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Achtes Kapitel.

Verloschen ist der Kerzen Schein,
Moos wuchert auf dem Altarstein,
Kein Heiligenbild ist mehr im Schrein,
        Verstummt der Glocken Ton.
Verfallen steht der Säulengang,
Wo einst erscholl der Lobgesang;
Im Grabe ruht der Mönch schon lang,
Gott geb' ihm seinen Lohn.

Rediviva

Die sogenannte Zelle Sanct Cuthberts bezeichnete in dem Volksglauben einen der Ruheplätze, welche dieser verehrungswürdige Heilige seinen Mönchen anzugeben beliebt hatte, als seine, durch die Dänen von Lindisfern vertriebene Klostergemeinde zu einer peripatetischen Mönchsgesellschaft geworden war und mit dem Leichnam ihres Schutzpatrons auf den Schultern von Ort zu Ort durch Schottland und die Grenzgegenden von England wanderte, bis es ihm endlich gefiel, ihr die Mühe, ihn weiter zu tragen, zu ersparen und seinen endlichen Ruheplatz in den hochherrlichen Thürmen von Durham zu wählen. Der Geruch seiner Heiligkeit blieb hinter ihm an jedem Platz, wo er den Mönchen eine zeitweilige Ruhe von ihren Mühen verstattet, und Jedermann war stolz darauf, in seiner Nachbarschaft einen Fleck als Ort seiner Rast aufweisen zu können. Wenige Zellen waren berühmter, als diejenige, nach welcher Roland Graeme jetzt seinen Weg nahm. Sie lag nordwestlich von Kennaquhair und stand unter dieser Abtei. Die Umgegend besaß Manches, was bei der erfahrnen römischen Priesterschaft als Empfehlung bei der Wahl eines Platzes für Mönchswohnungen galt.

In der Nähe befand sich eine Quelle, welche einige Heilkräfte besaß, diese stand natürlich unter der Obhut des Heiligen und brachte dem Einsiedler in der Zelle einigen Vortheil, da Niemand billiger Weise eine ersprießliche Wirkung von dem Wasser erwarten durfte, der nicht seine milde Hand gegen den Kaplan des Heiligen aufthat. Einige Ruthen fruchtbares Land hatten die Anlagen eines Gärtchens verstattet. Hinter der Zelle erhob sich ein bewaldeter Hügel, der den Nord- und Ostwind abhielt. Die nach Südwest gerichtete Vorderseite hatte die Aussicht auf ein wildschönes Thal, durchströmt von einem Bach, der mit jedem Stein auf seinem Wege kämpfte.

Die Zelle selber war von mehr schmucklosem als rohem Ansehen: ein niedriges gothisches Gebäude mit zwei kleinen Gemächern, von denen das Eine dem Priester als Wohnung, das andere als Kapelle diente. Da Weltgeistliche nicht leicht wagten, so nahe an der Grenze zu wohnen, war der geistliche Beistand dieses Mönches in den katholischen Zeiten für die Umwohner von Werth gewesen, denn er konnte trauen, taufen und die übrigen Sacramente verabreichen. Seitdem indeß die protestantische Lehre hier Wurzel geschlagen, hatte er es gerathen gefunden, in großer Zurückgezogenheit zu leben und so viel als möglich Aufsehen zu vermeiden. Allein das Ansehen seiner Wohnung, als Roland am Abend vor derselben erschien, zeigte deutlich, daß seine Behutsamkeit am Ende doch fruchtlos gewesen war.

Der Jüngling wollte eben anklopfen, als er zu seinem Erstaunen bemerkte, daß die Thüre offen war, das heißt nicht, daß versäumt war sie einzuklinken, sondern daß sie aus der oberen Angel herausgerissen war und nur noch in der untern hing. Dies und daß er auf ein Anklopfen und Rufen keine Antwort erhielt, beunruhigte ihn, und er betrachtete erst genauer das Aeußere der Wohnung, ehe er eintrat.

