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Fünftes Kapitel

Lancelot Gobbo. Nun merkt auf: jetzt
will ich den Ocean rege machen.

Kaufmann von Venedig.

Das Theater von Fairport war eröffnet worden, aber kein Mr. Lovel erschien auf den Brettern; auch lag in der Lebensweise und dem Benehmen des jungen Herrn, welcher diesen Namen führte nichts, was Mr. Oldbuck's Meinung rechtfertigen konnte, daß nämlich sein Reisegefährte ein Candidat der öffentlichen Gunst sei. Regelmäßig waren des Alterthümlers Nachforschungen bei einem alten Haarkräusler, der die drei einzigen Perücken des Kirchspiels zu besorgen hatte, welche, trotz der Auflagen und der Zeiten, noch immer der Operation des Puderns und Frisirens unterworfen waren, und der daher auch seine Zeit unter diese drei Kunden theilte, die ihm die Mode übrig gelassen hatte – regelmäßig, sag' ich, waren Mr. Oldbuck's Nachforschungen bei diesem Manne hinsichtlich der Neuigkeiten des kleinen Theaters zu Fairport, indem er jeden Tag etwas von Mr. Lovel's Auftreten zu hören erwartete; denn für diesen Fall hatte der alte Herr beschlossen, sich zu Ehren seines jungen Freundes in Kosten zu stecken, und zwar nicht allein selbst in's Schauspiel zu gehen, sondern auch seine Damen mitzunehmen. Aber der alte Jacob Caxon brachte keine Nachricht, welche einen so wichtigen Schritt, wie die Bestellung einer Loge, nöthig gemacht hätte.

Im Gegentheil brachte er die Nachricht, daß sich ein junger Mann in Fairport aufhalte, aus dem die Stadt (darunter verstand er all' die Gevattern, welche, aus Mangel an eignen Geschäften, ihre Zeit damit ausfüllen, daß sie anderer Leute Angelegenheiten beobachten,) nicht klug werden könne. Er besuchte keine Gesellschaft, sondern vermied sie vielmehr, obwohl sein offenbar vornehmes Benehmen, so wie das Gefühl der Neugier so manchen veranlaßte, ihn zu besuchen. Nichts konnte regelmäßiger und einem Abenteurer unangemessener sein, als seine Lebensweise, welche zwar einfach, aber so wohl geordnet war, daß Alle, die etwas mit ihm zu thun hatten, sein Lob laut und einstimmig verbreiteten.

Das sind nicht die Tugenden eines Bühnenhelden, dachte Oldbuck bei sich; und wie hartnäckig er auch in seinen einmal gefaßten Meinungen war, so hätte er doch die in gegenwärtigem Falle angenommene aufgeben müssen, wenn Caxon seiner Mittheilung nicht noch etwas beigefügt hätte. »Der junge Herr,« sagte er, »spricht manchmal mit sich selber, und lärmt in seinem Zimmer umher, gerade, als ob er zu dem Schauspielervolk gehörte.«

Es trat indeß, außer diesem einzigen Umstande, nichts ein, was Mr. Oldbuck's Meinung bestätigen konnte, und es blieb immer eine wichtige, bedenkliche Frage, was ein gebildeter junger Mann ohne Freunde, Verbindungen und Geschäfte in Fairport zu thun haben könne. Weder Portwein noch Whist hatte dem Anschein nach Reiz für ihn. Er lehnte es ab, am Tische der Freiwilligenschaar, die sich kürzlich hier organisirt hatte, Theil zu nehmen, und vermied alle die Festlichkeiten der beiden Parteien, in welche sich Fairport, gleich wichtigern Städten, damals theilte. Er war zu wenig Aristokrat, um sich dem Klub der königlichen treuen Blauen anzuschließen, und auch zu wenig Demokrat, um zu den sogenannten Volksfreunden zu treten, welche zu besitzen, die Stadt gleichfalls so glücklich war. Ein Kaffeehaus verabscheute er; und ebenso wenig, ich sage es mit Betrübniß, fühlte er sich zum Theetisch hingezogen. Kurz, seit der Name bei Romanschreibern Mode ward, und das ist schon ziemlich lange her, gab es noch nie einen Master Lovel, von dem so wenig Positives bekannt war und den man nur so ganz im Allgemeinen und auf negative Weise beschreiben konnte.

