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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Ein widerwärtig Leben –
Gewölbe oben, ringsum Gitterwerk,
Trübsel'ge Stunden bei betrübten Freunden,
Die brüten über'm eignen Mißgeschick
Zu sehr, um an dem meinen Theil zu nehmen!

Der Waidmann.

Die Lebensweise, zu welcher Maria und ihr Hofgesinde sich verurtheilt sahen, war höchst einsam und abgeschlossen, bloß darin abwechselnd, daß das Wetter die gewöhnlichen Spaziergänge der Königin in dem Garten oder auf den Zinnen der Burg bald verstattete, bald hinderte. Den größten Theil des Morgens arbeitete sie mit ihren Kammerfrauen an Stickereien, von denen noch welche als Beweise ihres Fleißes vorhanden sind. In solchen Stunden hatte der Kammerjunker Erlaubniß, auf der Burg und auf dem Eiland sich herumzutreiben. Zuweilen ward er auch eingeladen, den Burgvogt Georg Douglas beim Fischen auf dem See oder beim Jagen am Ufer zu begleiten, – Vergnügungen, welche nur durch die stete Schwermuth des jungen Edelmanns gestört wurden. Nie sah Roland ihn lächeln oder hörte ihn ein Wort reden, was nicht zu der Sache gehörte, die sie eben trieben.

Die angenehmste Tageszeit war für Roland diejenige, welche er in Aufwartung bei der Königin und ihren Frauen zubrachte, und die Zeit des Mittagsmahles, welches er regelmäßig in Gesellschaft von Dame Fleming und Katharine Seyton einnahm. Hier hatte er oft Gelegenheit, den lebhaften, erfinderischen Geist der Letzteren zu bewundern, welche unermüdlich war in Ersinnung von Unterhaltungen für ihre Gebieterin. um wenigstens für Augenblicke die Schwermuth zu verbannen. welche auf ihrer Seele lastete. Sie tanzte, sang, erzählte Geschichten aus alter und neuer Zeit, und man sah dabei, daß es ihr nicht sowohl Vergnügen machte, ihre Gaben zu zeigen, als sie zu besitzen. Ihr Thun hatte einen Anschein von ländlicher Ungeschmücktheit und toller Lebhaftigkeit. welche eher einem Dorfmädchen, einer Kokette im Reigen um den Maien anzugehören schien, als der fein erzogenen Tochter eines Großen. Ein Anflug von Keckheit. aber fern von Frechheit und noch weiter von Gemeinheit entfernt, gab Allem, was sie that, ein Ansehen von Wildheit. Oft mußte die Königin sie gegen den Tadel ihrer ernsteren Gesellschafterin in Schutz nehmen, und bei solchen Gelegenheiten pflegte sie das lustige Mädchen mit einem abgerichteten Singvogel zu vergleichen, der, aus dem Käfig entschlüpft, in der Wonne der Freiheit und im vollen Besitz des Waldgezweiges die Weisen jubelt, die er in seiner früheren Gefangenschaft gelernt hat.

Die Augenblicke, welche der Kammerjunker in der Gegenwart dieses bezaubernden Wesens zubringen durfte, glitten so leicht dahin, daß sie bei all' ihrer Kürze reichlich die Langweiligkeit des übrigen Tages vergüteten. Mit Katharinen allein zusammen zu sein, war ihm weder verstattet noch möglich. Dame Fleming, sei es, daß sie im Haushalte der Königin besondere Behutsamkeit für nöthig hielt, oder daß ihre Begriffe von Schicklichkeit überhaupt sie dazu bestimmten, schien stets darauf bedacht zu sein, jeden besonderen Verkehr der jungen Leute mit einander abzuschneiden, und verwandte zum Besten Katharinens den ganzen Reichthum ihrer Klugheit und Erfahrung, welche sie als Mutter der Ehrenfräulein der Königin eingesammelt, und durch welche sie sich den gründlichen Haß dieser Fräulein zugezogen hatte. Zufälliges Zusammentreffen konnte jedoch nicht immer verhütet werden, sonst hätte Katharine selber bemüht sein müssen, dergleichen zu vermeiden, und Roland weniger begierig, es zu suchen. Ein Lächeln, ein Spott, eine beißende Bemerkung, gemildert durch einen schalkhaften Blick, war Alles, was die Zeit bei solchen Gelegenheiten verstattete. Allein solche Augenblicke boten keine Gelegenheit, die Erörterung der Umstände ihres Bekanntwerdens wieder anzuknüpfen, so daß Roland fortwährend im Dunkel blieb über die Erscheinung des Edelknaben im Purpursammetmantel in der Herberge zum St. Michael.

Die Wintermonate schlichen langsam dahin, der Frühling kam, und mit ihm bemerkte Roland Graeme allmählig eine Veränderung an seinen Mitgefangenen. Da er kein besonderes Geschäft hatte, welches seine Aufmerksamkeit stark in Anspruch genommen hätte, und da er, wie junge Leute von seinem Alter, seiner Erziehung und seinem Stande, ein Auge auf Alles hatte, was um ihn vorging, so begann er zu vermuthen und glaubte am Ende fest, daß bei seinen Mitgefangenen Etwas im Treiben sei, was sie ihn nicht wissen lassen wollten. Er erhielt ziemliche Gewißheit, daß die Königin auf einem ihm unbekannten Wege Verbindungen jenseits der Mauern und des Wassers um ihr Gefangenhaus herum unterhielt, und im Geheimen die Hoffnung auf Befreiung oder Flucht nährte. In ihren Gesprächen mit ihren Damen wußte sie, wenn Roland zugegen war, nicht immer ihre Bekanntschaft mit dem, was in der Welt vorging, zu verbergen, während Roland, außer bei ihr, nie Etwas der Art im Schlosse hörte. Er bemerkte, daß sie mehr schrieb und sich weniger mit weiblichen Arbeiten beschäftigte, als früher, und daß sie, als wollte sie den Argwohn einschläfern, ein freundlicheres Benehmen gegen die Frau von Lochleven beobachtete, gleichsam als habe sie sich in ihr Schicksal gefügt.

