Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Beim Becherklang, bei Lust und Scherz
    Der frohen Schmauserei
Schalt Valentin ein junger Herr,
    Daß er ein Bastard sei.

Valentin und Orson.

Als Roland Graeme etwa siebzehn Jahre alt war, ging er an einem Sommermorgen hinab in den Raum, wo Herrn Halberts Habichte waren, um die Pflege eines jungen Nestlings zu überwachen, den er selber mit halsbrechender Arbeit aus einem berühmten Horst auf dem Weihenfels in der Nachbarschaft ausgenommen hatte. Die Aufmerksamkeit, mit welcher sein Lieblingsvogel gepflegt wurde, kam ihm ungenügend vor, und er gab sofort dem Falknerjungen sein Mißfallen zu erkennen.

»Heda, Herr Taugenichts!« rief er, »füttert man so den Nestling mit ungewaschenem Fleisch, wie wenn man eine junge Krähe stopfte? Du hast auch zwei Tage vergessen, ihm einzugeben. Meinst du, ich hätte meinen Hals beim Herunterholen des Vogels vom Felsen dafür gewagt, daß du ihn durch deine Nachlässigkeit verderbest?«

Und zur Bekräftigung seines Vorwurfs gab er dem faulen Falkenwärter einige Püffe. Der Junge schrie lauter, als es nöthig war, und zog dadurch den Falkenmeister herbei.

Adam Woodcock, der Falkner von Avenel, war ein geborner Engländer, aber schon so lange in Glendinnings Diensten, daß seine Vaterlandsliebe sich großentheils in der Anhänglichkeit an seinen Herrn verloren hatte. Er war ebenfalls ein begünstigter Diener, eifersüchtig und eingebildet auf seine Geschicklichkeit, wie Jägermeister gewöhnlich sind, im Uebrigen ein Spaßvogel und Reimschmidt (Eigenschaften, die seinen Dünkel nicht minderten), ein lustiger Gesellschafter, der, obwohl ein ächter Protestant, eine Flasche Doppelbier einer langen Predigt vorzog, ein handfester Mann, seinem Herrn treu ergeben und sich etwas zu Gute thuend auf das, was er bei ihm galt.

Der so beschriebene Adam Woodcock fand die Freiheit, welche der Edelknabe sich herausnahm, seinen Jungen zu strafen, keineswegs nach seinem Geschmack.

»He! he! Junker Edelknabe,« rief er, zwischen seinen Jungen und Roland tretend, »nur sachte, wenn es Eurem güldenen Jäcklein beliebt. – Hände weg ist ehrliches Spiel. Wenn mein Junge gefehlt hat, kann ich selber ihn schlagen, und Ihr könnt Eure Hände bei Euch behalten.«

»Ich will ihn und dich schlagen,« erwiderte Roland, »wenn Ihr euren Dienst nicht besser versieht. Da seh' ein Mensch, wie der Vogel unter Euren Händen zu Grunde geht. Ich habe gesehen, wie der Tölpel den Nestling mit ungewaschenem Fleisch gefüttert hat.«

»Geh'« sprach der Falkner, »du bist selber ein Nestling, Kind Roland. Was verstehst du von Fütterung? Ich sage, der Nestling soll sein Fleisch ungewaschen bekommen, bis er zum Aestling geworden ist. Das wäre der rechte Weg, ihn krank zu machen, wenn man ihm das Fleisch früher waschen wollte, wie Jeder weiß, der einen Weiher von einem Falken unterscheiden kann.«

»Die Schuld liegt an deiner Faulheit, du falsches englisches Blut,« versetzte der Edelknabe. »Du thut nichts, als saufen und schlafen, und überläßt diesem trägen Jungen das Geschäft, um welches er sich so wenig bekümmert, wie du.«

»So?« entgegnete der Falkner. »Bin ich wirklich so müßig, der ich drei Flüge Falken auf der Stange und im Käfig zu versorgen und obendrein im Feld fliegen zu lassen habe? Und ist der Leibdiener meiner gnädigen Frau ein so emsiger Mann, daß er mir einen Verweis geben darf? Ich bin von falschem englischem Blut? Ich möchte wissen, von welchem Blut du bist – weder Engländer noch Schotte, weder Fisch noch Fleisch, ein Bastard aus dem Streitigen Land, ohne Sippschaft und Verwandtschaft. Geh, du Stinkvogel, der sich gern zu einem Edelfalken machen möchte!«

