Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel.

Als Lucy Bertram diese schmerzliche, und nach den letzten Vorfällen unerwartete Nachricht erhalten hatte, machte sie sich sogleich bereit, die väterliche Wohnung zu verlassen. Mac Morlan leistete ihr dabei freundlichen Beistand und lud sie dringend ein, in seinem Hause zu verweilen, bis sie Antwort von ihrer Verwandten erhalten, oder einen festen Lebensplan entworfen hätte, Ohne unfreundlich zu erscheinen, konnte sie hierzu nicht nein sagen, Mac Morlans Gattin war eine gebildete Frau, die es verstand, Gästen den Aufenthalt in ihrem Hause angenehm zu machen. Leichteren Herzens zahlte nun Lucy den Dienstboten ihres Vaters den rückständigen Lohn aus und verabschiedete sich von ihnen, was jedoch unter diesen Umständen für beide Teile doppelt schmerzlich war. Alle aber schieden mit Dank und guten Wünschen von ihrer Gebieterin. Es blieb niemand im Zimmer, als Mac Morlan, der das Fräulein abholen wollte, Magister Sampson und Lucy ... »Und nun,« sagte das arme Mädchen, »muß ich einem meiner ältesten und gütigsten Freunde Lebewohl sagen. Gott segne Euch, Herr Sampson, und vergelte Euch die Güte, die Ihr mir durch Euren Unterricht und Eure Freundschaft gegen meinen armen Vater erwiesen habt. Hoffentlich höre ich recht oft was von Euch.«

Mit diesen Worten drückte sie ihm ein Papier mit einigen Goldstücken in die Hand und stand auf, das Zimmer zu verlassen. Sampson erhob sich auch und stand in sprachlosem Staunen vor ihr. Den Gedanken, von Lucy sich trennen zu sollen, hatte er in seiner Herzenseinfalt noch nie gefaßt. Er legte das Geld auf den Tisch. »Es ist freilich,« sprach Mac Morlan, Sampsons Meinung verkennend, »nicht ganz angemessen, aber die Umstände –«

Sampson bewegte ungeduldig die Hand. »Was soll mir das Geld?« sagte er – »nicht das ist's, was mir nahe geht! aber ich habe von Ihres Vaters Brote gegessen und aus seinem Glase getrunken zwanzig Jahre und länger, und soll Sie nun verlassen in Schmerz und Bedrängnis? Nein, Fräulein Lucy, das kann nicht Ihre Meinung sein. Sie würden Ihres Vaters armen Hund nicht von sich stoßen, und wollten schlimmer mit mir umgehen? Nein, Fräulein Lucy, so lange ich lebe, scheide ich nicht von Euch, Ich will Ihnen nicht zur Last fallen; ich weiß schon, wie ich das verhüten werde. Aber wie Ruth zu Naemi sprach: »Rede mir nicht darein, daß ich Dich verlassen solle, und von Dir umkehren; wo Du hingehst, da will auch ich hingehen, wo Du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und Dein Gott ist mein Gott, Wo Du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr tue mir dies und das, der Tod muß mich und Dich scheiden.«

Nährend Sampson diese Worte sprach, die längste Rede, die er je gehalten, flossen die Tränen aus den Augen des gutmütigen Geschöpfs, und weder Lucy noch Mac Morlan konnten bei diesem unerwarteten Gefühlsausbruch eine Regung des Mitgefühls unterdrücken ... »Herr Sampson,« sagte Mac Morlan, »mein Haus ist groß genug; und wenn Sie eine Lagerstätte bei mir annehmen wollen, so lange Fräulein Bertram mir die Ehre ihres Besuches gönnt, so wird es mich sehr freuen, einen so wackern, getreuen Mann unter meinem Dache zu haben.«

Um jedem Einwurfe zu begegnen, der von Lucys Seite kommen könnte, setzte er zart hinzu: »Ich brauche bei meinen Geschäften oft einen bessern Rechner, als ich unter meinen Schreibern habe, und es wäre mir recht angenehm, wenn ich zuweilen Ihren Beistand in Anspruch nehmen dürfte.«

»Gewiß, gewiß,« erwiderte Sampson lebhaft, »ich verstehe die doppelte italienische Buchhaltung.« Frau Mac Morlan empfing ihre Gäste aufs herzlichste. Ihr Mann sagte ihr wie den übrigen Hausgenossen, er brauche Sampsons Hilfe zur Abwicklung einiger Konten und wünsche, daß derselbe wählend dieser Arbeit, der Bequemlichkeit wegen, bei ihm wohne. Bei seiner Weltkenntnis konnte er sich nicht verhehlen, daß Sampson, wie ehrenvoll auch für ihn selbst und die Familie von Ellangowan seine Anhänglichkeit sei, sich als Begleiter eines schönen Mädchens von siebzehn Jahren doch ziemlich lächerlich ausnehmen müsse.

