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Fünfzehntes Kapitel.

»Dieser Brief ist eiligst, eiligst, eiligst, zu bestellen!
Reite, Kerl, reite, als gält' es dein Leben, dein Leben!«

Alte Inschrift auf wichtige Briefe.

Indem wir Mr. Oldbuck und seinen Freund die theuer erkauften Fische genießen lassen, bitten wir, den Leser nach dem Zimmer des Postmeisters in Fairport versetzen zu dürfen, wo seine Frau, da er selber gerade abwesend war, sich mit einer Musterung der von Edinburg zur Bestellung eingegangenen Briefe beschäftigte. Dies ist häufig in Landstädtchen diejenige Zeit des Tages, wo die Gevatterinnen es vorzüglich angenehm finden, den Postmeister oder die Postmeisterin zu besuchen, um von der Außenseite der Briefe, oder, wofern dies nicht erlogen ist, auch gelegentlich von der Inseite, eine unterhaltende Nachricht zu erhaschen oder Vermuthungen über die Correspondenz und die Angelegenheiten ihrer Nachbarn anzustellen. Zwei Frauen dieser Art waren, zu der angegebenen Zeit, bei Mrs. Mailsetter, um dieser bei Ausübung ihrer Amtspflicht förderlich oder hinderlich zu sein.

»Ach, der Herr steh' uns bei,« sagte des Fleischers Frau, »da sind zehn – elf – zwölf Briefe an Tennant et Comp.! diese Leute machen mehr Geschäfte, als die ganze übrige Stadt.«

»Ei, weist doch her,« antwortete des Bäckers Gemahlin, »da sind zwei unter Kreuzcouvert, und sorgfältig versiegelt – da stecken ohne Zweifel protestirte Wechsel drin.«

»Ist denn kein Brief für Jenny Caxon gekommen?« forschte die Priesterin der Gekröse und Schweinskeulen – »der Leutnant ist doch schon seit drei Wochen fort.«

»Einer kam gerade am Dienstag vor acht Tagen,« antwortete die Dame der Briefe.

»War's ein Brief zur See?« fragte die Bäckerin.

»Ei freilich.«

»Dann wird er wohl vom Leutnant gewesen sein,« antwortete die Beherrscherin der Semmelbank, ein wenig mißmuthig – »ich hätte nimmer gedacht, daß er sich noch um sie bekümmern würde.«

»Ach! da ist ein zweiter!« rief Mrs. Mailsetter. »Ein Brief vom Schiff – Postzeichen Sunderland.« – Alle stürzten herzu, um ihn an sich zu reißen. – »Nein, nein, meine Damen,« sagte Mrs. Mailsetter, abwehrend; »ich habe Ungelegenheit genug gehabt – wißt ihr wohl, daß Mr. Mailsetter vom Postsecretär in Edinburg eine tüchtige Nase bekommen hat, weil Beschwerde geführt worden war wegen des Briefs von Aily Bisset, den Sie aufgemacht hatten, Mrs. Kleinbrod?«

»Ich ihn aufgemacht!« antwortete die Gattin des ersten Bäckers in Fairport; »Sie wissen doch, Frau Postmeisterin, daß er mir ganz von selbst in der Hand aufging – was konnt' ich dafür? – die Leute sollten bessern Siegellack nehmen!«

»Freilich ist das wohl wahr,« sagte Mrs. Mailsetter, die einen Kramladen hatte, »und wir haben selbst welchen erhalten, der sehr zu empfehlen ist, wenn ihr etwa hört, daß Jemand dergleichen braucht. Aber kurz und gut, wir werden die Stelle gewiß verlieren, wenn noch einmal Beschwerden der Art vorkommen.«

»Ach, meine Liebe, da wird der Bürgermeister schon sorgen.«

»Nein, nein; ich will mich weder auf den Bürgermeister noch auf den Stadtschreiber verlassen,« sagte die Postmeisterin, – »aber ich will ja gern gefällig und nachbarlich sein, und ich habe gar nichts dawider, wenn man die Außenseite der Briefe besieht – hier, das Siegel hat einen Anker. Er hat ihn gewiß mit einem seiner Knöpfe gesiegelt.«

»Zeigen Sie! zeigen Sie!« riefen die Weiber des ersten Bäckers und ersten Fleischers; und so rissen sie den vermeinten Liebesbrief hin und her, wie die Zauberschwestern in Macbeth den Diebs-Daumen, und zwar mit einer Neugier, die eben so eifrig und kaum weniger boshaft war. Mrs. Knochenhauer war ein großes Weib, sie hielt den kostbaren Brief zwischen ihren Augen und dem Fenster empor. Mrs. Kleinbrod, eine kleine unbeholfene Person, strebte und stand auf den Zehen, um ihr Theil an der Untersuchung zu haben.

