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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Sieh', wie sich drängt in grüner Lichtung dort
Die bunte Meng'. Voran den muntern Nymphen
Ziehn lustige Bursche. Jeder Unterschied
Verschwindet in der allgemeinen Lust,
Und traulich lehnt der Knecht sich an den Herrn.

Ländliche Lust. –    Somerville.

Das Wiedererscheinen des vortrefflichen Kämmerers in der Dorfgasse wurde von der lustigen Menge mit Jubel begrüßt, als ein Pfand, daß das Schauspiel, welches wegen seiner Abwesenheit verschoben worden war, jetzt beginnen würde. Die schwachen Versuche in dieser so äußerst anziehenden Unterhaltung waren noch ganz neu in Schottland, und spannten darum nicht wenig die Neugier. Alle andere Belustigungen wurden jetzt unterbrochen. Der Tanz um den Maien hörte auf, der Reigen löste und zerstreute sich, denn jeder Tänzer eilte mit seiner Tänzerin dem Schauplatz zu. Friede ward gestiftet zwischen einem großen braunen Bären und einer Anzahl Fleischerhunde, die an seinem Pelz zerrten, indem die Vermittler, der Bärenwärter und ein halbes Dutzend Fleischer und Knechte, durch Ziehen an den Schwänzen und Stoßen mit Stangen die unglücklichen Thiere auseinander brachten, an deren Wuth sie eine Stunde lang ihre Augen geweidet hatten. Der Spielmann sah sich von seinem Auditorium verlassen mitten in der anziehendsten Stelle seines Liedes und in dem Augenblick, wo er seinen Jungen mit der Mütze in der Hand herumschickte, die Gaben einzusammeln. In seinem Innern empört, hielt er in der Mitte von Rosewall und Lilian inne, legte seine dreisaitige Stockfidel wieder in das lederne Gehäuse und folgte übelgelaunt der Menge zu der Unterhaltung, welche die seinige überflüssig machte. Der Gaukler hörte auf, Feuer und Rauch auszuspeien, und fand für besser, wie gewöhnliche Sterbliche zu athmen, als für Nichts und wieder Nichts den feurigen Drachen zu spielen. Kurz, jede andere Kurzweil hörte auf, und neugierig drängte sich Alles nach dem Schauplatz.

Man würde gewaltig irren, wenn man, um sich einen Begriff von dieser dramatischen Darstellung zu machen, an ein neueres Theater denken wollte. Von diesem war dieselbe noch mehr verschieden, als die rohen Spiele des Thespis von denen des Euripides mit ihren herrlichen Decorationen und ihren Prachtgewändern. Da war keine Scenerie, keine Maschinerie, keine Galerie, kein Parterre, keine Logen, kein Parquet, und, was in dem armen Schottland ein Trost für die anderen Verneinungen war, kein Eintrittsgeld war zu bezahlen. Wie bei den Vorstellungen des trefflichen Bottom ersetzte ein Rasenplatz die Bühne, ein Hagedornbusch das Ankleidezimmer. Die Zuschauer saßen auf Rasenbänken, welche drei Seiten eines Vierecks bildeten, während die vierte Seite zum Auf- und Abtreten der Schauspieler offen blieb. In der Mitte des unkritischen Publikums auf dem Ehrensitz saß der Kämmerer, als die höchste Amtsperson, ganz in Genuß und Bewunderung lebend und darum gleichfalls todt für Kritik.

Die Charactere, welche vor den entzückten Zuschauern erschienen und verschwanden, waren dieselben, wie auf den früheren Bühnen aller Völker: alte Männer, die von ihren Weibern und Töchtern geäfft, von ihren Söhnen geplündert und von ihren Bedienten betrogen werden, ein prahlerischer Hauptmann, ein spitzbübischer Abläßkrämer oder Bettelmönch, ein Tölpel vom Lande und eine leichtsinnige Städterin. Aber die beliebteste Erscheinung, beliebter fast als alle übrigen zusammen, war der Narr, dem Alles erlaubt war, der Gracioso des spanischen Drama, der mit einem kurzen Stab, an dessen einem Ende eine Figur ausgeschnitzt war, in der einen, und seiner, einem Hahnenkamme gleichenden Mütze in der andern Hand, kam und ging und wiederkam, sich in jeden Auftritt des Stückes mischte, den Gang der Handlung unterbrach, ohne selber eine eigentliche Rolle zu haben, und bald sich über die Schauspieler lustig machte, bald über die Zuhörer, die bereit waren, Alles mit Beifall aufzunehmen.