»Sie halten mich für blind,« dachte er. »und für zu jung, um mir Etwas anzuvertrauen. oder für unzuverlässig, weil ich von dem Regenten hiehergeschickt bin. Meinetwegen! Am Ende werden sie noch froh fein, mich zum Vertrauten haben zu können, und Katharine Seyton mit ihrem schnippischen Wesen wird vielleicht finden, daß ich eben so zuverlässig bin. wie der sauertöpfische Douglas, dem sie immer nachläuft. Oder grollen sie mir vielleicht als einem Zuhörer von Elias Henderson? Aber sie haben mich ja zu ihm geschickt, und wenn der Mann wahr und vernünftig spricht und nur Gottes Wort predigt, dann mag er eben so sehr Recht haben, wie Papst und Concilien.«

Es scheint, Roland hatte mit dieser letzten Vermuthung die wahre Ursache getroffen, warum die Frauen ihn nicht zum Vertrauten ihrer Rathschläge gemacht hatten. Seit Kurzem hatte er mit Henderson mehrere Besprechungen über religiöse Gegenstände gehabt und ihm zu verstehen gegeben. daß er seiner Belehrung bedürfe, ohne es jedoch für klug oder nöthig zu halten, zu gestehen. daß er bisher den Satzungen der römischen Kirche angehangen.

Elias Henderson, ein eifriger Verbreiter der reformirten Lehre, hatte sich in die Abgeschiedenheit der Burg Lochleven nur darum begeben, weil er unter der Dienerschaft der entthronten Königin Proselyten zu machen wünschte und hoffte, und zugleich die dort befindlichen Protestanten in ihrem Glauben stärken wollte. Vielleicht gingen seine Hoffnungen noch weiter auf einen ausgezeichneten Proselyten in der Person der Königin selber. Jedenfalls mußte die Hartnäckigkeit, mit welcher die Königin und ihre weibliche Dienerschaft ihm Zutritt und Gehör verweigerten, jede derartige Hoffnung vereiteln. Um so erfreulicher war dem guten Manne die ihm von Roland dargebotene Gelegenheit, die religiösen Einsichten eines Dieners der Königin zu erweitern und ihn über seine Pflichten gegen Gott aufzuklären. Dies war in seinen Augen eine von der Vorsehung geöffnete Thür zur Rettung eines Sünders. Freilich ließ er sich nicht träumen, daß er einen Papisten bekehre, aber doch war die Unwissenheit, welche Roland in Betreff einiger wesentlichen Punkte der reformierten Lehre an den Tag legte, so groß, daß Meister Henderson, wenn er der Frau von Lochleven und ihrem Enkel die Gelehrigkeit des Kammerjunkers pries, selten unterließ, hinzuzufügen, daß sein ehrwürdiger Bruder, Heinrich Warden, altersschwach geworden sein müsse, da er einen Katechumenen von seiner Heerde so wenig fest in den Grundsätzen seines Glaubens finde. Den wahren Grund hievon hielt Roland nicht für nöthig anzugeben, nämlich daß er es als einen Ehrenpunkt betrachtet hatte, alle Lehren Wardens zu vergessen, sobald man sie ihn nicht mehr als etwas auswendig Gelerntes hersagen ließ. Die Unterweisungen des neuen Lehrers wurden, wenn man sie auch nicht eindringlicher vortrug, mit willigerem Ohre und mit reiferem Verstande angehört. Die Abgeschiedenheit Lochlevens begünstigte ernstere Gedanken. Roland schwankte indeß noch, d. h. so wie Einer, der beinahe überzeugt ist. Seine Aufmerksamkeit auf die Belehrungen des Predigers verschaffte ihm einigermaßen die Gunst der strengen alten Dame, so daß ihm, wiewohl unter großen Vorsichtsmaßregeln, einige Mal verstattet wurde, das benachbarte Dorf Kinroß zu besuchen. um einige gewöhnliche Bestellungen für seine unglückliche Gebieterin zu machen.

Eine Zeitlang konnte er als neutral zwischen den beiden Parteien betrachtet werden, welche den Thurm von Lochleven bewohnten. Aber als er in der Meinung der Burgfrau und ihres Kaplans stieg, bemerkte er mit großem Bedauern, daß er in den Augen der Königin und ihrer Gesellschafterinnen verlor. Allmählig überzeugte er sich, daß diese ihn als einen Aushorcher betrachteten, und daß statt der Ungezwungenheit, mit welcher sie sich früher in seiner Gegenwart unterhalten hatten, ohne weder Zorn, noch Schmerz, noch Lust, noch irgend ein anderes durch den besprochenen Gegenstand veranlaßtes Gefühl zurückzuhalten, jetzt ihr Gespräch auf die gleichgültigsten Dinge beschränkt war, und selbst bei diesen eine große Zurückhaltung beobachtet wurde.