Ein negativer Punkt war indeß doch von Wichtigkeit – Niemand wußte etwas Böses von Lovel. Wäre dergleichen vorhanden gewesen, so wär' es gewiß auch schnell öffentlich geworden; denn das natürliche Verlangen, Böses von unsern Nächsten zu reden, wäre in diesem Falle durch kein Gefühl der Theilnahme beschränkt worden, da er so ungesellig war. Nur bei einer Gelegenheit fiel er ein Wenig in Verdacht. Da er nämlich auf seinen Spaziergängen freien Gebrauch von seiner Bleifeder machte und verschiedene Ansichten des Hafens gezeichnet hatte, wobei auch der Wachtthurm und die Batterie von vier Stücken vorkam, so streuten eifrige Freunde des öffentlichen Wohls das Gerücht aus, dieser geheimnißvolle Fremde müsse nothwendig ein französischer Spion sein. Der Sheriff stattete daher dem Mr. Lovel einen Besuch ab, aber wie es schien war durch die Unterredung, die beide hatten, der Argwohn der Magistratsperson vollständig entfernt worden, da er jenen nicht nur ungestört in seiner Abgeschiedenheit verbleiben ließ, sondern ihm sogar, nach glaubwürdigen Berichten, zwei Einladungen zum Mittagsessen sandte, die indeß beide höflich abgelehnt wurden. Was aber der Sheriff von Lovel für Erklärungen erhalten habe, darüber beobachtete er ein tiefes Stillschweigen, und zwar nicht allein vor'm großen Publikum, sondern auch vor seinem Substituten, seinem Schreiber, seiner Frau und seinen beiden Töchtern, welche bei allen Amtsgeschäften seinen geheimen Rath bildeten.

Alle diese einzelnen Umstände berichtete Mr. Caxon treulich seinem Gönner in Monkbarns, und sie dienten sehr dazu, Lovel in der Meinung seines frühern Reisegefährten höher zu stellen. »Ein bescheidner, verständiger Junge,« sagte er zu sich selbst, »welcher es verschmäht, sich in die Thorheiten und den Unsinn jenes albernen Volkes in Fairport zu mischen. – Ich muß etwas für ihn thun – ich muß ihm ein Mittagsmahl geben – und ich will Sir Arthur schreiben, daß er uns dabei in Monkbarns Gesellschaft leistet – ich muß mein Weibervolk darüber zu Rathe ziehen.«

Nachdem also ein derartiger Rath gehalten worden, ward ein besonderer Bote, der kein andrer war, als Caxon selbst, beauftragt, sich zu einem Gange nach Schloß Knockwinnock bereit zu machen, und zwar mit einem Briefe »An den edlen Sir Arthur Wardour von Knockwinnock, Baronet.« Der Inhalt lautete so:

 

»Theurer Sir Arthur,

Dienstag d. 17. curr., stilo novo, gebe ich ein cönobitisches Symposium zu Monkbarns, und bitte Sie, selbigem beizuwohnen, präcise vier Uhr. Wenn meine schöne Feindin, Miß Isabelle, uns beehren kann und will, indem sie Sie begleitet, so werden meine Weibsleute nur allzustolz sein, einen solchen Beistand in ihrem Kampfe gegen die strenge Regel und rechtmäßige Oberherrschaft zu erlangen. Wo nicht, so will ich die Frauensleute für diesen Tag nach der Pfarre schicken. Ich habe Ihnen einen jungen Bekannten vorzustellen, dessen Geist und Gemüth noch etwas Besseres besitzt, als man sonst in diesen thörichten Zeiten findet – er ehrt die Bejahrteren und hat eine hübsche Kenntniß der Klassiker – und da ein solcher junger Mann natürlich die Leute in Fairport verachten muß, so wünsche ich ihm eine eben so vernünftige als ehrwürdige Gesellschaft zu zeigen. Ich bin, theurer Sir Arthur,« u. s. w.

 

»Fliegen Sie mit diesem Briefe, Caxon,« sagte der Alte, seine Epistel darreichend, signatum atque sigillatum, »fliegen Sie nach Knockwinnock und bringen Sie mir eine Antwort zurück. Laufen Sie so schnell, als wenn sich der Stadtrath versammelte und auf den Vorsitzenden harrte, während der Vorsitzende auf seine neugepuderte Perücke wartet.«

