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Achtzehntes Kapitel.

Aber Fletcher hatte sich von Magnus Trolls Töchtern und ihrem Begleiter nicht sowohl freiwillig als vielmehr darum verabschiedet, weil von Kirkwall her ein Trupp Bewaffneter auf sie zuschritt. Das hatte Magnus Troil von seinem Standorte nicht sehen können, weil eine Anhöhe dazwischen lag: daraufhin aber hatte sich die von ihm bemerkte kurze Abschiedsszene abgespielt.

»Halt!« rief sie, »ich befehle es Euch! – Sagt Eurem Anführer von mir, daß, wie auch immer die Antwort von Kirkwall lauten möge, er sein Schiff nach Stromneß segeln solle; und dort vor Anker soll er ein Boot nach Kapitän Cleveland ans Land senden, sobald er von der Brücke von Breisgar eine Rauchsäule emporsteigen sieht.«

Fletcher hatte, wie sein Gefährte Bunce, wenigstens einen Kuß für seine Mühe begehren wollen, und vielleicht hätte weder die Annäherung der bewaffneten Kirkwaller noch Minnas Waffe seine Unverschämtheit im Zaum gehalten. Aber der Name seines Kapitäns, noch mehr aber Minnas gebieterisches Wesen hielten ihn in Schranken, und mit einer linkischen seemännischen Verbeugung kehrte er an Bord seines Bootes zurück.

Halcro aber eilte mit den Schwestern den bewaffneten Männern entgegen, die ihrerseits, vermutlich um sie zu beobachten, auch stehen geblieben waren. Brenda, von Fletchers Gegenwart bisher in Schrecken gehalten, rief jetzt: »Barmherziger Gott, Minna, in welchen Händen haben wir unsern teuren Vater zurückgelassen!«

»In den Händen tapferer Männer,« entgegnete Minna, »ich fürchte nichts für ihn.«

»Tapfer immerhin,« fiel Claud Halcro ein, »aber darum nicht weniger gefährlich. – Ich kenne diesen Altamont, wie er sich nennt, als einen so ausschweifenden Wüstling, wie je einer die Bretter betrat.«

Gleichviel!« entgegnete Minna, »je wilder die Wellen, desto mächtiger die Stimme, die ihnen gebietet. Der Name Cleveland allein reicht hin, den Kühnsten unter ihnen zu zähmen.«

»Es tut mir leid um Cleveland, daß er solche Gefährten hat,« meinte Brenda, – »aber er kümmert mich wenig, wenn ich für meinen Vater besorgt sein muß.«

»Spare Dein Mitleid für die, die seiner bedürfen,« erwiderte Minna, »und fürchte nicht für unsern Vater! – Gott weiß es, jedes Silberhaar auf seinem Haupte ist mir teurer als eine Goldmine; aber ich bin überzeugt, daß er auf jenem Schiffe in Sicherheit ist, und bald wieder wohlbehalten am Lande sein wird.«

»Wollte Gott, wir wären erst so weit,« entgegnete Claud Halcro, »aber ich fürchte, die Kirkwaller werden Cleveland für dasjenige halten, was er ist, und es nicht wagen, ihn gegen den Udaller auszuwechseln. Die Shetländer haben auch gegen Hehler strenge Gesetze.«

»Aber wer sind denn die dort auf der Landstraße?« fragte Brenda, »und warum mögen sie Halt gemacht haben?«

»Eine Miliz-Patrouille ist's,« antwortete Halcro; »halten wohl, weil sie uns aus der Ferne für Männer aus der Schaluppe ansehen – aber jetzt – da sie Eure Weiberkittel erkannt haben, schreiten sie wieder vorwärts.«

Die Patrouille kam heran. Wie Claud Halcro vermutet, sollte sie die Landung der Piraten verhindern. Nach kurzer herzlicher Begrüßung gab sie Halero und Magnus Troils Töchtern Geleit nach Kirkwall. Dort erfuhren sie, daß eine Fregatte, Halkyon mit Namen, vor der Duncansbai gesichtet worden sei. Das Schwesternpaar begab sich auf der Stelle zur Stadtobrigkeit, die Befreiung ihres Vaters zu fordern.