Die Antwort auf diesen Hohn war eine Ohrfeige von solchem Nachdruck, daß der Falkner in das ausgemauerte Becken fiel, in welchem Wasser für die Habichte gehalten wurde. Das kalte Bad kühlte Adams Zorn keineswegs ab: er sprang auf und ergriff eine Kolbe, um die Beleidigung zu vergelten. Roland griff nach dem Dolch und schwur hoch und theuer, ihm denselben in den Leib zu jagen, wofern er zu einem Schlag gegen ihn aushole. Das Geschrei zog Verschiedene von der Dienerschaft herbei und unter Andern den Hofmeister, die bereits erwähnte hoch ansehnliche Person, dessen goldne Kette und weißer Stab seine Amtswürde beurkundete. Beim Erscheinen dieses Würdenträgers legte sich für den Augenblick der Streit. Der Hofmeister benutzte die günstige Gelegenheit, Rolanden eine scharfe Predigt zu halten über sein unpassendes Benehmen gegen seine Dienstgenossen, und ihn zu versichern, daß der Aufenthalt des Schuldigen auf Schloß Avenel nur von kurzer Dauer sein würde, wenn er dem Herrn bei seiner Heimkehr diesen Vorfall meldete, wovon ihn lediglich Rücksicht auf die gnädige Frau abhalten könnte.

»Jedenfalls,« fügte der kluge Hofmeister hinzu, werde ich die Sache erst der gnädigen Frau melden.«

»Ganz recht, so ist es recht, Meister Wingate,« riefen mehrere Stimmen zusammen. »Die gnädige Frau wird erwägen, ob man den Dolch gegen uns ziehen darf um jedes unbedeutende Wort, und ob wir in einer ordentlichen und gottesfürchtigen Haushaltung leben sollen, oder unter Dolchen und Messern.«

Der Gegenstand des allgemeinen Unwillens blickte zornig um sich her. Mit Mühe unterdrückte er die zornige und verächtliche Antwort, steckte seinen Dolch in die Scheide und sah verächtlich auf das versammelte Gesinde herab. Endlich drehte er sich auf dem Absatz herum, stieß die ihm zunächst Stehenden auf die Seite und verließ die Kammer.

»Das ist hier kein Baum für mein Nest,« sprach der Falkner, »wenn dieser Spatz über uns krähen will.«

»Er hat mich gestern mit der Reitgerte gehauen,« fügte einer der Stallknechte hinzu, »weil der Schwanz des Wallachs des gestrengen Herrleins nicht genau so aufgebunden war, wie es seiner Laune zusagte.«

»Und ich sage euch,« bemerkte die Wäscherin, »daß das Herrchen keinen Anstand nimmt, ein ehrliches Weib ein Saumensch zu heißen, wenn er einen Rußflecken auf ihrem Umlegkragen sieht.«

»Wenn Meister Wingate nicht seine Botschaft an die gnädige Frau ausrichtet, dann ist es nicht möglich mit Roland Graeme unter einem Dach zu bleiben,« sagte am Ende Einer, dem alle Uebrigen beistimmten.

Der Hofmeister ließ sie ausreden, gebot dann Stille und redete sie mit der Würde eines Malvolio an:

»Meine Herren und Damen, denkt nicht übel von mir, daß ich in dieser Sache mit eben so viel Sorgfalt als Eile zu Werk gehe. Unser Herr ist ein wackerer Ritter, der seinen Willen haben will in und außer dem Hause, in Wald und Feld, in Saal und Kammer, wie man zu sagen pflegt. So ist unsere gnädige Frau, Gott segne sie, eine edle Person von altem Geschlecht und rechtmäßige Erbin dieses Hauses und dieser Herrschaft. Sie hat auch gerne ihren Willen, und ich möchte das Weib sehen, bei der dies nicht der Fall ist. Sie nun hat begünstigt, thut begünstigen und wird begünstigen diesen Hausaffen – um welcher guten Eigenschaften willen, weiß ich nicht. Die eine Edelfrau liebt ein Bologneserhündchen, die andere einen kreischenden Papagei, eine dritte einen Affen aus der Berberei, und so gefällt es unserer edlen Dame, ihre Zuneigung diesem verlaufenen Knaben zuzuwenden, und ich kann mir keinen Grund dafür denken, außer etwa, daß sie eine Rettung vom Wassertod veranlaßt hat.«

Hier hielt Meister Wingate inne.

»Um einen Weißpfennig wollte ich mich verbürgt haben, daß er weder in süßem noch in Salzwasser umkommt,« sprach der Falkner. »Wenn er nicht über kurz oder lang an einem Strick baumelt für Morden oder Mausen, so will ich versprechen, in meinem Leben keinem Falken mehr die Kappe aufzusetzen.«

»Ruhig, Adam Woodcock!« rief Wingate, eine Hand auf und nieder bewegend. »Ruhig! – Die gnädige Frau also liebt diesen Springinsfeld, und darin weicht sie von ihrem Gemahl ab, der kein gutes Haar an ihm findet. Ziemt es da mir, den Streit zwischen ihnen anzuschüren, und so zu sagen meinen Finger zwischen Rinde und Holz zu stecken wegen eines naseweisen Jungen, den ich übrigens von Herzen gern aus der Herrschaft hinaus gepeitscht sähe? Habt Geduld, und dieser Schwären wird aufbrechen, ohne daß wir unsere Finger daran legen. Ich habe gedient, seitdem ich einen Bart habe, bis jetzt wo derselbe grau ist, und ich habe selten gesehen, daß sich Einer verbessert hat, wenn er für die Frau Partei nahm gegen den Herrn; aber nie habe ich gesehen, daß Einer sich nicht übel bezahlt hätte, wenn er für den Herrn war gegen die Frau.«