»Ja, er ist von ihm, ganz gewiß,« sagte des Fleischers Gemahlin, – »ich kann in der Ecke hier Richard Taffril lesen, und er ist, wie John Thomson's Schreibtafel, von oben bis unten vollgeschrieben.«

»Halten Sie's doch niedriger, Madam,« rief Mrs. Kleinbrod in einem Tone, der lauter als das vorsichtige Flüstern war, welches diese Beschäftigung verlangte. »Halten Sie niedriger – meinen Sie denn, es kann Niemand lesen und schreiben, als Sie allein?«

»Still, still, um Gottes willen!« sagte Mrs. Mailsetter, »'s ist Jemand im Laden.« – Darauf rief sie laut: »Sieh doch nach den Kunden, Baby!« – Baby antwortete von draußen mit gellender Stimme: »'s ist weiter Niemand, als Jenny Caxon, Frau Postmeisterin, sie will sehn, ob vielleicht Briefe für sie da sind.«

»Sag' ihr,« erwiederte die treue Postmeisterin, ihren Gefährtinnen einen Wink gebend, »sie solle morgen zehn Uhr wiederkommen, da kann sie's erfahren – wir haben noch nicht Zeit gehabt, die Briefe zu sortiren. Sie thut aber auch so eilig, als ob ihre Briefe wichtiger wären, als die des besten Kaufmanns in der Stadt.«

Die arme Jenny, ein Mädchen von ungewöhnlicher Schönheit und Sittsamkeit, konnte nur ihren Mantel zusammennehmen, um den Seufzer getäuschter Erwartung zu verbergen, um dann traurig nach Hause zu gehen und noch eine kummervolle Nacht hinzubringen, die ihr die getäuschte Hoffnung bereitete.

»Da ist etwas von einer Nadel und einem Stock,« sagte Mrs. Kleinbrod, welcher die große klatschlustige Nebenbuhlerin endlich einen Blick auf den Gegenstand ihrer Neugier vergönnt hatte.

»Nun, das ist doch ganz schändlich,« sagte Mrs. Knochenhauer, »das arme einfältige Mädchen zu verspotten, nachdem sie so lange mit einander umgegangen sind und sie ihm gewiß Alles zu Willen gethan hat – denn daran ist gar kein Zweifel.«

»Ach, ganz und gar kein Zweifel,« wiederholte Mrs. Kleinbrod; – »ihr vorzuwerfen, daß ihr Vater ein Friseur ist und einen Perückenstock an der Thür hat, und daß sie selber nur eine Nähterin ist! Ach! das ist schändlich!«

»Nein, nein, ihr Damen,« rief Mrs. Mailsetter, »ihr habt alle Unrecht, 's ist eine Stelle aus einem seiner Seemannsliedchen, das ich ihn singen hörte und wo es heißt, treu wie die Nadel dem Pol.«

»Nun gut, wenn das doch wahr ist,« sagte die huldreiche Dame Knochenhauer, – »aber es läßt gar nicht gut für ein Mädchen, wie sie, mit einem Officier Briefe zu wechseln.«

»Das ist nicht zu läugnen,« sagte Mrs. Mailsetter; »aber dem Postamt bringen diese Liebesbriefe viel ein – seht, hier sind fünf oder sechs Briefe an Sir Arthur Wardour – meist mit Oblaten gesiegelt und nicht mit Siegellack – bei dem wirds bald Feierabend sein, das glaubt mir.«

»Ja; es werden Geschäftsbriefe sein, und nicht von einem seiner vornehmen Freunde, denn die siegeln mit ihrem Wappen,« sagte Mrs. Knochenhauer; »Hochmuth kommt vor'm Fall! Mit meinem Manne hat er die Rechnung seit einem Jahre nicht abgemacht – ich fürchte, es steht schlecht mit ihm.«