»Herr Magnus Troil von Burgh-Westra,« antwortete das Stadtoberhaupt, »besitzt gewiß unser aller Wertschätzung in hohem Maße – und doch,« setzte er hinzu, »würde ich den Gesetzen verfallen, wenn ich dem Kapitän solches verdächtigen Schiffes deshalb die Freiheit gäbe, weil ein einzelnes Individuum durch Gefangenhaltung gefährdet wird. Wir wissen jetzt, daß dieser Mann Herz und Seele dieser Piraten ist, wie kann ich ihn also frei an Bord senden, damit er das Land plündere, oder wohl gar des Königs Schiffe bekriege? Frechheit genug besitzt er zu allem.«

»Mut genug, Herr Richter, wollen Sie sagen,« erwiderte Minna, außerstande, ihren Unmut über solche Rede zu verschließen.

»Nennt es, wie Ihr wollt, Jungfer Troil,« antwortete der Unterrichter, »nach meiner Meinung ist solcher Mut um nichts besser als Freiheit.«

»Aber unser Vater?« rief Brenda, »unser Vater – der Freund, ja, ich kann sagen, der Vater seines Landes – wollt Ihr tatsächlich ihm die Hilfe versagen, indem Ihr einen unglücklichen Mann in Gefangenschaft haltet, statt ihn seinem Geschick zu überlassen, das ihn doch einmal ereilt?«

Der Richter beschränkte sich auf den gleichen Bescheid wie vorher, »daß er keinem Individuum zuliebe, so ehrenwert es auch sei, seine Pflicht gegen den Staat verletzen könne.«

»Du vergißt, Brenda,« sagte hierauf Minna sarkastisch, »daß Du Dich über die Sicherheit eines armen shetländischen Udallers mit keiner geringern als der ersten Magistratsperson der Hauptstadt von Orkney unterhältst. – Kannst Du verlangen, daß ein so wichtiger Mann sich herablassen solle, an solche Kleinigkeit zu denken? Der Herr wird reiflich in Erwägung ziehen, ob er die ihm vorgelegten Bedingungen anzunehmen habe oder nicht, und dazu gehört soviel Zeit, bis die Kirche von St. Magnus zusammengeschossen sein wird.«

»Ihr mögt uns immerhin zürnen, schönes Mädchen!« entgegnete der gutmütige Mann, »aber die Kirche von St. Magnus hat schon manchen Tag gestanden und wird, so denk ich, Euch und mich, und gewiß auch jene Schar von Galgenvögeln überleben, die sich in so maßloser Weise erfrechen, unsere Inselflur zu bedrohen. Da Euer Vater so halb und halb zu Orkney gehört und hier Besitzungen und Verwandte hat, würde ich, mein Wort darauf, für ihn alles tun, was irgendwie in meinen Kräften stünde; aber meinem guten Willen sind Grenzen gesteckt, über die ich nicht hinaus darf. Wollt Ihr Eure Wohnung in meinem Hause aufschlagen, so werde ich mit meiner Frau Euch zeigen, daß Ihr in Kirkwall so willkommen seid, wie nur irgendwer in Lerwick oder Scalloway.«

Minna würdigte die Einladung keiner Antwort, Brenda aber wies sie höflich zurück, da sie bei einer ihrer Verwandten, die sie bereits erwartete, absteigen müßten.

Halcro machte noch einen Versuch, des Richters Sinn zu bewegen, dieser aber erklärte kurz und bündig, sich mit der Sache nicht weiter befassen zu können, da ein anderer Fall seine Aufmerksamkeit in Anspruch nähme. Ein gewisser Mertoun auf Jarlshof habe gegen den Hausierer Bryce Snailsfoot Klage erhoben, weil er einer Dienstmagd von ihm behilflich gewesen sei, Dinge von Wert zu unterschlagen, die ihm vom wirklichen Eigentümer anvertraut worden seien.