Der Witz des Stücks war nicht von der feinsten Art, und hauptsächlich wider die abergläubischen Bräuche der katholischen Religion gerichtet. Derjenige, welcher den Pfeilen der Bühne diese Richtung gegeben hatte, war keine geringere Person, als Doctor Lundin selber. Er hatte nicht nur dem Unternehmer des Schauspiels die Weisung gegeben, eine der vielen gegen das Papstthum geschriebenen Satiren, von denen mehrere dramatisiert waren, zu wählen, sondern er hatte auch hie und da Späße aus seiner eigenen Feder über diesen unerschöpflichen Stoff einfügen oder, wie er es nannte, aufgießen lassen, in der Hoffnung, dadurch die strenge Frau von Lochleven milder gegen dergleichen Vergnügungen zu stimmen. Er verfehlte nicht, bei diesen Lieblingsstellen den hinter ihm auf einem Ehrenplatz sitzenden Kammerjunker anzustoßen und dieselben seiner vorzüglichen Aufmerksamkeit zu empfehlen. Roland, dem selbst der Gedanke einer solchen Darstellung, so kunstlos sie auch sein mochte, völlig neu war, schaute mit demselben stets gleichen Entzücken zu, wie Menschen jeden Standes zum ersten Male einer Bühnenvorstellung beiwohnen, und lachte, jubelte und klatschte während des Stücks, bis endlich ein eigner Umstand seine Theilnahme von demselben ablenkte.

Eine der Hauptpersonen des komischen Theils des Stückes war ein Bettelmönch oder Ablaßkrämer, einer von denen, die mit wahren oder vorgeblichen Reliquien im Lande umherzogen, um die Frömmigkeit und Mildthätigkeit des gemeinen Volks in Anspruch zu nehmen, und welche gewöhnlich die eine wie die andere mißbrauchten. Die Heuchelei, Unverschämtheit und Lüderlichkeit dieser geistlichen Landstreicher waren der Gegenstand des Spottes gewesen von Chaucer bis auf Heywood. Der gegenwärtige Darsteller faßte in dieser Weise seinen Character auf, zeigte Schweineknochen als Reliquien, pries die Kraft kleiner zinnerner Kreuze, welche in der heiligen Suppenschüssel zu Loretto geschüttelt, von Muscheln, die von St. Jakob von Compostella gebracht worden waren, und verkaufte den gläubigen Katholiken all' diesen Kram fast eben so theuer, wie heutzutage Alterthümler Tand von demselben inneren Werth bezahlen. Endlich zog der Ablaßkrämer aus seiner Tasche ein Arzneigläschen mit klarem Wasser, und pries dessen Kraft in folgenden Versen:

»Hört zu, ihr guten Leute da!
Im Lande Babylonia –
Weit ostwärts liegt's am End' der Welt,
Vom ersten Morgenstrahl erhellt,
Wenn aus der See die Sonn' aufsteigt, –
In diesem Lande, wie mir däucht,
Nach unserer Legend' Bericht
Aus hartem Fels ein Brünnlein bricht,
Fließet in ein Bad von Stein,
Wo Susanna, keusch und rein,
Ihren Leib zu baden ging.
Traun, die Kraft ist nicht gering,
Die dies Wasser hat, und das
Sollt ihr sehn an diesem Glas.
Unter Mühsal Tag und Nacht
Hab' ich es hieher gebracht.
Weiber, die an Buhlen hangen,
Mädchen auch, so sich vergangen,
Müssen niesen, hält dies Glas
Ihnen Jemand an die Nas'.«