»Und so,« sprach Lilias, »sollen wir also insgesammt, Männer und Weiber, Hahn und Henne, uns überkrähen lassen von diesem Glückspilz? – Erst will ich mich mit ihm messen, das versprech' ich euch. Ich denke, Meister Wingate, bei all Eurer Weisheit werdet Ihr Euch dazu bequemen, zu sagen, was Ihr heute gesehen habt, wenn die gnädige Frau es Euch befiehlt.«

»Die Wahrheit zu sagen, wenn meine gnädige Frau es mir gebietet,« versetzte der bedachtsame Majordomus, »ist, so zu sagen, meine Schuldigkeit, Jungfer Lilias, immerhin jedoch diejenigen Fälle ausgenommen, wo sie sich nicht sagen läßt, ohne Unheil zu stiften für mich oder meine Mitdiener. Denn die Zunge des Anbringers zerbricht Knochen so gut wie eine Jeddartstange Eine Art Streitaxt, die ihren Namen hat von dem alten Städtchen Jeddart, wo sie besonders in Gebrauch war. Das Wappen von Jeddart enthält einen geharnischten Reiter, der ein solches Gewehr schwingt.«.

»Aber dieser Teufelsbraten,« versetzte Lilias, »ist weder Euer Freund noch Euer Mitdiener, und ich hoffe, Ihr werdet Euch nicht zu einem Fürsprecher aufwerfen, wider das ganze Haus.«

»Seid versichert, Jungfer Lilias,« antwortete der Hausälteste, »wenn ich die passende Gelegenheit fände, wollte ich ihm von Herzen gern einen Lecker mit der rauhen Seite meiner Zunge geben.«

»Das ist genug gesagt, Meister Wingate,« entgegnete Lilias. »Verlaßt Euch darauf, sein Pfeifen soll ihm bald gelegt werden. Wenn meine Gebieterin mich nicht fragt, was hier unten vorgegangen ist, noch ehe sie zehn Minuten älter geworden, dann ist sie kein Weib, und ich heiße nicht Lilias Bradbourne.«

Dieser Versicherung gemäß verfehlte Jungfer Lilias nicht, alsbald vor ihrer Gebieterin zu erscheinen mit allen Zeichen des Besitzes eines wichtigen Geheimnisses: die Mundwinkel heruntergezogen, die Augen nach Oben gerichtet, die Lippen zusammengepreßt, als wären sie zugenäht, und über ihr ganzes Wesen ein Ansehen von Wichtigkeit verbreitet, welches zu sagen schien: Ich weiß Etwas, was ich Euch nicht sagen will.

Lilias kannte recht gut die Sinnesart ihrer Gebieterin.

Frau von Avenel war gewiß ein verständiges Weib, aber sie war eben doch eine Tochter der Mutter Eva und konnte das geheimnißvolle Wesen ihrer Kammerjungfer nicht ansehen, ohne daß der Wunsch in ihr aufstieg, die Ursache davon zu erfahren. Eine Zeitlang war Jungfer Lilias hartnäckig gegen alle Fragen, seufzte, richtete die Augen noch höher nach dem Himmel hinauf, hoffte das Beste, hatte aber nichts mitzutheilen. Alles dies reizte natürlich die Neugier der Edelfrau noch mehr, und dieselbe ließ sich nicht befriedigen mit Redensarten, wie:

»Gottlob ich bin keine Hetzerin, keine Fuchsschwänzerin; Gottlob, ich habe nie einen Menschen um die Gunst beneidet, in der er steht, noch habe ich gestrebt eines Menschen schlechtes Betragen zu veröffentlichen. Gottlob, daß es nur ohne Mord und Blutvergießen abgegangen ist; das ist Alles.«

»Mord und Blutvergießen?« wiederholte die Edelfrau. »Was meint das Mensch? – Wenn Ihr nicht gerade heraus sprecht, sollt Ihr etwas bekommen, wofür Ihr schwerlich danken werdet.«

»Gnädige Frau,« antwortete Lilias, begierig ihr Herz auszuschütten, oder nach Chaucers Redensart »ihren Wadsack aufzuschnallen« – »wenn ihr mir gebietet, die Wahrheit zu sagen, so müßt Ihr auch geduldig Mißfälliges anhören: Roland Graeme hat nach Adam Woodcock gestochen – das ist Alles.«

»Gerechter Gott!« rief die Frau; »ist der Mann getödtet?« – und ward leichenblaß.