Bis auf den Namen Mertoun hatte der Bericht für die Schwestern nicht das geringste Interesse; dieser aber traf Minnas Herz, als sie der Umstände gedachte, unter denen Mordaunt Mertoun verschwunden war, wie ein Dolchstich, während er in Brendas Seele tiefe Trauer weckte. Aber es erhellte bald, daß das Stadtoberhaupt nur von dem Vater des Jünglings sprach, und da Minna und Brenda an ihm nur geringen Anteil nahmen, verabschiedeten sie sich, um sich zu ihrer Verwandten zu begeben. Dort angelangt, bemühte sich Minna, so weit es, ohne Argwohn zu erregen, geschehen konnte, Erkundigungen über Clevelands Schicksals einzuziehen, dessen Lage, wie sie bald erfuhr, sehr bedenklich war. Zwar hatte ihn die Obrigkeit nicht, wie Claud Halcro anfangs vermutete, in engen Gewahrsam bringen lassen, aber er wurde unter scharfer Bewachung im sogenannten Königskastell gehalten, und durfte sich nur auf dem äußern Flügel der Kirche von St. Magnus, deren Ostseite jetzt allein noch für den Gottesdienst geeignet war, täglich eine Stunde ergehen.

Unter trüben Gedanken, seiner Lage wie seinem Leben gewidmet, schritt Cleveland hier auf und ab; hatte sich seine Lage durch die Heftigkeit seines Temperaments doch so schlimm gestaltet, daß seinem Leben allem Anschein nach, obgleich es noch in seiner Blüte stand, ein gewaltsames, schmachvolles Ende drohte ... »Zu diesen Toten,« sprach er, auf die Gräber zu seinen Füßen blickend, »werde auch ich bald zählen – aber kein geweihter Priester wird seinen Segen über mich sprechen, – keine freundliche Hand eine Grabschrift fertigen, – kein stolzer Nachkömmling wird das Grab des Piraten Cleveland mit Wappenschildern schmücken. Meine modernden Gebeine werden in dem Galgeneisen, an irgend einem Strande oder auf einem einsamen Vorgebirge baumeln, und Strand und Vorgebirge werden meinethalben gefürchtet, gemieden, verflucht sein. Der alte Seemann wird, wenn er vorüberfährt, das Haupt schüttelnd, seine jüngern Gefährten warnend, von meinen Taten erzählen... Minna aber, Minna! was wirst Du denken, wenn Du dieses alles vernimmst? – Wollte Gott, die Nachricht davon sänke unter im tiefsten Strudel zwischen Kirkwall und Burgh-Westra, ehe sie Dein Ohr erreichte! – Hätten wir uns doch nicht erst noch begegnet, da wir uns nie mehr begegnen sollen!«

Er erhob seine Augen, als er so sprach, und Minna Troil stand vor ihm. Ihr Gesicht war bleich, und ihr Haar hing in losen Locken herab; aber ihr Blick war ruhig und fest, und trug wie gewöhnlich das Gepräge erhabner Schwermut. Noch immer war sie in den weiten Mantel gehüllt, wie damals, als sie das Schiff verließ. Clevelands erste Empfindung war Erstaunen, sein nächstes ein von Angst nicht freies Entzücken. Er wollte aufschreien, sich ihr zu Füßen werfen; sie aber gebot ihm Schweigen und Ruhe. »Seid vorsichtig,« sprach sie, »denn wir werden beobachtet – draußen sind Menschen. – nicht ohne Mühe erhielt ich Einlaß. Ich darf hier nicht lange verweilen – man würde denken, – sie könnten glauben – ach, Cleveland! ich habe alles gewagt, Euch zu retten!«

»Mich zu retten?« entgegnete Cleveland, »ach, arme Minna! unmöglich ist's, – Wohl mir, daß ich Euch noch einmal sah, wäre es auch nur, Euch auf immer Lebewohl zu sagen!«

»So ist es; wir müssen uns Lebewohl sagen,« rief Minna; »das Schicksal und Eure Schuld haben uns auf immer getrennt. – Cleveland, ich sah Eure Genossen – brauche ich Euch mehr zu sagen, – muß ich Euch noch sagen, daß ich jetzt die Piraten kenne?«

»Wie? Ihr wäret in der Gewalt jener Wüstlinge?« rief Cleveland, von Todesangst geschüttelt, – »wagten sie es etwa –«

