Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Tag für Tag verstrich und von Mordaunt Mertoun war noch immer nichts in Sumburgh-Head zu hören. Zu jeder andern Zeit hätte solches Ausbleiben über die vermutete Frist hinaus vielleicht Neugier, aber keine Besorgnis herbeigeführt; denn die alte Swertha, die es auf sich genommen, über den kleinen Haushalt von Mordaunts Vater zu wachen, hätte nicht anders gemeint, als daß der Jüngling sich bei einer Lustpartie länger als die übrigen Gäste aufgehalten habe. Aber sie wußte, daß Mordaunt seit kurzem nicht mehr in Gunst bei Magnus Troil stehe, sie wußte, daß er sich vorgenommen, wegen der Gesundheit seines Vaters, nur kurze Zeit auf Burgh-Westra zu bleiben, und das alles machte sie ängstlich, zumal Mordaunts gutmütiges, freundliches Wesen auf ihr welkes, von Eigennutz beherrschtes Herz einen gewissen Eindruck nicht verfehlt hatte. Die Situation verschärfte sich für sie insofern, als Mordaunts Vater, wie schon mehrfach bemerkt, bei seinem verschlossnen und, ungeselligen Wesen durchaus nicht leiden konnte, außer in besonders dringenden Fällen angesprochen zu werden, und daß sie es deshalb so einzurichten suchen mußte, daß nicht sie, sondern er selbst die Rede auf den Fall mit seinem Sohne brächte ... Um dieses Ziel zu erreichen, legte sie eines Tages, als sie den Tisch für Herrn Mertouns einfaches und einsames Mahl bereitete, zwei Gedecke auf und traf allerhand andere kleine Vorbereitungen, als ob ein Gast oder Teilnehmer bei der Mahlzeit zu erwarten sei.

Diese List gelang; denn kaum sah Mertoun, als er aus seinem Arbeitszimmer trat, den für zwei Personen gedeckten Tisch, als er auch sogleich Swertha fragte: ob Mordaunt von Burgh-Westra zurück sei?

»O nein, gnädiger Herr,« versetzte sie mit vielleicht nicht ganz aufrichtiger Angst, »noch ist an unserer Pforte nicht geklopft worden, und noch ist Herr Mordaunt, das liebe, gute Kind, nicht glücklich, wieder heimgekehrt.«

»Warum legst Du albernes Geschöpf dann ein Gedeck für ihn auf den Tisch?« fragte Mertoun in einem Tone, der berechnet schien, jedem fernern Worte der Alten Einhalt zu tun. Aber sie erwiderte mutig: »daß es ihrer Meinung nach doch anderer Leute Sache wäre, sich um Herrn Mordaunt zu bekümmern, und sie doch eben nichts weiter tun könne, als Stuhl und Teller für den jungen Herrn bereit zu halten, wenn er eintreffen solle; aber das arme gute Kind bleibe ihrer Meinung nach zu lange aus, als daß man nicht befürchten müsse, er käme überhaupt nicht wieder.«

»Furcht, Furcht, Altweiber-Furcht!« rief Mertoun, während seine Augen flammten, wie immer, wenn sein heftiges Temperament loszubrechen drohte, »was geht mich Deine alberne Furcht an, alte Hexe!«

Swertha aber hielt stand und versetzte mit einer Kühnheit, über die sie sich später selbst oft wunderte: »jeder andere Vater, als der gestrenge Herr, hätte sicher schon Nachforschungen nach dem armen Jungen angestellt, der nun schon seit acht Tagen von Burgh-Westra fort sei, ohne daß jemand wisse, was aus ihm geworden.«

Mertoun stutzte, verwies die Alte aber im andern Augenblick durch finsteres Stirnrunzeln zur Ruhe; Swertha aber blieb dabei, »daß der gestrenge Herr ein bitter Unrecht tue, wenn er sich nicht um den besten jungen Herrn der ganzen Insel kümmere, dem doch unbedingt Schlimmes zugestoßen sein müsse.«

