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Zwanzigstes Kapitel.

Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Boote waren emsig beschäftigt, vom Ufer den versprochenen Proviant herbeizuschaffen; alles arbeitete mit gutem Willen, denn alle, Cleveland ausgenommen, sehnten sich, von einer Küste wegzukommen, wo die Gefahr für sie mit jedem Augenblick wuchs und wo, was sie noch für ein größeres Unglück ansahen, keine Beute mehr zu gewinnen war. Bunce und Derrick hatten die Sorge für alles übernommen, während Cleveland, in sich verschlossen, auf dem Verdeck auf und ab schritt, nur dann und wann ein paar unbedingt nötige Befehle erteilend.

Er gehörte zu jenen unglücklichen Menschen, die zu bösen Handlungen mehr durch äußere Umstände als eigene Neigung verleitet werden. Seine Seele war jetzt von Reue und Erinnerung an Minna erfüllt. Aber als sein Blick auf seine Kameraden fiel, so kam ihm doch, so verworfen und roh sie auch waren, nicht eine Sekunde der Gedanke, sie ihrem Schicksal zu überlassen. »Nein!« rief er, »wir werden mit eintretender Ebbe unter Segel gehen; weshalb soll ich sie ins Unglück stürzen? weshalb sie zurückhalten, bis die Stunde der Gefahr naht, die das seltsame Weib verkündet hat? – Ihre Berichte, woher sie sie auch haben mochte, trafen immer ein – und sie warnte mich, wie eine Mutter ihrem verirrten Sohne Vorwürfe über seine Vergehen macht und ihm die nahe Strafe verkündet! – Welche Hoffnungen habe ich denn auch, Minna wiederzusehen? Sicher weilt sie noch in Kirkwall, und dorthin meinen Kurs zu nehmen, hieße geradezu auf eine Klippe lossteuern. Nein, nein! ich will die armen Burschen nicht in Gefahr stürzen, – sondern will mit der Ebbe unter Segel gehen. An den öden Hebriden oder an der nordwestlichen Küste von Irland will ich das Schiff verlassen und in Verkleidung hierher zurückkehren, – aber,« hielt er plötzlich inne, »warum zurückkehren? um Minna als Mordaunts Braut wiederzusehen? Nein, nein! möge das Schiff unter Segel gehen ohne mich; ich will hier bleiben und mein Schicksal erwarten.«

An dieser Stelle wurde er in seinen Betrachtungen durch Jack Bunce unterbrochen, der mit der Meldung kam, daß man, sobald es ihm gefiele, unter Segel gehen könne.

»Sobald es Dir gefallen wird, Bunce,« versetzte er, »Dir will ich das Kommando übergeben und dann zu Stromneß ans Land gehen.«

»Beim Himmel! das soll nicht sein,« rief Bunce; »wie zum Teufel könnte ich unser Volk in Gehorsam halten? Ihr wißt recht gut, daß wir uns ohne Euch in einer halben Stunde sämtlich bei den Gurgeln hätten. Zudem gibt's schwarze Dirnenaugen überall und fernerhin habe ich Euch seltsame Nachrichten mitzuteilen.«

»Und die wären?« fragte Cleveland.

»Die Stromneßer Fischer,« antwortete Bunce, »wollen sich weder ihre Mühe noch ihren Vorrat bezahlen lassen.«

»Und weshalb nicht?« fragte Cleveland, »das wäre das erste Mal in meinem Leben, daß ich Geld in einem Seehafen zurückweisen sähe.«

»Der Eigentümer der Brigg, die wir schon im Schlepptau hatten,« erwiderte Bunce, »der Vater Eurer schönen Imanda, hat den Zahlmeister gemacht, zum Dank für die höfliche Behandlung, die wir seinen Töchtern haben angedeihen lassen.«

»Das sieht dem biedern Udaller ähnlich,« antwortete Cleveland; »aber weilt er denn noch zu Stromneß? ich glaubte ihn schon nach Kirkwall unterwegs.«

»Seine Absicht war's,« entgegnete Bunce, »aber kaum war er ans Land getreten, als sich auch eine alte Hexe bei ihm einfand, die sich auf diesen Inseln in jedermanns Brei mischen soll; auf ihren Rat änderte er seinen Plan, ließ Kirkwall links und liegt jetzt vor Anker bei jenem weißen Hause, das Ihr dort den See hinauf durch Euer Fernrohr sehen könnt. Die Alte, hörte ich, hat auch Anteil an der Bezahlung unseres Proviants; wie sie dazu kommt, kann ich nicht begreifen, sie müßte denn als Hexe wie die Teufel zu unsern guten Freunden gehören.«

»Von wem hast Du das alles erfahren?« fragte Cleveland, ohne weder zum Fernrohr zu greifen, noch durch die Nachrichten so in Anspruch genommen zu werden, wie sein Kamerad erwartete.