»Auch mit uns seit sechs Monaten nicht,« stimmte Mrs. Kleinbrod ein – »es geht ganz auf die Neige mit ihm.«

»Hier,« fiel die geschäftige Postmeisterin ein, »ist ein Brief von seinem Sohne, dem Capitän, glaub' ich – auf dem Siegel sind dieselben Zeichen, wie am Wagen Wardour's. Er wird nach Hause kommen wollen, um zu sehn, was sich noch aus dem Feuer retten läßt.«

So war der Baronet abgefertigt und sie fielen nun über den Esquire her. »Zwei Briefe für Monkbarns – sie sind von einem seiner gelehrten Freunde. Seht, wie sie dicht voll geschrieben sind, bis an's Siegel herab, und das Alles nur, um einen doppelten Brief zu ersparen – das sieht dem Monkbarns ganz ähnlich. Wenn er einen Brief frankirt, so hält der so genau das Gewicht, daß ein Kümmelkörnchen die Wagschale niederdrücken würde – aber nie wiegt er ein Körnchen weniger. Mich würde man schön ansehn, wenn ich's den Leuten so genau wägen wollte, die bei mir Pfeffer und dergleichen Gewürze kaufen.«

»'s ist ein schäbiger Filz, der Laird von Monkbarns,« sagte Mrs. Knochenhauer, – »kauft er einmal ein Lammsviertel im August, so macht er so viel Wesens darum, als wär's ein Rindsviertel. Geben Sie mir doch einen Tropfen von dem Zimmtwasser, Mrs. Mailsetter, meine Liebe – ach, Kinder, wenn ihr seinen Bruder gekannt hättet, wie ich – wie manchesmal schlüpfte er herein zu mir, mit einem Paar wilder Enten in der Jagdtasche, wenn mein erster Mann auf dem Viehmarkt in Falkirk war. Ja, ja, es ließe sich viel davon reden.«

»Ich will gar nichts schlechtes von diesem Monkbarns reden,« sagte Mrs. Kleinbrod; »sein Bruder hat mir niemals wilde Enten gebracht, aber er selber ist ein ganz braver Mann. Wir liefern seinem Hause das Brod, und er bezahlt richtig in jeder Woche; blos einmal ward er recht böse, als wir ihm ein Buch, statt des üblichen Kerbholzes schickten, welches doch die ächte alte Sitte wäre, wie er sagte, nach welcher Kaufmann und Käufer untereinander abrechneten; und das ist freilich ganz wahr.«

»Aber seht hier, meine Lieben,« rief Mrs. Mailsetter, »hier ist etwas zu sehn! Was gäbt ihr darum, wenn ihr erfahren könntet, was in diesem Briefe steht? das ist Brod von neuem Korn – noch nie hab' ich dergleichen gesehn – An William Lovel, Esquire, bei Mrs. Hadoway, Hochstraße, Fairport, bei Edinburg. Das ist nun der zweite Brief, den er bekommt, seit er hier ist.«

»Um's Himmelswillen, zeigen Sie, Beste! Bitte, bitte, zeigen Sie! – An ihn, aus dem die ganze Stadt nicht klug werden kann – und ein hübscher junger Mann ist er – zeigen Sie, zeigen Sie!« So riefen die beiden würdigen Stellvertreterinnen der Mutter Eva.

»Nein, nein, ihr Lieben,« rief Mrs. Mailsetter; »laßt ab, greift nicht zu, das sag' ich euch. Das ist keiner von den Vierpfennigbriefen, die wir allenfalls dem Postamt selber vergüten können, wenn ein Unfall damit passirt. Das Porto beträgt fünf und zwanzig Schilling – und hier steht ein Befehl vom Secretär, den Brief durch einen Expressen dem jungen Gentleman nachzuschicken, wenn er nicht zu Hause sein sollte. Nein, nein, meine Guten, laßt ab; das darf nicht zu derb angegriffen werden.«

»Aber die Außenseite werden Sie uns doch wohl sehn lassen, Liebe?«

Vom Aeußern ließ sich indeß nichts erkennen, außer die Bemerkungen über die verschiedenen Eigenschaften, welche die Mathematiker den Körpern zuschreiben, Länge, Breite, Tiefe und Gewicht. Das Couvert war von starkem, dickem Papier, undurchdringlich für die gierigen Augen der Gevatterinnen, obwohl sie darauf losstarrten, als wollten sie aus dem Kopfe springen, das Siegel war der Abdruck eines tief und gut geschnittenen Wappens und trotzte jedem Angriffe.

