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Achtes Kapitel.

Nornas Behausung war von Magnus Troil nicht unpassenderweise mit dem Horst eines Seeadlers verglichen worden. Sie war sehr klein und aus einem jener Gebäude ausgebaut, die auf Shetland Burgen und Piktenhäuser, in Schottland und auf den Hebriden Duns heißen und die ersten Versuche der Baukunst zu sein schienen – jene Uebergänge von Fuchsbauten im losen Steinhaufen zur menschlichen Wohnung aus dem gleichen Material ohne Verwendung weder von Kalk noch von Lehm oder Bauholz.

Die vielen Ueberreste dieser Wohnungen, von denen man Ruinen auf jedem Vorgebirge, auf jedem Inselchen und an jedem Punkte findet, der den Einwohnern Mittel zu ihrer Verteidigung darbieten konnte, liefern den Beweis, daß jenes uralte Inselvolk, das diese Burgen erbaute, eine weit größere Seelenzahl aufgewiesen hat, als nach andern Umständen zu schließen sein dürfte.

Die Burg, von der wir hier erzählen, war in späteren Zeiten ausgebaut worden, vermutlich von irgend einem kleinen Despoten oder Seeräuber, der die Sicherheit ihrer Lage auf einer vorspringenden Felsenspitze, von dem Hauptlande durch eine Spalte oder Kluft getrennt, erkannte und würdigte. Das Innere zeigte Kalk und Lehmbewurf, auch Fensteröffnungen, um Licht und Luft Einlaß zu gewähren; vermittels Balken von gestrandeten Schiffen war sie in Stockwerke eingeteilt worden, so daß das Ganze einem pyramidenförmigen Taubenschlage nicht unähnlich sah, dessen dicke Mauer immer noch jene Galerie enthielt, die allen festen Schlössern dieser frühern Bauart eigen ist, und ihre eigentliche Schutzwehr gebildet zu haben scheint.

Diese seltsame Behausung seit Menschenalter der Gewalt der Elemente ausgesetzt, war grau und hatte vom Wetter gelitten, wie der Felsen, auf dem sie gegründet war, und von dem man sie kaum zu unterscheiden vermochte.

Minnas bisherige Gleichgültigkeit gegen alles, was seit kurzem um sie her vorging, wurde auf einen Augenblick durch den Anblick dieser menschlichen Wohnung aufgehoben, die zu einer andern und glücklichern Zeit ihres Lebens bei ihr Neugierde und Staunen rege gemacht hätte, jetzt aber nur vorübergehendes Mitleid in ihrem Herzen wachrief.

Brenda aber überrieselte ein Schauer, wenn sie auf die Felswohnung blickte, zu der sie jetzt auf einem schwierigen, gefahrvollen Pfade hinanritten, der sie zu ihrem Schrecken oft so nahe an den Rand des jähen Abgrunds führte, daß sie, obgleich Shetländerin, und von der Zuverlässigkeit ihres Kleppers überzeugt, doch kaum einen Anfall von Schwindel unterdrücken konnte, besonders als sie, den Blick zurücklenkend, sah, wie Minna, den Zügel fallen lassend, die Arme, sogar den Körper über den Abgrund hinausbeugte, an den Wildschwan erinnernd, der, seine Schwingen auseinander breitend, sich von der Klippe hinabsenkt. In diesem Augenblick fühlte Brenda sich von unaussprechlichem Entsetzen erfaßt, das selbst dann noch ihre Nerven schwer bedrohte, als der Klepper der Schwester die scharfe Felsenecke gleichfalls umschritt und die Versuchung, wenn eine solche vorhanden gewesen, von ihr nahm.

Jetzt erreichten sie einen ebnern und offnern Pfad, den flachen Gipfel eines hervorspringenden Felsens, der aber auf einem Punkte wieder schmaler ward und in der Schlucht endigte, die den Felsen, auf dem Nornas Behausung lag, von der übrigen Klippenreihe trennte. Diese von der Natur gebildete Kluft, offenbar das Werk irgend einer Erschütterung derselben, war tief, dunkel und unregelmäßig, enger gegen die Tiefe hin, die der Blick nicht zu ergründen vermochte, und am weitesten nach oben zu, wo der Teil der Klippe, auf dem Nornas Behausung lag, sich von dem Hauptfelsen losgerissen zu haben schien, denn er neigte sich von diesem ab, wie wenn er sich samt dem Bau auf ihm jeden Augenblick ins Meer stürzen wolle.

Ohne sich um solche Schrecken zu bekümmern, ritt der Udaller auf den Turm zu, schwang sich von seinem Pferde, half seinen Töchtern von ihren Kleppern und schritt auf die Pforte zu, vor der sich ehedem eine rohe Zugbrücke, von der noch Ueberreste vorhanden waren, befunden hatte. Jetzt bildete sie nur noch einen Weg für Fußgänger, schmal und ohne Geländer, von einer Art Bogen aus Walfischbarten getragen.

Ueber diese Schreckensbrücke ging nun der Udaller festen Schrittes, gefolgt von seinen Töchtern, und bald standen die Reisenden vor dem niedrigen, unförmlichen Eingang zu Nornas Behausung.