Der Spaß drehte sich, wie der Leser gefunden haben wird, um denselben Gedanken, wie die Mährchen vom Trinkhorn des Königs Arthur und vom verpfuschten Mantel. Allein die Zuhörer waren weder so unterrichtet, noch so tadelsüchtig, um den Mangel der Originalität zu rügen. Die kräftige Reliquie wurde unter angemessenen Grimassen und Possen den weiblichen Personen des Stücks, einer nach der andern, vorgehalten, und keine bestand die angebliche Keuschheitsprobe, sondern nieseten viel länger und lauter, als sie selber erwartet, zum unendlichen Vergnügen der Zuschauer. Endlich schien der Spaß abgenutzt zu sein, und der Ablaßkrämer wollte zu einem neuen übergehen. Da entwendete ihm der Hanswurst behutsam das Gläschen mit dem Wunderwasser und hielt es plötzlich einem jungen Frauenzimmer vor die Nase, welches, das Gesicht zum Theil mit einem schwarz seidenen Kinntuch verhüllt, in der vordersten Reihe der Zuschauer saß. Der Inhalt des Gläschen, geeignet, die Behauptung des Ablaßkrämers zu bewahrheiten, machte das Frauenzimmer heftig niesen, – ein Geständniß der Schwäche, welches von den Zuhörern mit stürmischem Jubel aufgenommen wurde. Bald jedoch erneuerte sich dieser Jubel auf Kosten des Spaßmachers. Denn noch ehe sie aufgehört hatte zu niesen, zog das beleidigte Mädchen die Hand unter dem Mantel hervor und versetzte dem Hanswurst eine Ohrfeige, daß er auf Mannslänge von dem Ablaßkrämer wegtaumelte und seinen gehorsamsten Diener mit der Nase auf die Erde machte.

Kein Mensch bemitleidet einen überwundenen Spaßmacher. Der Bursche fand darum wenig Theilnahme, als er aufstand und sich über die harte Behandlung beklagte. Aber der Kämmerer, welcher durch die Ohrfeige seine eigne Würde verletzt sah, gab zweien seiner Hellebardiere Befehl, die schuldige Person ihm vorzuführen. Als die Beauftragten sich dem Mannweib näherten, nahm sie eine herausfordernde Stellung an, so daß die Spießmänner, in Betracht des so eben an dem Hanswurst statuierten Beispiels, keine große Lust zur Vollziehung ihres Auftrags verspürten. Allein nach einigen Augenblicken der Ueberlegung veränderte die Person gänzlich ihre Haltung, schlug in jungfräulicher Bescheidenheit den Mantel über die Arme und trat gutwillig vor den großen Mann hin, mit den beiden mannhaften Trabanten als Wächtern hinter sich. Während ihres Ganges durch das Viereck, und besonders, als sie sich dem Schemel vor des Doctors Richterstuhle näherte, bemerkte man an ihr den leichten, schwebenden Tritt, welcher, nach dem Urtheil der Kenner weiblicher Schönheit, selten bei dieser mangelt. Ihr säuberliches braunrothes Mieder und Röckchen zeigte eine hübsche Gestalt und ein nettes Füßchen. Ihr Gesicht war zum großen Theil durch das Kinntuch verhüllt, allein der Doctor, welcher trotz seiner Ernsthaftigkeit Anspruch darauf machte, zu der Klasse der vorhin erwähnten Kenner zu gehören, sah genug, um aus dem Muster auf das Stück zu schließen.

Nichts destoweniger begann er mit großer Strenge:

»Du keckes Mensch! Wie meinst du, wenn ich dich in den See tauchen ließe dafür, daß du in meiner Gegenwart die Hand gegen jenen Mann aufgehoben hat? Was hättest du dagegen zu sagen?«

»Ei, ich dächte, Ew. Wohlgeboren hält wohl das kalte Bad nicht für nöthig gegen mein Weh,« antwortete die Schuldige.