Diesem sichtbaren Mangel an Vertrauen entsprach die Veränderung ihres sonstigen Benehmens. Die Königin, welche ihn anfangs außerordentlich artig behandelt hatte, sprach jetzt kaum ein Wort weiter zu ihm, als die nöthigen Befehle in Betreff des Dienstes. Frau Fleming beschränkte sich auf die trockensten und fernsten Höflichkeitsformen, Katharine Seyton aber ward bitter in ihren Späßen, scheu, kurz und ärgerlich, so oft sie ein Wort mit ihm redete. Was ihn noch mehr empörte, er sah oder glaubte Spuren eines Einverständnisses zwischen Georg Douglas und der schönen Katharine zu sehen. und die Eifersucht ließ ihn bald als gewiß annehmen, daß die Blicke, welche sie wechselten, eine tiefe und wichtige Bedeutung hätten.

»Kein Wunder!« dachte er. »Wenn der Sohn eines stolzen und mächtigen Herrn ihr den Hof macht, hat sie kein Wort oder Blick für den armen, besitzlosen Kammerjunker zu entbehren.«

Mit einem Wort, Rolands Lage ward widerwärtig. Sein Herz empörte sich gegen die Ungerechtigkeit dieser Behandlung, welche ihm den einzigen Ersatz für die freiwillige Beschränkung seiner Freiheit raubte. Er gab der Königin und Katharinen – an der Meinung der Dame Fleming lag ihm Nichts – Inconsequenz schuld, daß sie ihm die natürlichen Folgen eines von ihnen selber gegebenen Befehles übel nahmen. Warum hatten sie ihn hingeschickt, die überwältigenden Worte des Predigers zu hören?

»Abt Ambrosius,« dachte er, »kannte die Schwäche der päpstlichen Sache besser, denn er gebot mir, während der Predigten des alten Heinrich Warden in einem fort Ave und Credo und Paternoster herzusagen, um mich gegen jedes, wenn auch nur augenblickliche, Anhören der ketzerischen Lehren sicher zu stellen. – Aber ich will dies Leben nicht länger ertragen. Meinen sie, ich würde meine Gebieterin verrathen, weil ich Ursache finde ihren Glauben zu bezweifeln? Das hieße, wie man sagt, dem Teufel um Gottes Willen dienen. – Ich will hinaus in die Welt. Wer schönen Frauen dient, darf wenigstens freundliche Blicke und Worte erwarten. Wenn ich ein Edelmann sein will, kann ich mir nicht kalte Behandlung und Argwohn und obendrein noch ewige Gefangenschaft gefallen lassen. Ich will morgen mit Georg Douglas sprechen, wenn wir fischen gehen.«

Eine schlaflose Nacht wurde mit Erwägung dieses hochherzigen Entschlusses hingebracht, und am Morgen stand er auf, ohne im Reinen darüber zu sein, ob er dabei bleiben solle oder nicht. Zufällig ward er zu einer ungewöhnlichen Stunde vor die Königin beschieden, gerade als er mit Georg Douglas auf den See hinausfahren wollte. Er erschien befohlener Maßen in dem Garten. Die Angelruthe in seiner Hand verrieth, was er vorher hatte thun wollen. Da wandte sich die Königin an Frau Fleming mit den Worten:

»Katharine muß eine andere Unterhaltung für uns ersinnen, ma bonne amie; unser kluger Kammerjunker hat sich schon für seinen Zeitvertreib bestimmt.«

»Ich habe gleich vom Anfange an gesagt,« erwiderte Frau Fleming, »daß Ew. Durchlaucht sich nicht darauf verlassen dürfte, das Glück der Gesellschaft eines jungen Mannes zu genießen, der so viele hugenottische Bekanntschaften hat und die Mittel besitzt, sich weit angenehmer zu unterhalten, als bei uns.«

»Ich wünschte,« sprach Katharine, vor Aerger roth werdend, »seine Freunde möchten mit ihm glücklich absegeln und uns statt seiner einen Kammerjunker bringen, der, wofern ein solches Wesen zu finden ist, seiner Königin und seiner Religion treu ist.«

»Ein Theil Eurer Wünsche kann gewährt werden, Madame,« versetzte Roland, unfähig, seine Empfindlichkeit über die ihm von allen Seiten zu Theil werdende Behandlung länger zu verbergen, und er wollte hinzufügen: »Ich wünsche Euch von Herzen einen Gesellschafter an meiner Statt, der fähig ist, Weiberlaunen zu ertragen, ohne toll zu werden.« Glücklicher Weise erinnerte er sich der Reue, welche er darüber empfunden, daß er bei einer ähnlichen Gelegenheit seiner Lebhaftigkeit hatte den Zügel schießen lassen. Er preßte die Lippen zusammen und verschloß, bis derselbe auf seiner Zunge erstarb, einen Vorwurf, welcher sich so wenig in Gegenwart einer königlichen Person geziemte.

»Warum bleibt Ihr hier stehen,« fragte die Königin, »als wäret Ihr an den Boden angewurzelt?«

»Ich erwarte bloß Ew. Durchlaucht Befehl,« antwortete Roland.