»Nein, gnädige Frau,« antwortete Lilias; »aber er wäre getödtet worden, wenn nicht schnelle Hilfe gekommen wäre. Aber vielleicht gefällt es Ew. Gnaden, daß dieser junge Edelknecht die Diener ebensowohl erdolcht, wie er sie mit der Gerte und dem Stock haut.«

»Kind,« sagte die Burgfrau, »du bist naseweis – Sag' dem Hofmeister, er soll den Augenblick vor mir erscheinen.«

Lilias eilte weg, Meister Wingate aufzusuchen und zur gnädigen Frau zu führen, indem sie ihm unterwegs zuraunte:

»Ich habe den Stein zum Rollen gebracht, sehet zu, daß Ihr ihn nicht still stehen lasset.«

Der Hofmeister, ein viel zu besonnener Mann, um sich Jemandem in die Hand zu geben, antwortete bloß mit einem pfiffigen Blick und mit einem Nicken, welches besagte: Wir verstehen uns. Er trat vor Frau von Avenel mit einem Blick voll tiefer Ehrerbietung, welche theils aufrichtig, theils erheuchelt war, und mit einer Miene großen Scharfblickes, aus welcher sich kein geringer Dünkel abnehmen ließ.

»Wie ist das, Wingate?« sprach die Edelfrau; »welche Ordnung haltet Ihr im Schloß, daß die Diener von Herrn Halbert Glendinning den Dolch gegen einander ziehen, wie in einer Räuberhöhle? Ist der verwundete Mann schwer verletzt? und was – was ist aus dem unglücklichen Knaben geworden?«

»Bis jetzt ist noch Niemand verwundet, gnädige Frau,« antwortete der mit der goldenen Kette; »doch kann ich nicht voraussagen, wie viele noch vor Ostern verwundet werden können; wenn mit dem jungen Menschen nicht eine strengere Ordnung angefangen wird. Es ist ein schöner junger Mensch, geschickt in seinen Uebungen, aber ein wenig gar zu sehr bei der Hand mit der Spitze seiner Finger, seiner Reitgerte und seines Dolches.«

»Und wer anders ist Schuld daran, als Ihr,« versetzte die Frau. »Ihr hättet ihm bessere Zucht beibringen sollen, als Händel anzufangen oder den Dolch zu ziehen.«

»Wenn es Ew. Gnaden gefällt, den Tadel auf mich zu werfen,« erwiderte der Hofmeister, »so gebührt es mir ohne Zweifel denselben zu ertragen. Ich unterbreite es nur Eurer Erwägung, daß, wofern ich ein Gewehr nicht an die Scheide annagelte, ich dasselbe eben so wenig darin halten könnte, wie ich im Stande wäre, Quecksilber fest zu machen, was selbst über die Geschicklichkeit von Raimund Cullius hinausging.«

»Erzähle mir nichts von Raimund Cullius,« rief die Edelfrau ungeduldig, »sondern rufe mir den Kaplan her. Ihr werdet mir alle zu klug während meines Gemahls langer und oftmaliger Abwesenheit. Wollte Gott, daß seine Geschäfte ihm erlaubten, daheim zu bleiben und seinen Haushalt zu leiten, denn das geht über meine schwache Kraft.«

»Verhüt es Gott, gnädige Frau,« erwiderte der alte Diener, »daß Ihr im Ernste meint, was Ihr so eben zu sagen beliebt habt; Eure alten Diener möchten gern der Hoffnung leben, daß Ihr ihren Bemühungen mehr Gerechtigkeit widerfahren ließet, als daß Ihr den grauen Haaren derselben mißtrauen solltet, weil sie die üble Laune eines jungen Kopfes nicht meistern können, der sich vielleicht ein Paar Zolle höher trägt, als ihm zukommt.«

»Laßt mich allein,« sprach die Burgfrau, »wir dürfen jetzt mit jedem Tage die Rückkehr Herrn Halberts erwarten, und er wird selber Einsicht von diesen Dingen nehmen. Laß mich allein, Wingate, und sprich nicht weiter von der Sache. Ich weiß, Ihr seid ein ehrlicher Mann, und der Knabe ist muthwillig; und doch glaube ich, meine Gunst ist es, die euch Alle gegen ihn erbittert.«

Der Hofmeister machte noch einen Versuch, die Beweggründe seines Thuns zu erklären, ward zum Stillschweigen verwiesen, verbeugte sich und ging. Der Kaplan erschien. Aber auch von ihm erhielt Frau Maria wenig Trost. Im Gegentheil, sie fand ihn geneigt, allen Unfug, den Roland's unbändiges Wesen im Hause angerichtet hatte oder noch anrichten würde, ihrer Nachsicht Schuld zu geben.