»Ein Teufelsweibsbild!« flüsterte der Kämmerer dem Kammerjunker zu: »und gewiß ein sauberes Weibsbild. Ihre Stimme ist süß wie Syrup. – Aber, hübsches Kind, Ihr zeigt uns gar zu wenig von Eurem Gesichtchen. Seid doch so gut und legt Euer Kinntuch ab.«

»Ich hoffe, Ew. Wohlgeboren werden mich entschuldigen, bis wir mehr unter uns sind,« erwiderte das Mädchen. »Ich habe Bekanntschaft, und es wäre mir nicht lieb, im Lande als das arme Mädchen bekannt zu werden, mit dem der Lumpenhund dort seinen Spaß getrieben hat.«

»Fürchte Nichts für deinen guten Namen, du kleines süßes Modicum von verzuckertem Manna!« sprach der Doctor. »Ich versichere dich, so wahr ich Kämmerer von Lochleven, Kinroß u. s. w. bin, die keusche Susanna selber würde an dieses Elixir nicht ohne Niesen haben riechen können, denn es ist nichts Anderes, als eine merkwürdige Destillation von rectificirtem acetum oder Sonnenessig, bereitet von meiner eignen Hand. – Da du also, wie du gesagt hat, zu mir nach Hause kommen und deine Zerknirschung über deine Schuld ausdrücken willst, so gebiete ich, daß jetzt Alles seinen Fortgang habe, als hätte keine Unterbrechung der vorgeschriebenen Ordnung stattgefunden.«

Die Jungfer verneigte sich und trippelte nach ihrem Platz zurück. Das Schauspiel nahm seinen Fortgang, allein für Roland hatte es jetzt alle Anziehungskraft verloren.

Die Stimme, die Gestalt, und was das Kinntuch von dem Gesicht und dem Haar des Dorffräuleins sehen ließ, glich so sehr denselben Stücken bei Katharine Seyton, daß es dem Kammerjunker war, wie Einem, der sich in dem Gewirr eines wechselvollen Traumes nicht zurechtfinden kann. Der merkwürdige Auftritt in der Herberge mit seinen zweifelhaften und wunderbaren Umständen trat ihm wieder vor die Seele. Waren die Zaubermährchen, die er gelesen hatte, bei diesem außerordentlichen Mädchen zur Wahrheit geworden? Konnte sie sich aus der ummauerten Burg Lochleven, mit ihrem breiten See statt des Grabens (er warf einen Blick auf Schloß und See, um zu sehen, ob sie noch vorhanden wären) – konnte sie aus dieser Feste, an deren sorgfältige Bewachung man das Heil Schottlands knüpfte, sich ungehindert an einen andern Ort versetzen und einen so leichtsinnigen und gefährlichen Gebrauch von ihrer Freiheit machen, sich auf einem Jahrmarkt in Streit einzulassen? Roland wußte nicht, was unbegreiflicher war, die Mittel, welche sie angewandt haben mußte, um ihre Freiheit zu erlangen, oder der Gebrauch, den sie von derselben gemacht.

Verloren in diese Betrachtungen, heftete er fest den Blick auf den Gegenstand derselben. In jeder zufälligen Bewegung der Person glaubte er. Etwas zu entdecken, was ihn an Katharine Seyton erinnerte. Mehr als ein Mal dachte er, er dürfte sich täuschen, indem er aus einer beiläufigen Aehnlichkeit eine entschiedene Identität machte. Dann fiel ihm aber immer wieder das Zusammentreffen in der Herberge zum St. Michael ein, und es schien ihm höchst unwahrscheinlich, daß ihm unter so verschiedenen Umständen eine Einbildungskraft zwei Mal denselben Streich gespielt haben sollte. Dies Mal jedoch beschloß er, der Sache auf den Grund zu gehen, und darum saß er während der letzten Hälfte des Schauspiels da, wie ein Windhund an der Leine, bereit, auf den Hasen zu springen, so wie derselbe aufgescheucht sei. Die Jungfer, welche er so aufmerksam beobachtete, damit sie ihm nicht in dem Gewühl bei Beendigung des Schauspiels aus den Augen käme, saß da, als merkte sie durchaus nicht, daß sie beäugelt wurde. Der würdige Doctor hingegen sah wohl, wohin des Kammerjunkers Auge gerichtet war, und unterdrückte großmüthig das Verlangen, der Theseus dieser Hippolyta zu werden, um dem Gastrecht zu Liebe der Lust seines jungen Freundes kein Hinderniß in den Weg zu legen. Ein paar Mal witzelte er über die unverwandte Aufmerksamkeit des Kammerjunkers auf die Unbekannte und über seine eigne Eifersucht, und bemerkte, daß wenn sie Beide zu gleicher Zeit der Patientin dargeboten würden, diese vermuthlich den jüngeren Mann für das heilsamere Recept halten würde.

