nicht, wie dem einer indischen Festung, wo an weiblichen Reizen wahrlich kein Ueberfluß zu herrschen pflegt. Ueber die unglücklichen Folgen dieses Ehelebens hat uns Mannering schon unterrichtet, und es würde überflüssig sein, darüber weitere Worte zu verlieren. Wir fahren daher in den Auszügen aus Juliens Briefen fort.

»Ich habe ihn wiedergesehen, Mathilde; ich habe ihn zweimal gesehen. Aber nach den Gründen habe ich nicht gesucht, die ihn überzeugen, daß unser geheimes Verständnis für uns beide gefährlich ist, ja ich habe in ihn gedrungen, er möge seinem Glück nachgehen, ohne weitere Rücksicht auf mich, und Beruhigung in dem Gedanken suchen, daß ich den Frieden meines Gemüts wiedergefunden, seit ich weiß, daß er nicht von meines Vaters Hand gefallen sei. Er antwortete – aber wie könnte ich Dir alles sagen, was er zu antworten hat? Die Hoffnungen, die meine Mutter ihm gemacht, wolle er als sein Eigentum fest halten, ja, er möchte mich zu dem wahnsinnigen Gedanken verleiten, mich ohne meines Vaters Willen mit ihm ehelich zu verbinden. Nein, Mathilde, dazu soll er mich nicht bringen. Ich habe ihm widerstanden, ich habe das wilde Gefühl gemeistert, das für ihn sprach; aber wie soll ich mich aus diesem unglücklichen Irrgang zurecht finden, in den Verhängnis und Torheit uns verwickelt haben!

Ich habe lange, lange darüber nachgedacht, so lange, daß mir fast der Kopf schwindelt. Ich finde keinen andern Ausweg, als meinem Vater alles zu gestehen. Er verdient es; denn seine Güte währet immer, und seit ich seine Gemütsart genauer studiert habe, scheint es mir, als ob er nur dann zur Härte sich wende, wenn er Arglist oder Täuschung argwohnt, und in dieser Hinsicht hat meine Mutter sein Gefühl wohl verkannt. Auch ist ein leiser Anklang von Schwärmerei in seinem Wesen: ich habe gesehen, wie die Erzählung einer edlen Tat, ein Zug von Heldenmut, oder tugendhafter Selbstverleugnung Tränen aus seinen Augen lockten, die alltägliches Herzeleid nicht hervorrufen konnte.

Aber Brown wendet ein, mein Vater habe eine persönliche Abneigung gegen ihn. Und seine dunkle Herkunft – freilich, das wird ein Stein des Anstoßes sein! Ich denke mir, liebe Mathilde, auch keiner von Deinen Vorfahren habe bei Poitiers 1356, wo die Franzosen von Eduard, dem schwarzen Prinzen, geschlagen wurden. und Azincourt 1415, wo Heinrich V. von England die Franzosen besiegte. gefochten. Hielte mein Vater nicht das Andenken des gestrengen Miles Mannering so unendlich hoch, so würde ich nicht halb so viel Angst davor empfinden, mich ihm zu offenbaren.«

»Ich habe soeben Deinen lieben so sehr willkommenen Brief erhalten. Dank Dir, teuerste Freundin, für Deine Teilnahme und Deine Ratschläge, Ich kann es Dir nur mit unbegrenztem Vertrauen vergelten.