Die Blumen, welche sorgfältig an den Wänden hinaufgezogen waren, schienen vor Kurzem heruntergerissen worden zu sein, und ihre Gewinde lagen auf der Erde. Das Gitterfenster war eingeschlagen. Der Garten, welchen der Mönch durch stete Arbeit in der schönsten Ordnung gehalten, war offenbar vor Kurzem erst durch Huf- und Fußtritte verwüstet. Das gothische Dachgewölbe über der heiligen Quelle war fast gänzlich zerstört und die Steine desselben in das Wasser geworfen, wie wenn die Quelle, einst Theilnehmerin an der Ehre des Heiligen, jetzt an seiner Unbeliebtheit, hätte verstopft werden sollen. Auch am Hause war ein Theil des Daches zusammengerissen, und an einer der Ecken des Gebäudes war ein Zerstörungsversuch mit Stangen und Hebeln gemacht worden, in Folge dessen einige große Ecksteine verschoben waren. Zu einer vollständigen Verwüstung schienen die Angreifer nicht Zeit und Geduld genug im Verhältniß zur Festigkeit des alten Mauerwerks gehabt zu haben.

Wenn nach Verlauf von Jahren die Natur die Spuren der Gewaltthätigkeit mit Schlingpflanzen und Wetterflecken verhüllt hat, dann gewinnen solche zerstörte Gebäude mitten in ihrem Verfall eine melancholische Schönheit. Wenn hingegen jene Spuren noch frisch sind, dann machen sie lediglich den widrigen Eindruck der Verwüstung. So war es, als Roland den an St. Cuthberts Zelle verübten Gräuel vor Augen hatte.

Nachdem sein erstes schmerzliches Erstaunen vorüber war, errieth er bald die Ursache der traurigen Erscheinung. Die Zerstörung papistischer Gebäude fand nicht auf ein Mal und gleichzeitig in Schottland statt, sondern zu verschiedenen Zeiten und je nach dem Geist, von welchen die reformierten Geistlichen beseelt waren. Einige dieser Geistlichen reizten ihre Zuhörer zu solchen Verwüstungen auf; andere, die Geschmack und Gefühl hatten, bemühten sich die alten Heiligthümer zu schützen, und wünschten nur, daß dieselben von den Gegenständen gereinigt würden, welche Götzendienst veranlaßt hatten. Von Zeit zu Zeit nahm der Pöbel in den Städten und Dörfern Schottlands, entweder aus eignem Abscheu vor dem päpstlichen Aberglauben oder aufgehetzt durch die eifrigen Prediger, das Werk der Zerstörung wieder vor und übte dieselbe an einzeln stehenden Kirchen, Kapellen oder Zellen, welche dem ersten Ausbruch ihrer Wuth gegen die römische Religion entgangen waren. An vielen Orten hatten die aus dem Reichthum und der Entartung der furchtbaren Hierarchie entspringenden Laster der katholischen Geistlichkeit nur zu sehr die Rache gerechtfertigt, welche sich an ihren Prachtgebäuden ausließ, wie folgende Stelle aus einem alten schottischen Geschichtsschreiber beweiset.

»Was trauert ihr?« sprach eine bejahrte Frau zu den ruhigen Bürgern, welche ihre Unzufriedenheit über die Verbrennung eines prächtigen Klosters durch den Pöbel an den Tag legten. »Was trauert Ihr um eine Zerstörung? Kenntet Ihr nur zur Hälfte die verruchte Gottlosigkeit, welche in diesem Hause geübt worden ist, dann würdet Ihr eher das Gericht Gottes preisen, welches selbst nicht die gefühllosen Wände, die einst solche Liederlichkeit geschirmt haben, länger christlichen Boden belasten lassen will.«

Wenn aber auch in manchen Fällen die Zerstörung der katholischen Gebäude nach der Anschauungsweise jener Frau eine Handlung der Gerechtigkeit, in anderen eine Handlung der Politik sein mochte, so ist doch nicht zu leugnen, daß die Lust, Denkmäler alter Frömmigkeit und Freigebigkeit zu zerstören, zumal in einem armen Land, wie Schottland, wo keine Aussicht auf Ersatz war, nutzlos, unheilvoll und abscheulich genannt werden muß.

Anspruchlose und ruhige Zurückgezogenheit hatte den Mönch zu St. Cuthbert bisher vor dem allgemeinen Verderben gerettet, aber endlich hatte es ihn doch erreicht. Begierig zu erfahren, ob ihm persönlich kein Leid widerfahren sei, trat Roland Graeme in die halbzerstörte Zelle ein.