Sampson unterzog sich aller Arbeit, die ihm sein neuer Beschützer zuwies, mit Eifer; aber man bemerkte bald, daß er jedesmal nach dem Frühstück zu einer bestimmten Stunde sich entfernte und etwa zur Tischzeit wiederkam. Den Nachmittag brachte er in Mac Morlans Schreibstube zu. Am Sonnabend trat er mit freudigen Blicken zu Mac Morlan und legte zwei Goldstücke auf Ken Tisch ... »Was soll das, lieber Herr Sampson?« fragte Mac Morlan.

»Zuvörderst soll es Sie für die Ausgaben schadlos halten, die ich Ihnen verursacht habe; das übrige ist zu Fräulein Lucys Nutzen.«

»Aber, Herr Sampson, Ihre Arbeit in meiner Schreibstube vergilt mir alles reichlich; ich bin Ihr Schuldner, lieber Freund.«

»So sei alles für Fräulein Bertram,« erwiderte Sampson.

»Gut, aber wie haben Sie das Geld –«

»Ehrlich erworben, Herr Mac Morlan. Es ist das Honorar für Sprachunterricht, den ich einem jungen Herrn täglich drei Stunden gebe.«

Nach einigen Fragen ergab sich, daß dieser freigebige Schüler kein anderer als der junge Hazlewood war, der, durch Frau Mac Candlish über Sampsons Anhänglichkeit und Treue unterrichtet, sich denselben zum Lehrer gedungen hatte und, um seinen Unterricht zu genießen, täglich drei Wegstunden hin und zurück ritt. Obgleich nun Sampson ein sehr gelehrter und braver Mann war, kam solcher Lerneifer Mac Morlan bei einem zwanzigjährigen Jüngling doch höchst eigentümlich vor. Sampson auszuforschen, war wenig Kunst nötig; denn in dem Herzen dieses ehrlichen Mannes wohnten nur ehrliche, schlichte Gedanken, »Weiß denn Fräulein Bertram, wie Sie Ihre Zeit zubringen, mein Freund?«

»Durchaus nicht! Herr Hazlewood hat mich auch gebeten, es ihr zu verschweigen, damit sie nicht Bedenken trage, den kleinen Beistand anzunehmen, der ihr daraus zufließen solle. Aber es wird ihr nicht lange verborgen bleiben können, denn Herr Hazlewood wünscht seine Lehrstunden dann und wann hier im Hause zu nehmen.«

»Aber sagen Sie mir doch, Herr Sampson, bringen Sie die drei Stunden bloß mit Erklären und Uebersetzen zu?«

»Das just nicht. Kommt wohl auch vor, daß wir uns zusammen unterhalten. Neque semper arcum tendit Apollo.« Auch Apollo spannt nicht immer den Bogen.

Mac Morlan forschte weiter, um welche Dinge sich diese Gespräche drehten.

»Um unser Beisammensein in Ellangowan,« antwortete Sampson, »und oft kommt wohl auch die Rede auf Fräulein Lucy. Herr Hazlewood ist in dieser Beziehung ganz wie ich, lieber Herr Mac Morlan; komme ich erst einmal auf sie zu sprechen, so kann ich kein Ende finden, und so stiehlt sie uns« – setzte er spaßhaft hinzu – »oft die halben Lehrstunden weg.«

»O, kommt der Wind daher!« dachte Mac Morlan, der schon früher von Beziehungen zwischen den jungen Leuten gehört zu haben meinte.