Du fragst mich, woher denn Brown stamme, da seine Herkunft meinem Vater so anstößig sei. Seine Geschichte läßt sich kurz erzählen. Er stammt aus Schottland, ist aber früh verwaist und wurde von seinen Verwandten in Holland erzogen. Man bestimmte ihn zum Kaufmannsstande und schickte ihn in seinen ersten Jünglingsjahren in eine unserer ostindischen Niederlassungen, zu einem Handelsfreund seines Pflegevaters. Als Brown aber in Indien ankam, war dieser Freund gestorben, und es blieb ihm nichts übrig, als sich in einem Kontor als Schreiber zu verdingen. Da brach der Krieg aus. Die bedrängte Lage, in der wir uns anfangs befanden, gab jedem jungen Manne, der zu den Waffen greifen wollte, Gelegenheit zu einer günstigen Laufbahn, und Brown, von seiner Neigung dazu getrieben, gab sofort eine Laufbahn auf, die zum Reichtum führen konnte, um der Bahn des Ruhmes zu folgen. Seine übrige Geschichte kennst Du. Denke Dir nun den Unwillen meines Vaters, dem der Kaufmannsstand zuwider ist, trotzdem er sein Vermögen hauptsächlich von meinem Großoheim her besitzt, der diesem ehrenvollen Stande angehörte. Erwäge nun, wie er sich, zumal er feindselig gegen alles Holländische gesinnt ist, zu einem Antrage Vanbeest Browns stellen würde, der von dem Hause Vanbeest und Vanbrüggen aus Barmherzigkeit erzogen wurde! Nein, Mathilde, es geht nicht! Ja sieh, so kindisch bin ich selbst, daß ich mich kaum enthalten kann, seine aristokratischen Gesinnungen zu teilen. Frau Vanbeest Brown – der Name hat wahrlich wenig Klang, – ach, Mathilde! was sind wir Menschen doch für Kinder!«

»Alles ist vorbei, Mathilde. Ich werde den Mut, mit meinem Vater zu reden, nie finden. Ja, ich fürchte, er hat schon auf anderm Weg mein Geheimnis erfahren. Ich käme also mit meiner Mitteilung zu spät, wenigstens würde ihr der Reiz der Unbefangenheit fehlen; kurz, ich sehe alle Hoffnungen schwinden, auf die ich gebaut hatte. Gestern nacht kam Brown wie gewöhnlich, und seine Flöte kündigte seine Nähe. Wir hatten verabredet, daß er sich durch dieses Zeichen kenntlich mache. Die herrlichen Seen unserer Gegend locken viele Wanderer zu allen Stunden herbei; wir hofften also, Brown werde, wenn ihn jemand aus dem Hause bemerken sollte, für einen solchen Naturschwärmer gehalten werden; auch konnte Flötenspiel meinen Aufenthalt auf dem Erker entschuldigen. Gestern nacht aber, als ich mich lebhaft mit dem Gedanken, meinem Vater alles zu gestehen, befaßte und Brown eben so lebhaft dagegen sprach, wurde das Fenster in Mervyns Bücherzimmer, das gerade unter meiner Wohnstube ist, leise geöffnet. Ich gab Brown ein Zeichen, sich zu entfernen, und trat schnell vom Erker, noch von der Hoffnung erfüllt, unbemerkt geblieben zu sein.