»Was kann ihm denn Schlimmes passiert sein, alte Törin?« versetzte Mertoun; »wer seine Zeit, wie er, mit Tändeleien verschwendet, hat auf viel Ernst von keiner Seite zu rechnen!«

»Ja doch, ich bin eine alte Törin,« rief sie, – »aber wenn nun Herr Mordaunt in den Roost geraten wäre, wo bei dem Sturm vor mehreren Morgen ja mehr als ein Boot den Untergang gefunden? Oder wenn er auf seinem Heimweg in einem der Landseen seinen Tod gefunden hätte, – oder wenn nun sein Fuß auf irgend einer Klippe ausgeglitten wäre, – alle Inseln kennen ihn als einen Wagehals – wer,« fragte Swertha, »wäre dann töricht? ich, oder er, oder Ihr? – Gott mag das arme, mutterlose Kind beschützen! denn wenn er eine Mutter hätte, so hätte man sich um ihn schon lange gekümmert!«

Die letzten Worte der Alten ergriffen Mertoun gewaltig, – seine Lippen bebten, Totenblässe überzog sein Gesicht, und murmelnd gebot er Swertha, in sein Arbeitszimmer zu gehen – das sie fast nie betreten durfte – um ihm eine von den Flaschen zu holen, die dort ständen.

»Ho, ho,« dachte Swertha, den erhaltenen Befehl eilig ausführend, »der Herr hat seine geheime Trostquelle?«

In der Tat stand im Arbeitszimmer eine Kiste mit Flaschen, wie man sie gemeinhin zur Aufbewahrung geistiger Getränke zu gebrauchen pflegt, aber die sie umhüllenden Spinnengewebe bewiesen, daß sie jahrelang nicht berührt worden. Mit einer Gabel, denn Korkzieher gab es damals noch nicht, zog Swertha nicht ohne Schwierigkeit, den Stöpsel aus einer Flasche, und, nachdem sie sich erst durch den Geruch – dann, um sicher zu gehen, noch durch einen tüchtigen Schluck überzeugt hatte, daß in der Flasche gutes Barbadoes-Wasser enthalten sei, brachte sie es ihrem Herrn, der noch immer gegen eine Ohnmacht anzukämpfen schien. Besorgt, daß jemand, der an starke Getränke nicht gewöhnt sei, sich durch eine größere Portion leicht schaden könne, goß sie nur wenig in das ihr zunächst stehende Glas; aber Mertoun, gab ihr ungeduldig zu verstehen, daß er das Glas gefüllt haben wolle, und stürzte es mit einem Zuge hinunter.

»Nun, Gott und die Heiligen mögen uns schützen!« dachte Swertha, »nun wird er doch gewiß trunken und toll zugleich – und wer wird ihn dann im Zaume halten?«

Aber Mertoun fand nicht bloß den Atem wieder, auch sein Gesicht belebte sich – und von Trunkenheit zeigte sich keine Spur – ja, Swertha versicherte späterhin oft, daß sie von einem Schluck Branntwein zwar immer die beste Meinung gehegt habe, daß ihr aber noch keiner vorgekommen sei, der ein solches Wunder bewirkt hätte; denn der gnädige Herr hätte weit vernünftiger gesprochen, als es, seit sie in seinen Diensten gestanden, der Fall gewesen sei.

»Swertha,« sagte er, »dieses Mal hast Du recht, und ich habe unrecht. – Geh' hinunter zum Gemeindevorstand und sage ihm, er solle augenblicklich heraufkommen; ich hätte mit ihm zu sprechen; er solle mir genauen Bescheid bringen, wieviel Boote und Mannschaft er aufbringen könne; sie sollen alle auf Kundschaft ausfahren und reichlich dafür abgelohnt werden.«

Swertha eilte, so schnell es ihre sechzig Jahre ihr gestatteten, in das Dörfchen, richtete dort ihren Auftrag aus, unterließ aber nicht, sich an dem Verdienst, der der Bewohnerschaft auf solche Weise zuteil wurde, sich ihren Anteil zu sichern, und eilte dann nach dem Herrenhause zurück, von Neil Ronaldson begleitet, den sie unterwegs so gut wie möglich mit den Sonderbarkeiten ihres Herrn bekannt machte.