Er überlegte, wie Fräulein Lucy und er selbst sich in dieser Angelegenheit am besten verhielten, denn der alte Hazlewood war mächtig, reich, ehrgeizig und rachsüchtig, und bestand, wenn eine Heirat für seinen Sohn in Betracht kam, doch sicher auf Vermögen und edler Herkunft. Er kam zu dem Schlusse, seiner Schutzbefohlenen, von deren Verstand und Scharfsinn er die beste Meinung hatte, einen Wink zu geben ... »Freuen Sie sich,« sprach er, als er sie allein fand, »Ihr Freund Sampson ist recht glücklich gewesen? er hat einen Schüler, der ihm für zwölf Stunden im Griechischen und Lateinischen zwei Guineen bezahlt.«

»Was Sie sagen! das freut mich sehr. Aber wer ist denn der Freigebige? Oberst Mannering ist doch nicht wieder da?«

»Nein, nein, nicht Mannering. Aber was denken Sie von Ihrem Bekannten, Charles Hazlewood? Er spricht davon, seine Lehrstunden hier zu nehmen. Recht gern, wenn wir's einrichten könnten!«

Tiefe Glut bedeckte Lucys Wangen... »Um Himmels willen nicht, Herr Mac Morlan!« sprach sie. »Geben Sie das nicht zu! Hazlewood hat schon Verdruß genug deshalb gehabt.«

»Wegen der alten Schriftsteller, Fräulein? Freilich machen sie den meisten jungen Herrn den Kopf zu gewissen Zeiten recht dick, aber jetzt studiert er sie doch aus freiem Willen.«

Lucy brach ab, ihr Wirt knüpfte das Gespräch nicht wieder an, aber am folgenden Tag nahm sie Gelegenheit, mit Sampson zu sprechen. Sie gab ihrer Dankbarkeit für seine uneigennützige Zuneigung und ihrer Freude über die gute Einnahme, die er gefunden, Ausdruck: gab ihm aber dabei zu verstehen, daß es besser sein möchte in seinem wie seines Schülers Interesse, wenn er für die Dauer dieses Unterrichtes seine Wohnung mehr in die Nähe seines Schülers legte. Sampson wollte, wie sie erwartet hatte, von diesem Vorschlage nichts hören und sie nicht verlassen, selbst wenn er der Lehrer des Prinzen von Wales hätte werden sollen. »Aber ich sehe wohl,« setzte er hinzu, »Sie sind zu stolz, meinen Beistand gelten zu lassen, und ich werde Ihnen lästig.«

»Nein, gewiß nicht,« antwortete Lucy, »Sie waren meines Vaters alter, ja fast sein einziger Freund, und ich bin nicht stolz, Gott weiß es, ich habe keine Ursache dazu. Sie mögen in andern Dingen tun, was Sie für das beste halten; aber sagen Sie, bitte Herrn Hazlewood, in meinem Auftrage, daß Sie mit mir über seine Lernbegierde gesprochen, und daß ich der Meinung sei, es ginge unter keinen Umständen an, daß er seine Stunden hier im Hause nehme.«

Sampson verließ sie mit größter Bestürzung, und als er die Tür schloß, konnte er nicht umhin, Vergils Worte über die Veränderlichkeit der Frauen in den Bart zu murmeln. Am folgenden Tage trat er mit sichtlicher Bekümmernis zu Fräulein Lucy und übergab ihr einen Brief. »Herr Hazlewood,« sagte er, »will seine Stunden aussetzen, aber er hat großmütig ersetzt, was ich dabei verbüße. Was ihm an Kenntnissen, die er durch mich hätte erwerben können, verloren geht, wird er sich selbst freilich nicht ersetzen. Auch mit dem Schreiben will's nicht recht fort. Um dieses kleine Briefchen zustande zu bringen, hat er eine ganze Stunde gebraucht und vier Federn und manches schöne Blatt Papier verdorben. Ich hätte ihm in drei Wochen eine feste, fließende, leserliche Hand beigebracht. Doch – Gottes Wille geschehe.«

Der Brief enthielt nur wenige Zeilen. Hazlewood klagte über Lucys Grausamkeit, die ihn nicht nur aus ihrer Nähe verbannte, sondern ihm nicht einmal vergönnen wollte, sich aus der Ferne nach ihr zu erkundigen und ihr beizustehen, so weit es in seinen Kräften läge. Mit der Versicherung, daß seine Zuneigung trotzdem unwandelbar sei, schloß der Brief.

Sampson erhielt durch seine Gönnerin, Frau Mac Candlish, zwar andere Schüler, die aber weder so vornehm noch so frei wie Hazlewood waren. Er verdiente aber immerhin etwas und war herzlich froh, wenn er wöchentlich Mac Morlan den kleinen Ertrag einhändigen konnte, nach Abzug eines minimalen Prozentsatzes für seine Tabaksdose und seine Pfeife.


 << zurück weiter >>