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Siebentes Kapitel

– – – – Mit Freuden sahn das Meer,
Das weite, sie – ein Schauspiel, neu und hehr,
Jetzt wich die Fluth und ließ auf beiden Seiten
Das trockene Gestad' entlang sich breiten;
Doch dann kam sie zurück und schwoll heran,
Und immer schmaler, schmaler ward die Bahn.

Crabbe.

Die Nachricht Davie Dibbles, welche zu Monkbarns so allgemeine Unruhe verbreitete, erwies sich als vollkommen richtig. Sir Arthur und seine Tochter hatten, ihrem ersten Vorsatze gemäß, den Rückweg nach Knockwinnock auf der Straße angetreten; als sie aber das Ende der sogenannten großen Allee erreichten, welche nach Monkbarns Hause führte, so erblickten sie, in geringer Entfernung vor sich, Lovel, welcher am Wege zu warten schien, als suche er Gelegenheit, sich zu ihnen zu gesellen. Miß Wardour schlug sogleich ihrem Vater vor, eine andere Richtung einzuschlagen, und, da das Wetter schön war, am Strande heimzukehren, der unter einer malerischen Felsenreihe hinlief, und so fast immer einen angenehmern Weg zwischen Knockwinnock und Monkbarns bot, als die Landstraße.

Sir Arthur willigte gern ein. »Es würde unangenehm sein,« sagte er, »mit jenem jungen Manne zusammenzukommen, den sich Mr. Oldbuck uns vorzustellen erlaubte.« Seine altmodische Höflichkeit kannte die bequeme Lebensart unserer Tage nicht, welche, sobald man Lust dazu hat, erlaubt, eine Person, mit welcher man eine Woche lang umging, in dem Augenblicke nicht mehr zu kennen, wo man fühlt oder glaubt, man befinde sich in einer Lage, welche die Bekanntschaft zu einer unangenehmen macht. Sir Arthur sorgte nur dafür, daß ein kleiner zerlumpter Knabe, der einen Penny zur Belohnung erhielt, dem Kutscher entgegenlaufen sollte, um die Equipage nach Knockwinnock zurückkehren zu lassen.

Als dies in Ordnung gebracht und der Bote abgefertigt war, verließen der Ritter und seine Tochter die Landstraße und folgten einem Pfade, der sich zwischen sandigen Hügeln hinwand, zum Theil mit Haidekraut und langem Riedgras bewachsen; so erreichten sie bald das Gestade des Meeres. Die Fluth war keineswegs so weit entfernt, als sie vermuthet hatten; aber dies beunruhigte sie nicht, denn es waren höchstens zehn Tage im Jahre, wo sie so hoch stieg, daß sie nicht einen trockenen Fußpfad neben den Klippen ließ. Trotzdem aber war zur Zeit, wo hohe Fluth eintrat, oder auch wohl, wenn die gewöhnliche Fluth durch starken Wind beschleunigt wurde, dieser Weg gänzlich von der See bedeckt; und die Sage erzählte von verschiedenen Unglücksfällen, welche sich bei solcher Gelegenheit ereignet hatten. Doch betrachtete man solche Gefahren immer als fern und unwahrscheinlich; sie dienten mehr, wie andre Sagen, zur Unterhaltung am warmen Herde, als um Jemand vor dem Strandwege zwischen Knockwinnock und Monkbarns zu warnen.

