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Elftes Kapitel.

Bald glaubt er, daß der Himmel ihm geschickt
All jenes Gaukelspiel, was er erblickt;
Bald, daß nur Phantasie erneuert wild
Vom letzten Tag ihm manch verworrnes Bild. –

Wir dürfen unsre Leser kaum auffordern, das Frühstück bei Mr. Oldbuck zu betrachten, welcher, die neuern Getränke, Thee und Kaffee, verachtend, sich an gediegenere Kost, more majorum, an kaltem Roastbeef und einem Glas sogenannter Mumme, einer Art starken Ale's, aus Weizen und bittern Kräutern gebraut, erlabte; – die gegenwärtige Generation kennt dies Getränk nur dem Namen nach, weil es in den Steuerregistern des Parlaments mit Cider, Birnwein und andern accisbaren Luxusartikeln vorkommt. Lovel, der sich verleiten ließ, davon zu kosten, überwand sich mit Mühe, es nicht abscheulich zu nennen, aber er überwand sich allerdings, da er einsah, er werde sonst den Wirth sehr beleidigen, welcher das Getränk alljährlich mit besondrer Sorgfalt nach einem Recept bereitete, das er von dem oft erwähnten Aldobrand Oldenbuck geerbt hatte. Die Gastfreundschaft der Damen bot Lovel ein Frühstück, wie es einem modernen Geschmack mehr zusagte, und während er damit beschäftigt war, es einzunehmen, bestürmten ihn indirekte Fragen, hinsichtlich seiner Ruhe in der vergangenen Nacht.

»Wir können Mr. Lovel diesen Morgen eben nicht zu seinem Aussehn Glück wünschen, Bruder – aber er wird nicht zugeben wollen, daß er in der Nacht beunruhigt worden sei – ja gewiß, er sieht recht blaß aus, und als er zu uns kam, war er doch frisch wie eine Rose.«

»Ei, Schwester, bedenke, daß diese Rose gestern Abend durch See und Wind geknickt worden ist, als ob er ein Seegrashalm gewesen wäre, und wie, zum Henker, hätt' er denn seine Farbe erhalten sollen?«

»Ich fühle mich wirklich noch immer etwas matt,« sagte Lovel, »trotz der Bequemlichkeiten, womit mich Ihre Gastfreundschaft so reichlich versorgte.« –

»O, Sir!« sagte Miß Oldbuck, während sie ihn mit schlauem Lächeln ansah, – oder wenigstens sollte es ein schlaues Lächeln bedeuten, – »Sie wollen uns aus Höflichkeit nur nichts von der Unbequemlichkeit gestehn.«

»Wirklich,« erwiederte Lovel, »ich hatte keine Störung; denn so kann ich doch die Musik nicht nennen, mit welcher mich eine freundliche Fee beglückte.«

»Ich fürchtete wohl, Maria würde Sie mit ihrem Geschrei erwecken; sie wußte nicht, daß ich ein Fenster bei Ihnen offen gelassen hatte; denn, abgesehn vom Geist, ist in der grünen Stube bei großem Wind auch oft ein Bißchen Rauch. Aber ich denke, Sie werden mehr als Maria's Singsang gehört haben; ja, die Männer sind kühne Leute, sie wissen mit Allem fertig zu werden. Ich weiß gewiß, hätt' ich einem solchen übernatürlichen Ding begegnen müssen, ich hätte laut aufgeschrien und das Haus rege gemacht, mochte draus entstehn, was da wollte. Und ich kann wohl sagen, der Pfarrer würd' es nicht anders machen; ich hab' ihm das geradezu gesagt. Ich weiß Niemand, als meinen Bruder, Monkbarns, der so etwas aushalten könnte, und nun noch allerdings Sie, Mr. Lovel.«

»Ein Mann von Mr. Oldbuck's Gelehrsamkeit,« antwortete der Angeredete, »würde wohl keiner solchen Unannehmlichkeit ausgesetzt sein, wie der hochländische Herr, den Sie gestern erwähnten.«