»Sie wagten nichts,« antwortete Minna, – »Euer Name wirkte auf sie wie ein Zauberspruch, seine Macht allein erinnerte mich an jene Eigenschaften, die ich einst an Cleveland schätzte.«

»Ja,« rief Cleveland, »mein Name hat Gewalt über sie und soll sie auch ferner behalten. Hätten sie Euch auch nur durch ein einziges böses Wort gekränkt, sie sollten – aber was träume ich denn – ich bin ja Gefangener!«

»Ihr sollt es nicht mehr lange sein,« entgegnete Minna; »Eure Sicherheit, meines Vater Sicherheit – alles, alles verlangt Eure augenblickliche Freiheit. Ich habe Pläne zu Eurer Rettung gemacht, die nicht fehlschlagen können. Der Tag beginnt sich zu neigen – hüllt Euch in meinen Mantel, und Ihr werdet ungehindert durch die Wachen schreiten, – ich habe ihnen die Mittel verschafft, beim Becher lustig zu sein, und jetzt eben sind sie fleißig dabei. Eilt zu dem See von Stennis, und verbergt Euch dort, bis der Tag anbricht; dann laßt eine Rauchsäule aufsteigen auf dem Punkte, wo das Land sich aus beiden Seiten in den See hineinstreckt und ihn bei der Brücke von Breisgar in zwei Hälften scheidet. Euer Schiff liegt nicht fern und wird ein Boot ans Land senden, – aber zögert keinen Augenblick.«

»Aber Ihr, Minna! – wenn auch dieser kühne Plan gelänge, was wird dann aus Euch werden?«

»Meinen Anteil an Eurer Flucht,« antwortete das Mädchen, »wird die Redlichkeit meiner Absicht vor den Augen des Himmels, die Befreiung meines Vaters aber, dessen Schicksal vom Eurigen abhängt, vor den Augen der Menschen rechtfertigen.«

Sie erzählte ihm nun kurz die Geschichte ihrer Gefangennahme. Cleveland schlug die Augen empor und hob die Hände zum Himmel, für die Rettung der Schwestern aus den Händen seiner furchtbaren Genossen dankend; Ihr habt recht, Minna! fliehen muß ich um jeden Preis, um Eures Vaters willen. Hier also trennen wir uns, doch hoffe ich, nicht auf immer.«

»Auf immer!« erklang da eine Stimme, dumpf wie aus einem Grabgewölbe hervor,

Ihr Blut gerann, sie blickten sich um und starrten einander an. Es schien, als hätten die Echos des alten Gebäudes Clevelands Worte wiedergegeben, ein so feierlicher Klang wohnte ihnen inne,

»Ja, auf immer!« wiederholte Norna vom Fitful-Head, hinter einer der alten Säulen vortretend, die das Gewölbe der Kathedrale trugen. »Der blutrote Fuß begegnete der blutroten Hand, – Wohl euch beiden, daß die Wunde geheilt ward, aus der jenes Blut floß – wohl für euch beide, doch am besten für den, der es vergoß! – Hier also sähet ihr euch wieder, und zum letztenmal!«

»Nein, nein!« rief Cleveland, im Begriff, Minnas Hand zu erfassen, »mich von Minna zu trennen, so lange ich noch unter den Lebenden weile, vermag nur ihr Wille allein!«

»Fort!« unterbrach ihn Norna, zwischen sie tretend, »fort mit solch törichtem Beginnen! – gebt keinen eitlen Träumereien von fernerem Wiedersehen Raum, – Ihr trennt Euch hier, und auf immer, – Der Habicht darf sich nicht mit der Taube paaren, – die Unschuld sich nicht mit der Schuld verbinden, Minna Troil, Du siehst diesen kühnen Verbrecher zum letztenmal, – Cleveland, nie erblickst Du Minna wieder!«

»Und bildet Ihr Euch ein,« rief Cleveland empört, »daß Eure Mummerei mich zu täuschen imstande wäre, und daß ich zu jenen Toren gehöre, die Eure vorgebliche Kunst für mehr als Betrug halten?«