»Ich wollte, verehrte Frau,« sprach er, »Ihr hättet in dieser Sache von Anfang an mir gefolgt, denn leicht ist es, Uebel in der Quelle zu dämmen, aber schwer, dagegen im Strom anzukämpfen. Ihr, verehrte Frau, (ich gebrauche diesen Ausdruck nicht als eine leere Formel, sondern weil ich Euch immer geliebt und geehrt habe, als eine auserwählte Frau,) Ihr, sage ich, habt beliebt, meinem unmaßgeblichen, aber ernstgemeinten Rath zuwider, diesen Knaben aus seiner Stellung zu einer solchen zu erheben, welche der Eurigen nahe kommt.«

»Was meint Ihr, ehrwürdiger Herr?« fragte die Frau. »Ich habe diesen jungen Menschen zum Edelknaben gemacht. Liegt hierin Etwas, das mir nicht geziemt?«

»Gnädige Frau,« antwortete der hartnäckige Prediger, »ich stelle Eure wohlwollende Absicht bei Uebernahme der Obsorge für diesen jungen Menschen nicht in Abrede, und eben so wenig Eure Befugniß, ihm die unnütze Eigenschaft eines Edelknaben beizulegen, obwohl ich nicht absehe, wozu anders die Erziehung eines Knaben im Gefolge einer Frau dienen kann, als Putzsucht und Verweichlichung auf Dünkel und Anmaßung zu pfropfen. Aber geradezu tadle ich Euch, daß Ihr so wenig Sorge getragen habt, ihn vor den Gefahren seiner Lage zu schützen und seinen von Natur hochmüthigen, herrischen und unbändigen Sinn zu demüthigen. Ihr habt einen jungen Löwen in Eure Kammer gebracht, und entzückt über sein schönes Fell und eine artigen Sprünge habt Ihr ihm nicht die Fesseln angelegt, welche seiner Wildheit zukommen. Ihr habt ihn so zuchtlos aufwachsen lassen, als wär' er noch ein Bewohner des Waldes, und jetzt seid Ihr überrascht und ruft um Hülfe, jetzt da er anfängt sich aufzurichten, zu beißen und zu reißen, wie es ihm natürlich ist.«

»Meister Warden,« entgegnete die Burgfrau, tief verletzt, »Ihr seid meines Gemahles alter Freund, und ich glaube an die Aufrichtigkeit Eurer Liebe für ihn und für sein Hauswesen. Aber solch' harten Tadel hatt' ich nicht erwartet, als ich Euch um Rath fragte. Habe ich wirklich Unrecht gethan, diesen armen Waisenknaben mehr zu lieben, als andere seinesgleichen, so glaub' ich kaum, daß der Irrthum eine so strenge Zurechtweisung verdient hat. Wenn strengere Zucht erforderlich war, sein Ungestüm zu bändigen, so ist, denke, ich, zu erwägen, daß ich ein Weib bin, und daß, wenn ich in diesem Punkt geirrt habe, es einem Freund vielmehr geziemt, mir beizustehen, als mich zu schelten. Ich wünschte, es möchten diese Uebelstände beseitigt werden, noch ehe mein Gemahl zurückkommt. Er kann Streit und Unfrieden im Haus nicht leiden, und ich möchte um Alles in der Welt nicht, daß er dächte, dergleichen könne von Einem herrühren, den ich begünstigt habe. Was rathet Ihr mir?«

»Entlaßt den jungen Menschen aus Eurem Dienst,« antwortete der Prediger.

»Unmöglich könnt Ihr mich das heißen,« entgegnete die Burgfrau. »Als Christ und als Mensch könnt ihr mich nicht heißen ein schutzloses Geschöpf ausstoßen, welchem meine Gunst – meine unverständige Gunst, wenn Ihr wollt – so viele Feinde erweckt hat.«

»Ihr braucht nicht gänzlich die Hand von ihm abzuziehen, wenn Ihr ihn entlaßt, daß er in einen andern Dienst tritt oder in einen Beruf, welcher besser seinem Stand und Rang entspricht,« versetzte der Prediger. »Anderwärts mag er ein nützliches Glied des Gemeinwesens werden, hier ist er bloß ein Störenfried und ein Stein des Anstoßes. Der junge Mensch zeigt hin und wieder Verstand und Einsicht, obwohl es ihm an Fleiß fehlt. Ich will ihm einen Empfehlungsbrief geben an den gelehrten Professor Olearius Schinderhausen an der berühmten Universität Leyden, wo ein Unter-Famulus gesucht wird. Dort hat er, neben freiem Unterricht, falls Gott ihm Gnade gibt, denselben zu suchen, fünf Mark jährlich und alle zwei Jahre des Professors abgelegte Kleider.«

»Das geht nicht, lieber Meister Warden,« entgegnete die Edelfrau, kaum im Stande, ein Lächeln zu unterdrücken. »Wir wollen weiter über diese Sache nachdenken. Mittlerweile, hoffe ich, werden Eure Ermahnungen an diesen wilden Knaben und an das Gesinde diese heftigen und unziemlichen Eifersüchteleien und Ausbrüche der Leidenschaft im Zaum halten. Ich bitte Euch, legt ihnen und ihm ihre desfallsige Verpflichtung gegen Gott und ihren Herrn recht dringend ans Herz.«