Das Innere des Gebäudes befand sich in einem Zustande, welcher vollkommen die durch die äußeren Verletzungen erregten Erwartungen rechtfertigte. Die wenigen ärmlichen Geräthe der Hütte des Einsiedlers waren zerbrochen und lagen zerstreut auf dem Boden, wo, wie es schien, mit einem Theil der Bruchstücke ein Feuer angemacht worden war, um den Rest zu zerstören, namentlich das kunstlose alte Bild St. Cuthberts im Bischofsschmuck. Dies Bild lag auf dem Herd, wie einst Dagon, zerschmettert mit der Axt und von den Flammen versengt, jedoch nur theilweise zerstört. In dem kleinen Gemach, welches als Kapelle diente, war der Altar umgestürzt, und die vier großen Steine, aus welchen er bestanden, lagen zerstreut auf dem Boden. Das große steinerne Crucifix in der Nische hinter dem Altar, welches den Betenden gegenüber gestanden hatte, war niedergeworfen und durch sein eignes Gewicht in drei Stücke zersprungen. An jedem dieser Stücke sah man Spuren von Schmiedehämmern, doch hatte die Festigkeit des Steines eine gänzliche Zerstörung verhindert, so daß man trotz der Verstümmelung doch noch genug von der Bildhauerarbeit sah, um zu erkennen, was er ursprünglich vorgestellt hatte.

Roland Graeme, heimlich in der Lehre Roms erzogen, sah mit Abscheu die Entweihung des heiligsten Sinnbildes seiner Religion.

»Das Zeichen unserer Erlösung,« sprach er, »haben die Verbrecher zu entheiligen gewagt! Wollte Gott, meine schwache Kraft vermöchte es wieder aufzurichten, und meine demüthige Verehrung die Schändung des Heiligthums wieder gut zu machen!«

Er bückte sich, um seinen Wunsch zu verwirklichen, und hob mit einer Kraft, die er sich nie zugetraut hätte, das eine Ende des untersten Bruchstückes auf das breite Fußgestell. Ermuthigt durch diesen Erfolg faßte er das andere Ende, und es gelang ihm zu seinem Erstaunen, das Bruchstück in die Höhlung einzuheben, aus welcher es herausgeworfen war, und so dies Stück des Bildes wieder aufzurichten. In dem Augenblick, wo er dies Werk vollendet hatte, erklang hinter ihm in durchdringenden und wohlbekannten Tönen eine Stimme:

»Wohlgethan, du guter und getreuer Knecht! So wünschte ich das Kind meiner Liebe, die Hoffnung meiner alten Augen wiederzufinden!«

Roland drehte sich erstaunt um, und neben ihm stand die hohe, gebieterische Gestalt von Magdalene Graeme. Sie war in ein weites Gewand gehüllt, im Zuschnitt einem Büßergewand gleichend, aber von schwarzer Farbe und einem Pilgerrock so ähnlich, wie es in einem Lande sein durfte, wo der Verdacht des Katholicismus an manchen Orten gefahrbringend war. Roland warf sich ihr zu Füßen. Sie hob ihn auf und umarmte ihn, zwar liebreich aber doch mit einer Ernsthaftigkeit, welche an Strenge grenzte.

»Du hast,« sprach sie, »den Vogel in deinem Busen wohl bewahrt Ein Ausdruck des sterbenden Ritters Rudolf Percy, der 1464 bei Hedgelymoor fiel, um seine fleckenlose Treue gegen das Haus Lancaster auszudrücken.. Als Knabe, als Jüngling hast du fest am Glauben gehalten unter Ketzern, hast dein und mein Geheimniß bewahrt unter deinen Feinden. Ich habe geweint, als ich von dir schied, ich, die ich selten weine, habe Thränen vergossen, nicht sowohl, weil ich deinen Tod, als weil ich Gefahr für deine Seele befürchtete. Ich habe es nicht gewagt, dich zum Abschied zu sehen, – mein Schmerz, mein überströmender Schmerz würde mich diesen Ketzern verrathen haben. Aber du bist treu gewesen. Kniee nieder vor dem heiligen Zeichen, welches böse Menschen schmähen und lästern, kniee nieder und preise Heilige und Engel für die Gnade, welche sie dir erwiesen haben, indem sie dich vor dem Aussatz bewahrten, welcher dem Hause, worin du erzogen worden, anklebt!«

