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Zehntes Kapitel.

Wird Mitternacht auf dunkler Flur
Ihr düstres Bahrtuch breiten,
Wann Menschen ruhn, Gespenster nur
Noch durch die Stille schreiten: –
Mir naht kein bleicher Schatten sich,
Es stört kein Geist mein Ruhekissen;
Nein, Traumgebild' umschweben mich
Von Freuden, die mir längst entrissen.

W. R. Spenser.

Als sie in das sogenannte grüne Zimmer gekommen waren, stellte Oldbuck den Leuchter auf einen Toilettentisch vor einem hohen Spiegel mit schwarz lackirtem Rahmen: mit etwas unruhiger Miene schaute er sich um. »Ich bin selten in diesem Zimmer,« sagte er, »und nie ohne von einer traurigen Empfindung heimgesucht zu werden – natürlich nicht in Folge des kindischen Unsinns, den Ihnen Grizzel erzählte, sondern einer frühen, unglücklichen Neigung wegen. In solchen Augenblicken ist es, Mr. Lovel, wo wir den Wechsel der Zeit deutlich fühlen. Die nämlichen Gegenstände sehn wir vor uns – die unbeseelten Dinge, die wir in sorgloser Kindheit, in stürmischer Jugend, im sorgenvollen, spekulirenden Mannesalter betrachteten – sie sind immer dieselben geblieben; aber wenn wir im kalten, fühllosen Alter auf sie schauen, können wir dann, verändert in unsrer Stimmung, unserm Streben, unsern Gefühlen, verwandelt an unsrer Gestalt, unsern Gliedern, unsrer Kraft, – können wir uns selbst dann noch dieselben nennen? oder schauen wir nicht vielmehr mit Verwunderung und Befremden auf unser früheres Wesen zurück, da wir jetzt so sehr verschieden von dem sind, was wir waren? Der Philosoph, welcher sich gegen den von Wein erhitzten Philipp auf den Philipp in nüchternen Stunden berief, wählte einen minder verschiedenen Richter, als wenn er von Philipp in der Jugend an Philipp im hohen Alter appellirt hätte. Jedesmal ergreift mich das Gefühl, welches in einem Gedicht, das ich öfters hörte, so schön ausgedrückt ist:

Mein Aug' ist feucht von kind'scher Thräne,
Mein Herz schlägt sehnsuchtvoll,
Weil ich den Klang zu hören wähne,
Der früh mir einstens scholl.

So muß des Lebens Sonne bleichen;
Ein Weiser klagt jedoch
Nicht so um das, was mußt' entweichen,
Als was geblieben noch.

Ja, die Zeit heilt jede Wunde, und bleibt auch die Narbe zurück und schmerzt zuweilen, so fühlen wir doch den ersten heftigen Schmerz nicht mehr, den wir empfanden, als sie frisch war.« – Mit diesen Worten drückte er Lovel herzlich die Hand, wünschte ihm gute Nacht und ließ ihn allein.

Lovel konnte jeden Schritt hören, als sein Wirth durch die verschiedenen Gänge zurückging, und jede Thür, die derselbe hinter sich schloß, fiel mit fernerem und schwächerem Geräusch zu. Der Gast, so von der lebenden Welt abgeschieden, nahm das Licht und betrachtete das Gemach. Das Feuer brannte freundlich. Mrs. Grizzel's Aufmerksamkeit hatte noch für einigen Holzvorrath gesorgt, wofern er es fortbrennen lassen wollte, und das Zimmer hatte zwar ein bequemes, aber keineswegs ein lebendiges Ansehn. Es war mit Tapeten behangen, welche die Fabriken von Arras im sechzehnten Jahrhundert geliefert hatten, und die der gelehrte, schon häufig erwähnte Typograph als eine Probe von der Kunstfertigkeit des Continents mitgebracht hatte. Der Gegenstand war ein Jagdstück. Und da die belaubten Zweige der Waldbäume, die sich über die Tapete hinbreiteten, die vorherrschende Farbe bildeten, so hatte man das Gemach die grüne Stube genannt. Grimmige Gestalten in altflämischer Tracht, mit geschlitzten, reichbebänderten Wämsern, kurzen Mänteln und weiten Hosen, hielten die Jagdhunde in Ordnung und hetzten sie auf das Wild. Andre, mit Eberspießen, Schwertern und alterthümlichen Feuergewehren, griffen Eber und Hirsche an, die sie aufgetrieben hatten. Die Aeste des dichten Waldes waren mit Vögeln von mancherlei Art bedeckt, deren jede mit ihrem eigenthümlichen Gefieder dargestellt war. Es schien, als ob die üppige und reiche Phantasie des alten Chaucer den flandrischen Künstler mit ihrem Reichthum begeistert hätte, und Oldbuck hatte daher die nachfolgenden Verse jenes alten und trefflichen Dichters in gothischen Buchstaben auf eine Art Einfassung, die auf die Tapete geheftet war, sticken lassen.