»Ja, ja! Sie wissen nun, worin die Schwierigkeit liegt – in der Sprache! er hat so seine besondern Mittel, womit er alles Gespenstervolk verbannen könnte bis zu den äußersten Theilen von Gideon (sollte vielleicht Midian heißen), wie Mr. Blattergowl sagt – nur daß er nicht unhöflich gegen Jemand sein mag, und wenn's auch ein Geist wäre. Ich will gewiß noch das Recept anwenden, Bruder, welches du mir in einem Buche gezeigt hast, sobald wieder Jemand in der grünen Stube schlafen soll; wir sollten aber, denk' ich, aus Christenpflicht lieber die Unterstube einrichten – sie ist freilich ein Bißchen dumpfig und finster, aber wir brauchen ja auch ein Gastbett nur selten.«

»Nein, nein, Schwester; Dumpfheit und Finsterniß sind schlimmer als Gespenster – die unsern sind Geister des Lichts, und ich wollte lieber, du versuchtest deine Zaubermittel.«

»Das thät ich recht gern, Monkbarns, wenn ich die Ingredienzien hätte, wie mein Kochbuch es nennt. Es war Eisenkraut und Dill – das weiß ich noch – Davie Dibble wird sie wohl alle kennen, wenn er ihnen auch lateinische Namen gibt. Dann Pfefferkorn, und davon haben wir genug, denn –«

» Hyperikon, du thörichtes Weib!« donnerte Oldbuck; »weißt du auch, welchen Mischmasch du da machst? oder meinst du, daß sich ein aus Luft gebildeter Geist mit einem Räucherrecept vertreiben lasse? – Meine kluge Grizzel, Mr. Lovel, erinnert sich (und Sie mögen urtheilen, mit welcher Genauigkeit) eines Zaubermittels, das ich ihr einmal nannte; und weil es gut zu ihrem abergläubischen Unsinn paßt, so hat sie es besser im Kopfe behalten, als irgend eine nützliche Sache, die ich ihr seit zehn Jahren vorgepredigt habe. Aber noch manches alte Weib –«

»Altes Weib! Monkbarns,« sagte Miß Oldbuck, indem sie ihren gewöhnlichen unterwürfigen Ton einigermaßen bei Seite setzte, »du bist wirklich unartig gegen mich.«

»Nicht mehr als billig, Grizzel; indeß zähle ich zu derselben Klasse noch manchen berühmten Namen, von Jamblichus bis auf Aubrey, die ihre Zeit verschwendeten, indem sie Heilmittel für gar nicht vorhandene Krankheiten erfanden. Aber, mein junger Freund, bezaubert oder entzaubert, gesichert durch die Kraft des Hyperikons, weil

Eisenkraut und Dill,
Hindert, was die Hexe will,

oder unbewehrt und schutzlos gegen die Angriffe der unsichtbaren Welt, sei es wie es wolle, ich hoffe, daß Sie den Schrecken des spukhaften Zimmers noch eine Nacht widmen, und Ihren treuen und redlichen Freunden noch einen Tag.«

»Ich wünsche von Herzen, daß ich's könnte, aber« –

»O, nur keine Aber – ich habe mir's einmal in den Kopf gesetzt.«

»Ich bin sehr verbunden, mein theurer Sir, aber« –

»Sehen Sie, schon wieder ein Aber! Ich hasse das Aber; ich kenne keine Form des Ausdrucks, in welcher es vorkommen kann, wo es freundlich klänge; aber ist mir eine abscheulichere Verbindung von Buchstaben, als das Nein selbst. Nein ist ein sicherer, ehrlicher Bursche, der seine Meinung gleich rund heraussagt. Aber ist ein kriechendes, ausweichendes, Ausnahmen suchendes Ding, welches einem den Becher wegreißt, gerade wenn man ihn an die Lippen setzen will –