»Ich habe Euch keinen zu geben. – Geht, Herr!«

Als er den Garten verließ, hörte er deutlich, wie Maria im Tone des Vorwurfs zu einer ihrer Gesellschafterinnen sagte: »Da seht Ihr, welchen Unannehmlichkeiten Ihr uns ausgesetzt habt!«

Dieser kurze Auftritt entschied Rolands Entschluß, wo möglich, die Burg zu verlassen, und sein Vorhaben unverzüglich dem jungen Douglas mitzutheilen. Dieser junge Mann saß schweigsam, wie gewöhnlich, am Hintertheile des Nachens, welchen sie bei solchen Gelegenheiten gebrauchten, machte seine Fischgeräthschaften zurecht und deutete zuweilen durch Zeichen dem Kammerjunker an, wohin er rudern solle. Als sie einen Büchsenschuß weit von der der Burg entfernt waren, hielt Roland mit dem Rudern inne, und sprach zu seinem Gefährten:

»Schöner Herr, ich hätte Euch etwas Wichtiges zu sagen, wenn Ihr es erlaubt.«

Die nachdenkliche, schmermüthige Miene des jungen Douglas verwandelte sich plötzlich in den Ausdruck gespannter, ängstlicher Aufmerksamkeit.

»Ich bin dieses Schlosses Lochleven zum Sterben müde,« fuhr Roland fort.

»Ist das Alles?« entgegnete Douglas. »Ich wüßte keinen seiner Bewohner, dem es besser ginge.«

»Ja, aber ich bin weder in dem Hause geboren, noch ein Gefangener, und darf daher mit Fug und Recht wünschen, es zu verlassen.«

»Mit demselben Rechte dürftet Ihr es wünschen, wenn Ihr das Eine und das Andere wäret,« versetzte Douglas.

»Ja, aber ich bin nicht nur des Lebens in Lochleven müde, sondern auch entschlossen, es zu verlassen,« erklärte Roland Graeme

»Dieser Entschluß ist leichter gefaßt, als ausgeführt,« bemerkte Douglas dagegen.

»Doch nicht, wenn Ihr, Herr, und Eure Frau Mutter einzuwilligen belieben,« versetzte Roland.

»Ihr seid im Irrthume, Roland,« sprach Douglas. »Ihr werdet finden, daß die Einwilligung von zwei anderen Personen eben so nöthig ist – die von Frau Marien, Eurer Gebieterin, und die meines Oheims, des Regenten, welcher Euch Euern Platz in der Nähe ihrer Person angewiesen hat und es nicht angemessen finden dürfte, ihre Dienerschaft so schnell zu wechseln.«

»Also müßte ich hier bleiben, ich möchte wollen oder nicht?« fragte der Kammerjunker, erschreckt bei einem Gedanken, welcher sich einem Erfahrneren früher aufgedrungen haben würde.

»Wenigstens,« antwortete Douglas, »müßt Ihr Euch bequemen, zu bleiben, bis mein Oheim geneigt ist, Euch zu entlassen.«

»Offen gesprochen,« erklärte Roland, »Euch, als einem Edelmanne, der unfähig ist, mich zu verrathen, will ich gestehen, daß weder Mauer noch Wasser mich lange halten sollten, wenn ich dächte, ich wäre hier ein Gefangener.«

»Offen gesprochen,« entgegnete Douglas, »könnt ich Euch den Versuch nicht verargen. Nichts destoweniger würde mein Vater, mein Oheim, der Graf, oder jeder von meinen Brüdern, oder kurz jeder der Landherren des Königs, dem Ihr alsdann in die Hände fielet, Euch wie einen Hund aufknüpfen oder wie eine Schildwache, die ihren Posten verläßt; und ich versichere Euch, Ihr würdet ihnen schwerlich entrinnen. – Aber rudert nach Sanct Serf's Insel hin. Wir haben Westwind, und wir werden Etwas fangen, wenn wir uns auf der Windseite der Insel halten, wo der Wellenschlag am stärksten ist. Wenn wir eine Stunde gefischt haben, wollen wir mehr von der Sache reden, die Ihr angeregt habt.«

Der Fischfang war glücklich. Aber nie haben zwei Angler ihrer schweigsamen und ungeselligen Belustigung mit mehr Wortkargheit nachgehangen, als dies Mal die beiden jungen Männer.

Nach Ablauf der bestimmten Zeit ergriff Douglas seinerseits die Ruder, und nach seiner Anweisung steuerte Roland Graeme den Nachen dem Landungsplatze zu. Auch er hielt in der Mitte der Fahrt inne, blickte umher und sprach zu Roland:

»Ich könnte dir Etwas sagen; aber das Ding ist ein so tiefes Geheimniß, daß ich selbst hier, wo wir nur Himmel und Wasser um uns haben und Niemand im Stande ist uns zu hören, es nicht über mich gewinnen kann, es auszusprechen.«

»Laßt es lieber unausgesprochen, wenn Ihr Zweifel in die Ehre dessen setzt, der es allein hören kann,« erwiderte Roland.

»Ich setze keinen Zweifel in Eure Ehre,« sprach Douglas, »aber Ihr seid jung, unklug und wankelmüthig.«

»Jung,« versetzte Roland, »das bin ich, vielleicht auch unklug. Aber wer hat Euch gesagt, daß ich wankelmüthig bin?«

»Jemand, der Euch vielleicht besser kennt, als Ihr selber,« antwortete Douglas.