Sie schwand aber in dem Augenblicke, als ich Herrn Mervyn beim Frühstücke ansah. Sein Blick schien mir zu sagen, er wisse alles, ja mir kam es vor, als wollte er mich geradezu herausfordern, daß ich recht böse hätte werden können, wenn ich es hätte wagen dürfen. Aber ich muß schon höflich und artig bleiben. Meine Spaziergänge beschränken sich nun auf den Umkreis des Guts, wohin mich der gute Herr Mervyn ohne Scheu und ohne Störung gehen lassen darf. Zweimal habe ich ihn wohl bei dem Versuche ertappt, in meinen Gedanken und auf meinem Gesichte zu lesen. Er hat schon mehr als einmal von der Flöte gesprochen, hat die Wachsamkeit und Wildheit seiner Hunde gerühmt und vor der Gewissenhaftigkeit seines Wildhüters gewarnt, der nie anders als mit geladener Flinte die Runde mache. Auch ließ er Andeutungen auf Fußangeln und Selbstschüsse fallen. Es sollte mir wehe tun, meines Vaters alten Freund in seinem Hause zu kränken; aber zeigen möchte ich ihm doch, daß ich meines Vaters Tochter bin, und daß Herrn Mervyn in dieser Hinsicht keine Zweifel bleiben sollen, wenn ich mich zu einer Antwort auf diese Winke hinreißen ließe, weiß ich jetzt bestimmt. Wofür ich ihm aber herzlich dankbar bin: er hat seiner Frau nichts gesagt! Lieber Himmel, was für Vorlesungen hätte ich sonst hören müssen über die Fährlichkeiten der Liebe und der Abendluft auf dem See, über die Möglichkeit, durch Glücksjäger in leibliche und seelische Not zu geraten, über Erkältungsgefahr einerseits und verschlossene Fenster anderseits. – Du siehst, Mathilde, Scherz und Posse kann ich nicht lassen, so weh mir ums Herz ist. Was Brown anfangen wird, weiß ich nicht. Die Furcht vor der Entdeckung wird ihn wohl abhalten, seine nächtlichen Besuche fortzusetzen. Er wohnt in einem Wirtshause am jenseitigen Ufer des Sees, unter dem Namen Dawson – er ist recht unglücklich in der Namenwahl, das läßt sich nicht in Abrede stellen. Er dient, glaube ich, nicht mehr im Heere, spricht aber nichts davon, wie er sein Leben zu gestalten denkt.

Die plötzliche Rückkehr meines Vaters hat meine Besorgnis erhöht. Er schien sehr verdrießlich zu sein. Unsere Wirtin rechnete erst in acht Tagen auf seinen Besuch, wie ich aus einer lebhaften Erörterung zwischen ihr und der Haushälterin erraten habe; aber seinen Freund Mervyn scheint sein Besuch nicht überrascht zu haben. Sein Benehmen gegen mich war so auffallend kalt und gezwungen, daß ich allen Mut verloren habe, mich ihm zu offenbaren und seiner Großmut anzuvertrauen. Seine Mißlaune soll, wie er sagt, daher rühren, daß ihm ein Gut im südwestlichen Schottland, an dem durch Zusammentreffen verschiedener Umstände sein Herz hing, verloren gegangen; aber ich glaube nicht, daß ihn solche Kleinigkeit so aus der Ruhe hat bringen können. Bald nach der Ankunft machte er in Mervyns Kahn eine Fahrt über den See, zu dem Wirtshaus hin, von dem ich Dir geschrieben. Du kannst Dir denken, mit welcher Angst ich seine Rückkehr erwartete. Wer könnte die Folgen ahnen, wenn er Brown wiedergesehen hätte! Er kehrte aber zurück, ohne etwas entdeckt zu haben. Er will nun, wie ich höre, eine Wohnung mieten, dem Anscheine nach in der Nachbarschaft von jenem Ellangowan, wovon ich mir so viel sagen lassen muß, denn er vermutet, daß das Gut, das er zu besitzen wünscht, bald wieder unter den Hammer kommen werde. Ich will diesen Brief erst absenden, wenn ich über seine Absichten genau unterrichtet bin.

Ich habe eine Unterredung mit meinem Vater gehabt, so vertraulich, wie es ihm, scheint es mir, genehm ist. Ich mußte heute nach dem Frühstück mit ihm ins Bücherzimmer gehen. Die Kniee zitterten mir und, ohne zu übertreiben, liebe Mathilde, ich konnte ihm kaum folgen. Ich hatte vor etwas Furcht – wußte aber und weiß auch jetzt nicht, wovor. Seit meiner Kindheit bin ich gewohnt, alles vor seinem Blicke beben zu sehen. Ich mußte mich setzen und habe so schnell wohl noch keinem Befehle gehorcht. Kaum daß ich mich aufrecht halten konnte. Er ging auf und ab im Zimmer. Du hast meinen Vater gesehen, und auch Dir ist, wie ich mich erinnere, der kräftige Ausdruck seiner Züge aufgefallen. Wenn er ergriffen oder unwillig ist, wird sein sonst mattfarbiges Auge dunkler und fängt an zu strahlen; er hat die Gewohnheit, bei heftiger Erschütterung die Lippen einzuziehen, was mir als Zeichen des Kampfes erscheint zwischen der angeborenen Heftigkeit seines Gemüts und der durch Gewohnheit erworbenen Selbstbeherrschung. Ich war zum erstenmal seit seiner Rückkehr aus Schottland mit ihm allein, und als ich jene Merkmale seiner Gemütsbewegung entdeckte, war es mir nicht zweifelhaft, daß er im Begriffe stand, von dem Gegenstande zu sprechen, den ich am meisten fürchtete.