»Haltet ein, Cleveland, haltet ein,« rief Minna, deren angeborene Ehrfurcht vor Norna durch das plötzliche Erscheinen derselben noch erhöht worden war. »Sie ist mächtig – allzu mächtig. – Und Ihr, Norna, bedenkt, daß meines Vaters Wohl von Clevelands Rettung abhängt.«

»Ein Glück für Cleveland, daß ich daran denke,« entgegnete Norna – »und daß ich, zum Wohl des einen, hier bin, beide zu retten. Du aber, die Du kindisch meintest, seinen mächtigen Körper unter Deinem Mantel zu verbergen, sprich, welchen anderen Erfolg hätte solches Unternehmen haben können, als augenblickliche Kettenlast? Ich will ihn retten, will ihn sicher an Bord seiner Barke bringen. Aber diese Ufer muß er meiden und die Schrecken seiner finstern Flagge und seines noch schwärzeren Namens in andere Gegenden tragen; denn steigt die Sonne zum zweitenmal am Himmel auf und findet ihn noch vor Anker, so komme sein Blut über sein Haupt. – Blickt Euch noch einmal an und sagt Euch dann, wenn Ihr es könnt, Lebewohl auf immer.«

»Gehorcht ihr,« stammelte Minna, »widersprecht nicht, – gehorcht ihr!«

Cleveland faßte heftig Minnas Hand, und sie inbrünstig küssend, sprach er, aber so leise, daß nur sie es hören konnte: »Leb Wohl, Minna, aber nicht auf immer.«

»Und nun fort, Mädchen!« rief Norna, »das übrige bleibe der Reimkundigen überlassen!«

»Nur ein Wort noch,« sagte Minna, »und ich gehorche Eurem Gebote – sagt mir, habe ich den Sinn Eurer Worte recht verstanden? ist Mordaunt Mertoun gerettet und wiederhergestellt?« »Gerettet und wiederhergestellt; wehe sonst der Hand, die sein Blut vergoß,« sagte Norna. Minna schritt langsam zur Kirchenpforte, dann und wann hinter sich schauend auf die schattenähnlichen Umrisse Nornas und die stattliche soldatisch-seemännische Gestalt Clevelands, Als sie sich zum andernmal umsah, folgte Cleveland der Greisin, die langsam und feierlich auf einen Seitenflügel zuschritt. Als sie zum drittenmal sich umsah, waren ihre Gestalten verschwunden. Der Pforte an der Ostseite zueilend, durch die sie eingetreten war, horchte sie einen Augenblick und hörte, daß die Wachen außen miteinander schwatzten.

»Das shetländische Mädchen,« sprach einer, »bleibt lange drinnen bei dem räuberischen Burschen. Hoffentlich haben sie sich über nichts anders zu besprechen als über ihres Vaters Auslösung.«

»Ja, ja,« fiel ein zweiter ein, »hübsche Dirnen haben mehr Mitleid mit einem jungen behenden Piraten als mit einem sichern Bürger.«

Hier wurde das Gespräch durch die Person unterbrochen, um die es sich drehte, und wie auf schlimmer Tat ertappt, rissen sie die Hüte vom Kopfe und verneigten sich ehrfurchtsvoll, sichtlich nicht ohne Verwirrung.

Minna kehrte in ihre Wohnung zurück, zwar tief bewegt, aber im ganzen doch mit dem Erfolg ihres Ganges zufrieden, der, wie sie jetzt hoffen durfte, ihren Vater außer Gefahr setzte, sie selbst aber über Clevelands und Mordaunts Rettung beruhigt hatte. Sie eilte, Brenda von allem Nachricht zu geben, die sich mit ihr zu einem Dankgebet vereinigte. Spät abends kam Claud Halcro zu ihnen, um ihnen mit wichtiger, aber auch ängstlicher Miene zu berichten, daß der Pirat Cleveland aus der Sankt-Magnus-Kirche verschwunden sei und daß der Stadthauptmann wohl bald bei ihnen sein werde, um Minna zu befragen, was sie mit ihrem Besuche bei dem gefangenen Piraten bezweckt habe, und ob es auf Wahrheit beruhe, daß sie ihm zur Flucht verholfen.