Sieh hier die Eichen prangen, schlank und kühn,
Worunter sich der Rasen, herrlich grün,
Wie frisch entsprossen, breitet. Schöner blühn
Will jeder Baum, als sein Genoß daneben;
Läßt rings die blätterreichen Aeste streben,
Die jugendfrisch im Sonnenscheine glühn,
Hier goldig roth, und dort in lichtem Grün.

An einer andern Stelle las man folgende ähnliche Zeilen:

Und viel von Hirschen und von Rehn
Konnt' ich in jeder Richtung sehn.
Jed' Wild, das man nur denken mag,
Erfüllte ringsumher den Hag,
Und oben auf den Bäumen saß
Manch Eichhorn, welches Nüsse fraß.

Das Bett war dunkelgrün, aber verschossen, und sollte wahrscheinlich mit der Tapete harmoniren, wiewohl es von einer modernen und minder kunstfertigen Hand herrührte. Die großen schwerfälligen Polsterstühle, mit Rücklehnen von Ebenholz, waren auf eine entsprechende Weise gestickt, und ein hoher Spiegel über dem alterthümlichen Kamin stimmte in seinen Verhältnissen zu dem Toilettentische.

»Ich habe gehört,« sagte Lovel halblaut, während er einen flüchtigen Blick auf das Zimmer und das Geräth warf, »daß Geister oft für sich das beste Gemach in dem Hause wählen, wo sie sich angesiedelt haben; und ich kann den Geschmack des nun körperlosen Druckers der Augsburgischen Confession nicht mißbilligen.« – Er fand es jedoch schwierig, seine Gedanken auf Dinge zu richten, wie sie ihm von diesem Gemach erzählt worden waren, mit welchem sie so sonderbar übereinzustimmen schienen, daß er den Mangel der Gefühle, die halb Furcht, halb Neugier sind, und so sehr mit den alten Spuck- und Wundergeschichten sympathisiren, sehr bedauerte; solche Empfindungen hielt ihm die wirkliche Existenz seiner eignen hoffnungslosen Leidenschaft jetzt ferne, –

Grausame Maid, wie hast du mich
Beraubt der Herzensruh?
Mein Herz, verwandelt, ach! durch dich,
Wird hart nun, so wie du.

Er bemühte sich, einige der Empfindungen heraufzubeschwören, welche zu andrer Zeit seiner Lage entsprochen haben würden; aber sein Herz hatte keinen Raum für solche Verirrungen der Phantasie. Die Erinnerung an Miß Wardour beschäftigte ihn ausschließlich, und wie sie dabei beharrte, ihn nicht zu erkennen, sobald sie seine Gesellschaft dulden mußte und wie sie ihren Entschluß an den Tag legte, ihm immer zu entfliehen – alles dies könnte seinen Gedanken hinreichenden Stoff gegeben haben. Aber es vereinten sich damit auch noch andere Erinnerungen, welche nicht weniger peinlich waren – ihre Rettung vom nahen Untergange; der glückliche Beistand, den er ihr hatte leisten können – aber, was war sein Lohn? Sie verließ die Klippe, während sein Schicksal noch unentschieden war, während es noch ungewiß blieb, ob ihr Retter nicht das Leben verloren habe, welches er ihr so gern weihte. – Gewiß hätte die Dankbarkeit zum wenigsten einige Theilnahme an seinem Schicksal in Anspruch nehmen sollen – doch nein – selbstisch und ungerecht konnte sie nicht sein; dies lag nicht in ihrem Charakter. Sie wünschte blos, der Hoffnung jede Thür zu verschließen, und, aus Mitleid mit ihm, eine Leidenschaft zu vertilgen, welche sie nie erwiedern konnte.