Während Sir Arthur und Miß Wardour dahin wandelten, sich des angenehmen Ganges freuend, den der kühle, feuchte und feste Sand gewährte, konnte Miß Wardour doch nicht umhin zu bemerken, daß die letzte Fluth bedeutend über das gewöhnliche Wasserzeichen gestiegen sei. Sir Arthur machte dieselbe Bemerkung, aber ohne daß beide durch diesen Umstand beunruhigt worden wären. Die große Scheibe der Sonne stand noch über dem Rande des Meeres und vergoldete die aufgethürmte Wolkenmasse, durch welche sie den Tag über hingezogen war und die sich nun auf allen Seiten ansammelte, wie Mißgeschick und Unstern ein wankendes Reich und den sinkenden Fürsten umringen. Aber noch immer gab ihr sterbender Glanz der dichten Masse von Dünsten eine düstere Pracht, indem er aus ihrem gestaltlosen Dunkel Pyramiden und Thürme bildete, von denen einige mit Gold, einige mit Purpur und andere mit einer dunkelrothen Farbe überzogen waren. Die weite See, unter diesem bunten und vielgestaltigen Wolkenhimmel ausgebreitet, ruhte in fast unheimlicher Stille, und warf die blitzenden Strahlen des sinkenden Lichtkörpers zurück, so wie die glänzenden Farben der Wolken, unter denen er niederzog. Näher dem Gestade kräuselte die Fluth in funkelnden Silberwellen heran, die unmerklich, aber um so schneller, auf dem Sande höher stiegen.

Mit einem Gemüth, welches voll Bewunderung der romantischen Scene, oder vielleicht auch von unruhigern Gedanken beschäftigt war, ging Miß Wardour schweigend an der Seite ihres Vaters, dessen von neuem beleidigte Würde kein Gespräch duldete. Immer den Krümmungen des Gestades folgend, kamen sie an einer vorragenden Klippe oder Felsenspitze nach der andern vorüber, und befanden sich nun unter einer hohen ununterbrochenen Felsenwand, durch welche diese eisenfeste Küste an mehreren Stellen geschützt ist. Lang hervorspringende Felsenriffe, die sich unterm Wasser hinstrecken und ihr Dasein nur durch einzelne ganz nackte Spitzen anzeigen, oder auch durch die Brandung, welche über diese theilweis verdeckten Klippen schäumt, machten die Knockwinnockbai allen Piloten und Schiffern furchtbar. Die Klippen, die sich zwischen dem Strand und dem festen Lande wohl zwei- oder dreihundert Fuß hoch erhoben, gewährten in ihren Spalten zahllosen Seevögeln Schutz, und zwar an Stellen, die durch ihre schwindelerregende Höhe vor der Raubgier der Menschen sicher schienen. Viele dieser wilden Bewohner zogen nun, mit dem Instinkt, der sie vor einem ausbrechenden Sturme das Land suchen läßt, mit kreischendem, mißtönendem Geschrei, welches Unruhe und Furcht verkündigt, nach ihren Nestern. Die Sonnenscheibe wurde fast ganz verfinstert, eh' sie noch am Horizonte versunken war, und ein früher, düsterer Schatten umfing die heitere Dämmerung eines Sommerabends. Der Wind begann sich nun auch zu erheben; aber sein wildes, wehklagendes Brausen ward lange gehört und seine Wirkungen waren schon auf der Meeresfläche sichtbar, ehe man noch am Strande seinen Hauch fühlte. Die Wassermasse, jetzt dunkel und drohend, begann sich in höhern Wogen zu heben und in tiefern Einschnitten zu senken, indem sie Wellen bildete, welche schäumend an den Klippen zerstoben oder sich mit donnerähnlichem Getöse am Strande brachen.

Erschreckt durch diese plötzliche Veränderung des Wetters, schmiegte sich Miß Wardour dicht an ihren Vater und hielt seinen Arm fest. »Ich wollte,« sagte sie endlich flüsternd, als schämte sie sich, ihre steigende Besorgniß laut werden zu lassen, »ich wollte, wir wären auf der Straße geblieben oder hätten den Wagen in Monkbarns erwartet.«

Sir Arthur schaute umher, sah aber kein Zeichen eines nahbevorstehenden Sturms, oder wollte wenigstens keines sehen. Sie würden, sagte er, Knockwinnock lange vor dem ausbrechenden Unwetter erreichen. Aber die Hast, mit welcher er weiterging, und mit der Isabella kaum Schritt halten konnte, zeigte an, daß er einige Anstrengung für notwendig hielt, wenn seine tröstliche Versicherung in Erfüllung gehn sollte.