Mir wurde es unbeschreiblich leicht ums Herz, als ich sah, daß ich mich darin geirrt hatte, und daß er, was er auch von Mervyns Argwohn oder Wahrnehmungen wissen mochte, gar nicht die Absicht hatte, über diese Sache mit mir zu sprechen, wiewohl er, wenn er die Gerüchte, die ihm vielleicht Zu Ohren gekommen, untersucht hätte, viel Schlimmeres als sein Argwohn vermutet, erfahren haben möchte. Bei meiner Schüchternheit wurde es mir wirklich unaussprechlich leicht, nichtsdestoweniger fand ich den Mut nicht, die Unterhaltung zu beginnen, sondern erwartete schweigend seine Befehle.

»Julie,« hob er endlich an, »mein Geschäftsführer in Schottland schreibt mir, er habe eine schickliche Wohnung für uns gemietet, die alle Bequemlichkeiten in sich vereine. Sie liegt nur etwa eine Stunde von dem Gute, das ich kaufen wollte.«

Er schwieg und schien Antwort von mir zu erwarten, »Jede neue Wohnung, die Ihnen gefällt,« sagte ich, »muß mir ja recht sein, Vater.« »Hm! aber es will mir nicht gefallen, Julie, daß Du während des Winters allein dort wohnen sollst.«

»Nun, Herr und Frau Mervyn, dachte ich, werden ja da sein, sagte aber nach einer Pause wieder: Jede Gesellschaft, die Ihnen angenehm ist –

»O, fast zu viel von bedingungsloser Unterwürfigkeit!« fiel er ein, »Ei–ne herrliche Tugend ... ohne Frage – aber Deine ewige Wiederholung solcher gehorsamen Reden erinnert mich an die endlosen Selams Morgenländische Begrüßungen unserer schwarzen Diener in Indien, Mit einem Worte, ich weiß, daß Du Gesellschaft liebst, und habe die Absicht, ein junges Mädchen, die Tochter eines verstorbenen Freundes, auf einige Monate zu uns zu nehmen.«

»Aber um Himmels willen, Vater, doch keine Hofmeisterin?« rief ich Unglückliche, durch meine Besorgnisse ganz aus der Fassung gebracht.

»Keine Hofmeisterin, Julie,« antwortete mein Vater, ziemlich finster, »aber ein junges Mädchen, in der Schule des Unglücks aufgewachsen, das Du Dir, meine ich, in ein paar Dingen zum Vorbild wirst nehmen können. –

Eine Antwort hierauf wäre bedenklich gewesen, daher folgte eine Pause. »Ist sie eine Schottländerin?« hob ich endlich wieder an.

Ein trockenes – »Ja!«

»Sie spricht wohl das Englische mit schottischem Accent?« fragte ich weiter.