»Ach,« sagte Mrs. Kleinbrod, den Brief in der Hand wägend und wahrscheinlich auch wünschend, daß sich das feste Siegel von selbst auflösen möchte, »wie gern möcht' ich wissen, was darin steht, denn dieser Lovel ist ein Mensch, wie noch keiner das Pflaster in Fairport betreten hat – Niemand weiß, was aus ihm zu machen ist.«

»Ja wohl, meine Guten,« sagte die Postmeisterin, »wir wollen uns niedersetzen und ein Bischen davon reden; Baby, bring das Theewasser herein – Ihnen sehr verbunden für den Kuchen, Mrs. Kleinbrod, – wir wollen den Laden zumachen, Baby kann herausgehn und wir nehmen die Karten ein Bischen zur Hand, bis mein Mann nach Hause kommt – und dann wollen wir Ihre schönen Kalbsbröschen versuchen, die Sie so gut waren, mir zu schicken, Mrs. Knochenhauer.«

»Aber wollen Sie nicht erst Mr. Lovel's Brief fortschicken?« sagte Mrs. Knochenhauer.

»Ich weiß wirklich nicht, wen ich schicken könnte, eh' mein Mann nach Hause kommt, denn der alte Caxon sagte mir, daß Mr. Lovel heute in Monkbarns ist – er hat das Fieber bekommen, weil er den Laird und Sir Arthur aus der See holte.«

»Närrische, alte, alberne Kerle,« sagte Mrs. Kleinbrod; »was hatten sie auch in einer Nacht wie gestern im Wasser zu suchen?«

»Ich hörte, der alte Edie hätte sie herausgeholt,« sagte Mrs. Knochenhauer; »Edie Ochiltree, der Blaukittel, ihr kennt ihn ja; der soll sie alle drei aus dem alten Fischteiche gezogen haben, denn Monkbarns hatte sie dorthin geführt, um ihnen einen alten Ueberrest von den Mönchszeiten her zu zeigen.«

»Ach, das ist dummes Zeug,« antwortete die Postmeisterin; »ich will euch Alles genau erzählen, wie ich's vom alten Caxon erfahren habe. Seht, Sir Arthur und Miß Wardour und Mr. Lovel sollten zu Mittag in Monkbarns essen« –

»Aber, Mrs. Mailsetter,« fiel Mrs. Knochenhauer wieder ein, »werden Sie denn nicht den Brief durch einen erpressen Boten absenden? da haben wir ja unsern Klepper und unsern Burschen, die beide schon manchmal für die Post geritten sind, und der Klepper hat heute noch nicht über fünfzehn Stunden gemacht – Jock schirrte ihn eben aus, als ich hierher ging.«

»Ei, Mrs. Knochenhauer,« sagte die Postdame, etwas ärgerlich, »Sie wissen, daß mein Mann gern selber solche Dinge bestellt; was man selber verdienen kann, wird man doch nicht in fremde Hände geben; es trägt ihm eine blanke Guinee ein, so oft er seine Stute besteigt, und ich denke wohl, er wird bald da sein. Oder vielmehr denk' ich auch, es kommt auf Eins hinaus, ob der Herr den Brief heut Abend, oder Morgen mit dem frühesten bekommt.«

»Nur daß Mr. Lovel in der Stadt sein wird, ehe der Bote abgeht,« sagte Mrs. Knochenhauer, »und wie stehts dann mit Ihnen, Liebe? Aber Sie müssen am besten wissen, was Sie zu thun haben.«

»Schon gut, Mrs. Knochenhauer,« antwortete Mrs. Mailsetter ein wenig übelgelaunt und sogar betroffen, »ich bin doch wirklich nie gegen nachbarliche Freundschaft gewesen, und nie gegen leben und leben lassen, wie man sagt; und da ich so thöricht war, und Ihnen die postamtliche Weisung sehen ließ – nun, ohne Zweifel, man muß ihr gehorchen; aber ich werde Ihren Burschen nicht brauchen, vielen Dank dafür; ich will den kleinen Davy auf Ihrem Klepper schicken und das wird für jeden gerade fünf Schilling drei Pence machen, wie Sie wissen.«