»Ach! Sir,« antwortete der Bote mit einem tiefen Seufzer, »die Tage sind längst vorüber. Kein Richter von Fairport trägt ja eine Perücke seit des alten Jervie's Zeiten – und der hatte eine verwünschte Magd, die sie selber in Ordnung hielt mit einem Stückchen Talglicht und einer Streubüchse. Aber ich habe die Tage gesehn, Monkbarns, wo der Stadtrath von Fairport lieber den Stadtschreiber oder das Viertelchen Branntwein nach der Sitzung entbehrt haben würde, als eine wohlfrisirte, anständige Perücke. Ach, Sir! kein Wunder, daß die Leute unzufrieden werden und sich gegen das Gesetz auflehnen, wenn sie Räthe, Richter, Prediger und den Oberrichter selbst mit Köpfen sitzen sehen, die so glatt und kahl sind, wie meine Perückenstöcke!«

»Und inwendig ebenso gut ausgerüstet, Caxon. Aber schnell fort – Sie wissen die öffentlichen Angelegenheiten im besten Lichte zu betrachten, und haben wirklich den Grund der Volksunzufriedenheit so richtig getroffen, wie es der Oberrichter nur immer selbst könnte. Aber nun fort, Caxon.«

Und Caxon begab sich auf seinen anderthalbstündigen Weg –

»Er hinkt' – doch meint' es gut der Mann
Kann schneller er gehn, als er kann?« –

Während er auf seiner Hin- und Herreise begriffen ist, wird es nicht unpassend sein, wenn wir den Leser mit dem Hause bekannt machen, wohin er seine Botschaft brachte.

Wir sagten, daß Mr. Oldbuck wenig Umgang mit den benachbarten Edelleuten hatte, eine einzige Person ausgenommen. Das war Sir Arthur Wardour, ein Baronet von alter Herkunft, und von großem, aber zerrüttetem Vermögen. Sein Vater, Sir Anthony, war ein Jacobit gewesen, und hatte für diese Partei allen Enthusiasmus bewiesen, so lange dies blos mit Worten geschehen konnte. Niemand drückte die Orange mit bedeutungsvollerer Miene aus; Niemand wußte eine gefährliche Gesundheit geschickter, ohne in Strafe zu fallen, auszubringen; und vor Allem trank Niemand inniger und herzlicher auf den guten Erfolg seiner Parteisache. Bei der Annäherung der hochländischen Armee im Jahre 1745 schien es jedoch, als lasse des Baronets Eifer etwas nach, und zwar gerade zu der Zeit, wo derselbe höchst wichtig gewesen wäre. Er schwatzte allerdings viel davon, daß er für die Rechte Schottlands und Karl Stuart's in's Feld ziehen wolle; aber sein kleiner Sattel paßte nur für eines seiner Pferde und dieses Pferd war nicht dahin zu bringen, im Feuer zu stehen. Vielleicht theilte der würdige Eigenthümer die Bedenklichkeiten seines klugen Vierfüßlers und begann zu denken, was so schrecklich für ein Pferd sei, könne unmöglich heilsam für den Reiter sein. Während indeß nun Sir Anthony Wardour schwatzte, trank und zögerte, rückte der kühne Oberrichter von Fairport (der, wie früher erwähnt, der Vater unsers Antiquars war,) an der Spitze einer Schaar königlich gesinnter Bürger aus seiner alten Stadt und nahm auf einmal im Namen Georg's II. das Schloß Knockwinnock ein, sammt den vier Kutschpferden und der Person des Eigenthümers. Kurz darauf ward Sir Anthony auf einen Verhaftsbefehl des Staatssekretärs nach dem Tower von London geschickt, und mit ihm ging sein Sohn, Arthur, der damals noch sehr jung war. Da sich indeß keine Handlung offenbaren Hochverraths ergab, wurden beide, Vater und Sohn, bald wieder in Freiheit gesetzt, und kehrten nach ihrem Hause Knockwinnock zurück, um fünf Klafter tiefe Gesundheit zu trinken, und von ihren Leiden für die königliche Sache zu reden. Dies ward dem Sir Arthur so sehr zur Gewohnheit, daß selbst nach seines Vaters Tode der Schloßkaplan regelmäßig für Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Souverains zu beten pflegte, so wie für den Untergang des Usurpators und für Befreiung von den grausamen und blutdürstigen Feinden, obwohl jeder Gedanke an ernstlichen Widerstand gegen das Haus Hannover längst verschwunden war; diese hochverrätherische Liturgie ward übrigens auch nicht in ihrer genauen Bedeutung, sondern nur als Form beibehalten. Dies zeigte sich sehr deutlich, als um das Jahr 1770 bei einer zweifelhaften Wahl, die in der Grafschaft vorkam, der würdige Ritter den Eid der Treue und des Gehorsams Wort für Wort ablegte, um einem Kandidaten, den er begünstigte, zu dienen; – so gab er den Thronerben auf, für dessen Wiedereinsetzung er wöchentlich zum Himmel betete, und erkannte den Usurpator an, um dessen Entthronung er von jeher gefleht hatte. Und um dieses traurige Beispiel menschlichen Unbestandes noch deutlicher darzustellen, fuhr Sir Arthur fort, für das Haus Stuart zu beten, als dasselbe bereits erloschen war; und obwohl seine treue Gesinnung es noch immer als lebend betrachtete, so war er doch, wo es thatsächliche Dienste und wirkliche Anstrengungen galt, der eifrigste und ergebenste Unterthan Georg's des Dritten.