»Mutter – denn so muß ich Euch stets nennen,« entgegnete Roland, »wenn ich so zurückgekommen bin, wie Ihr wünschtet, dann habt Ihr es der Obsorge des frommen Vaters Ambrosius zu verdanken, dessen Unterweisung Eure frühe Lehren in mir befestigt und mich gelehrt hat, treu und schweigsam zu sein.«

»Gesegnet sei er dafür!« rief die Alte aus, »gesegnet in der Zelle und im Freien, auf der Kanzel und am Altar! Mögen die Heiligen Segen auf ihn herabträufeln! Sie sind gerecht und bedienen sich seiner frommen Sorgsamkeit, um den Uebeln entgegenzuwirken, welche ein verabscheuungswürdiger Bruder über die Kirche und über das Reich bringt. Aber er hat Nichts von deiner Herkunft erfahren?«

»Ich selber konnte ihm Nichts darüber sagen;«, antwortete Roland, »ich wußte nur dunkel aus dem, was Ihr mir gesagt hattet, daß Herr Halbert Glendinning im Besitze meines Erbes ist, und daß ich von so edlem Blute bin, wie es nur irgend in den Adern eines schottischen Freiherrn rollt. Solche Dinge lassen sich nicht vergessen. Aber nähere Auskunft muß ich jetzt von Euch erwarten.«

»Wenn die Zeit dazu gekommen ist, sollst du dieselbe nicht vergebens begehren. Aber, mein Sohn, die Leute sagen, du seist kühn und heftig, und solchen Gemüthern darf man nicht so leicht anvertrauen, was sie heftig erregen kann.«

»Sagt lieber, Mutter,« entgegnete Roland, »daß ich schläfrig und kalt bin. Welcher Geduld solltet Ihr den nicht fähig finden, der Jahre lang zuhören konnte, wie eine Religion zum Spott und Gelächter gemacht wurde, ohne dem Lästerer den Dolch ins Herz zu stoßen?«

»Beruhige dich, mein Kind,« erwiderte Magdalene Graeme. »Die Zeit, welche zuweilen Geduld erfordert, wird bald zum Augenblick der That reifen. Große Ereignisse sind im Werke, und du – du sollst deinen Antheil haben an der Förderung derselben. – Du hast den Dienst der Frau von Avenel verlassen?«

»Ich bin desselben entlassen, Mutter. Ich habe es darauf ankommen lassen, daß man mich fortschickte, wie den geringsten Knecht.«

»Um so besser, mein Kind,« sprach die Alte, »um desto abgehärteter wird dein Herz sein, das zu unternehmen, was geschehen muß.«

»Es darf aber nichts gegen die Frau von Avenel sein, wie Eure Blicke und Worte anzudeuten scheinen,« entgegnete der Jüngling. »Ich habe Ihr Brod gegessen, ich habe ihre Gunst genossen; ich will sie weder verletzen noch verrathen.«

»Davon später, mein Sohn,« sprach die Alte; »aber merke dir, es kommt dir nicht zu, Bedingungen zu machen bei Erfüllung deiner Pflicht und zu sagen: Das will ich thun und das nicht. – Nein, Roland! Gott und Menschen werden nicht länger die Verworfenheit dieses Geschlechtes dulden. Siehst du diese Bruchstücke? Weißt du, was sie vorstellen? – und kannst du denken, daß es dir zukommt, Ausnahmen zu machen bei einer Art, die so von Gott verflucht ist, daß sie Alles verwirft, entweiht, lästert und zerstört, was uns geboten ist, zu glauben, was uns geboten ist, heilig zu halten?«

Während sie sprach, senkte sie das Haupt nach dem zerbrochenen Bild mit einem Ausdruck von Zorn und heiligem Eifer und zugleich mit dem schwärmerischer Frömmigkeit. Die linke Hand, wie zur Ablegung eines Gelübdes emporhebend, fuhr sie fort:

»Sei mein Zeuge, heiliges Bild unserer Erlösung, sei mein Zeuge, du heiliger im Himmel, in dessen entweihetem Tempel wir stehen, daß, so wie nicht zur Befriedigung meiner eignen Rache mein Haß dieß Volk verfolgt, ich auch nicht aus Gunst und irdischer Zuneigung gegen irgend Einen unter denselben die Hand vom Pfluge abziehen werde, wenn er durch die geweihte Furche gehen soll! Sei mein Zeuge, Heiliger im Himmel, selber einst flüchtig, wie wir jetzt, sei mein Zeuge, Gnadenmutter, Himmelskönigin, seid meine Zeugen, Engel und Heilige!«

Ihre Augen waren bei dieser feierlichen Rede nach dem zerbrochenen Deckengewölbe emporgerichtet und zu den Sternen, welche jetzt im Zwielicht zu flimmern begannen, und ihre langen, grauen, auf die Schultern herabfallenden Haarflechten wurden vom Nachtwind bewegt, der durch die Lücken im Mauerwerk und durch das zerbrochene Fenster eindrang.

Roland Graeme war durch frühe Gewohnheit und durch den geheimnißvollen Laut ihrer Worte von zu tiefer Scheu erfüllt, als daß er etwas Näheres über das von ihr angedeutete Vorhaben hätte erfragen sollen. Auch sie drängte ihn nicht weiter auf diesen Gegenstand hin. Nachdem sie ihr Gebet oder ihren Aufruf beendigt, faltete sie feierlich die Hände, schlug das Kreuz und redete dann ihren Enkel mehr im Ton des gemeinen Lebens an.

»Du mußt weg von hier,« sprach sie; »aber nicht vor Morgen. – Wie willst du es mit deinem Nachtlager halten? Du bist verweichlicht worden, seit der Zeit, wo wir Reisegefährten waren auf den nebligen Bergen von Cumberland und Liddesdale.«

»Zum Wenigsten, gute Mutter, habe ich die damals geübten Gewohnheiten nicht verlernt. Ich kann hart liegen und mit schmaler Kost vorlieb nehmen, ohne daß es mir wehe thut. Nach der Zeit, wo ich mit Euch über die Berge wanderte, bin ich Jäger, Fischer und Vogelsteller gewesen, und solche Leute pflegen unter schlechterem Obdach zu schlafen, als der Frevel uns hier gelassen hat.«

»Als der Frevel uns hier gelassen hat!« wiederholte die Alte und schwieg dann einen Augenblick. – »Sehr wahr, mein Sohn! Gottes gehorsame Kinder sind jetzt am übelsten auf gehoben, wenn sie in Gottes eignem Hause und im Besitzthum seiner Heiligen weilen. Wir werden hier kalt schlafen im Nachtwind, der durch die von der Ketzerei gebrochenen Lücken bläst. Die, so sie gemacht haben, werden wärmer liegen jetzt – und auch in der Ewigkeit!«

Dies Weib mit seinen sonderbaren, unheimlichen Reden schien für Roland Graeme noch ganz die sorgliche Liebe bewahrt zu haben, welche Personen ihres Geschlechts gegen ihre Pfleglinge hegen. Sie wollte ihn Nichts thun lassen, was ihre Sorgfalt vor langen Jahren für ihn gethan hatte, und es war, als betrachte sie den aufgeschossenen Jungen als eben so sehr ihrer Obhut bedürftig, wie das Waisenkind, welches ihrer mütterlichen Aufmerksamkeit Alles verdankt hatte.

»Was hast du jetzt zu essen?« fragte sie, nachdem sie aus der Kapelle in die verlassene Wohnung des Priesters hinübergegangen waren. »Vermagst du ein Feuer anzuzünden, um dich gegen die rauhe Nachtluft zu schützen? Armes Kind! Du hast dich schlecht vorgesehen für eine lange Reise, und du bist nicht geübt, dir durch Erfindsamkeit zu helfen, wo die Mittel spärlich sind. Aber unsere liebe Frau hat dir eine Person an die Seite gestellt, die mit dem Mangel in allen seinen Gestalten so vertraut ist, wie sie es früher mit Ueberfluß und Glanz gewesen war. Und mit dem Mangel, Roland, kommen die Künste, zu deren Erfindung er treibt.«

Mit einer Emsigkeit, welche sonderbar gegen den erhabenen Ton ihrer früheren Reden abstach, begab sie sich an die häuslichen Geschäfte. Aus einer, unter ihrem Gewand verborgenen Tasche holte sie Stahl und Stein hervor, und bald loderte auf dem Herde der öden Zelle ein lustiges Feuer aus den Splittern, welche die Verwüstung hier verstreut hatte, jedoch mit sorgfältiger Ausnahme derer, die von dem Bild des heiligen Cuthbert abgefallen waren.