»Ich fürchte,« fügte er hinzu, »wir werden so bald noch keine Nachricht von dem Schelm Auchtermuchty bekommen, denn das Geschmeiß. welches ich nach ihm geschickt habe, scheint es zu machen, wie der Rabe, den Noah aus der Arche fliegen ließ. Sonach. Herr Kammerjunker, bleiben Euch zwei Stunden zur Verfügung. Das Schauspiel ist zu Ende, die Spielleute spielen auf. Habt Ihr Lust zu tanzen? Da ist der Rasen, und dort ist Eure Tänzerin. Ich denke, Ihr werdet mich für fest in der Diagnose halten, da ich mit halbem Blick sehe, an welcher Krankheit Ihr laborirt, und da ich Euch eine so angenehme Arznei gebe. Discernit sapiens res (wie Chambers sagt), quas confudit asellus Wohl unterscheidet der Weisere das, was ein Esel verwirret.

Der Kammerjunker überhörte das Ende des gelehrten Sinnspruches oder die Andeutung, welche der Kämmerer ihm gab, in der Nähe zu bleiben, für den Fall, daß die Wagen unerwartet früh eintreffen sollten. Denn er war gleich sehr begierig, einen gelehrten Gesellschafter los zu werden und seine Neugier in Betreff der unbekannten Jungfer zu befriedigen. Doch auf dem eiligen Gang nach ihr, hatte er noch Besonnenheit genug, zu erwägen, daß er, um sich die Gelegenheit zu einer Unterhaltung mit ihr nicht zu verderben, sie durch seine Annäherung nicht in Unruhe versetzen dürfe. Er nahm also eine ruhige Haltung und einen gemessenen Schritt an, ging zuversichtlich an drei oder vier jungen Landleuten vorbei, welche dieselbe Absicht, wie er, hatten, aber ihr Ansuchen nicht so gut vorzubringen wußten, und erklärte ihr, daß er, als Stellvertreter des verehrungswürdigen Kämmerers, sich die Ehre ihrer Hand zum Tanze erbitte.

»Der verehrungswürdige Kämmerer,« sprach die Jungfer ungezwungen, indem sie dem Kammerjunker die Hand reichte, »thut sehr wohl daran, diesen Theil seines Vorrechts durch einen Stellvertreter auszuüben, und ich denke, die Gesetze des Festes lassen mir keine andere Wahl, als seinen getreuen Stellvertreter anzunehmen.«

»Vorausgesetzt, schöne Jungfrau,« entgegnete Roland, »daß die Wahl, welche er getroffen hat, Euch nicht geradezu mißfällig ist.«

»Darüber, schöner Herr,« erwiderte das Mädchen, »wollen wir weiter sprechen, wenn wir den ersten Tanz gemacht haben.«

Katharine Seyton besaß ausgezeichnete Geschicklichkeit im Tanzen, und ihre Kunst wurde zuweilen zur Unterhaltung ihrer Gebieterin in Anspruch genommen. Roland Graeme hatte ihr bei solchen Gelegenheiten oft zugesehen, und zuweilen hatte er selber auf Befehl der Königin mit ihr tanzen müssen. Er kannte also genau ihre Weise zu tanzen. An seiner gegenwärtigen Tänzerin nun bemerkte er, daß sie in Anmuth, Beweglichkeit, Gehör und Taktmäßigkeit vollkommen dem Kammerfräulein glich, abgesehen davon, daß der schottische Hopser, welcher jetzt getanzt wurde, eine heftigere und schnellere Bewegung erforderte, als die gemessenen Pavanen, Lavolten und Curanto's, welche er sie in dem Zimmer der Königin hatte tanzen sehen. Das Geschäft des Tanzes ließ ihm wenig Zeit zur Ueberlegung und keine zum Nachdenken. Als aber der Pas-de-deux, unter dem Beifallruf der Dorfbewohner, welche selten ein solches Tanzen gesehen, beendigt war, und sie den Platz einem anderen Paar abtraten, machte er Gebrauch von seinem Recht als Tänzer, und knüpfte ein Gespräch mit dem geheimnißvollen Mädchen an, welches er an der Hand hatte.