»Wahrscheinlich meint Ihr Katharinen Seyton,« bemerkte der Kammerjunker mit bebendem Herzen. »Aber sie selber ist hundertmal wandelbarer in ihren Launen, als das Wasser, auf welchem wir schwimmen.«

»Mein junger Bekannter,« versetzte Douglas, »ich bitte Euch zu bemerken, daß Katharine Seyton ein Fräulein von hoher Geburt ist, und daß man von ihr nicht mit Geringschätzung reden darf.«

»Junker Georg von Douglas,« sprach Graeme, »Eure Rede scheint die Andeutung einer Drohung zu enthalten. Da bitt' ich Euch nun zu bemerken, daß ich auf die Drohung nicht so viel gebe, wie auf eine Flosse von einer dieser todten Forellen. Und ferner geb' ich Euch zu bedenken, daß, wer sich zum Kämpen jeder hochgebornen Frau aufwerfen will, welche der Unbeständigkeit in Treue und Tracht beschuldigt wird. höchst wahrscheinlich alle Hände voll zu thun bekommen wird.«

»Geh, geh,« erwiderte der Burgvogt in gutmüthigem Tone, »du bist ein verrückter Junge, der nichts Ernsteres treiben kann, als ein Netz auswerfen oder einen Habicht fliegen lassen.«

»Wenn Euer Geheimniß Katharinen Seyton betrifft,« bemerkte Graeme, »dann liegt mir Nichts daran; das könnt Ihr dem Fräulein meinetwegen sagen. Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, kann sie Euch schaffen. wie bisher; das weiß ich.«

Die plötzlich in Douglas' Antlitz aufsteigende Röthe überzeugte den Kammerjunker, daß er den rechten Fleck getroffen hatte, während er doch eigentlich nur in's Blaue hinein geredet. Der Gedanke fuhr Rolanden wie ein Dolch durch's Herz. Sein Gefährte ergriff, ohne weiter ein Wort zu reden, die Ruder und fuhr rasch der Insel und dem Schlosse zu. Die Dienerschaft lud die gemachte Beute aus, und die beiden Fischer trennten sich schweigend. und begaben sich jeder auf sein Gemach.

Roland verbrachte eine Stunde mit Murren gegen Katharine Seyton, die Königin, den Reichsverweser und das ganze Haus Lochleven, Georg Douglas an der Spitze. Mittlerweile kam die Zeit herbei, wo er der Königin bei Tische aufzuwarten hatte. Als er sich zu dem Ende ankleidete, verwünschte er die darauf gewandte Mühe, welche er sonst mit kindischer Putzliebe als etwas gar Wichtiges betrachtet hatte. Seinen Platz hinter dem Stuhle der Königin nahm er mit einer Miene beleidigter Würde ein. Diese Miene konnte der Beobachtung Mariens nicht entgehen und kam ihr vermuthlich lächerlich vor, denn sie flüsterte ihren Frauen Etwas auf französisch zu, worüber Frau Fleming lachte und Katharine halb ergötzt und halb beschämt zu sein schien. Diesen Spaß, dessen Inhalt ihm verborgen blieb, nahm der unglückliche Kammerjunker als eine neue Beleidigung, und es steigerte sich seine unwirsche Ernsthaftigkeit, was ihn ferneren Spötteleien hätte aussetzen können, wenn Maria nicht mitleidige Rücksicht auf ihn genommen hätte.

Mit einem Takte und einer Zartheit, die kein Weib in höherer Vollendung besaß, begann sie den Unmuth ihres hochherzigen Dieners zu besänftigen. Die Vortrefflichkeit der Fische, die er so eben gefangen, der Wohlgeschmack und die herrliche Röthe der Forellen, wegen deren der See berühmt ist, gab ihr Anlaß, ihren Dank auszusprechen für diesen angenehmen Zusatz zu ihrer Mahlzeit, zumal an einem jour de jeûne, – und führte dann weiter zu Fragen über den Platz, wo die Fische gefangen worden, über ihre Größe, Eigenheiten, die Zeiten, wo sie am besten sind, und zu einer Vergleichung zwischen den Forellen in Lochleven und zwischen denen in den Seen und Flüssen von Südschottland.

Die üble Laune Rolands war nie hartnäckig; sie schwand wie Nebel vor der Sonne, und bald verlor sie sich gänzlich in einem belebten Vortrage über Forellen aus dem Lochleven, über Forellen aus der See, über Flußforellen, Föhren, Reutel, welche nie nach einer Fliege schnappen, über Barsche, welche Einige für junge Salmen halten, über Herlinge, welche sich häufig in der Nith finden, über Wendisse, die nur in dem Burgsee von Lochmaben vorkommen. Und so ging es fort bei ihm mit dem Eifer und der Begeisterung eines jungen Waidmannes, bis er bemerkte, daß das Lächeln, mit welchem die Königin ihm anfangs zugehört hatte, allmälig erstarb, und daß sich Thränen aus ihren Augen hervordrängten. Er hielt plötzlich inne und fragte bekümmert, ob er das Unglück gehabt habe, ohne sein Wissen Ihrer Durchlaucht Unannehmlichkeit zu verursachen?