Aber dies, nach Art der Liebenden geführte Räsonnement schien ihn nicht mit seinem Schicksal versöhnen zu können, da ihm seine Einbildungskraft Miß Wardour nur um so liebenswürdiger vorstellte, je untröstlicher er sich durch das Schwinden aller Hoffnung fühlte. Er wußte allerdings, daß er einige ihrer Vorurtheile zu widerlegen im Stande sei; aber auch im äußersten Falle war er entschlossen, seinem ursprünglichen Vorsatze treu zu bleiben und erst sicher zu sein, daß sie selbst eine Erklärung wünsche, ehe er sie ihr aufdränge. Uebrigens schien ihm seine Bewerbung, mochte er das Verhältniß auch betrachten wie er wollte, nicht ganz hoffnungslos. Es lag etwas Verlegenheit, so wie einige Ueberraschung in ihrem Blicke, als ihn Oldbuck ihr vorstellte; vielleicht sollte die letztere nur dazu dienen, um die erstere zu verbergen. Er wollte eine Bewerbung nicht aufgeben, die ihm bereits so viel Leiden verursacht hatte. Pläne, wie sie eine schwärmerische Stimmung nur nähren kann, drängten einander in seinem Kopfe, dicht und wirr durcheinander, wie die Stäubchen im Sonnenstrahle, und noch nachdem er sich längst zur Ruhe gelegt hatte, fuhren sie fort, ihm den so nöthigen Schlummer fern zu halten. Endlich, durch Ungewißheit und Schwierigkeiten, die jeden Plan zu begleiten schienen, ermüdet, ermannte er sich zu dem kräftigen Entschlusse, seine Liebe abzuschütteln, »wie des Löwen Mähne die Thautropfen abschüttelt,« und jene Studien und jene Lebensweise wieder zu beginnen, welche durch die unerwiederte Leidenschaft so lange und so unnütz unterbrochen worden waren. In diesem Entschlusse suchte er sich durch alle Gründe zu stärken, welche ihm Stolz und Vernunft nur immer bieten konnten. »Sie soll nicht glauben,« sagte er, »daß ich, mich auf einen ihrem Vater und ihr geleisteten Dienst stützend, mich ihr aufdrängen wolle, wozu ich, nach ihren Ansichten, kein Recht habe. Ich will sie nicht mehr sehen. Ich will in das Land zurück, wo es, wenn nicht schönere, doch eben so schöne und minder stolze Mädchen gibt, als Miß Wardour. Schon morgen will ich Abschied von diesen nordischen Küsten nehmen, so wie von ihr, die eben so kalt und fühllos ist, wie ihr Klima.« Nachdem er einige Zeit diesem kräftigen Entschlusse nachgesonnen hatte, fügte sich endlich die erschöpfte Natur und er sank, trotz Unmuth, Zweifel und Besorgniß, in Schlummer.