»Schöne Tänzerin, dürfte ich nicht um den Namen Deren bitten, die mir so viel Ehre erwiesen hat?«

»Das dürft Ihr,« antwortete die Jungfer; »aber es ist die Frage, ob ich die Bitte gewähre.«

»Und warum?« fragte Roland.

»Weil Niemand Etwas für Nichts gibt, und weil Ihr mir für das, was ich Euch sagen soll, Nichts Eurerseits sagen könnt, was ich hören möchte.«

»Könnt' ich Euch nicht meinen Namen und meine Abkunft sagen, dafür, daß Ihr mir die Eurige sagt?« fragte Roland.

»Nein,« antwortete das Mädchen; »denn Ihr wißt von Beidem wenig.«

»Wie so?« fragte der Kammerjunker ärgerlich.

»Zürnt nicht deshalb,« erwiderte die Jungfer. »Ich will Euch Euch augenblicklich beweisen, daß ich mehr von Euch weiß, als Ihr selber.«

»Das wäre! Nun, für wen haltet Ihr mich denn?«

»Für den jungen Falken,« antwortete sie, »den ein Hund in seinem Maul in ein gewisses Schloß brachte, da er noch ein kahler Nestling war, – für den Habicht, den man noch nicht wagt, steigen zu lassen, aus Besorgniß, er möchte das Wildpret fliegen lassen, und auf Aas stoßen – dem man die Kappe über den Augen halten muß, bis seine Augen hell genug sind, und er Gutes von Bösem zu unterscheiden vermag.«

»Meinetwegen,« sagte Roland; »einen Theil Eures Gleichnisses versteh' ich, mein schönes Kind, und vielleicht weiß ich eben so viel von Euch, wie Ihr von mir, und kann den Aufschluß entbehren, mit welchem Ihr so karg seid.«

»Beweiset das,« erwiderte das Mädchen, »und ich will Euch mehr Scharfblick zutrauen, als ich hinter Euch gesucht hatte.«

»Der Beweis soll auf der Stelle geliefert werden,« sprach Roland Graeme. »Der erste Buchstabe Eures Namens ist S, und der letzte N.«

»Sehr gut!« erwiderte die Tänzerin. »Weiter gerathen.«

»Es gefällt Euch heute,« fuhr Roland fort, »Haube und Weiberrock zu tragen, und morgen sieht man Euch vielleicht im Federhut, in Hosen und Wams.«

»Den Nagel auf den Kopf getroffen! In's Schwarze geschossen!« erwiderte die Jungfer und unterdrückte eine starke Neigung zum Lachen. »Ihr könnt Männern die Augen aus dem Kopfe hauen eben so gut, wie die Herzen aus dem Leibe rauben.«

Die letzten Worte wurden leise und in zärtlichem Tone gesprochen, welcher zu Rolands großem Verdruß die Lachlust seiner Tänzerin nicht nur nicht mäßigte, sondern sogar bedeutend steigerte. Kaum konnte sie, während sie ihre Hand los machte, vor Lachen die Worte herausbringen:

»Wenn Ihr meine Hand für so furchtbar hieltet, würdet Ihr sie nicht so fest drücken. Aber ich denke, Ihr kennt mich so genau, daß ich Euch mein Gesicht nicht zu zeigen brauche.«