In anderer Hinsicht lebte Sir Arthur Wardour wie die meisten andern Edelleute in Schottland – er jagte und fischte – gab und besuchte Gastmäler – wohnte Pferderennen und Wahlversammlungen bei, und war Unterleutnant und Wegeinspektor. Bei vorgerückterem Alter jedoch, wo er träger und unempfänglicher für die Jagdfreuden wurde, ersetzte er dieselben durch gelegentliches Lesen der schottischen Geschichte; so bekam er allmählig einen Geschmack an Alterthümern, der freilich weder tief noch sehr geläutert war, ihn aber doch zum Gesellschafter seines Nachbars, des Mr. Oldbuck von Monkbarns, und zu dessen Mitarbeiter bei seinen antiquarischen Forschungen machte.

Zwischen diesen beiden Sonderlingen fanden indeß einige Verschiedenheiten statt, die zuweilen Zwist veranlaßten. Der Glaube Sir Arthur's als Alterthumsforscher war unbegränzt, und Mr. Oldbuck war (trotz der Geschichte mit dem Prätorium auf dem Kaim von Kinprunes) weit bedenklicher, wenn es galt, eine Sage als ächte, giltige Münze anzunehmen. Sir Arthur hätte sich eines Majestätsverbrechens schuldig zu machen geglaubt, wenn er an der Existenz eines einzigen von den hundert und vier schottischen Königen gezweifelt hätte, die auf der von Boethius überlieferten furchtbaren Liste stehn, welche Buchanan klassisch machte, und auf die Jacob VI. seinen Anspruch auf das alte Reich gründete; deren Bildnisse auch noch jetzt grimmig von den Wänden der Gallerie in Holyrood herabschauen. Oldbuck aber, ein kluger und mißtrauischer Mann, der das göttliche Erbrecht nicht achtete, konnte über diese geheiligte Liste spotten und behaupten, daß die ganze Nachkommenschaft des Fergus in den Blättern der schottischen Geschichte eben so eitel und grundlos sei, wie der schimmernde Aufzug der Nachkommen Banquo's in der Höhle der Hekate.

Ein andrer zarter Punkt war der gute Ruf der Königin Maria, welchen der Ritter eifrig vertheidigte, während ihn der Esquire bestritt, trotz der Schönheit und des Unglücks Mariens. Wenn sich zum Unglück ihr Gespräch auf noch neuere Zeiten wandte, so bot sich Stoff zur Uneinigkeit auf fast allen Blättern der Geschichte. Oldbuck war aus Grundsatz ein eifriger Presbyterianer, ein Kirchenvorsteher und ein Freund revolutionärer Grundsätze und protestantischer Erbfolge, während Sir Arthur von dem Allen das Gegentheil war. Allerdings stimmten sie in pflichtschuldiger Liebe und Treue gegen den Herrscher überein, welcher jetzt auf dem Throne saß, aber das war auch der einzige Punkt, wo sie einig waren. Daher geschah es oft, daß heftiger Wortwechsel zwischen ihnen stattfand, und Mr. Oldbuck vermochte dann nicht immer seinen beißenden Witz im Zaume zu halten, während es zuweilen dem Baronet einfiel, daß der Nachkomme eines deutschen Buchdruckers, dessen Vorfahren die »niedrige Gesellschaft gemeiner Bürger« gesucht hätten, sich vergäße und eine zügellose Freiheit nähme, wenn man den Rang und die alte Herkunft seines Gegners in Betracht ziehe. Dies aber, verbunden mit dem Gedanken an die Verhältnisse, wo Oldbuck's Vater die Kutschpferde und das Schloß Knockwinnock wegnahm, kam ihm manchmal in den Kopf und entzündete seine Wangen so sehr, wie seine Worte. Und da endlich Mr. Oldbuck seinen Freund und würdigen Genossen in vieler Hinsicht für nichts besseres als einen Narren ansah, so gab er ihm diese ungünstige Meinung oft deutlicher zu verstehen, als es die Regeln moderner Bildung gestatten. In solchen Fällen schieden sie oft höchst unwillig von einander und nahmen sich dabei vor, für die Zukunft den gegenseitigen Umgang völlig abzubrechen;