– – – es vernichtet
Das Gute, was vorausging – pfui des Aber!
Das Aber gleicht dem Henker, der zum Tode
Den Uebelthäter führt.« – –

»Nun gut,« antwortete Lovel, dessen Entschluß jetzt wirklich wankend wurde, »Sie sollen sich bei meinem Namen nicht zugleich an ein so garstiges Wort erinnern. Ich muß bald auf meine Abreise von Fairport denken, und will, da Sie so freundlich sind, es zu wünschen, die Gelegenheit benutzen und noch einen Tag hier bleiben.«

»Und sollen dafür belohnt werden, Freundchen – erstens sollen Sie des John von Girnel Grab sehen, und dann spazieren wir gemächlich am Strande hin, wenn wir über den Stand der Fluth Gewißheit haben (denn wir wollen Peter Wilkins Abenteuer nicht noch einmal bestehen), und gehen bis nach Knockwinnock, um nach dem alten Ritter und meiner schönen Feindin zu fragen – welches nur der Höflichkeit zu Liebe geschehn wird, – und dann –«

»Bitt' um Verzeihung, Sir; aber Sie thäten vielleicht besser, Ihren Besuch bis morgen aufzuschieben – ich bin ein Fremder, wie Sie wissen.«

»Und sind daher um so mehr verpflichtet, Höflichkeit zu zeigen, sollt' ich denken. Aber ich bitte Sie um Verzeihung für ein Wort, das vielleicht nur einem Sammler von Alterthümern zukommt – ich bin einer aus der alten Schule,

Wo junge Herrn zehn Meilen ritten,
Die schöne Gefährtin auf dem Ball
Zu sehn, und still dabei zu hoffen« –

»Nun, wenn – wenn Sie glauben, man würde dies erwarten – aber ich glaube, 's ist besser, wenn ich zurückbleibe.«

»Nein, nein, mein guter Freund, ich bin nicht so altmodisch, um Sie zu dem zu drängen, was Ihnen unangenehm ist – es genügt mir, daß ich da eine gewisse remora bemerke, ein Hinderniß, einen Grund der Bedenklichkeit, irgend ein Hinderniß, nach welchem ich kein Recht zu fragen habe. – Oder sind Sie vielleicht noch müde? ich werde gewiß Mittel haben, um Ihren Geist zu unterhalten, ohne Ihre Glieder zu ermüden. Ich bin selbst kein Freund großer Anstrengung. Ein Spaziergang im Garten jeden Tag ist für ein denkendes Wesen genug. Nur ein Narr oder ein Fuchsjäger könnte noch mehr verlangen. – Nun gut, was wollen wir vornehmen? – Meine Abhandlung über Lagerbefestigung – das habe ich aber in petto für einen traulichen Nachmittag – Oder ich will Ihnen meine Streitschrift über Ossian's Gedichte gegen Mac-Cribb zeigen – Ich halte es mit dem scharfsinnigen Orcadier, er mit den Vertheidigern der Aechtheit. Der Streit beginnt in sanften, geschmeidigen, mädchenhaften Ausdrücken, aber im weitern Verlauf wird er immer bitterer und heftiger: der Styl hat bereits etwas von jenem Scaliger's. – Ich fürchte, der Schuft wird etwas von der Geschichte Ochiltree's auszuspüren suchen; aber im schlimmsten Falle hab' ich schon eine harte Erwiederung in Bereitschaft, hinsichtlich des entwendeten Antigonus. Ich will Ihnen sein letztes Kapitel zeigen und das Concept meiner Antwort – ja, da kommt er schlecht weg!«