»Je nun,« erklärte Bunce, »ich habe heute früh einen Abstecher ans Land gemacht und war im muntersten Geplauder mit einem alten guten Bekannten, den Herr Troil an mich gesandt mit dem Auftrage, nach dem Nötigsten zu sehen.«

»Und wer ist Eure Auskunftsquelle?« fragte Cleveland; »hat er denn keinen Namen?«

»Ein alter Geiger ist's, Claud Halcro mit Namen, den Ihr kennen müßt,« antwortete Bunce.

»Halcro,« wiederholte Cleveland, und seine Augen funkelten vor Staunen. – »Claud Halcro? – der ist ja mit Minna und ihrer Schwester zu Inganeß ans Land gegangen; was ist aus ihnen geworden?«

»Darüber eben hielt ich Auskunft für unnötig,« erwiderte sein Vertrauter. »Aber hol' mich der Teufel, unterlassen kann ich es doch nicht! He? das hat gewirkt? – Ja, ja, – dort stecken sie – ich will es nur gestehen, – und unter leichter Bedeckung. Die alte Hexe hat ein paar Leute von ihrer Berginsel, Hoy genannt, geschickt und der alte Herr ein paar Burschen unter Waffen gestellt! – Aber das macht alles nichts, Kapitän! Befehlt nur, und wir holen heute nacht die Dirnen weg – bergen sie unter den Luken – und mit Tagesanbruch Segel auf und vorwärts!«

»Schweig von solch schändlichem Plane,« unterbrach ihn Cleveland, sich von ihm wendend.

Nachdem er aber in tiefem Sinnen ein paarmal auf und abgeschritten, trat er zu Bunce zurück, faßte ihn bei der Hand und sagte: »Jack! Ich muß sie noch einmal sehen, noch einmal, um zu ihren Füßen mein unheilbringendes Gewerbe abzuschwören und meine Vergehen.«

»Am Galgen zu büßen, nicht wahr?« fiel ihm Bunce ins Wort. »Nun, in Gottes Namen! – beichten und gehängt werden, ist ja ein ganz frommes Sprichwort.«

»Aber, Jack! –« sagte Cleveland.

»Ei was,« antwortete dieser, »steuert immerhin Euren eigenen Kurs – ich hab's satt, für Euch zu denken und zu handeln. Aber,« lenkte er ein, »was hat im Grunde eine Flut mehr oder weniger zu bedeuten? Wir können morgen ebensogut unter Segel gehen wie heute.«

Cleveland seufzte, denn Nornas Warnung stieg in seiner Seele auf; die Gelegenheit aber, Minna noch einmal zu sehen, war zu verführerisch.

»Ich will sogleich ans Land, wo sie alle beisammen sind,« rief Bunce; »die Zahlung für den Proviant soll mir als Vorwand dienen, und einen Brief von Euch oder eine Botschaft an Minna werde ich dabei mit der Gewandtheit eines Kammerdieners überbringen.«

»Doch sie haben bewaffnete Männer um sich! Du könntest in Gefahr kommen,« bemerkte Cleveland.

»Ist nicht zu fürchten,« entgegnete Bunce; »ich schützte die Dirnen, als sie in meiner Gewalt waren; ihr Vater, ich steh' Euch dafür, wird nicht zugeben, daß man mir ein Leid zufüge.«

»Du hast recht,« erwiderte Cleveland, »ich will sogleich schreiben und um eine letzte Zusammenkunft bitten.«

Während er in die Kajüte eilte, diese Absicht auszuführen, begab sich Bunce zu seinem Satelliten Fletcher, auf den er bei jeder Gelegenheit rechnen durfte, und trat mit ihm zu Hawkins dem Bootsmann, der sich mit Derrick dem Zimmermann nach den Mühen des Tages bei einer Kanne Grog gütlich tat.