»Doch mit dem Morgen kam die Ueberlegung;«

und so wie jeder einsah, daß ihm des andern Gesellschaft aus Gewohnheit unentbehrlich geworden sei, so war auch der Bruch zwischen beiden schnell wieder ausgeglichen. Bei solchen Gelegenheiten erwog Oldbuck, daß des Baronets Unwille dem eines Kindes glich, und er zeigte gewöhnlich seinen überlegenen Verstand dadurch, daß er den ersten Schritt zur Versöhnung that. Ein- oder zweimal jedoch trug es sich zu, daß der aristokratische Stolz des ahnenreichen Ritters für das Selbstgefühl des Abkömmlings eines der ersten gerühmten Typographen sich gar zu beleidigend zeigte. In diesen Fällen hätte der Bruch zwischen beiden Sonderlingen wohl unheilbar werden können, wären die freundlichen Bemühungen und die Vermittelung der Tochter des Baronets, Miß Isabella Wardour, nicht gewesen, welche nebst einem Sohne, der jetzt in fremden Kriegsdiensten abwesend war, seine Familie ausmachte. Sie wußte sehr gut, wie nothwendig Mr. Oldbuck für die Unterhaltung und Freude ihres Vaters war, und selten unterließ sie, die einflußreiche Vermittlerin zu machen, sobald dies die Umstände erforderten, wenn durch die satyrische Schlauheit des Einen, oder durch das angemaßte Uebergewicht des Andern ein Streit entstanden war. Unter Isabellens freundlichem Zuspruche vergaß ihr Vater die Beleidigung der Königin Maria, und Mr. Oldbuck verzieh die Lästerung, welche König Wilhelm's Andenken befleckte. Da sie jedoch bei solchen Streitigkeiten gern ihres Vaters Partei nahm, so war Oldbuck gewohnt, Isabellen seine schöne Feindin zu nennen, obwohl er sie in der That höher stellte, als jede andre ihres Geschlechts, von welchem er, wie wir sahen, kein Bewunderer war.

Noch Etwas war vorhanden, was diese Würdigen verband und auf beiden Seiten bald einen abstoßenden, bald einen anziehenden Einfluß auf ihr gutes Vernehmen übte. Sir Arthur wünschte stets zu borgen, und Mr. Oldbuck hatte nicht immer Lust zu leihen. Im Gegentheil, Mr. Oldbuck wünschte stets mit Pünktlichkeit wieder bezahlt zu werden; Sir Arthur war nicht immer, oder vielmehr nicht oft im Stande, diesen vernünftigen Wunsch zu befriedigen; wenn dann zwei so ganz widersprechende Tendenzen in Einklang gebracht werden sollten, so mußte es freilich manchmal kleine Mißhelligkeiten geben. Doch waltete dabei immer im Allgemeinen noch ein Geist wechselseitiger Annäherung vor, und sie gingen gleich zwei zusammengekoppelten Hunden nebeneinander, zwar etwas unwillig und dann und wann knurrend, doch aber ohne zum Stehen zu kommen oder einander in die Haare zu fahren.

Eine kleine Mißhelligkeit der Art, wie wir sie schilderten, in Folge eines Geschäftes oder einer politischen Meinung, hatte die Häuser Knockwinnock und Monkbarns getrennt, als der Bote von letzterem mit seinem Auftrage ankam. In seinem alterthümlichen gothischen Zimmer, dessen Fenster zur einen Seite das rastlose Meer, zur andern aber die lange gerade Allee des Eingangs übersahen, saß der Baronet, bald die Blätter eines Folianten wendend, bald einen Blick voll Langeweile hinauswerfend, wo die Sonne das dunkelgrüne Laub und die glatten Stämme der großen, umfangreichen Linden bestrahlte, mit welchen die Allee bepflanzt war. Endlich, erfreulicher Anblick! zeigt sich ein bewegter Gegenstand und gibt Anlaß zu der gewöhnlichen Frage: Wer ist es? was kann er auszurichten haben? Der alte weißlichgraue Rock, der hinkende Gang, der halb niedergekrempte und halb zerdrückte Hut verkündigte den heruntergekommenen Perückenmacher, und so blieb nur die zweite Frage zu thun übrig. Diese ward bald durch einen Bedienten beantwortet, welcher ins Zimmer trat. »Ein Brief von Monkbarns, Sir Arthur.«

Sir Arthur nahm den Brief mit gehöriger Würde in Empfang.