Mit diesen Worten öffnete der Antiquar ein Schubfach, und begann unter einer Masse vermischter, antiker und moderner, Papiere zu wühlen. Aber das Unglück dieses gelehrten Herren war, wie es auch das vieler andren Gelehrten und Nichtgelehrten ist, daß er häufig bei solchen Gelegenheiten erfuhr, was Harlequin l'embarras des richesses nennt; mit andern Worten: der Reichthum seiner Sammlung verhinderte ihn oft, den gesuchten Gegenstand zu finden. »Verwünschte Papiere! – ich glaube,« sagte Oldbuck, während er hin und her warf, »Ich glaube, sie bekommen von selber Flügel, wie Grashüpfer, und fliegen leibhaftig davon – doch, betrachten Sie unterdessen hier diesen kleinen Schatz.« – Mit diesen Worten reichte er Lovel ein Kästchen von Eichenholz, an den Ecken mit silbernen Rosetten und Nägeln verziert. »Bitte, schieben Sie die Klappe weg,« sagte er, bemerkend, daß Lovel vergebens zu öffnen suchte; – dieser gehorchte, der Deckel ging auf, und es zeigte sich ein dünner Quartband, kunstreich in schwarzen Chagrin gebunden. »Da, Mr. Lovel, da sehen Sie das Werk, dessen ich gestern Abend erwähnte. Die seltene Quartausgabe der Augsburger Confession, zugleich Grundlage und Bollwerk der Reformation, entworfen von dem gelehrten und ehrwürdigen Melanchthon, vertheidigt vom Kurfürsten von Sachsen und den andern wackern Herzen, die sich für ihren Glauben selbst gegen den mächtigen und siegreichen Kaiser erhoben, und gedruckt von dem kaum minder ehrwürdigen und preiswürdigen Aldobrand Oldenbuck, meinem seligen Ahnherrn, zu Zeit der noch tyrannischern Versuche Philipps II., bürgerliche und religiöse Freiheit zu unterdrücken. Ja, Sir, weil er dieses Werk druckte, ward der große Mann aus seiner undankbaren Heimath vertrieben und mußte seine Hausgötter gerade hier, zu Monkbarns, unter den Trümmern päpstlichen Aberglaubens und päpstlicher Herrschaft, errichten. Betrachten Sie sein ehrwürdiges Bildniß, Mr. Lovel, und achten sie die ehrenwerthe Beschäftigung hoch, bei welcher er dargestellt ist: er arbeitet selbst an der Presse, um die Verbreitung christlicher und politischer Erkenntniß zu fördern. Sehen Sie auch hier seinen Lieblingsspruch, welcher Unabhängigkeit und Selbstvertrauen ausspricht, denn er verachtet es, irgend Jemandes Gunst anzuerkennen, wenn sie nicht durch Verdienst erworben war – deßgleichen wird die Festigkeit des Geistes und Beharrlichkeit beim Entschlusse dadurch ausgedrückt, die Horaz anempfiehlt. Er war auch in der That ein Mann, der fest gestanden haben würde, wäre auch seine ganze Druckerei, seine Pressen, Schriften und alles ringsum zu Grunde gegangen. Bitte, lesen Sie sein Motto, – denn jeder Buchdrucker hatte sein Motto oder seinen Wahlspruch zu jener Zeit, als diese edle Kunst zuerst geübt wurde. Der Wahlspruch meines Ahnherrn bestand, wie Sie sehen, in den deutschen Worten: Kunst macht Gunst, das heißt, Geschick oder Klugheit wird, indem sie unsre natürlichen Talente und Anlagen in Thätigkeit setzt, uns Gunst und Schutz verschaffen, selbst wo Vorurtheil und Unwissenheit hinderlich sein sollten.«

»Und dies,« sagte Lovel nach kurzem gedankenvollen Schweigen, »dies also ist die Bedeutung dieser deutschen Worte?«

»Allerdings – Sie sehen, wie gut sie für ein Bewußtsein innern Werthes und für die Ausübung einer nützlichen und ehrenwerthen Kunst passen. – Jeder Buchdrucker in jenen Tagen hatte, wie ich Ihnen bereits sagte, seinen Wahlspruch, seine Devise, wie man es nennen kann, auf gleiche Weise, wie die mannhafte Ritterschaft jener Zeit, welche Kampfspiele und Turnire übte. Mein Ahnherr war so stolz auf seinen Wahlspruch, als hätte er ihn auf einem siegreichen Schlachtfelde entfaltet, obwohl er Verbreitung von Kenntnissen, nicht aber Blutvergießen, bezeichnete. Und gleichwohl existirt eine Familiensage, welche versichert, er habe ihn in Folge eines romantischern Vorfalls gewählt.«

»Und wie verhielt es sich wohl damit, Sir?« fragte der junge Freund.