»Schöne Katharine,« sprach der Kammerjunker, »unwürdig wäre Der, Euch je gesehen, geschweige so lange mit Euch unter einem Dach gewohnt zu haben, welcher Eure Miene, Eure Haltung, Euren Schritt im Gang oder Tanz, das Drehen Eures Kopfes, das Ebenmaß Eurer Gestalt mißkennen könnte. Niemand könnte so blind sein, bei so vielen Kennzeichen an Euch irre zu werden. Ich möchte sogar auf die Haarlocke schwören, die sich unter Eurem Kinntuch hervordrängt.«

»Und natürlich auch auf das Gesicht, welches das Kinntuch verhüllt,« setzte das Mädchen hinzu, indem sie die Hülle abnahm und sie sogleich wieder zu befestigen suchte. Roland erblickte die Züge Katharinens. Aber eine ungewöhnliche Ungeduld entstellte dieselben einigermaßen, als es ihr nicht gelingen wollte, das Kinntuch mit der Leichtigkeit wieder festzumachen, welche eine besonders geschätzte Fertigkeit der Koketten jener Zeit war.

»Der Teufel soll den Lumpen in Fetzen zerreißen!« rief die Jungfer, als ihr das Tuch um die Schultern flatterte.

Der Kammerjunker entsetzte sich über den heftigen und entschiedenen Ton, in welchem dieser Wunsch von der Schönen ausgesprochen wurde. Er sah ihr nochmals ins Gesicht, allein er entdeckte nicht mehr, als vorher. Er half ihr das Kinntuch wieder anlegen, und außer sich vor Staunen über die Widersprüche, welche in Katharinens Wesen zu liegen schienen, wußte er nicht, was er sagen sollte, um das Gespräch fortzusetzen. Die Jungfer brach indeß bald das Schweigen.

»Ihr seid erstaunt,« sprach sie, »über das, was Ihr seht, und hört. Die Zeiten, welche aus Weibern Männer machen, sind schlecht dafür geeignet, daß aus Männern Weiber werden, und doch steht Ihr in Gefahr, eine solche Verwandlung zu erleiden.«

»Ich in Gefahr, weibisch zu werden?« fragte der Kammerjunker.

»Ja, Ihr, bei aller Verwegenheit Eurer Entgegnung,« versetzte die Jungfer. »Während Ihr Eure Religion festhalten solltet, weil sie auf allen Seiten von Verräthern, Rebellen und Ketzern angegriffen wird, laßt Ihr sie aus Eurer Brust entschlüpfen, wie Wasser, das man in der Hand hält. Aus Furcht vor einem Verräther laßt Ihr Euch von Eurer Religion abwendig machen; ist das nicht weibisch? Wenn Ihr Euch berücken laßt durch die Spitzfindigkeiten eines Trompeters der Ketzerei, oder durch die Lobprüche eines puritanischen alten Weibes, – ist das nicht weibisch? Wenn Ihr Euch bestechen laßt durch die Hoffnung auf Raub und Beförderung, ist das nicht weibisch? Und während Ihr Euch darüber wundert, daß mir eine Drohung oder Verwünschung entfährt, solltet Ihr Euch nicht vielmehr über Euch selber wundern, daß Ihr, während dem Ihr Anspruch auf einen edlen Namen macht und nach der Ritterschaft strebt, feig, albern und selbstsüchtig sein könnt?«

»Ich wollte, ein Mann machte mir einen solchen Vorwurf!« rief der Kammerjunker. »Ehe er eine Minute älter wäre, sollte er sehen, ob er Ursache hätte, mich feig zu nennen, oder nicht.«

»Hütet Euch vor solchen trotzigen Reden,« antwortete das Mädchen. »Eben erst habt Ihr gesagt, daß ich zuweilen Wams und Hosen trage.«

»Aber Ihr bleibt eben doch Katharine Seyton, Ihr mögt tragen, was Ihr wollt,« versetzte der Kammerjunker, und bemühte sich, von Neuem ihre Hand zu fassen.