»Vor allen Dingen,« sagte sie, »laßt ihn nie auf Antwort warten, und sprecht laut und verständlich, so, als wenn Ihr ein Boot anruft, denn er mag nicht zweimal über eine Sache sprechen, wenn er nach den Entfernungen fragt, so mögt Ihr aus halben Stunden immerhin Stunden machen, denn er weiß nichts von dem Grund und Boden, auf dem er wohnt; wenn er aber vom Lohne spricht, so könnt Ihr dreist Taler statt Schillinge fordern, denn er achtet Geld nicht höher als Kiesel.«

Unter dem Eindruck solcher Belehrung wurde Neil Ronaldson vor Mertoun geführt, war aber nicht wenig betroffen, recht bald inne zu werden, daß sich dem Herrn von Sumburgh auch nicht das kleinste X für ein U machen ließe, weder über den Lohn für die Boote und Leute, noch über die Entfernung von einem Ort zum andern, noch über die Schiffahrtsbedingungen dieser Inselflur. Ueber alles sprach er mit einer Sachkunde, die um so mehr in Erstaunen setzte, als man ihn bisher nie darüber hatte sprechen hören.

Dagegen schnitt er alle Besorgnis, die Neil Ronaldson infolgedessen gekommen, daß es mit dem Lohne wohl nicht weither sein werde, dadurch ab, daß er freiwillig weit mehr zu zahlen versprach, als Neil zu fordern gewagt hätte, ja auch noch eine Prämie aussetzte, wenn sie mit der freudigen Nachricht, daß sein Sohn wohl und gesund sei, zurückkehren sollten.

Neil Ronaldson begann hierauf als gewissenhafter Mann, ernstlich über die verschiedenen Orte Erwägungen anzustellen, wo sich Nachsuchungen über den Verbleib des jungen Mannes anstellen ließen, und erklärte, »daß, wenn der gestrenge Herr es nicht übel nehmen wollte, er daran erinnern möchte, daß, sofern sich jemand fände, eine gewisse Person zu befragen, und diese Person Lust haben sollte Antwort zu geben, wohl niemand als sie, bessere Auskunft über Herrn Mordaunt Mertoun werde erteilen können. Wen ich meine, Swertha, wißt Ihr – die Person, die noch heute früh unten am Hafen war.« – So schloß er mit einem geheimnisvollen Blick auf Swertha, die seine Frage mit einem vielsagenden Nicken erwiderte.

»Wen meint Ihr?« fragte Mertoun, »sagt es frei heraus – von wem sprecht Ihr?«

»Er meint Norna vom Fitful-Head,« antwortete Swertha, »sie ist heute früh nach der St. Ringans-Kirche gegangen und, wie sie sagte, in eigenen Geschäften.« »Was könnte dieses Weib von meinem Sohne wissen?« entgegnete Mertoun, »sie ist doch meines Wissens nicht recht bei Sinnen und streift als Betrügerin durch diese Inselflur.«

»Wenn sie umherstreift,« erwiderte Swertha, »so tut sie es nicht, weil ihr eine Heimat fehlt; denn es ist bekannt genug, daß sie Hab und Gut genug besitzt, ganz abgesehen davon, daß der Vogt ihr es an nichts fehlen ließe.«

»Aber was hat mein Sohn mit all diesen Dingen zu schaffen?« fragte Mertoun ungeduldig,