»Nun, es beeinträchtigt eigentlich meines achtbaren Vorfahren Ruf hinsichtlich der Klugheit und Weisheit ein wenig – Sed semel insanivimus omnes – jeder ist einmal ein Narr gewesen. Man sagt, daß mein Vorfahr während seiner Lehrzeit bei einem Nachkommen des alten Fust, den die Volkssage unter dem Namen Faustus zum Teufel schickte, eine Neigung zu einem unnützen Weibsbild, der Tochter seines Herrn, Namens Bertha, faßte. Sie wechselten Ringe, oder nahmen eine ähnliche thörichte Ceremonie vor, wie es bei solch kindischen Gelegenheiten, wie einer Verlobung, üblich ist, und Aldobrand trat nun seine Reise durch Deutschland an, wie es einem wackern »Handwerker« ziemte. Es war nämlich zu jener Zeit Gewohnheit der Künstler und Gewerbtreibenden, eine Reise durch das Reich zu machen, und ihr Geschäft eine Zeitlang in einer der bedeutendsten Städte zu treiben, bevor sie sich endlich für ihre Lebenszeit fest niederließen. Dies war eine weise Sitte; denn da solche Reisende in jeder Stadt von ihren Kunstgenossen wie Brüder empfangen wurden, so waren ihnen für jeden Fall die Mittel gesichert, weitere Kenntnisse zu erlangen oder zu verbreiten. Als mein Ahnherr nach Nürnberg zurückkehrte, sagt man, fand er seinen alten Meister kürzlich gestorben und einige junge Bewerber, halbverhungerte Herrchen von Adel, welche der »Jungfrau« Bertha nachstellten, weil sie gehört hatten, ihr Vater habe ihr eine Mitgift hinterlassen, welche wohl sechzehn Ahnen aufwiegen konnte. Aber Bertha, die kein ganz verächtliches Weibsbild war, hatte ein Gelübde gethan, sie wolle blos den Mann heirathen, der ihres Vaters Presse zu handhaben verstehe. Diese Kunst war zu jener Zeit eben so selten als bewundernswerth. Diese Erklärung befreite sie auch schnell von den meisten ihrer adeligen Bewerber, die wohl eben so leicht mit einem Zauberstabe, als mit einem Preßbengel hätten umgehen können. Einige der mindergeschickten Typographen machten nun den Versuch; aber keiner besaß das Geheimniß vollkommen – doch, ich langweile Sie!«

»Keineswegs; bitte, fahren Sie fort, Mr. Oldbuck; ich höre mit ungemeiner Theilnahme zu.«