»Euer Wille soll geschehen,« sprach Warden. »Nächsten Donnerstag will ich meine Ermahnung an das Gesinde richten und mit Gottes Hülfe will ich dergestalt mit dem Teufel des Zorns und der Gewaltthätigkeit ringen, der sich in meine kleine Heerde eingeschlichen hat, daß ich hoffe, den Wolf aus dem Pferch auszutreiben, als wäre er mit Kettenhunden gehetzt.«

Der letzte Theil der Unterredung war für Meister Warden der angenehmste. Die Kanzel war damals dasselbe mächtige Mittel, die Gefühle des Volkes anzuregen, das seitdem die Presse geworden ist, und Warden hatte, wie schon früher bemerkt, nicht ohne Erfolg gepredigt. Sich der Kraft seiner Rede bewußt überschätzte er dieselbe ein wenig, und wie manche seiner damaligen Amtsbrüder zog er gar gern wichtige Angelegenheiten in den Kreis seiner Vorträge. In jener rauhen Zeit kannte man nicht das Zartgefühl, welches Zeit und Ort für persönliche Ermahnungen vorschreibt. Wie der Hofprediger oft seine Worte an den König insbesondere richtete und ihm sein Verhalten in Staatsangelegenheiten vorschrieb, so wurde der Fürst oder Herr oder Einer und der Andere aus seinem Gefolge oft erzürnt oder erschüttert durch die Verhandlung seiner Fehltritte beim Abendgottesdienst in der Schloßkapelle und durch Strafreden, bei welchen er angeredet und mit Namen genannt wurde.

Die Predigt, durch welche Heinrich Warden Eintracht und gute Ordnung im Schloß Avenel wiederherzustellen beabsichtigte, hatte zum Text die wohlbekannten Worte: »Wer mit dem Schwert schlägt, der soll durch's Schwert um kommen,« und war eine sonderbare Mischung von gesundem Menschenverstand und erschütternder Beredsamkeit mit Kleinlichkeit und schlechtem Geschmack. Er ließ sich weitläufig aus über das Wort »schlägt,« welches nach seiner Versicherung sowohl Stechen mit der Spitze, als Hauen mit der Schneide und überhaupt auch Schießen mit Handbüchsen, Armbrüsten, Bogen, Stoßen mit der Lanze und jegliches Thun bezeichnete, durch welches der Gegner zu Tode gebracht werden könnte. Gleicherweise bewies er zur Genüge, daß das Wort Schwert alle Arten von Seitengewehr begreife: Haudegen, mit und ohne Korb, Degen zu Hieb und Stoß, Rappier und Säbel.

»Aber,« fuhr er mit gesteigerter Wärme fort, »wenn der Text in einem Fluch Diejenigen begreift, welche mit den zur Uebung offener Feindseligkeiten ersonnenen Waffen schlagen, so zielt er noch vielmehr auf solche Waffen, welche ihrer Gestalt und Größe nach mehr zur Befriedigung heimlichen Hasses auf verrätherische Weise, denn zur Umbringung eines vorbereiteten und sich wehrenden Feindes berechnet sind. Als solche,« fuhr er fort, einen strengen Blick auf den Platz richtend, wo der Edelknabe auf einem Kissen zu den Füßen seiner Gebieterin saß und in seinem karmoisinrothen Gürtel einen schmucken Dolch mit vergoldetem Griff trug, – »als solche betrachte ich insbesondere die Todeswerkzeuge, welche in unsern neuen, phantastischen Zeiten nicht nur von Dieben und Mördern getragen werden, für welche sie recht eigentlich gehören, sondern sogar von Dienern bei Weibern und von Nachtretern vornehmer Frauen. Ja, meine Freunde, jede Art von diesem unglückseligen Gewehr, das zu lauter Unheil und zu nichts Gutem ersonnen ist, findet sich in dieser tödtlichen Androhung begriffen, – mag es ein Stilet sein, welches wir von den verrätherischen Italienern entlehnt haben, oder ein Knicker, wie ihn die wilden Hochländer tragen, oder ein Waidmesser, wie es unsere Grenzräuber und Mörder bei sich führen, oder ein gewöhnlicher Dolch; alle sind sie von dem Teufel selber erfundene Geräthe, Werkzeuge tödtlichen Grimmes zu schneller Ausführung und kaum abzuwehren. Selbst der gemeine Raufer mit Schwert und Schild verschmäht den Gebrauch eines so verrätherischen und boshaften Werkzeuges, welches geeignet ist zum Gebrauch nicht von Männern und Kriegern, sondern von Solchen, die unter weiblicher Zucht aufgewachsen, selber weibische Zwitter werden und weibische Boshaftigkeit und Feigheit mit den Schwächen und schlimmen Leidenschaften ihrer männlichen Natur vereinigen.«