»Davy! du lieber Gott! der Junge ist noch nicht zehn Jahr alt; und, um es offen zu sagen, unser Klepper hat seine Mucken und ist auf der Straße schwer fortzubringen; es kann ihn Niemand behandeln, außer unser Jock.«

»Das thut mir sehr leid,« antwortete die Postmeisterin ernsthaft, »denn so müssen wir am Ende doch warten, bis mein Mann nach Hause kommt. Denn ich möchte nicht gern dafür verantwortlich werden, daß ich den Brief so einem Burschen, wie Jock anvertraute. Unser Davy gehört gewissermaßen zum Amte.«

»Gut, gut, Mrs. Mailsetter, ich sehe schon, wo Sie hinaus wollen. Aber wollen Sie den Jungen dran wagen, so wag' ich auch das Thier dran.«

Alsbald ertheilte man die nöthigen Aufträge. Der mißmuthige Klepper ward aus seinem Strohbett gebracht und wieder zum Dienst vorbereitet – Davy (mit einer ledernen Posttasche quer über die Schultern,) ward auf den Sattel gepflanzt, mit einer Thräne im Auge und einer Peitsche in der Hand. Jock führte gutmüthig das Thier bis vor die Stadt, und mit dem Klatschen seiner Peitsche und dem Hoho und Halloh seiner wohlbekannten Stimme, nöthigte er es, den Weg nach Monkbarns einzuschlagen.

Unterdessen brachten die Gevatterinnen, gleich den Sybillen, die ihre Blätter zu Rathe gezogen haben, die am Abend erhaltene Nachricht in Ordnung und Zusammenhang, und am nächsten Morgen verbreitete sie sich auf hundert Wegen und mit hundert Variationen durch die Welt von Fairport. Vielfach, seltsam und unzusammenhängend waren die Gerüchte, welche durch ihre Mittheilungen und Vermuthungen entstanden. Einige sagten, das Haus Tennant et Comp. sei gefallen und all seine Wechsel wären protestirt zurückgekommen – andere, das Haus hätte einen wichtigen Contrakt mit der Regierung abgeschlossen und von den bedeutendsten Kaufleuten in Glasgow wären Briefe angekommen, weil man an dem Geschäfte Theil zu nehmen wünschte. Ein Gerücht besagte, der Leutnant Taffrill habe eine geheime Ehe mit Jenny Caxon anerkannt – ein anderes, er habe ihr einen Brief geschickt, worin er ihr ihre niedrige Geburt und Erziehung vorwerfe und auf ewig Lebewohl sage. Allgemein ging das Gerücht, Sir Arthur Wardour's Angelegenheiten seien in unverbesserliche Verwirrung gerathen, und dieses Gerücht ward nur von den Klugen bezweifelt, weil es aus Mrs. Mailsetters Laden entsprungen war, ein Quell, der mehr der Menge der Neuigkeiten, als ihrer Genauigkeit wegen berühmt war. Alle stimmten aber darin überein, daß ein Packet vom Staatssecretär an Mr. Lovel angekommen, und zwar durch einen Ordonanzdragoner vom Hauptquartier in Edinburg unmittelbar abgefertigt worden sei, welcher durch Fairport galloppirt wäre und nur angehalten hätte, um sich nach dem Weg nach Monkbarns zu erkundigen. Der Grund einer so außerordentlichen Sendung an eine friedliche und zurückgezogene Person ward sehr verschieden angedeutet. Einige sagten, Lovel sei ein emigrirter Edelmann und aufgefordert, sich an die Spitze einer Insurrection zu stellen, die in der Vendée ausgebrochen wäre – andere, er sei ein bedeutender Officier, der die Küste insgeheim untersuche – wieder andere, er sei ein Prinz vom Geblüt, welcher incognito reise.