»Nimm den alten Mann in die Küche und laß ihm eine Erfrischung geben!« sagte die junge Lady, deren mitleidiges Auge sein dünnes graues Haar und den matten Gang bemerkt hatte.

»Mr. Oldbuck, mein Kind, ladet uns für Dienstag, den 17., zum Mittagessen ein,« sagte der Baronet nach einer Pause; »er scheint wirklich zu vergessen, daß er sich noch kürzlich nicht so höflich gegen mich benommen hat, wie ich es wohl hätte erwarten dürfen.«

»Lieber Vater, du hast vor dem armen Mr. Oldbuck so viel voraus, daß es kein Wunder ist, wenn dies seine gute Laune ein wenig stört; aber ich weiß, daß er viel Achtung vor deiner Person und deiner Unterhaltung hat; nichts würde ihm peinlicher sein, als wenn er sich wirklich einen Mangel an Aufmerksamkeit vorzuwerfen hätte.«

»Wahr, wahr, Isabelle; und etwas muß man seiner Herkunft zu Gute halten: etwas vom deutschen Bauernwesen steckt noch in seinem Blute; etwas von der verkehrten Oppositionswuth gegen angebornen Rang und Vorrechte. Du kannst bemerken, daß er im Streite nie einen Vortheil über mich erringt, außer wenn er seine kleinliche Bekanntschaft mit Tagen, Namen und geringfügigen Thatsachen zu Hilfe nimmt, – eine langweilige und nichtige Genauigkeit des Gedächtnisses, die er nur seiner niedern Herkunft verdankt.«

»Bei seinen historischen Forschungen muß ihm das, meiner Meinung nach, nützlich sein, Vater?« sagte die junge Lady.

»Es führt zu einer unhöflichen und absprechenden Weise, gelehrten Streit zu führen; und nichts kann unvernünftiger klingen, als wenn er selbst Bellenden's seltne Uebersetzung von Hector Boethius bekämpft (die ich glücklicherweise besitze, und die ein altes Folioblatt von großem Werth ist), indem er blos auf die Autorität eines alten Pergamentstückes pocht, welches er von dem wohlverdienten Schicksale errettete, in Schneidermaaße zerschnitten zu werden. Und überdies führt diese Gewohnheit kleinlicher und ängstlicher Genauigkeit zu einer krämerartigen Manier Geschäfte abzuschließen, welche ein Gutsbesitzer, dessen Familie schon drei Generationen besteht, unter seiner Würde halten sollte. Ich frage, ob wohl ein Ladendiener in Fairport eine Interessenrechnung besser als Monkbarns aufsetzen kann?«

»Aber du nimmst seine Einladung doch an, Vater?«

»Ei, nun – ja; wir haben gerade nichts andres vor, glaub' ich. Wer kann der junge Mann sein, von dem er spricht? Er liest selten neue Bekannte auf; und Verwandte hat er meines Wissens nicht.«

»Wahrscheinlich ein Verwandter seines Schwagers, des Capitain M'Intyre.«

»Wohl möglich; ja, wir wollen's annehmen; die M'Intyres sind eine sehr alte hochländische Familie. Du kannst sein Billet bejahend beantworten, Isabelle; Ich habe eben keine Muße ein ›Theurer Sir‹ auf's Papier zu setzen.«

Nachdem also diese wichtige Sache in Ordnung gebracht war, vermeldete Miß Wardour »ihre eignen und Sir Arthur's Empfehlungen, und sie würden die Ehre haben, Mr. Oldbuck aufzuwarten. Miß Wardour ergreife die Gelegenheit, ihre Feindseligkeiten gegen Mr. Oldbuck wieder zu beginnen, und zwar in Folge seiner langen Abwesenheit von Knockwinnock, wo seine Besuche so viel Freude machten.« Mit dieser Schmeichelei schloß sie ihren Brief, mit welchem der alte Caxon, jetzt mit neuen Kräften versehn, seine Rückkehr nach des Alterthümlers Behausung antrat.


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