»Der da wird es uns sagen können,« rief Derrick ihm entgegen. – »Sprecht, Herr Leutnant, denn so müssen wir Euch jetzt nennen; wann wird es heißen: Anker auf!«

»Wenn es dem Himmel gefallen wird, Quartiermeister,« antwortete Bunce; »ich weiß nicht mehr davon als ein Schiffsbalken.«

»Nun, geht's denn, beim Satan, nicht fort mit der heutigen Ebbe?« fragte Derrick.

»Oder doch wenigstens mit der morgigen?« fiel der Bootsmann ein, – »warum hätten wir sonst die Leute geplagt, den Proviant so schnell an Bord zu schaffen?«

»Ihr sollt wissen, ihr Herren,« antwortete Bunce, »daß Cupido bei unserm Kapitän an Bord gestiegen und seinen Verstand unter die Luken gesteckt hat.«

»Was das alles für Schauspielertratsch ist,« sagte der Bootsmann mürrisch; »wenn Ihr uns etwas zu sagen habt, so braucht Worte, die jeder vernünftige Mann versteht.«

»Nun, nur Geduld,« entgegnete Bunce, »Kapitän Cleveland ist verliebt, hofft sein Mädchen morgen noch einmal zu sprechen, und das führt, wie wir alle wissen, zu einer zweiten Zusammenkunft, und die zu einer dritten und so fort, bis uns die Fregatte Halkyon auf den Hals kommt.«

»Beim dreibeinigen Teufel!« rief der Bootsmann, »wir meutern und lassen ihn nicht ans Land, nicht wahr, Derrick?«

»Ja, ja, das würde am besten zum Ziele führen,« stimmte dieser bei. »Was meint Ihr dazu, Jack Bunce?« fragte Fletcher, in dessen Ohren dieser Rat hochweise klang, dessen Blicke aber nichtsdestoweniger scharf auf seinen Gefährten gerichtet waren,

»Nun denn, ihr Herren,« nahm Bunce das Wort, »von Meuterei kein Wort, aber Tod dem, der solche anzettelt.«

»Nun, so will ich auch keine,« stimmte Fletcher bei;»aber was ist sonst anzufangen?«

»Maul zu halten,« fuhr Bunce ihn an. »Seht, Bootsmann, halb und halb bin ich ja Eurer Meinung, daß der Kapitän durch eine gewisse heilsame Gewalt zur Räson gebracht werden müsse. Aber ihr alle wißt, daß ihn der Mut eines Löwen beseelt, und daß er nichts unternimmt, als wenn er seinen eigenen Kurs steuern kann. Ich will also ans Land und alles folgendermaßen einrichten. Das Mädchen erscheint morgen beim Stelldichein, der Kapitän geht ans Land – eine gute Bootsmannschaft nehmen wir mit, um gegen den Strom anzurudern; heißt das: um bereit zu sein, auf ein Signal ans Land zu springen und Kapitän und Mädchen wegzuführen, mag's ihnen recht sein oder nicht ... dann lichten wir die Anker, ohne Befehl von ihm abzuwarten, und sorgen dafür, daß er zur Vernunft kommt und seine Freunde kennen lernt.«

»Das läßt sich hören, Derrick,« fiel Hawkins ein.

»Jack Bunce hat immer recht,« bemerkte Fletcher, »der Kapitän aber wird bei der Gelegenheit ein paar von uns niederknallen, so viel ist sicher.«

»Halt's Maul, Dick,« gebot Bunce, »kann's uns nicht gleich sein, niedergeschossen oder aufgehängt zu werden? – Aber wir wollen unversehens über ihn herfallen, so daß er nicht Zeit haben soll, zu Pistolen oder Säbel zu greifen; und aus Liebe zu ihm will ich der erste sein, der zupackt ... Mit dem Schiffchen, auf das der Kapitän Jagd macht, segelt eine kleine niedliche Pinasse – und ist die Gelegenheit günstig, schnapp ich die für meine eigene Rechnung weg. Ans Land will ich also, um alles einzurichten; stempelt Ihr unterdes einige von unsern Gesellen, die noch nüchtern genug sind, zur Teilnahme.«