»Wenn sie doch vielleicht nicht zu Hause wäre?« sagte der Udaller, wiederholt an die Tür aus schwarzem Eichenholz schlagend – »gleichviel; dann wollen wir wenigstens einen Tag auf ihre Rückkehr warten und uns an Hausbier und Branntwein bei Nick Strumpher schadlos halten.« Aber schon öffnete sich die Tür; ein vierschrötiger Zwerg, vier Fuß fünf Zoll hoch, mit einem Kopfe von beträchtlichem Umfange und häßlichem Gesicht, mit ungeheurem Munde, großen aufwärts geschlitzten Naslöchern, plumpen dicken Lippen und großen Walfischaugen, glotzte ihnen, ohne ein Wort zu sprechen, entgegen, zu Brendas Schreck und Minnas Staunen, die beide kaum reden konnten vor Angst, jener Troild, dessen Norna in ihrer Erzählung erwähnte, stände leibhaftig vor ihnen. Magnus Troil aber redete die wunderliche Gestalt mit jener herablassenden Freundlichkeit an, die Leute höheren Ranges gegen solche niedrigern Standes anzunehmen pflegen, wenn sie augenblicklichen Grund zur Höflichkeit gegen sie zu haben meinen.

»Ei, sieh da, Nick!« rief er, »noch immer munter und wohl wie St. Nicolas, Dein Namensvetter, wenn er, mit Axt oder Beil ausgehauen, an einem holländischen Schiffe prangt. Wie geht es Dir, Nick, oder Pacolet, wenn Du Dich so lieber nennen hörst; sieh, Nicolas! da sind meine beiden Töchter, fast so hübsch wie Du, wie Du siehst.«

Nick grinste sie an und machte eine plumpe Verbeugung, wich aber mit seiner klumpenförmigen Gestalt um keinen Schritt von der Tür.

»Kinder,« fuhr der Udaller fort, der seine Gründe haben mochte, den Cerberus freundlich zu stimmen, – »seht, Mädchen, das ist Nick Strumpher, von seiner Herrin Pacolet genannt; ein schmucker Zwerg, wie Ihr seht, geheimer Rat von seiner Herrin, der aber noch nie im Leben ein Geheimnis von ihr ausgeschwatzt hat.«

Der garstige Zwerg grinste noch ärger als zuvor, warf, wie um die Aussage des Udallers zu bekräftigen, den Kopf zurück und zeigte, als er seine ungeheuren Kinnbacken voneinander riß, daß sich in der unermeßlichen Tiefe seines Schlundes nur noch die eingeschrumpften Ueberreste einer Zunge befanden, vielleicht noch ausreichend zum Verschlingen von Nahrung, nicht aber, um menschliche Töne hervorzubringen. Ob dieses Organ durch Krankheit verstümmelt oder gewalttätig verkürzt worden, ließ sich nicht erraten; daß aber das unglückliche Wesen nicht von Geburt stumm war, ging aus seinem Gehör hervor. Nachdem er diesen schrecklichen Anblick gezeigt, vergalt er den Scherz des Udallers mit lautem, mißtönendem Gelächter, um so gräßlicher anzuhören, als es das eigene Elend zu höhnen schien. Die Schwestern blickten sich einander furchtsam an, und selbst der Udaller schien etwas außer Fassung gebracht, fuhr aber fort: »Und wann hast Du Deinen Schlund, der an Weite dem Pentland-Haff nichts nachgibt, zuletzt mit einem Glas Branntwein gewaschen? Ich führe solches Zeug bei mir, Nick, vortreffliches Zeug!«

Der Zwerg zog die dicken Brauen zusammen, schüttelte den mißgestalteten Kopf und zeigte mit dem Daumen seiner rechten Hand über die Schulter rückwärts.

»Wie! meine Muhme sollte darüber verdrießlich werden?« sagte der Udaller, das Zeichen verstehend: »nun, nun, Alter, Du sollst eine Flasche davon hier behalten, um Dir ein Gütchen damit anzutun, wenn sie fern ist.«

Der Zwerg fletschte schmunzelnd die Zähne.

»Und nun, Pacolet!« rief der Udaller, »aus dem Wege, und laß mich meine Töchter zu meiner Muhme führen. Bei den Gebeinen des heiligen Magnus! es soll Dein Schaden nicht sein, – Nun, schüttele nur Deinen Kopf nicht, Alter; wenn meine Muhme zu Hause ist, wollen und müssen wir sie sehen.«

Der Zwerg gab durch seine Winke von neuem zu verstehen, daß das unmöglich sei, worauf der Udaller zornig zu werden anfing.

»Was da, was da!« rief er, »quäle mich nicht mit Deinem Kauderwelsch und geh aus dem Wege! Ich nehme alle Schuld auf mich.«

Mit diesen Worten legte Magnus Troll seine kräftige Hand an den Wamskragen des Zwerges, schob ihn mit einem derben Stoß beiseite und trat ein, von seinen beiden Töchtern gefolgt, die sich, von allem was sie rings um sich sahen, entsetzt, dicht an ihn anschlossen. Ein krummer, dunkler Gang, durch den jetzt Magnus voranschritt, wurde durch eine Schießscharte, die mit dem Innern des Gebäudes in Verbindung stand, und ursprünglich dazu bestimmt sein mochte, den Eingang zu verteidigen, nur matt erhellt. Je weiter sie gingen, desto dunkler wurde es um sie her, und als Brenda jetzt aufblickte, den Grund hiervon zu erforschen, bebte sie zusammen vor dem bleichen, nur im Halbdunkel sichtbaren Antlitz Nornas, die, ohne ein Wort zu sprechen, auf sie niedersah, mit einem so starren, schrecklichen Ernst, daß jeder freundliche Empfang ausgeschlossen zu sein schien. Vater und Schwester kamen langsam hinter ihr her und hatten die Erscheinung ihrer seltsamen Wirtin nicht bemerkt.


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