Minna hielt dem würdigen Herrn gegenüber damit hinter dem Berge, daß sie sich über Clevelands Flucht freue, weil sie darin das einzige Mittel sähe, ihren Vater zu retten, stellte aber mit aller Entschiedenheit in Abrede, daß sie irgend welchen unmittelbaren Anteil an seiner Flucht habe, sondern räumte nur ein, daß sie Cleveland in der Kirche vor mehr als drei Stunden in Gesellschaft einer dritten Person verlassen habe, deren Namen bekannt zu geben sie aber kein Recht habe.

»Es liegt kein Anlaß für uns vor, Fräulein Minna, erwiderte der Richter, »auf einer genaueren Antwort zu bestehen, »denn obgleich wir heute niemand als Euch und den Kapitän Cleveland in die Sankt-Magnus Kirche haben gehen sehen, wissen wir doch recht gut, daß Eure Base, die alte Ulla Troil, von Euch Shetländern Norna vom Fitful-Head genannt, See und Land und Luft durchkreuzt hat, zu Boot, zu Pferde, und wer weiß, ob nicht vielleicht auch auf dem Besenstiel; auch ihren stummen Zwerg hat man umherschleichen sehen. Daraus schließe ich ohne weiteres, daß es die alte Norna war, die Ihr in der Kirche bei dem rebellischen Haudegen zurückließt; und ist dem so, dann mag ihn einfangen, wer Lust hat. Das wenigste, was Ihr, Eure Base und Vater jetzt noch tun könnt, besteht darin, Euren Einfluß auf den wilden Burschen geltend zu machen, daß er sich so bald wie möglich entferne, ohne der Stadt und unserm Handel Schaden zuzufügen. Gott weiß, ich will dem armen Jungen nicht ans Leben, und wenn seine Gefangenschaft den würdigen Magnus Troil von Burgh-Westra ins Unglück brächte, gäbe es wohl kaum jemand, der das tiefer bedauerte als ich.«

»Ich merke, worum es Euch am meisten zu tun ist, Herr,« fiel Claud Halcro ein, »und ich kann für meinen Freund Troil wie für mich selbst einstehen, daß wir alles tun wollen, was in unsern Kräften steht, diesen Cleveland unverzüglich von der Küste weg zu bringen.«

»Und ich,« sagte Minna, »will, wenn uns Halcro begleitet, morgen früh mit meiner Schwester nach Stennis hinüber, um meinen Vater, so wie er ans Land kommt, mit Euren Wünschen bekannt zu machen und mit ihm zusammen jenen Unglücklichen zum sofortigen Aufbruch zu bewegen.« Der Richter betrachtete sie mit einiger Verwunderung ... »Nicht jedes junge Mädchen,« sagte er, »möchte sich einer Piratenbande auf acht Stunden nähern.«

»Wir laufen keine Gefahr,« fiel Claud Halcro ein, »das Haus von Stennis ist stark, und meine Base, der es gehört, hält Diener und Waffen drinnen – die jungen Mädchen sind dort ebenso sicher wie in Kirkwall; viel Gutes aber kann aus dieser baldigen Zusammenkunft des Udallers mit seinen Töchtern erwachsen. Und so freut es mich denn, auch hier die Worte des ruhmgekrönten John bewährt zu sehen:

Nach hartem Kampf hat doch der Mensch
den Richter überwunden.«

Der Stadthauptmann lächelte, nickte und versicherte, daß er sich sehr glücklich schätzen werde, wenn der Glücksritter mit seinem wilden Haufen Orkney ohne weitere Gewalttätigkeit verließe; ihre Verproviantierung, sagte er, dürfe er nicht anordnen, aber zu Stromneß würde man ihnen, sei es aus Furcht oder weil man ihnen unter die Arme greifen wolle, gewiß mit Vorräten aufwarten. Darauf verabschiedete er sich von Halcro und den Mädchen, die sich am nächsten Morgen nach Stennis, das am gleichnamigen Seearme, etwa vier Stunden von der Rhede von Stromneß, wo das Piratenschiff ankerte, gelegen war, begaben.


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