»Ach, 's ist lauter Thorheit; – indeß, Aldobrand kam in seiner gewöhnlichen Kleidung an, in der Tracht eines wandernden Buchdruckers, wie wir sagen würden, derselben, in welcher er Deutschland durchreist und mit Luther, Melanchthon, Erasmus und andern gelehrten Männern gesprochen hatte, die seine Kenntnisse und das Geschick, mit welchem er jene in Anwendung brachte, hochachteten, obwohl sie unter einer schlichten Hülle verborgen waren. Aber was in den Augen der Weisheit, der Religion, der Gelehrsamkeit und Philosophie achtenswerth schien, galt vor den Augen eines thörichten und gezierten Weibsbildes für gering und unbedeutend, wie man leicht vermuthen kann, und Bertha wollte ihren frühern Geliebten in dem abgetragenen Wams, der Pelzmütze, den benagelten Schuhen und dem ledernen Schurzfell, wie es damals jeder reisende Künstler und Handwerker trug, nicht wieder erkennen. Er berief sich indeß auf sein Recht, zu einer Probe gelassen zu werden; und da die übrigen Bewerber entweder den Wettstreit abgelehnt, oder eine Arbeit geliefert hatten, die selbst der Teufel nicht hätte lesen können, und wär' auch die Seligkeit der Preis gewesen: so waren Aller Augen auf den Fremden gerichtet. Aldobrand trat mit Anstand vor, setzte seine Schrift ohne auch nur einen einzigen Buchstaben oder Komma auszulassen, brachte sie, ohne ein einziges Spatium zu verschieben, in die Form, und lieferte sodann einen so reinen, fehlerfreien Bogen, als wäre eine dreifache Revision vorhergegangen! Alle riefen dem würdigen Nachfolger des unsterblichen Faustus Beifall zu – das erröthende Mädchen erkannte ihren Irrthum, indem sie dem Auge mehr, als der Vernunft getraut hatte, und der erwählte Bräutigam machte von Stund' an jene schönen Worte zu seinem Wahlspruch: Kunst macht Gunst. – Aber was soll das bedeuten? Sie sind ja ganz in sich versunken? – Nun, ich sagte Ihnen, daß dies für denkende Leute nur ein kindisches Geschichtchen sei – da hab' ich eben meine Ossianische Streitschrift gefunden.«

»Verzeihn Sie mir,« sagte Lovel; »ich werde recht kindisch und veränderlich in Ihren Augen erscheinen, Mr. Oldbuck; aber Sie schienen der Meinung, Sir Arthur würde einen Besuch von mir erwarten?«

»Ach, was! ich werde Sie schon entschuldigen; und wenn Sie uns sobald verlassen müssen, wie Sie sagen, so liegt ja nichts dran, wie gut Sie bei dem Baronet angeschrieben stehn! – Auch sag' ich Ihnen im Voraus, daß die Abhandlung über Lagerbefestigung etwas gedehnt ist und unsre ganze Zeit nach dem Mittagessen in Anspruch nehmen wird; Sie werden daher die Ossianische Streitschrift einbüßen, wenn wir dieser nicht den Morgen widmen. Wir wollen in meine Immergrünlaube gehen, zu meiner heiligen Stechpalme, da werden wir die Sache fronde super viridi genießen.

Singt fröhlich und lustig im Grünen, juchhei!
Freundschaft ist nur Trug, Lieb' ist Narrethei.

Doch,« fuhr der alte Herr fort, »wenn ich Sie genauer ansehe, so scheint mir fast, Sie sind ganz andrer Meinung. Amen, von ganzem Herzen – ich streite nie um eines andern Steckenpferd, wenn er damit nicht gegen das meine anrennt, und wenn er's thut – nun, dann mag er seine Augen in Acht nehmen. Was sagen Sie nun? nämlich in der Sprache der Erde und der Irdischen, wenn Sie sich zu so niedriger Sphäre herablassen können, – werden wir bleiben oder gehn?«

»Nun also in der Sprache der Selbstsucht, die natürlich die Sprache dieser Welt ist – lassen Sie uns jedenfalls gehen.«

»Amen, Amen, sagte der Graf Marschall!« antwortete Oldbuck, während er die Pantoffeln mit einem Paar derber Schuhe vertauschte, die mit schwarztuchenen Gamaschen versehen waren. Er unterbrach den Spaziergang nur durch einen kleinen Abstecher nach dem Grabe John von Girnels, der als letzter Verwalter der Abtei genannt ward und zu Monkbarns wohnte. Unter einem alten Eichbaum auf einem Hügel, der sich sanft nach Süden absenkte und über einige reiche Anpflanzungen und den Muschelfels hin eine ferne Aussicht über's Meer gewährte, lag ein moosbewachsener Stein, welcher zum Andenken des verstorbenen Ehrenmannes eine Inschrift trug, deren verwitterte Schriftzüge nach Mr. Oldbuck's Behauptung (obwohl manche daran zweifelten,) genau das folgende besagten:

Hier ruhet John von Girnell itzt,
Deß Leib die Erde, deß Geist der Himmel besitzt.
Zu seiner Zeit gab Eier jedes Huhn,
An Kindern reich war jedes Haus dazu.
Den Scheffel theilt er in fünf Viertel genau,
Vier für die heilige Kirche, das fünfte für manch' gute Frau.

»Sie sehen, wie bescheiden der Verfasser dieser Grabschrift war – er sagt uns, daß der ehrliche John fünf Viertel, statt vier, aus dem Scheffel zu machen wußte, – daß er das fünfte den Weibern des Kirchspiels gab und die übrigen vier dem Abte und dessen Kapitel berechnete, – daß zu seiner Zeit die Hühner jeder Hausfrau Eier legten, – nun, der Teufel dank' es ihnen, wenn sie den fünften Theil von des Abts Zinsen erhielten; ferner, daß jedes Haus der wackern Landwirthe mit Kindern gesegnet war, – eine Zugabe zu all den wunderbaren Dingen, die sie, so gut als ich, für ganz unerklärlich gehalten haben müssen. Doch kommen Sie, verlassen wir John von Girnel, und gehen nunmehr auf dem gelben Sande des Gestades hin, wo die See, wie ein zurückgeschlagener Feind, sich nun von dem Boden zurückgezogen hat, wo sie uns gestern Nacht die Schlacht lieferte.«

Mit diesen Worten trat er den Weg nach dem Strand an. Auf den Dünen, dicht dabei, sah man vier oder fünf von Fischern bewohnte Hütten, deren Boote, hoch auf die Küste herauf gezogen, den starken Duft des in der Sonnenhitze schmelzenden Peches verbreiteten, welcher dem Geruch, den Fische und dergleichen Dinge gewöhnlich um schottische Hütten verbreiten, den Vorzug streitig zu machen suchte. Ohne sich durch diese garstigen Gerüchte stören zu lassen, saß eine Frau von mittlern Jahren, mit einem Gesicht, welches tausend Stürmen getrotzt hatte, vor der Thür einer solchen Hütte, und besserte ein Netz aus. Ein Tuch, welches sie um den Kopf gebunden hatte, und ein Rock, welcher ehemals der eines Mannes gewesen war, gab ihr ein männliches Ansehn, welches noch durch ihre Kraft, ihre Größe und eine sehr rauhe Stimme erhöht wurde. »Was suchen Sie heute, Sir?« sagte oder schrie sie vielmehr Oldbuck entgegen. »Frische Schellfische, Weißfische – eine Steinbutte, einen Seehahn.«

»Wie viel für Steinbutte und Seehahn?« fragte der Antiquar.

»Vier Schilling sechs Pence,« antwortete die Najade.

»Vier Teufel und sechs von ihrer Brut!« zürnte dagegen der Antiquar; »hältst du mich für toll, Maggie?«

»Und denken Sie denn,« erwiederte die Amazone mit untergestemmten Armen, »daß mein Mann und meine Söhne auf die See gehn sollen in solchem Wetter wie gestern, und wie es noch heut' ist – und daß sie dann für ihre Fische nichts haben sollen, und nur Grobheiten dazu, Monkbarns? Sie kaufen da keine Fische, das sind Menschenleben.«

»Gut, Maggie, du magst recht haben; du sollst einen Schilling für Steinbutte und Seehahn haben, oder sechs Pence für jeden allein. Und wenn du all deine Fische so gut bezahlt bekommst, so denk' ich, dein Mann und deine Söhne haben eine ergiebige Fahrt gemacht.«