»Schwerenot,« rief mein Vater heftig, »glaubst Du, ich kümmere mich um Aussprache? Julie, ich rede im tiefsten Ernst. Du neigst dazu, Dich in Beziehungen einzulassen, die Du Freundschaften nennst« – war das nicht hart, Mathilde? – »Um Dir nun Gelegenheit zum Erwerb wenigstens einer würdigen Freundin zu geben, wünsche ich, daß dieses Mädchen ein paar Monate in meinem Hause lebt, und ich erwarte, Du wirst ihr alle Aufmerksamkeit beweisen, die Unglück und Tugend beanspruchen dürfen.«

»Gewiß, lieber Vater,« erwiderte ich. »Ist meine künftige Freundin rothaarig?«

Mein Vater warf einen strengen Blick auf mich ... Du wirst vielleicht sagen, es sei mir recht geschehen, aber ich weiß nicht, welcher böse Geist mich zuweilen treibt, die Menschen durch Fragen zu peinigen.

»Sie hat eben so viel äußere Vorzüge vor Dir, meine Tochter, als sie Dich in klugem Verhalten gegen Menschen und Freunde übertrifft,« sagte er.

»Aber halten Sie solche Ueberlegenheit für eine Empfehlung? – Doch nein, lieber Vater, ich sehe, Sie gehen darauf aus, alles was ich sage, zu ernst zu nehmen; wer aber auch das Mädchen sein mag, sie soll gewiß nicht Ursache haben, sich über Mangel an Aufmerksamkeit von meiner Seite zu beklagen, da sie mir von Ihnen empfohlen wird. Hat sie einen dienstbaren Geist bei sich?« fuhr ich nach einer Pause fort ... »Ich muß doch für die Bequemlichkeit meiner neuen Freundin sorgen ...«

»Nein, einen dienstbaren Geist eigentlich nicht. Der Kaplan, der bei ihrem Vater lebte, ist ein gutmütiger Mensch, und ich glaube, es wird auch für ihn Platz in unserem Hause sein.«

»Ein Kaplan, Vater? Lieber Himmel!«

»Ja, Julie, ein Kaplan. Warum fällt Dir das Wort so sehr auf? Hatten wir nicht auch einen Kaplan, als wir in Indien waren?«

»Aber damals, lieber Vater, waren Sie doch Armeebefehlshaber –«

»Und jetzt, Julie – bin ich Kommandeur in meinem Hause.«

»Gewiß, mein Vater, Aber wird er uns nach den Gebräuchen der englischen Kirche vorbeten?«

Der scheinbaren Unbefangenheit hielt sein Ernst nicht stand,. »Tu bist ein wunderliches Mädchen, Julie, und es hilft mir nichts, wenn ich Dich schelte. Mir ist es nicht zweifelhaft, daß Du Deine künftige Gesellschafterin lieben wirst, und der Mann, den ich aus Mangel an einem passenden Worte Kaplan genannt habe, ist ein würdiger Mann, der nur ein paar Wunderlichkeiten an sich hat, aber es wohl nie merken wird, wenn Du über ihn lachst, Du müßtest gerade sehr laut lachen.«

»Das gefällt mir an ihm. Aber werden wir dort ebenso schön wohnen wie hier?«

»Vielleicht nicht ganz so nach Deinem Geschmacke. Es ist kein See unter den Fenstern, und Du wirst Dich auf Hausmusik beschränken müssen.«

Dieser letzte Schlag machte dem scharfen Wettkampf unseres Witzes ein Ende, denn Du kannst denken, Mathilde, daß ich allen Mut zu einer Antwort verloren hatte.

Sonst aber sehe ich den Dingen, gleichsam mir selbst zum Trotze, mutiger entgegen denn je. Brown lebt, ist frei, ist in England; Verlegenheit und Kümmernis können und müssen von allen Menschen, auch von mir getragen werden. Uebermorgen reisen wir von hier nach unserm neuen Wohnsitze ab. Ich werde Dir selbstverständlich mitteilen, was ich von meinen schottischen Hausgenossen halte, die mein Vater, wie ich wohl nicht ohne Grund vermute, als ehrsame Spione wird benutzen wollen. O wie verschieden von der Gesellschaft, die ich mir so gern gewählt hätte! Gleich nach meiner Ankunft in meinem künftigen Aufenthalte erhältst Du Nachricht von

Deiner Julie Mannering.«


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