»Nein, armer Junge,« antwortete die Königin. »Aber als Ihr die Seen und Flüsse meines Königreichs aufzähltet, täuschte mich meine Einbildungskraft und entrückte mich aus diesen traurigen Mauern hin zu den romantischen Bächen von Nithsdale und zu den königlichen Thürmen von Lochmaben. O Land, das meine Väter so lange beherrscht haben! Der Vergnügungen, die du so reichlich beutst, ist deine Königin nun beraubt, und der ärmste Bettler, welcher frei von einer Stadt des Binnenlandes zur andern wandern darf, würde es verschmähen, mit Marien von Schottland zu tauschen!«

»Ew. Hoheit,« bemerkte Frau Fleming, »wird wohlthun, sich zurückzuziehen.«

»Kommt denn mit mir, Fleming,« sprach die Königin. »Ich möchte nicht junge Herzen, wie diese, mit dem Anblicke meines Kummers beschweren.«

Diese Worte mit einem schwermüthig theilnehmenden Blicke auf Roland und Katharine begleitend, ließ sie diese Beiden allein in dem Gemache.

Roland befand sich in Verlegenheit. Jeder Leser, der sich je in einer ähnlichen Lage befunden hat, wird wissen, wie schwer es ist, die volle Würde des Beleidigten einem schönen Mädchen gegenüber zu behaupten, welche Gründe man auch immer haben mag, ihr zu zürnen. Katharine Seyton ihrerseits saß still, wie ein der Erlösung harrender Geist, der, wohl wissend, welches Grauen seine Erscheinung erweckt, gern dem armen Sterblichen, den er heimsucht, Zeit läßt, sich zu sammeln und, der Hauptregel der Geisterlehre gemäß, zuerst zu sprechen. Da aber Roland sich nicht zu beeilen schien, von ihrer Herablassung Gebrauch zu machen, ging sie einen Schritt weiter und eröffnete selber das Gespräch.

»Schöner Herr, wenn es mir verstattet ist, Euer erhabenes Sinnen durch eine so einfache Frage zu stören, habt doch die Güte, mir zu sagen, was aus Eurem Rosenkranze geworden sein mag.«

»Er ist verloren, meine Dame, schon seit geraumer Zeit verloren,« antwortete Roland, halb in Verlegenheit und halb ärgerlich.

»Und dürft' ich fragen,« fuhr Katharine fort, »warum Ihr ihn nicht durch einen andern ersetzt habt? – Ich hätte fast Lust,« sprach sie, eine Schnur Perlen von Ebenholz mit Gold verziert aus ihrer Tasche ziehend, »Euch einen zu schenken, als ein Andenken und zur Erinnerung an frühere Bekanntschaft.«

In dem Tone, mit welchem diese Worte gesprochen wurden, war ein kaum merkliches Zittern, welches sofort Rolands Aerger in die Flucht schlug und ihn an Katharinens Seite brachte. Sie aber nahm augenblicklich wieder ihren gewöhnlichen kühnen und festen Ton an.

»Ich habe Euch nicht geheißen, Euch so nahe zu mir zu setzen,« sprach sie; »denn die Bekanntschaft, von der ich so eben sprach, ist seit geraumer Zeit starr und kalt, todt und begraben.«

»Da sei Gott vor!« entgegnete Roland. »Sie hat nur geschlafen, und jetzt, schöne Katharine, wo Ihr wünscht, daß sie erwache, reicht ein Pfand Eurer wiederkehrenden Gunst –«

»Nein, nein!« unterbrach Katharine, den Rosenkranz zurückziehend, nach welchem er die Hand ausstreckte. »Ich habe mich eines Besseren besonnen. Was sollte ein Ketzer mit diesen heiligen Perlen thun, welche von dem Vater der Kirche selber geweiht sind?«

Roland drückte schmerzvoll die Augen zu, denn er sah, wo das Gespräch hinaus wollte, und daß es peinlich werden würde.

»Abgesehen davon,« sprach er; »Ihr habt sie mir als ein Zeichen Eures persönlichen Wohlwollens angeboten.«

»Allerdings, schöner Herr; aber dies Wohlwollen galt dem treuen Unterthanen, dem gläubigen, frommen Katholiken, dem Wesen, welches zugleich mit mir feierlich zu derselben hehren Pflicht geweiht wurde, zu der Pflicht, wie Ihr wißt, der Kirche und der Königin zu dienen. Einer solchen Person, wenn Ihr je von ihr gehört habt, war ich zum Wohlwollen verbunden, nicht dem, welcher sich zu Ketzern gesellt, und im Begriff steht, ein Renegat zu werden.«

»Ich sollte kaum glauben, schönes Fräulein,« versetzte Roland, »daß die Wetterfahne Eurer Gunst sich lediglich nach einem katholischen Wind dreht, in Betracht, daß sie so deutlich auf Georg Douglas zeigt, der, meines Wissens, ein Mann des Königs und Protestant ist.«

»Denkt besser von Georg Douglas,« sprach Katharina »als daß Ihr glauben solltet – –« Hier hielt sie inne, als habe sie zu viel gesagt, und sprach dann weiter: »Ich versichere Euch, schöner Junker Roland, Allen denen, so Euch wohl wollen, ist es Leid um Euch.«

»Und deren Zahl ist, denk' ich, sehr gering,« bemerkte Roland, »und deren Leid ist, wenn sie wirklich welches fühlen, nicht tiefer, als eine Frist von zehn Minuten heilen kann.«

»Ihre Zahl ist größer« versetzte Katharine, »und sie denken mit mehr Sorge an Euch, als Ihr zu bemerken scheint. Doch vielleicht sind sie im Irrthum. Ihr könnt wohl am besten in Euren eignen Angelegenheiten urtheilen, und wenn Ihr Gold und Kirchengütern den Vorzug gebt vor Ehre und Treue, und vor dem Glauben Eurer Väter, warum solltet Ihr häkeliger sein, als Andere?«