»Wollt' ich doch lieber, der Teufel hätte ihr Boot gegen den Bellrock geschleudert! das wäre besser und trüg' ihnen mehr ein. Einen Schilling für zwei so schöne Fische! das läßt sich wirklich hören!«

»Gut, gut, du alte Närrin, trag' deine Fische nach Monkbarns, und sieh, was dir meine Schwester dafür gibt.«

»Nein, nein, Monkbarns, so nicht – ich will lieber mit Ihnen handeln; denn wie genau Sie auch sind, so geizt Miß Grizzel doch noch ärger – Sie sollen sie (in sanfterem Tone) »für drei Schilling und sechs Pence haben.«

»Achtzehn Pence oder nichts!«

»Achtzehn Pence!!!« rief sie im Tone der Ueberraschung, welcher etwas klagend und jammernd wurde, als der Käufer sich wandte, um weiter zu gehen – »Wollen Sie denn die Fische nicht?« und als sie sah, daß er wirklich ging, rief sie lauter: »Sie sollen sie haben, sammt einem halben Dutzend Krebse zur Brühe, um drei Schilling und einen Branntwein.«

»Eine halbe Krone, Maggie, und einen Branntwein.«

»Nun gut, Sie bestehen immer auf dem eigenen Willen, das weiß man ja; aber ein Branntwein ist jetzt Geldes werth – die Brennereien arbeiten nicht.«

»Und ich hoffe, sie sollen nie wieder arbeiten, so lang' ich lebe;« sagte Oldbuck.

»Ja, ja – Sie und all' die Edelleute können leicht so sprechen, Sie haben die Hüll' und die Fülle, Holz und Kleidung, Essen und Trinken, und sitzen trocken und wohl am Kamin – aber wenn Sie Holz und Essen und trockene Kleider entbehrten, wenn Sie fast vor Kälte umkämen und Kummer im Herzen hätten, was das Schlimmste von allem ist: – hätten Sie dann noch zwei Pence in der Tasche, so würden Sie recht froh sein, einen Branntwein dafür kaufen zu können, der Ihnen Dach und Fach, Abendbrod und Herzensruhe bis zum nächsten Morgen ersetzen müßte.«

»Das ist nun allerdings eine gute Rechtfertigung, Maggie. Ist dein Mann diesen Morgen auf der See, nach den Anstrengungen der letzten Nacht?«

»Freilich ist er, Monkbarns; schon um vier diesen Morgen war er hinaus, als die See noch tobte wie Schaum vom gestrigen Winde, und unser kleines Boot tanzte wie ein Kork drauf herum.«

»Nun, er ist ein fleißiger Mann. Trage die Fische nach Monkbarns.«

»Das will ich; oder ich schicke die kleine Jenny, die läuft besser; aber den Branntwein muß ich mir selber von Miß Grizzel geben lassen und sagen, daß Sie mich schicken.«

Ein noch nirgends beschriebenes Thier, das etwa für eine Seejungfer passiren konnte, da es sich in einer Pfütze zwischen den Felsen bewegte, wurde durch den gellenden Ruf seiner Mutter herbeibeschieden; nachdem es sich hübsch angezogen hatte, wie sich die Mutter ausdrückte, das heißt, nachdem zu einem Röckchen, welches erst die ganze Kleidung ausmachte und kaum bis an die Knie reichte, noch ein kurzes rothes Mäntelchen gekommen war, ward das Kind mit den Fischen in einem Korbe, so wie mit dem Auftrage von Seiten Monkbarns, daß man sie für den Mittag bereiten möchte, abgeschickt. »Es sollte lange gedauert haben,« sagte Oldbuck selbstgefällig, »ehe mein Weibsvolk einen so vernünftigen Handel mit dieser alten Schachtel abgeschlossen hätte: wiewohl sie mit ihr manchmal eine Stunde lang unter dem Fenster meiner Studierstube streiten, schreiend und schwatzend wie drei Seeraben im Sturme. Doch kommen Sie, gehen wir nach Knockwinnock.«


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