Selten ist der Schlaf nach einer heftigen Gemüthsbewegung ruhig und erquickend. Lovel's Schlummer ward durch tausend grundlose und verworrene Traumgebilde beunruhigt. Er war ein Vogel – er war ein Fisch – oder er flog wie der eine und schwamm wie der andere, – Eigenschaften, die vor wenigen Stunden sehr wesentlich zu seiner Sicherheit beigetragen haben würden. Dann war Miß Wardour eine Syrene, oder ein Paradiesvogel; ihr Vater ein Triton oder ein Seerabe: und Oldbuck war bald ein Meerschwein, bald eine Seemöve. Diese angenehmen Traumgebilde wechselten mit den gewöhnlichen Phantasien eines fieberischen Traumes ab; die Luft wollte den Träumenden nicht mehr tragen, das Wasser schien ihm zu brennen – die Felsen gaben nach wie Dunenkissen, wenn er dagegen geschleudert wurde – was er auch unternahm, schlug stets auf seltsame und unerwartete Weise fehl – und was immer seine Aufmerksamkeit fesseln mochte, erlitt, sobald er's zu untersuchen strebte, eine wilde und wundersame Verwandlung; während sich doch sein Geist immer in gewissem Grade der Täuschung bewußt blieb, so bemühte er sich doch vergebens, durch Erwachen davon frei zu werden – lauter fieberhafte Symptome, mit denen alle, die vom Alpdrücken, von den Gelehrten Ephialtes genannt, heimgesucht werden, nur zu wohl bekannt sind. Endlich ordneten sich die rohen Phantasiegebilde doch zu etwas mehr Geregeltem, falls nicht Lovel's Einbildungskraft nach dem Aufwachen (denn jenes Geistesvermögen war keineswegs das schwächste bei ihm,) allmählig, unmerklich und unwillkürlich dasjenige in bessere Ordnung brachte, was ihm der Schlaf in weniger bestimmten Umrissen gezeigt hatte. Möglich auch, daß ihm seine fieberhafte Aufregung in diesen Traumgebilden Beistand leistete.