»Ei, ich weiß nur, daß sie, seitdem sie den jungen Herrn zum erstenmal gesehen, auch viel von ihm gehalten und ihm mancherlei schöne Sachen geschenkt hat, wie z. B, die güldene Kette, die er um den Hals trägt und von der die Leute sagen, sie sei von Zaubergold, – Ich verstehe mich nicht darauf, aber Bryce Snailsfoot der Hausierer meint, sie sei an hundert Pfund englisch wert, und das ist doch, mein Seel', keine taube Nuß.«

»Geht, Ronaldson,« sagte Mertoun, »oder laßt das Weib von jemand herholen, wenn Ihr glaubt, wir können durch sie etwas über das Schicksal meines Sohnes erfahren.«

»Sie weiß,« antwortete Ronaldson, »alles was auf den Inseln vorgeht, früher und besser, als sonst irgend ein anderer, das ist wahr und gewiß. Aber in die Kirche gehen oder sie auf dem Kirchhof aufzusuchen, dazu wäre kein Mensch in Shetland weder aus Not noch durch Geld zu bewegen, – und das ist eben so wahr und gewiß wie das andere.«

»Furchtsame, abergläubische Toren,« rief Mertoun; »gib mir meinen Mantel, Swertha, dieses Weib war auf Burgh-Westra, sie ist mit der Troilschen Familie verwandt, vielleicht kann sie mir etwas über Mordaunts Ausbleiben sagen. Ich will sie aufsuchen: in der Kreuzkirche, meint Ihr, werde ich sie finden?«

»Nein, nein, nicht in der Kreuzkirche,« rief Swertha, »in der alten St. Ringans-Kirche; ein verdächtiger Ort ist's und gar nicht geheuer; wenn der gestrenge Herr meinen Rat hören wollte, so bliebe er hier, bis sie zurückkäme, und unternähme es nicht, sie dort zu stören, wo sie, nach allem was man davon weiß, mehr mit den Toten als mit den Lebenden zu schaffen hat.«

Mertoun gab keine Antwort, sondern nahm den Mantel um; denn es war neblig, und Regenschauer stürzten dann und wann herab. Das öde Herrenhaus von Jartshof verlassend, schlug er, schneller ausschreitend als gewöhnlich, den Weg nach der Kirchenruine ein, die, wie ihm wohl bekannt war, etwa anderthalb Stunden von seiner Wohnung entfernt lag. Swertha und Neil Ronaldson blickten ihm schweigend nach, bis er sich außer dem Bereich ihrer Stimmen befand; dann sahen sie einander ernsthaft an, schüttelten bedenklich die Köpfe und gaben den Empfindungen, die sie erfüllten, gemeinsam in einem und demselben Augenblicke Ausdruck: »Narren sind immer gleich bei der Hand,« rief Swertha, und Neil Ronaldson fügte hinzu: »Der entgeht seinem Schicksal nicht! Solche dem Tode geweihten Menschen kann man nicht aufhalten.«

Swertha erinnerte ihn, daß er nach dem Hafen gehen müsse, die Boote zu besorgen: »Einmal halte ich viel von dem guten Jungen, und dann fürchte ich auch, er möchte auf eigne Hand zurückkehren, noch bevor Ihr in See wäret; auch ist der Herr, wie ich Euch schon oft gesagt habe, nur mit Güte zu leiten, duldet gar keinen Ungehorsam, und wenn Ihr seine Befehle nicht erfüllt und nicht in See stecht, werdet Ihr nun und nimmermehr den ausbedungenen Lohn von ihm bekommen.«

»Ja, ja, Ihr habt recht,« antwortete Neil, »wir wollen hinaus, so schnell wie möglich. Zum Glück liegen Elawson und Peter Grots Boote noch im Hafen; denn als sie heute früh an Bord wollten, sprang ihnen ein Kaninchen vorüber, und da kamen sie als kluge Leute sogleich zurück, weil sie wohl denken konnten, daß ihnen anderes Tagwerk winken werde.«


 << zurück weiter >>