Die Wirkung dieser Rede auf die versammelte Gemeinde von Avenel ist schwer zu beschreiben. Die Burgfrau schien verlegen und verletzt. Das Gesinde konnte kaum unter dem Schein tiefer Andacht die Freude verbergen, mit welcher sie den Kaplan gegen den unbeliebten Günstling donnern hörten, und gegen die Waffe, welche sie als ein Zeichen der Ziererei betrachteten. Jungfer Lilias brüstete sich und warf den Kopf in die Höhe, wie im Vollgefühl befriedigter Rache. Der Hofmeister spielte ganz den Neutralen und heftete seine Augen auf ein altes Wappenschild auf der Wand gegenüber, welches er mit der größten Genauigkeit zu untersuchen schien, wahrscheinlich weil er lieber den Vorwurf der Unaufmerksamkeit bei der Predigt, als den Tadel verdienen wollte, mit Beifall auf Etwas gehorcht zu haben, was offenbar seiner Gebieterin so mißfällig war.

Der unglückliche Gegenstand dieser Rede, von der Natur mit Leidenschaften begabt, welche bisher noch keinen wirksamen Zügel gefunden hatten, konnte seinen Zorn darüber nicht verhehlen, so zur Zielscheibe des Spottes und des Tadels für die versammelten Bewohner der kleinen Welt, in welcher er lebte, gemacht worden zu sein. Seine Stirne ward roth, seine Lippen grau, er biß die Zähne zusammen, ballte die Faust und faßte dann unbewußt das Gewehr, von welchem der Geistliche ein so abschreckendes Bild entworfen hatte. Zuletzt war ein Grimm so unbändig geworden, daß er, aus Besorgniß zu einer verzweifelten Gewaltthat fortgerissen zu werden, plötzlich aufstand und mit raschen Schritten die Versammlung verließ.

Der Prediger hielt betroffen einen Augenblick inne, als der Jüngling wie ein Blitz an ihm vorbeischoß und ihm einen Blick zuwarf, in welchem sich der Wunsch auszusprechen schien, die zerstörende Gewalt des Donnerstrahls in seinen Augen zu haben. Kaum aber war Roland hinausgegangen und hatte die Thür hinter sich zugeschlagen, welche durch einen gewölbten Gang nach dem Wohngebäude führte, als Warden diese Ungebührlichkeit benutzte, um mit wahrer Beredtsamkeit einen tiefen Eindruck auf die Gemüther seiner Zuhörer zu machen. Nachdem sein Schweigen die Aufmerksamkeit noch mehr gespannt, hob er langsam und feierlich von Neuem an:

»Er ist weggegangen von uns, weil er Keiner der Unseren war; der Kranke hat Anstoß genommen an der heilsamen Bitterkeit der Arznei, der Verwundete ist zurückgefahren vor dem freundlichen Messer des Wundarztes, – das Schaf ist aus dem Pferch entflohen und hat sich dem Wolf überliefert, weil es sich nicht zu dem ruhigen und demüthigen Verhalten bequemen konnte, welches der große Hirt von uns verlangt. O, meine Brüder! hütet euch vor Zorn, hütet euch vor Stolz – hütet euch vor der tödtlichen und verderblichen Sünde, welche sich so oft unserem schwachen Auge im Lichtgewande zeigt. Was ist unsere irdische Ehre? Stolz, eitel Stolz. – Was sind unsere irdischen Gaben und Güter? Stolz und Eitelkeit. – Reisende sprechen von Menschen im Lande India, welche sich mit Muscheln behängen und mit Farben anstreichen und sich auf diesen Putz Etwas zu Gute thun, wie wir auf unsere armseligen fleischlichen Vortheile. Stolz hat den Morgenstern vom Himmel herabgezogen zum Rand des Abgrundes; Stolz und Dünkel hat das Flammenschwert entzündet, welches uns vom Paradies verscheuchte. Stolz hat Adam sterblich gemacht und zum müden Wanderer auf der Oberfläche der Erde, deren unsterblicher Herr er sonst bis auf diesen Tag noch wäre. Stolz hat die Sünde zu uns gebracht und verdoppelt jede Sünde, welche er gebracht hat. Er ist der Vorposten, welchen der Teufel und das Fleisch auf's hartnäckigste vertheidigen müssen gegen die Angriffe der Gnade, und so lange er nicht gebeugt und seine Schutzwehren nicht der Erde gleich gemacht sind, ist mehr für einen Narren zu hoffen als für den Sünder. Reißet darum aus Euren Herzen diesen verfluchten Schößling des unheilvollen Apfels, reißt ihn aus mit der Wurzel, wäre er auch mit den Fäden Eures Lebens verwachsen. Nehmt ein Beispiel an dem elenden Sünder, der von uns gegangen ist, und ergreift die Gnadenmittel, so lange es noch heute heißt, bevor Euer Gewissen ausgetrocknet ist, wie mit einem Feuerbrande, bevor Euer Ohr taub geworden ist, wie das der Otter, und Euer Herz verhärtet, wie der untere Mühlstein. Auf denn und seid thätig! Ringet und überwindet! Widerstehet, und der Feind wird vor Euch fliehen. Wachet und betet, auf daß Ihr nicht in Versuchung fallet, und laßt die Fehltritte Anderer Euch zum Beispiel und zur Warnung dienen. Vor allen Dingen verlasset Euch nicht auf Euch selber, denn solches Selbstvertrauen ist das schlimmste Anzeichen der Krankheit. Der Pharisäer dünkte sich vielleicht demüthig, während er sich in dem Tempel beugte und Gott dankte, daß er nicht sei wie andere Leute oder wie der Zöllner. Aber während seine Kniee das Marmorpflaster berührten, war sein Haupt so hoch wie die höchste Zinne des Tempels. Darum täuschet Euch nicht und bringet nicht falsche Münze dar, wo die reinste, so Ihr bieten könnt, nur wie Koth ist. Denket nicht, daß solche die Prüfung der allmächtigen Weisheit aushalten werde. Doch bebt auch nicht vor der Aufgabe zurück, darum, weil ich pflichtmäßig Euch nicht die Schwierigkeiten derselben verhehle. Selbstprüfung kann viel thun, Nachdenken kann viel thun, Gnade kann Alles thun.«