Unterdessen hatte die Beförderung des Schreibens, welches so viel Nachdenken veranlaßte, auf dem Wege zu seinem Eigenthümer in Monkbarns manch gefährlichen Aufenthalt erlebt. Der Ueberbringer, Davy Mailsetter, so wenig einem rüstigen Dragoner ähnlich, als man sich nur denken kann, ward vom Klepper nach Monkbarns zu getragen, so lange das Thier noch das Knallen seines gewohnten Strafinstruments und den Ruf des Fleischerburschen im Gedächtniß hatte. Als er aber fühlte, wie Davy, dessen kurze Beine das Gleichgewicht nicht zu erhalten vermochten, auf seinem Rücken hin- und herschwankte, so verschmähte es der Klepper, dem erhaltenen Winke ferner Gehorsam zu leisten. Zuerst verwandelte er daher den Trab in langsamen Schritt. Dies gab nicht Anlaß zum Zwist zwischen ihm und seinem Reiter, der durch die Heftigkeit der frühern Bewegung ziemlich beunruhigt worden war, und der nur die Gelegenheit, die der sanfte Schritt bot, ergriff, um ein Stück Pfefferkuchen zu kauen, welches ihm seine Mutter in die Hand gedrückt hatte, um diesen jugendlichen Boten des Postamts zur Ausübung seiner Pflicht geneigt zu machen. Nach und nach wußte der schlaue Klepper diesen Mangel an Disciplin zu benutzen, indem er Davy's Händen den Zügel entwand und sich erlaubte, den Rasen zur Seite des Weges zu fressen. Bang und erschreckt durch diese Symptome rebellischer Gesinnung, und das Sitzenbleiben nicht minder als das Fallen fürchtend, erhob der arme Davy seine Stimme und weinte laut. Der Klepper, der das Jammern über seinem Haupte hörte, glaubte wahrscheinlich, es werde für beide, für ihn und für Davy, das Beste sein, wenn sie zurückkehrten, von wannen sie gekommen, und daher begann er eine retrograde Bewegung nach Fairport zu machen. Wie jedoch alle Rückzüge am Ende immer zur offenbaren Flucht werden, so begann auch das Pferd, beunruhigt durch des Knaben Schreien und durch die herabhängenden Zügel, die ihm an die Vorderfüße schlugen, (zumal da es seine Nase heimwärts gerichtet fand,) auf eine Weise auszuschreiten, die, wenn Davy im Sattel blieb, (was freilich äußerst zweifelhaft war,) ihn gewiß bald an Knochenhauers Stallthür gebracht hätte, wäre nicht bei einer Wendung des Wegs eine unvermuthete Hilfsmannschaft, in Gestalt des alten Edie Ochiltree erschienen, der den Zügel ergriff und den weitern Lauf hemmte.

»Was bedeutet das, Bursche? Wohin soll der Ritt gehn?«

»Ich kann nicht anders!« schluchzte der Expresse; »ich bin der kleine Davy.«

»Und wohin soll's gehn?«

»Nach Monkbarns mit einem Brief.«

»Na, das ist nicht der Weg nach Monkbarns.«

Aber Davy konnte darauf nur mit Thränen und Seufzern antworten.

Wo es ein Kind betraf, war der alte Edie leicht zu Mitleid bewegt. – Ich wollte nicht dahin gehn, dachte er, aber das ist eben das Beste auf meinem Lebenswege, daß ich nirgend um- oder fehlgehen kann. Sie werden mir recht gern Quartier in Monkbarns geben, und ich will nur mit dem Jungen forthumpeln, denn er wird sich noch den Kopf aufschlagen, der arme Wurm, wenn ihm Niemand den Klepper führt. – »Also du hast einen Brief, Kind? willst du mir ihn zeigen?«

»Ich soll den Brief Niemand sehn lassen,« schluchzte der Knabe, »bis ich ihn Mr. Lovel gebe, denn ich bin ein treuer Diener des Postamts – wenn nur der Klepper nicht wäre.«

»Ja freilich, mein kleiner Mann,« sagte Ochiltree, des widerspenstigen Kleppers Kopf gegen Monkbarns wendend, »aber wir wollen ihn vorwärts bringen, wenn er nicht ganz des Teufels ist.«

Auf der Höhe von Kinprunes, wohin Monkbarns Lovel nach dem Mittagessen geführt hatte, sprach der Antiquar, der mit diesem geschmähten Orte wieder ausgesöhnt war, über die Gegenstände, welche die Scenerie zur Schilderung von Agricola's Lager in der Morgendämmerung darbiete, als sein Auge plötzlich den Bettler und seinen Schützling bemerkte. »Was der Teufel! da kommt der alte Edie mit Sack und Pack, glaub' ich.«