Indem wir diese allzugelehrte Ermittelung aufgeben, bemerken wir nur, daß nach Beseitigung der oben geschilderten wilden Phantasien unser Held (denn als solchen müssen wir ihn anerkennen,) so viel Bewußtsein gewann, daß er sich erinnern konnte, wo er war; die ganze Ausstattung der grünen Stube malte sich vor seinem schlummernden Auge ab. Und hier will ich noch einmal versichern, daß, wofern in unsern zweifelsüchtigen und spottliebenden Tagen noch so viel altmodischer Glaube vorhanden ist, um das Folgende eher für einen Eindruck des Auges als der Einbildungskraft zu halten, daß ich dann diesem Glauben nicht widersprechen will. Er war nun (oder glaubte doch so,) völlig munter in der grünen Stube, und betrachtete die noch gelegentlich auflodernden Flammen im Kamin, die von den noch nicht völlig verbrannten Holztheilen herrührten, bis eine nach der andern in der rothglühenden Asche zusammensank, in welche der größte Theil des Brennstoffes bereits aufgelöst war. Unmerklich kam ihm die Sage von Aldobrand Oldenbuck und seinen geheimnißvollen Besuchen bei den Bewohnern des Zimmers in den Sinn. Zugleich erwachte aber, wie es oft in Träumen geschieht, eine unruhige Spannung, eine Bangigkeit, welche selten unterläßt, uns im nämlichen Augenblicke den Gegenstand unserer Angst vor die Phantasie zu führen. Heller flackerte es im Kamin empor, so hell, daß das ganze Gemach erleuchtet wurde. Die Tapete bewegte sich heftig an der Wand, bis die düstern Gestalten Leben zu gewinnen schienen. Die Jäger bliesen auf den Hörnern, der Hirsch schien zu fliehen, der Eber Widerstand zu leisten, und die Hunde schienen diesen zu packen, jenen zu verfolgen; das Gestöhn des Rothwildes, vermischt mit dem Gebell der angreifenden Hunde, dem Halloh der Jäger, dem Gewieher der Rosse, alles schien auf einmal ringsum zu erwachen, während jede einzelne Gruppe, mit all dem wilden Eifer der Jagd, die ihm vom Künstler zugetheilte Beschäftigung zu verfolgen strebte; Lovel betrachtete dies seltsame Schauspiel ohne Verwunderung (welche die Seele im Traume selten befällt), aber mit einer ängstlichen Aufregung und Bangigkeit. Endlich schien eine Gestalt unter den gewirkten Jägern die Tapete zu verlassen und sich dem Bette des Schlummernden zu nähern, während dieser den Blick fester auf sie heftete. Als der Mann näher kam, schien er seine Gestalt zu verändern. Das Jägerhorn ward zu einem mit messingenen Buckeln beschlagenen Buche; die Jägermütze verwandelte sich in eine Pelzkappe, wie sie Rembrandt's Bürgermeister schmückt. Die flamändische Tracht blieb, aber seine Züge nahmen, nicht mehr von dem Eifer der Jagd aufgeregt, ein drohendes, ernstes und festes Wesen an, wie es sich für den ersten Besitzer von Monkbarns, der Schilderung gemäß, die Lovel von seinem Nachkommen am Abende erhalten hatte, recht wohl paßte. Während diese Verwandlung stattfand, schwand die tobende Menge auf der Tapete vor der Phantasie des Träumers, welche nun ausschließlich auf die einzelne vor ihm stehende Person gerichtet war. Lovel strebte, diese furchtbare Person mit einer für solche Fälle passenden Beschwörungsformel anzureden; aber seine Zunge versagte, wie gewöhnlich in schrecklichen Träumen, den Dienst, und haftete, wie gelähmt, am Gaumen. Aldobrand hob den Finger empor, als wolle er dem Gaste, der sich in dies Zimmer gedrängt hatte, Schweigen auferlegen, und begann bedächtig den würdigen Band aufzuschlagen, den er in der linken Hand hielt. Als dies geschehn war, blätterte er eilig einige Augenblicke darin, richtete dann seine Gestalt in ihrer vollen Länge empor, hielt das Buch mit der linken Hand in die Höhe und deutete auf eine Stelle auf der aufgeschlagenen Seite. Obwohl unserm Träumer die Sprache unbekannt war, so haftete sein Blick und seine Aufmerksamkeit doch begierig auf der Zeile, welche ihm der Mann bemerklich machen zu wollen schien; diese Worte schienen von einem übernatürlichen Lichte zu glänzen und prägten sich seinem Gedächtnisse fest ein. Als der Geist sein Buch schloß, schien eine liebliche Musik das Gemach zu durchtönen – Lovel fuhr empor und ward vollkommen munter. Die Musik tönte indeß in seinem Ohre fort, und hörte nicht eher auf, als bis er deutlich die Weise eines alten schottischen Liedes zu erkennen vermochte.

Er richtete sich im Bett auf, und bemühte sich, sein Gehirn von den Phantomen zu befreien, die ihn in dieser unruhigen Nacht gepeinigt hatten. Die Strahlen der Morgensonne fielen durch die halbgeschlossenen Laden, und ließen ein vollkommenes Licht in das Gemach. Er schaute rings auf die Tapeten, aber die vermischten Gruppen seidener und gewebter Jäger waren so unbeweglich, als die Nägel sie machen konnten, und zitterten nur leise in der Morgenluft, welche ihren Weg durch ein halboffenes Fenster fand und über die Tapete hinglitt. Lovel stieg aus dem Bette, und, sich in einen Morgenrock hüllend, den man bedächtig neben sein Bett gelegt hatte, trat er an's Fenster, welches die Aussicht nach der See gewährte; das Brüllen der Wellen verkündigte, daß sie vom Sturme des vorigen Abends noch unruhig sei, obwohl der Morgen schön und heiter war. Das Fenster eines Thurmes, der in einem Winkel an der Wand vorsprang und so nicht ferne von Lovel's Zimmer war, stand halb offen und von dorther vernahm er aufs Neue dieselbe Musik, die wahrscheinlich seinen Traum unterbrochen hatte. Mit dem Wesen des Traumes hatte sie viel von ihrem Reiz verloren – es war nun nichts weiter, als ein leidlich gut zum Klavier gesungenes Liedchen, – so launisch ist die Einbildungskraft hinsichtlich der Kunst. Eine weibliche Stimme sang, mit Gefühl und großer Einfachheit, ein Mittelding zwischen Lied und Hymne, deren Worte etwa so lauteten:

»Was weilst du bei den Trümmern doch,
So ernst, so bleich, du alter Mann?
Denkst ihrer frühern Pracht du noch,
Und sinnest, wie sie bald zerrann?