Bald darauf landete das Boot, kaum ein paar hundert Yards vom alten Herrenhause von Stennis entfernt. Bunce sah sofort, daß man Verteidigungsmaßregeln getroffen hatte. Die niedern Fenster waren verrammelt, doch waren Schießlöcher offen gelassen; eine Schiffskanone deckte den Eingang, der überdies von zwei Schildwachen bewacht wurde. Bunce begehrte Einlaß, der ihm aber rundweg verweigert wurde, mit dem Bedeuten, sich fortzuscheren, bevor ihm Schlimmes begegne. Da er aber auf dem Verlangen bestand, es handelte sich um eine dringende Angelegenheit, erschien endlich Claud Halcro, der, verdrießlicher als es sonst seine Art war, seinen alten Bekannten ob seiner Halsstarrigkeit zu Rede stellte.

»Nehmt eines Narren Rat an,« sagte Halcro, »geht auf der Stelle oder sagt mir kurz und bündig, was Ihr wollt, denn hier kann Euch kein anderer Willkommen entgegenschallen, als der aus einer Kugelbüchse. Wir sind hier zahlreich genug. Auch Mordaunt Mertoun kam zu uns von Hoy herüber, derselbe, den Euer Kapitän fast um die Ecke gebracht hätte.«

»Ruhig, Alter,« fiel Bunce ein, »er hat ihm bloß etwas naseweises Blut abgezapft.«

»Wir brauchen hier keinen solchen Aderlaß,« erwiderte Claud Halcro; »überhaupt wird der Genesende uns bald näher verwandt sein, als man hätte glauben sollen, und so werdet Ihr leicht begreifen, wie wenig willkommen hier Euer Kapitän oder einer von seinen Leuten sein kann.«

»Gut, gut,« antwortete Bunce, »wenn ich aber nun Geld für den an Bord gesandten Proviant brächte?«

»Behaltet es, bis man es von Euch begehrt,« versetzte Halcro; »zwei schlechte Zahler gibt's, der eine, der zu früh, der andere, der gar nicht zahlt.«

»Nun, so laßt mich wenigstens dem Geber danken,« fuhr Bunce fort.

»Behaltet Euren Dank ebenfalls, bis er verlangt wird,« antwortete der Poet.

»Ist das die Art, wie Ihr Euren alten Bekannten willkommen heißt?« fragte Bunce.

»Was könnte ich denn für Euch tun,« entgegnete Halcro, – »wäre es nach dem Willen des jungen Mordaunt gegangen, hätte er Euch mit seiner Büchse begrüßt. Um Gottes willen also macht, daß Ihr fortkommt; sonst heißt's in der Rolle: die Wache tritt auf und nimmt Altamont gefangen.«

»Ich will Euch hier keine solche Mühe machen, sondern sogleich abtreten. – Aber wartet, fast hätte ich vergessen, daß ich da ein Briefchen für eins von Euren Dirnen habe, für Minna – ja, ganz recht, Minna heißt sie. – Ein Lebewohl ist's von Kapitän Cleveland; Ihr dürft Euch nicht weigern, es zu übergeben.«

»Ach, armer Bursche!« sagte Halcro, »ja, ja, ich versteh ... Nun, Minna soll das Schreiben erhalten, aus alter Bekanntschaft, Herr Altamont ... Ein Abschiedsbrief kann ja keinen Schaden stiften.«

»Lebt wohl denn, Alter, auf ewig und immer!« rief Bunce, und des Poeten Hand erfassend, drückte er sie so kräftig, daß Halcro noch lange nachher die Faust schüttelte wie ein Hund die Pfote, wenn zufällig eine glühende Kohle darauf fiel.

Während Bunce zu seinem Schiff zurückkehrte, hielt die Familie von Burgh-Westra drinnen im Stenniser Herrenhause Rat...

Mordaunt Mertoun war von Magnus Troil mit großer Freundlichkeit aufgenommen worden, als er zu seinem Beistande mit einer kleinen Schar von Nornas Anhängern, erschien. Der Udaller ward jetzt leicht zu überzeugen, daß Mordaunt vom Hausierer und von Cleveland nur boshaft verleumdet worden, und nahm ihn wieder völlig in Gnaden auf, und war nicht wenig erstaunt über die Ansprüche, die Norna auf ihn erhob, und daß sie gewillt sei, auf ihn das beträchtliche, von ihrem Vater ererbte Vermögen zu übertragen.


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