Der Bettler erklärte sein Abenteuer, und Davy, der seinen Auftrag durchaus buchstäblich erfüllen und nach Monkbarns gehen wollte, ließ sich nur mit Schwierigkeit bewegen, den Brief seinem Eigenthümer zu übergeben, obwohl er ihm eine halbe Stunde vor dem angegebenen Orte begegnete. »Aber meine Mama sagte, ich müßte zwanzig Schilling und fünf Schilling Porto und zehn Schilling und sechs Pence für den Ritt bekommen – da ist der Zettel.«

»Zeig' her, zeig' her,« sagte Oldbuck, seine Brille aufsetzend, und den zerknillten Postzettel prüfend, auf den sich Davy berief. »Ein Expresser, für Mann und Pferd, auf einen Tag, nur zehn Schilling und sechs Pence. – Einen Tag? ei, 's ist ja keine Stunde – Mann und Pferd? ei, 's ist ja ein Affe auf einer verhungerten Katze!«

»Der Vater wäre selber gekommen,« sagte Davy, »auf dem rothen Fuchs, aber da hätt' es bis morgen früh bleiben müssen.«

»Vier und zwanzig Stunden nach dem Ablieferungstermin! – du kleiner Gelbschnabel, verstehst du die Kunst des Betrugs schon so jung?«

»Ach, Monkbarns, lassen Sie Ihren Witz nicht an dem Jungen aus,« sagte der Bettler. »Bedenken Sie, der Fleischer riskirte sein Thier und das Weib ihr Kind, und da sind zehn Schilling sechs Pence gewiß nicht zu viel. Sie handelten nicht so genau mit Johnnie Howie, als er« –

Lovel, der, auf dem vermeinten Prätorium sitzend den Inhalt des Briefs durchgesehn hatte, machte nun dem Streit ein Ende, indem er Davy's Forderung bezahlte. Darauf wandte er sich, mit sehr unruhigem Blick, an Monkbarns, und entschuldigte sich, daß er diesen Abend nicht mit ihm nach Monkbarns zurückgehen könne. »Ich muß sogleich nach Fairport, und vielleicht verlass' ich auch dies im Augenblick; Ihre Freundlichkeit, Mr. Oldbuck, werd' ich nie vergessen.«

»Hoffentlich keine schlimmen Nachrichten?« sagte der Alterthümler.

»Sie sind sehr verschiedener Art,« antwortete der Freund – »leben Sie wohl – weder im Glück noch im Unglück will ich Ihre Aufmerksamkeit vergessen.«

»Doch, – warten Sie einen Augenblick. Wenn – wenn« (diese Worte machten ihm Mühe,) »eine pekuniäre Verlegenheit vorhanden wäre – es stehn Ihnen fünfzig – oder hundert Guineen zu Dienst – bis – bis Pfingsten – oder so lange Sie wollen.«

»Ich bin sehr verbunden, Mr. Oldbuck, aber ich bin vollkommen versehn,« sagte der räthselhafte junge Freund. »Entschuldigen Sie mich – ich kann jetzt wirklich nicht weiter Rede stehen. Ich schreib' Ihnen oder besuche Sie, eh' ich Fairport verlasse – das heißt, wenn ich fort muß.« Mit diesen Worten schüttelte er dem Alterthümler herzlich die Hand, wandte sich ab und schritt eilig der Stadt zu, ohne weiter Rede zu stehn.

»Wirklich ganz außerordentlich,« sagte Oldbuck; »aber es ist an diesem Manne etwas, was ich nicht ergründen kann; und doch wär' ich nicht im Stande, etwas Uebles von ihm zu denken. Ich muß nach Hause gehen und das Feuer in der grünen Stube auslöschen, denn keins meiner Weiber wagt sich im Zwielicht hinein.«

»Und wie soll ich heimkommen?« schluchzte der Expresse.

»'s ist eine schöne Nacht,« sagte der Blaukittel, den Himmel betrachtend; »ich kann ja wohl nach der Stadt zurückkehren und für den Jungen sorgen.«

»Thu' es, thu' es, Edie!« und eine Zeit lang in der großen Westentasche suchend, bis er den Gegenstand seiner Forschung fand, setzte der Alterthümler hinzu: »da sind sechs Pence für dich zu Schnupftabak.« –

 

Ende des ersten Theils.

 


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