Sie befanden sich jetzt nahe beim Mittelpunkte einer tiefen, aber schmalen Bucht, welche durch zwei vorspringende, unersteigliche Felsenwände gebildet wurde, die sich gleich den Hörnern eines Halbmondes in die See hinausstreckten; – Keines wagte die Besorgniß mitzutheilen, welche beide unterhielten, daß sie, des ungewöhnlich schnellen Anwachsens der Fluth wegen, nicht im Stande sein möchten, das Vorgebirg zu umgehen, welches vor ihnen lag, oder auf dem Wege zurückzukehren, der sie hieher geführt hatte.

Als sie so vorwärts eilten und ängstlich wünschten, die gekrümmte Linie, welche sie der gewundenen Bucht wegen nehmen mußten, mit einem geradern und nähern Wege zu vertauschen, wenn derselbe auch weniger der Schönheitslinie entsprechen möchte, bemerkte Sir Arthur eine menschliche Figur am Strande, die sich ihnen näherte. »Gott sei Dank,« rief er, »wir können den Halketfelsen umgehen! Dieser Mann muß daher kommen;« – so ließ er ein Gefühl der Hoffnung laut werden, obwohl er das der Besorgniß unterdrückt hatte.

»Ja, Gott sei Dank!« wiederholte seine Tochter, halb flüsternd, halb nur im Innern das stark empfundene Dankgefühl darlegend.

Die Gestalt, welche sich ihnen näherte, machte Zeichen, welche sie aber wegen der trüben Atmosphäre, die jetzt durch Wind und Regenschauer verdunkelt wurde, nicht deutlich sehen oder verstehen konnten. Einige Zeit zuvor, eh' sie einander begegneten, erkannte Sir Arthur schon den alten blauröckigen Bettler, Edie Ochiltree. Man sagt, selbst die wilden Thiere legen ihren Zorn und Widerwillen ab, sobald sie von einer plötzlichen und gemeinsamen Gefahr bedroht sind. Der Strand unter dem Halketfelsen, welcher durch die hohe Fluth und den Nordwestwind immer mehr an Ausdehnung verlor, ward auf gleiche Weise ein neutrales Feld, wo selbst ein Friedensrichter und ein umherstreifender Bettler einander mit schonender Freundlichkeit begegnen konnten.

»Zurück! zurück!« rief der Landstreicher; »warum kehrten Sie nicht um, als ich winkte?«

»Wir glaubten,« sagte Sir Arthur in großer Unruhe, »wir glaubten, wir würden noch um die Halketklippe gehn können.«

»Halketklippe! die Fluth wird jetzt schon über die Halketklippe stürzen, gleich dem Wasserfall von Fyers! Vor zwanzig Minuten konnt' ich kaum noch herum, – sie kam schon drei Fuß hoch heran. Vielleicht können wir noch zur Bally-Burgh-Neßspitze zurück. Der Herr helf' uns, es bleibt uns keine andre Wahl. Wir müssen's versuchen.«

»O Gott, mein Kind!« – »Mein Vater, mein theurer Vater!« rief Vater und Tochter, als sie, von der Furcht Kraft und Eile borgend, den Rückweg antraten und sich bemühten, die Klippe zu umgehen, deren Vorsprung die Bucht auf der Südseite begränzte.

»Ich hörte, Sie wären hier, von dem kleinen Burschen, den Sie dem Wagen entgegengeschickt hatten,« sagte der Bettler, während er rüstig einige Schritt hinter Miß Wardour herging, »und da fiel mir's schwer auf's Herz, daß die gute junge Lady in Gefahr sein sollte, da sie ja immer so freundlich gegen jeden Armen ist, der ihr begegnet. Nun sah ich das Steigen und Brausen der Fluth an und dachte, Sie würden wohl zu retten sein, wenn ich noch Zeit, genug hätte, herab zu gehn und Sie zu warnen. Aber ich fürchte, ich fürchte, ich habe mich getäuscht! denn hat je ein menschlich Auge solch' eine Fluth gesehn, wie sie jetzt kommt? – Dort drüben ist der Rattonsfelsen – er hat mein Lebtage den Kopf immer überm Wasser gehalten – aber jetzt ist er unten.«