» Mich kennst du nicht!« rief Jener hier,
»Von dir gemißbraucht – dir behagt –
Und oft im Wankelmuth von dir
Ersehnt, verachtet und verklagt?

Es läßt, wie Feuer dürres Stroh,
Mein Hauch der Menschen Pracht verwehn;
Und Reiche heb' und stürz' ich so,
Sie wachsen, blühen und vergehn.

Genieße mich – die Frist ist klein –
Da durch mein Glas der Sand noch rennt,
Denn sieh, zu spät wird Alles sein,
Wann Zeit von dir sich ewig trennt!«

Während diese Verse noch gesungen wurden, kehrte Lovel in sein Bett zurück; der Ideengang, den sie erweckten, war erhaben und angenehm zugleich; während seine Seele sich daran erfreute, und er gern, bis der Tag vollkommen hell war, das bedenkliche Geschäft aufschob, sich zu entschließen, wie er künftig sein Benehmen einrichten solle, – überließ er sich dem von der Musik eingeflößten Wohlbehagen, und fiel wieder in einen erquickenden Schlaf, von welchem er erst spät durch den alten Caxon erweckt wurde, der leise in das Zimmer schlich, um das Amt eines Kammerdieners zu versehen.

»Ich hab' Ihren Rock gebürstet, Sir,« sagte der alte Mann, als er sah, daß Lovel munter war; »der Bursche bracht' ihn heut Morgen von Fairport, denn den Sie gestern trugen, ist kaum etwas trocken, obwohl er die ganze Nacht beim Küchenfeuer gewesen ist – ich hab' auch Ihre Schuh' gereinigt – ich glaube, Sie werden mich für Ihr Haar kaum nöthig haben« (hier seufzte er leise), »alle jungen Gentlemen tragen jetzt Hahnenkämme; aber ich habe das Brenneisen hier, wenn Sie die Locke über der Stirn etwas gekräuselt wünschen, eh' Sie zu den Damen hinunter gehn.«

Lovel, der nun wieder auf den Beinen war, lehnte des alten Mannes künstlerischen Beistand ab, begleitete die Weigerung aber mit einem Geschenk, welches Caxon's Kränkung vollkommen versüßte.

»'s ist recht Schade, daß er sein Haar nicht frisiren und pudern läßt,« sagte der altmodische Friseur, als er wieder nach der Küche gegangen war, wo er bald unter dem, bald unter jenem Vorwande, drei Theile seiner müßigen Zeit hinbrachte – das heißt nämlich, seine ganze Zeit – »'s ist ewig Schade, denn er ist ein so hübscher junger Herr.«

»Ach geht mir weg, alter Narr,« sagte Jenny Rintherout, »wollt Ihr sein schönes braunes Haar mit Eurem stinkenden Fett einschmieren, damit es dann riecht wie des alten Pfarrers Perücke? – Ihr kommt wegen Eures Frühstücks, nicht wahr? – hier, da ist ein Löffel Suppe – das wird Euch besser bekommen, als wenn Ihr Euch in Mr. Lovels Haar mischt. Da würde ja das natürlichste und schönste Haar in ganz Fairport, Stadt und Vorstadt zusammengenommen, verdorben.«

Der arme Haarkräusler seufzte über den Mißkredit, in den seine Kunst so gänzlich gerathen, aber Jenny war eine zu wichtige Person, um sie durch Widerspruch zu beleidigen; so verdaute er also, ruhig in der Küche sitzend, die Demüthigung und zugleich den Inhalt eines Töpfchens, welches eine schottische Pinte dicker Hafermehlsuppe enthielt.


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