»Es gefällt Euch, mich so zu nennen,« erwiderte das Mädchen, ihre Hand zurückziehend; »allein ich habe außerdem noch manche andere Namen.«

»Und wollt Ihr nicht auf denjenigen antworten, durch welchen Ihr vor allen andern Mädchen in Schottland ausgezeichnet seid?«

Die Jungfer, kalt gegen seine Schmeicheleien, hielt sich fern und sang lustig aus einem alten Lied:

»O, Mancher nennt mich Hans, mein Kind,
    Und Mancher nennt mich Till;
Doch wenn ich reit nach Holyrood,
    Dann heiß' ich Eigenwill.«

»Till?« rief der Kammerjunker ungeduldig. »Sagt lieber Toll oder noch besser Irrwisch; denn ein so trügerisches und toll umherfahrendes Meteor wie Ihr gibt es gar nicht!«

»Wenn ich das bin,« versetzte das Mädchen, »so heiße ich die Narren nicht mir nachlaufen. Thun sie es, so ist es ihr eigner Wille und geschieht auf ihre Gefahr.«

»Nein, theuerste Katharine, seid doch einmal für einen Augenblick ernsthaft,« sprach Roland.

»Wenn Ihr mich theuerste Katharine nennen wollt, während ich Euch die Auswahl unter so vielen andern Namen lasse, dann möcht' ich wohl fragen, wie Ihr denken könnt, daß ich auf zwei oder drei Stunden in meinem Leben aus jenem Thurm entschlüpft sei, und wie Ihr doch zugleich auch grausam genug sein könnt, mir Ernsthaftigkeit zuzumuthen in den einzigen lustigen Augenblicken, die ich vielleicht seit Monaten gehabt habe.«

»Schöne Katharine,« entgegnete Roland, »es gibt Augenblicke des tiefen und wahren Gefühls, welche zehntausend Jahre der lebendigsten Lust aufwiegen. Ein solcher war der gestrige, wo Ihr so nahe – –«

»So nahe, was?« unterbrach die Jungfer.

»Als Ihr Eure Lippen so nahe an das Zeichen brachtet, welches Ihr auf meine Stirn gemacht.«

»Himmlische Mutter!« rief sie mit Heftigkeit und mit männlicherer Geberde als bisher. »Katharine Seyton hätte ihre Lippen der Stirn eines Mannes genähert? und du wärest der Mann? Knecht, das lügst Du!«

Der Kammerjunker war wie aus den Wolken gefallen. Endlich fiel ihm ein, er möchte das Zartgefühl der Jungfer verletzt haben durch Hindeutung auf einen Augenblick der Begeisterung und auf die Aeußerung derselben. Er stotterte eine Entschuldigung, die sehr wenig sagte, mit der sich aber seine Gesellschafterin zu beruhigen schien.

»Sprecht nicht weiter davon,« sagte sie. »Und nun laßt uns scheiden. Unser Gespräch möchte mehr Aufmerksamkeit erwecken, als für uns Beide gut ist.«

»So erlaubt mir wenigstens, Euch an einen einsameren Ort zu folgen.«

»Ihr habt nicht den Muth dazu,« versetzte das Mädchen.

»Nicht den Muth dazu?« wiederholte Roland. »Wo könnt Ihr wagen hinzugehen, wohin ich nicht wagte Euch zu folgen?«

»Ihr fürchtet einen Irrwisch,« entgegnete die Jungfer; »wie könnt Ihr einem feurigen Drachen mit einer Zauberin auf dem Rücken in's Angesicht sehen?«

»So gut wie Herr Eger, Herr Grime, Herr Greysteil oder andere Helden der Sage,« versetzte Roland. »Aber wo sind solche Spielereien zu sehen?«

»Ich gehe zu Mutter Nicneven,« antwortete das Mädchen, »und sie ist Hexe genug dazu, den gehörnten Teufel zu reiten, mit einem rothen Seidenfaden statt Zaum und einer Eibischruthe statt Peitsche.«

»Ich will Euch folgen,« sprach der Kammerjunker. »Aber doch in einiger Entfernung,« bemerkte das Mädchen, schlug ihren Mantel um sich, ohne sich, wie beim Kinntuch, lange aufzuhalten, mischte sich in das Gedränge und schritt dem Dorfe zu. Roland folgte ihr in einiger Entfernung und mit der größten Behutsamkeit, um nicht bemerkt zu werden.


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