Sir Arthur warf einen Blick nach der Richtung, die der alte Mann andeutete. Ein gewaltiger Felsen, der sonst immer, auch bei außerordentlich hoher Fluth, seinen wie einen großen Schiffskiel geformten Gipfel zeigte, war jetzt ganz unter Wasser, und seine Stelle wurde nur durch das Toben und Branden der Wogen angedeutet, welche seinen, vom Meer bedeckten Wänden begegneten.

»Eilen Sie, eilen Sie, meine gute Lady,« fuhr der alte Mann fort, »eilen Sie, und wir können doch wohl davon kommen! Fassen Sie meinen Arm – 's ist jetzt nur noch ein alter, schwacher Arm, aber er that in solcher Bedrängniß wie jetzt doch oft Dienste. Fassen Sie meinen Arm, meine hübsche Lady! Sehn Sie dort den schwarzen Fleck unter den brausenden Wellen? heute Morgen war er so hoch wie ein Schiffsmast – jetzt ist er klein genug – aber so lang' ich nur noch so viel Schwarzes davon sehe, wie mein Hutkopf groß ist, so glaub' ich immer noch, wir werden um den Ballyburghneß kommen.«

Isabelle nahm schweigend des alten Mannes Beistand an, den ihr Sir Arthur weit weniger gewähren konnte. Die Wellen waren nun so weit über das Gestade gestiegen, daß der feste und glatte Pfad, den sie bisher auf dem Sande gehabt hatten, mit einem rauheren Wege, dicht am Felsenabhange, vertauscht werden mußte, und bisweilen führte derselbe auch wohl über die niedrigeren Klippen. Für Sir Arthur Wardour oder seine Tochter würde es völlig unmöglich gewesen sein, ohne die Leitung und Aufmunterung des Bettlers zwischen diesen Klippen einen Weg zu finden; Ochiltree war aber oft schon bei hoher Fluth hier gewesen, nur noch nie, wie er gestand, »in einer so grausigen Nacht wie diese.«

Es war in der That ein fürchterlicher Abend. Das Geheul des Sturmes vermischte sich mit dem Geschrei der Seevögel und tönte wie der Grabgesang der drei Opfer, welche, zwischen zwei der prächtigsten, aber auch schrecklichsten Schauspiele der Natur: – einer tobenden Fluth und einem unübersteiglichen Vorgebirg – auf ihrem mühsamen und gefährlichen Pfade dahin eilten, oft vom Schaum einer Riesenwelle durchnäßt, die sich höher am Strande brach, als alle frühern. Jede Minute gewann ihnen ihr Feind mehr Raum ab! aber noch immer hefteten sie, um die letzte Hoffnung des Lebens nicht schwinden zu lassen, ihre Blicke auf den schwarzen Fels, den Ochiltree bezeichnet hatte. Noch war er deutlich sichtbar zwischen der Brandung, und blieb es auch, bis ihr zweifelhafter Pfad eine Wendung machte, wo ein Felsenvorsprung jenen vor ihrem Auge verbarg. Des Anblicks dieser Warte beraubt, welcher sie noch getröstet hatte, hatten sie nun mit doppelter Todesangst zu kämpfen. Indeß strauchelten sie noch vorwärts; als sie aber auf dem Punkte ankamen, von wo sie jenen Fels hätten sehen sollen, war er nicht mehr sichtbar. Dieses Signal der Rettung war nun unter den tausend weißen Wogen verloren, die, gegen die Spitze des Vorgebirges schlagend, sich in ungeheuren schneeigen Schaumbergen erhoben, so hoch, wie der Mast eines großen Kriegsschiffes, und sich an der dunkeln Stirn der Felsenwand brachen.