»Der Himmel sei mein Zeuge,« sprach Roland, »wenn ich in irgend einem Punkte eine abweichende Meinung habe, ich meine, wenn ich irgend Zweifel in Sachen der Religion hege, so ist dies Folge meiner Ueberzeugung und Eingebung meines Gewissens.«

»Ja wohl! Euer Gewissen, Euer Gewissen!« wiederholte sie spottend, »Euer Gewissen ist der Sündenbock, und das ein vortrefflicher. Er wird die Last eines der fettesten Stiftsgüter von St. Marien von Kennaquhair tragen, welche kürzlich unserem edlen Herrn, dem König, heimgefallen sind, verwirkt von Abt und Brüderschaft durch das schwere Verbrechen der Treue gegen ihre Gelübde, und jetzt zu vergeben durch den Großmächtigsten Verräther u. s. w. Jakob, Grafen von Murray, an den guten Damenknappen Roland Graeme für seinen treuen und fleißigen Dienst als Unterspion und Unterschließer in der Haft seiner rechtmäßigen Herrscherin, der Königin Maria.«

»Mein Benehmen wird grausam von Euch mißdeutet,« sprach der Kammerjunker, »wirklich grausam, Katharine. Gott weiß, ich möchte diese arme Frau mit Gefahr meines Lebens oder auf Kosten meines Lebens vertheidigen. Aber was kann ich thun? Was kann ich – was kann irgend ein Mensch in der Welt für sie thun?«

»Viel kann gethan werden – genug kann gethan werden – Alles kann gethan werden –wenn nur die Menschen aufrichtig und ehrlich sind, wie die Schotten waren in den Tagen von Bruce und Wallace. – O Roland, von welcher Unternehmung zieht Ihr jetzt Herz und Hand ab aus bloßem Wankelmuthe und Mangel an Feuer!«

»Wie kann ich mich von einer Unternehmung zurückziehen, welche mir nie mitgetheilt worden ist?« warf Roland ein. »Hat die Königin, habt Ihr, hat irgend Jemand mir irgend eine Anmuthung zu ihrem Dienst gemacht, die ich zurückgewiesen hätte? Oder habt Ihr mich nicht Alle von Euren Berathschlagungen so fern gehalten, als wär' ich der treuloseste Spion seit Ganelons Gan, Gano oder Ganelon von Mainz wird in den Romanzen von Karl und seinen Paladinen stets als der Verräther dargestellt, durch den die christlichen Kämpen verrathen werden. Tagen?«

»Und wer möchte dem Busenfreund, Schüler und Gesellschafter des ketzerischen Predigers Henderson trauen? O, einen herrlichen Lehrer habt Ihr gewählt, als Stellvertreter des ehrwürdigen Ambrosius, der jetzt von Haus und Hof vertrieben ist, vielleicht gar in einem Kerker schmachtet dafür, daß er der Tyrannei Mortons widerstanden hat, an dessen Bruder die weltlichen Güter dieses herrlichen Gotteshauses von Murray verliehen worden sind.«

»Ist's möglich? Ist der wackere Vater Ambrosius in solcher Noth?« fragte Roland.

»Er würde die Nachricht Eures Abfalls vom Glauben Eurer Väter für ein schlimmeres Unglück halten, als Alles was die Tyrannei über ihn bringen kann,« fuhr Katharine fort.

»Aber warum,« fragte Roland tief bewegt, »warum mögt Ihr glauben, daß – daß – daß es mit mir so ist, wie Ihr sagt?«

»Leugnet Ihr es denn selber?« fragte Katharine. »Gebt Ihr nicht zu, daß Ihr das Gift getrunken habt, welches Ihr hättet von Euren Lippen wegschleudern sollen? Leugnet Ihr, daß es jetzt in Euren Adern gährt, wenn es nicht gar schon die Quellen des Lebens verderbt hat? Leugnet Ihr, daß Ihr Eure Zweifel habt, wie Ihr es nennt, in Betreff von Dingen, deren Bezweiflung Päpste und Concilien für unerlaubt erklärt haben? Ist Euer Glaube nicht wankend, wo nicht gar umgestoßen? prahlt nicht der ketzerische Prediger mit seiner Eroberung? Hält nicht das ketzerische Weib in diesem Gefangenhause das Beispiel Andern als Muster vor? Glaubt nicht die Königin, glaubt nicht die Fleming an Euren Abfall? – Und ist irgend Jemand, eine einzige Person ausgenommen – ja, ich will es aussprechen, und denkt so geringschätzig, wie Ihr wollt, von meiner Gutmüthigkeit – ist irgend Jemand außer mir, der noch eine schwache Hoffnung hegt, Ihr möchtet am Ende doch noch die Erwartung rechtfertigen, die wir einst Alle von Euch gehegt haben?«

Der arme Kammerjunker war sehr verlegen beim Hinblick auf das Verhalten, welches man von ihm erwartete, zumal da dasselbe ihm von einer Person angedeutet ward, die ihm durch das längere Zusammenleben mit ihr im Schloß Lochleven, wo kein anderer Gegenstand so leicht seine Aufmerksamkeit fesseln konnte, Nichts weniger als gleichgültig geworden war.