Und er schloß mit einer rührenden und erhebenden Ermahnung an seine Zuhörer, die göttliche Gnade zu suchen, welche in den Schwachen stark ist.

Die Anwesenden hörten nicht ohne Bewegung diese Anrede, obwohl es zweifelhaft blieb, ob nicht das Gefühl des Triumphes über den schimpflichen Abzug des begünstigten Edelknaben den Ermahnungen des Predigers zur Demuth und zu christlicher Liebe großen Eintrag that. Denn der Ausdruck ihrer Gesichter glich sehr der befriedigten Miene von Kindern, welche, nachdem sie eben einen Schuldigen offen haben abstrafen sehen für einen Fehler, an welchem sie kein Theil hatten, ihre Aufgabe mit doppeltem Eifer lernen, sowohl weil sie selber aus der Patsche sind, als weil der Schuldige darin ist.

Mit ganz andern Gefühlen kehrte Frau von Avenel in ihr Gemach zurück. Sie zürnte dem Prediger, daß er eine häusliche Angelegenheit, welche sie sich so sehr zu Herzen nahm, zu einem Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht hatte. Allein sie wußte, daß der gute Mann dies als einen Theil seiner christlichen Freiheit als Prediger in Anspruch nahm, und daß die allgemeine Gewohnheit seiner Amtsbrüder diesen Anspruch rechtfertigte. Noch mehr betrübte sie aber das eigenwillige Benehmen ihres Schützlings. Derselbe hatte nicht nur auf's Auffallendste die ihrer Person gebührende Rücksicht bei Seite gesetzt, sondern auch die Achtung vor religiöser Ermahnung, und dies bewies, daß sein Wesen wirklich so unbändig war, wie seine Feinde es schilderten. Und doch hatte sie sonst, so weit er unter ihren Augen war, nicht mehr Feuer der Seele an ihm bemerkt, als seinen Jahren und seiner sonstigen Regsamkeit zuzukommen schien. Diese Ansicht mochte zum Theil Blendwerk der Vorliebe sein, zum Theil mochte sie aber auch richtig sein, und die Erscheinung sich aus der Güte und Nachsicht erklären, welche sie stets gegen ihn bewiesen hatte. Jedenfalls konnte sie nicht glauben, daß sie eine ganz falsche Meinung von seinem Character gehabt habe. Große Heftigkeit verträgt sich nicht wohl mit durchtriebener Heuchelei, (wiewohl Lilias sanftmüthig andeutete, daß sie sich zuweilen sehr wohl vereinigt fänden,) und darum konnte sie nicht den Berichten Anderer trauen wider ihre eigene Beobachtung und Erfahrung. Der Waisenknabe war ihr wie an's Herz gewachsen; warum, wußte sie sich nicht zu erklären. Er schien vom Himmel ihr zugesandt zu sein, um die Stunden unbefriedigten Sehnens auszufüllen, die ihr so schmerzlich waren. Vielleicht war er ihr auch um deswillen so theuer, weil sie nicht sah, daß sonst Jemand ihn gern hatte, und weil sie fühlte, daß wenn sie ihn aufgebe, dies ein Triumph der Ansicht ihres Gemahls und Anderer über ihre eigene sein würde, – ein Umstand, welcher den besten Gatten des einen wie des anderen Geschlechts nicht gleichgültig ist.

Kurz, Frau von Avenel entschloß sich, ihren Edelknaben nicht preiszugeben, wenn derselbe nur irgend vernünftiger Weise sich vertheidigen ließe, und in der Absicht, zu ermitteln, in wieweit dies angehe, ließ sie ihn zu sich bescheiden.


 << zurück weiter >>