Jetzt verlor der alte Mann die Fassung. Isabelle stieß einen schwachen Schrei aus, und das »Gott sei uns gnädig!« was ihr Führer feierlich ausrief, ward kläglich von Sir Arthur wiederholt – »Mein Kind! mein Kind! – eines solchen Todes zu sterben!«

»Mein Vater! mein theurer Vater!« rief seine Tochter, ihn umklammernd, – »und auch du, der du dein Leben verlierst, während du das unsre retten wolltest!«

»Das ist der Rede nicht werth,« sagte der alte Mann. »Ich lebte lang genug, um lebensmüde zu sein; und, hier oder dort – an einem Hügel oder im Schnee, auf dem Land oder in der Fluth, – was kommt's darauf an, wo ein alter Bettler stirbt?«

»Guter Mann,« sagte Sir Arthur, »hast du gar keinen Einfall? – weißt du keine Hilfe? – ich will dich reich machen – ich will dir einen Pachthof geben – ich will« –

»Unsre Reichthümer werden einander bald gleich sein,« sagte der Bettler, auf die kämpfenden Wogen hinausschauend – »sie sind's schon; denn ich habe kein Land, und Sie gäben gern Ihre ganze Baronie für ein kleines Stückchen Felsen, das noch zwölf Stunden trocken bliebe.«

Während sie so sprachen, standen sie auf der höchsten Stelle des Felsens still, die sie noch erreichen konnten; denn es schien, jeder fernere Versuch, vorwärts zu gehen, würde nur ihren Untergang beschleunigen. Hier nun mußten sie den sichern, wenn auch langsamen Fortschritt des rasenden Elements erwarten; ihre Lage hatte einige Aehnlichkeit mit jener der Märtyrer der ersten Kirche, die, durch heidnische Tyrannen den wilden Thieren übergeben, genöthigt waren, eine Zeit lang die Ungeduld und Wuth, wodurch man diese Thiere reizte, mit anzusehn, während sie des Zeichens gewärtig waren, wobei ihre Käfige geöffnet und sie auf ihre Opfer losgelassen werden sollten.

Aber selbst diese schreckliche Pause gab Isabellen Kraft, die von Natur starke und muthige Kraft ihres Geistes zu sammeln, die ihr auch in dieser schrecklichen Lage zu Hilfe kam. »Sollen wir unser Leben,« sagte sie, »ohne Widerstand aufgeben? Ist kein Pfad, sei er auch noch so furchtbar, auf dem wir den Felsen erklimmen könnten, oder auf dem wir wenigstens im Stande sind, eine Höhe zu erreichen, die sicher vor der Fluth ist, wo wir bis zum Morgen, oder bis Hilfe kommt, bleiben könnten? Man muß von unserer Lage wissen, und man wird die Gegend zu unsrer Rettung aufbieten.«

Sir Arthur, welcher die Frage seiner Tochter hörte, aber kaum verstand, wandte sich dennoch instinktartig und eifrig an den alten Mann, als ob ihr Leben in seiner Gewalt gestanden hätte. »In meinem frühern Leben,« sagte er, »war ich ein kühner Kletterer, und manches Vogelnest hab' ich zwischen diesen schwarzen Klippen geplündert; aber das ist lange, lange her, und kein Mensch könnte ohne ein Seil hinaufkommen; und hätt' ich auch eins, so ist doch mein Augenlicht, mein Fuß und meine Hand seit jener Zeit viel zu schwach geworden. Und wie könnt' ich auch Sie dann retten? – Aber es war einmal ein Pfad hier; aber, wenn wir ihn auch sehn könnten, so wär' es doch besser, Sie blieben hier, wo wir sind – Sein Name sei gelobt!« rief er plötzlich aus, »da kommt wahrhaftig Jemand die Klippe herab!« – Darauf rief er, mit erhobener Stimme, dem kühnen Abenteurer solche Weisungen zu, wie sie seine frühere Uebung und die Erinnerung an die örtlichen Verhältnisse ihm plötzlich eingaben: – »Ihr seid ganz recht! – ganz recht! – so ist's gut! – macht das Seil am Crummiehorn fest, an dem schwarzen Steine da – schlingt's zweimal herum – so ist's recht! – nun wendet Euch ein Bißchen ostwärts – ein Bißchen mehr nach dem Steine dort – wir nannten ihn den Katzenstein – es war dort die Wurzel eines Eichbaums – so ist's gut – nun flink, Freund! – nur vorsichtig – nehmt Euch Zeit – der Himmel helf' Euch, nehmt Euch Zeit. – Ganz gut so! – nun macht Euch nach Bessy's Schürze, das ist der flache schwarzblaue Fels dort – und dann denk' ich mit Eurer und des Seiles Hilfe zu Euch zu kommen; dann werden wir auch die junge Lady und Sir Arthur hinauf bringen können.«