»Ich weiß nicht,« sprach er, »was Ihr von mir erwartet oder fürchtet. Ich bin hierhergeschickt worden, um die Königin Maria zu bedienen, und gegen sie halte ich mich zum Dienst auf Tod und Leben verpflichtet. Wenn Jemand einen andern Dienst von mir erwartet hat, so war ich nicht der Mann dazu, ihn zu leisten. Ich bekenne weder noch verwerf' ich die Lehren der reformierten Kirche. – Wollt Ihr die Wahrheit hören? Mir scheint es, daß die Verderbtheit der katholischen Geistlichkeit dies Strafgericht über ihre Häupter gebracht hat und, wer weiß, vielleicht zu ihrer Besserung. Aber diese unglückliche Königin zu verrathen – Gott weiß, dieses Gedankens bin ich nicht schuldig. Dächte ich auch schlimmer von ihr, als ich in meiner Stellung als Diener möchte, als ich in meiner Eigenschaft als Unterthan darf – so würd' ich sie doch nicht verrathen. Im Gegentheil, ich möchte ihr helfen in Allem, was eine ehrliche Entscheidung ihrer Sache herbeiführen kann.«

»Genug, genug!« fiel Katharine ein, in die Hände klatschend. »Also willst du uns nicht im Stich lassen, wenn Mittel dargeboten werden, um eine ehrliche Entscheidung dieser Sache zwischen unserer befreiten königlichen Gebieterin und ihren rebellischen Unterthanen herbeizuführen?«

»Schöne Katharine,« erwiderte der Kammerjunker, »hört erst, was der Herr von Murray sagte, als er mich hierher schickte – –«

»Hört erst, was der Teufel sagte,« fiel das Mädchen ein, »lieber, als was ein treuloser Unterthan, ein treuloser Bruder, ein treuloser Rathgeber, ein treuloser Freund sagte! Ein Mensch, der ursprünglich weiter Nichts hatte, als einen kleinen Gnadengehalt von der Krone, der aus dieser seiner Niedrigkeit emporgehoben ward zur Stelle eines ersten Rathgebers und Gnadenvertheilers, ein Mensch, bei dem Rang, Vermögen, Titel, Einfluß, Macht aufwuchs, wie ein Pilz, lediglich durch das Wohlwollen der Schwester, die er zum Dank dafür in diesen trübseligen Ort eingesperrt, die er zum ferneren Lohn abgesetzt hat, und die er, wenn er dürfte, ermorden möchte!«

»Ich denke nicht so schlimm von dem Grafen von Murray,« sprach Roland. »Offen gesprochen,« fügte er mit einem Lächeln hinzu, »würde Bestechung erforderlich sein, um mich zu bestimmen, fest und mit rücksichtsloser Entschlossenheit mich für die eine oder die andere Seite zu entscheiden.«

»Nun, wenn das Alles ist,« rief Katharine in begeistertem Tone, »dann sollt Ihr belohnt werden mit Gebeten von unterdrückten Unterthanen, von der beraubten Geistlichkeit, von schwerverletzten Großen, – mit unsterblichem Ruhm bei der Nachwelt, mit Segenswünschen bei der Jetztwelt, – mit einem herrlichen Namen auf Erden und mit Seligkeit im Himmel! Euer Vaterland wird Euch danken, Eure Königin wird Eure Schuldnerin sein,– Ihr werdet Euch von der niedrigsten zur höchsten Stufe der Ritterschaft emporschwingen; – alle Männer werden Euch ehren, alle Frauen werden Euch lieben, und ich, die ich so frühzeitig schon mit Euch der Befreiung der Königin geweiht worden bin – ich will – ja, ich will Euch mehr lieben, als je eine Schwester ihren Bruder geliebt hat.«

»Weiter! weiter!« flüsterte Roland, sich auf ein Knie niederlassend und ihre Hand ergreifend, welche sie im Eifer der Rede gegen ihn ausstreckte

»Nein,« sprach sie nach einigem Besinnen, »ich habe schon zu viel gesagt, – viel zu viel, wenn es mir nicht gelingt, – viel zu wenig, wenn es mir wirklich gelingt, Euch zu überreden. Aber es gelingt mir,« fuhr sie fort, bemerkend, daß ihre Begeisterung sich in seinem Antlitz abspiegelte, »es gelingt mir, oder vielmehr es gelingt der guten Sache durch ihre eigene Kraft – so weihe ich dich ihr.«

Mit diesen Worten brachte sie ihren Finger der Stirn des erstaunten Jünglings nahe, ohne sie zu berühren, machte über dieselbe das Zeichen des Kreuzes, beugte ihr Gesicht herab und schien den leeren Raum zu küssen, in welchem sie das Zeichen gemacht hatte. Dann fuhr sie empor, machte ihre Hand aus der seinigen los und stürzte in das Gemach der Königin.

Roland blieb in der Stellung, wie das begeisterte Mädchen ihn verlassen hatte, ruhend auf einem Knie, die Augen auf den Fleck geheftet, wo so eben die Feengestalt Katharinens gestanden hatte. Waren seine Gefühle auch nicht die ungemischter Wonne, so enthielten sie doch jene Vereinigung von Lust und Schmerz – die überwältigendste Empfindung, welche das Leben in seinem Becher der Freuden und Leiden darbeut. Endlich stand er auf und entfernte sich langsam.

An diesem Abend hielt Meister Henderson eine beste Predigt wider die Irrthümer des Papstthums; aber ich möchte nicht dafür stehen, daß der junge Proselyt seiner Beweisführung mit Aufmerksamkeit folgte; und doch war ganz besonders für ihn der Gegenstand gewählt worden.


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