Der Abenteurer warf, den Anweisungen Edie's folgend, das Ende des Seiles herab, welches der letztere um Miß Wardour schlang, während er sie zugleich in seinen eignen blauen Kittel hüllte, um sie so viel als möglich vor Verletzungen zu sichern. Dann begann er mit Hilfe des Seiles, dessen andres Ende fest gemacht war, die Felsenwand zu ersteigen – ein gefährliches und gewagtes Unternehmen, welches ihn indeß, nach ein- oder zweimaligem gefahrvollem Ausgleiten, sicher auf den breiten Stein an die Seite unsers Freundes Lovel brachte. Ihre vereinte Kraft reichte hin, auch Isabelle auf den Platz der Sicherheit, den sie schon erreicht hatten, zu bringen. Lovel stieg sodann hinab, um Sir Arthur behilflich zu sein, dem er das Seil umschlang; und dann mit dem Beistande des alten Ochiltree und mit der Hilfe, die Arthur gewähren konnte, nach dem Zufluchtsorte emporklimmend, erhob er sich selbst über das Bereich der Fluthen.

Das Gefühl, einem nahen und scheinbar unvermeidlichen Tode entgangen zu sein, hatte seine gewöhnlichen Wirkungen. Der Vater und die Tochter sanken einander in die Arme, küßten und weinten vor Freude, obwohl ihre Rettung mit der Aussicht verknüpft war, eine stürmische Nacht auf einem Felsstück zubringen zu müssen, welches den vier vor Kälte zitternden Wesen kaum Raum zum Stehen bot, die sich nun, gleich den Seevögeln ringsum, hier in der Hoffnung zusammendrängten, doch gegen das gierige Element, welches unten tobte, Schutz zu haben. Der Schaum der Wogen, die mit furchtbar wachsender Macht den Fuß des Abhangs erreichten, überfluthete das Gestade, wo sie noch vor wenigen Minuten standen, und spritzte selbst bis zu ihrem gegenwärtigen Asyl empor; das betäubende Getöse, mit welchem die Wellen gegen die Felsen unten schlugen, schien mit Donnerstimme noch jetzt die geweihten Opfer zu verlangen. Es war allerdings eine Sommernacht; aber unwahrscheinlich war es, daß ein so zarter Körper, wie der der Miß Wardour, bis zum Morgen den durchnässenden Schaum aushalten sollte, oder den fallenden Regen, der jetzt mit aller Heftigkeit herabstürzte und von einem heftigen rauhen Winde begleitet war, wozu noch überdies die peinlichen und gefährlichen Verhältnisse des Aufenthalts kamen.

»Die Lady – die arme süße Lady,« sagte der alte Mann; »manche solche Nacht hab' ich zu Haus und unterwegs ausgehalten – aber, Gott helf' uns, wie kann sie so etwas überleben?«

Im Stillen theilte er seine Besorgniß Lovel mit; denn wie sich, nach Freimaurerweise, kühne und beherzte Geister im Augenblick der Gefahr verstehen und fast instinktmäßig mit einander bekannt werden, so war zwischen den beiden schon ein gegenseitiges Vertrauen entstanden. – »Ich werde den Fels wieder hinaufklimmen,« sagte Lovel, »es ist noch hell genug, um zu sehn, wo ich fußen kann; ich klimme hinauf und rufe ferneren Beistand.«

»Thun Sie's, thun Sie's, um's Himmels willen!« sagte Sir Arthur eifrig.

»Sind Sie rasend?« sagte der Bettler; »Francie von Fowlsheugh, und der war der beste Kletterer, der sich je auf eine Höhe wagte (das beweist, daß er seinen Hals auf dem Dunbug von Slaines brach), der selbst würde sich nach Sonnenuntergang nicht auf den Halketfels gewagt haben – Gottes Gnade ist's und ein großes Wunder obendrein, daß Sie nicht mitten in der wogenden See liegen, nach dem, was Sie bereits gethan haben – Ich hätte nicht geglaubt, daß da ein Mann lebt, der so wie Sie die Klippen herabkommen könnte. Ich weiß nicht, ob ich's selber gekonnt hätte, da ich noch in voller Jugendkraft stand; aber sich wieder hinauf zu wagen – das hieße einzig und allein die Vorsehung versuchen.«

»Ich habe keine Furcht,« antwortete Lovel; »ich merkte alle Stellen genau beim Herabkommen, und es ist noch hell genug, um sie alle wieder zu erkennen – ich bin überzeugt, daß ich's mit völliger Sicherheit unternehmen kann. Bleib' hier, mein guter Freund, bei Sir Arthur und der jungen Dame.«

»Dann hol' der Teufel meine Füße,« antwortete der Bettler muthig; »wenn Sie gehn, geh' ich auch; wir werden miteinander vollauf zu thun haben, um die Höhe zu erreichen.«

»Nein, nein – bleib' du hier und steh' Miß Wardour bei – du siehst, Sir Arthur ist ganz erschöpft.«

»Bleiben Sie selber und ich will gehn,« sagte der alte Mann; »laßt den Tod die grüne Saat schonen und die reife nehmen.«

»Bleibt beide, ich bitt' euch,« sagte Isabelle mit schwacher Stimme, »ich befinde mich wohl und kann die Nacht recht gut hier zubringen – ich fühle mich völlig gestärkt.« Bei diesen Worten versagte ihr die Stimme – sie sank nieder und würde von der Klippe gestürzt sein, hätten Lovel und Ochiltree sie nicht unterstützt, welche sie halb sitzend, halb liegend, neben ihren Vater niederlegten, welcher, durch eine für Körper und Geist so außerordentliche, ungewöhnliche Anstrengung erschöpft, sich bereits auf einem Steine in einer Art von Betäubung niedergesetzt hatte.

»Es ist unmöglich sie zu verlassen,« sagte Lovel – »Was ist nun zu thun? – horch! horch! – hörtest du nicht rufen?«

»Das Geschrei eines Seeraben,« antwortete Ochiltree, »ich kenne das recht gut.«

Ein ferner Ruf ward wiederholt, ein Ton, der sich genau von dem Geräusch der Elemente und von der Stimme der Seemöven ringsumher unterschied. Der Bettler und Lovel vereinten ihre Stimmen zu einem lauten kräftigen Halloh, während der erstere Miß Wardour's Taschentuch schwang, welches er an das Ende seines Stockes gebunden hatte, um sich den oben befindlichen Leuten bemerklich zu machen. Obwohl das Geschrei wiederholt wurde, so verging doch einige Zeit, eh' sie ihren eigenen Ruf wirklich beantwortet hörten, und die unglücklichen Dulder blieben ungewiß, ob sie bei der Finsterniß und dem wachsenden Sturme den Personen, welche oben am Rande des Abhanges hineilten, um ihnen Hilfe zu bringen, ihren gegenwärtigen Zufluchtsort würden bemerkbar machen können. Endlich ward ihr Halloh regelmäßig und genau beantwortet, und ihr Muth erstarkte durch die Gewißheit, daß man sie bereits hörte, wenn man ihnen den freundlichen Beistand auch noch nicht gewähren könnte.


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