»Also jetzt die nöthige Speise herbei!« sprach die Alte.

»Denkt daran nicht, Mutter,« versetzte Roland, »vorausgesetzt, daß Ihr nicht selber Hunger habt. Für mich ist es eine Kleinigkeit, einen Abend zu fasten, und zugleich wäre es eine kleine Buße für meine nothgedrungene Uebertretung der Vorschriften der heiligen Kirche während meines Aufenthaltes im Schloß.«

»Ich sollte Hunger haben?« entgegnete die Alte. »Merke, Jüngling, eine Mutter weiß von keinem Hunger, bevor das Bedürfniß ihres Kindes befriedigt ist.«

So aus der Härte und Erhabenheit ihres gewöhnlichen Tones in den zärtlicher Fürsorge übergehend, fuhr sie fort:

»Roland, du brauchst nicht zu fasten, du hast Dispensation, du bist jung, und die Jugend kann Speise und Schlaf nicht entbehren. Spare deine Kräfte, mein Kind. Deine Beherrscherin, deine Religion, dein Vaterland nehmen sie in Anspruch. Ueberlaß es dem Alter, durch Fasten und Wachen einen Leib auszumergeln, welcher nur noch zum Leiden taugt. Laß die Jugend in diesen Zeiten der That die Glieder und die Kräfte nähren, welche zur That erforderlich sind.«

Während dieser Worte holte sie aus der oben erwähnten Tasche Speisevorräthe, von welchen sie selber fast Nichts genoß, während sie sorgsam ihren Pflegling beobachtete und mit dem Behagen eines Schlemmers zusah, wie trefflich er sich jeden Bissen schmecken ließ, da lange Entbehrung seine Eßlust ungewöhnlich gereizt hatte. Roland, welcher so ihrer Einladung Folge leistete, drang in sie, auch ihrerseits an dem Mahle Theil zu nehmen. Auf seine erste Aufforderung antwortete sie mit Kopfschütteln, bei Wiederholung derselben nahm sie ihren erhabenen Ton wieder an.

»Jüngling,« sprach sie, »du weißt nicht, zu wem oder wovon du redest. Diejenigen, denen der Himmel seine Absichten offenbart, müssen sich dieser Mittheilung würdig machen durch Abtödtung der Sinnlichkeit. Sie haben in sich Ersatz für die irdische Nahrung, deren die außer dem Kreise des Schauens Stehenden bedürfen. Für sie ist Wachen unter Gebet ein erfrischender Schlummer, und das Bewußtsein, Gottes Willen zu thun, ist für sie ein köstlicheres Mahl, als die Tafeln von Königen ihnen bieten können! – Aber schlaf' du sanft, mein Sohn,« fuhr sie fort, aus dem Tone der Ueberspannung wieder in den mütterlicher Zärtlichkeit übergehend; »schlaf' du sanft, während du noch jung bist, und während die Sorgen des Tages in dem Schlummer des Abends noch ertödtet werden können. Dein Beruf ist von dem meinigen verschieden, und so sind es auch die Mittel, durch die wir uns zur Erfüllung desselben befähigen und stärken müssen. Von dir wird Leibesstärke verlangt, von mir Stärke der Seele.«

Diesen Worten gemäß bereitete sie mit Geschick eine Lagerstätte aus dem trockenen Laube, welches früherhin dem Einsiedler und seinen gelegentlichen Gästen als Bett gedient hatte, und welches in einem Winkel der Aufmerksamkeit der Zerstörer entgangen war. Sie verbesserte das Lager durch einige Kleidungsstücke, welche zerrissen auf dem Boden umher lagen. Sorgsam jedoch suchte sie alle diejenigen Lappen heraus, welche zur priesterlichen Kleidung gehört zu haben schienen, und legte sie, als zu heilig für gemeinen Gebrauch, bei Seite. Das Bett, welches sie mit geübter Hand aus den übrigen bereitete, war so, daß es jedem müden Manne behagen mußte, dabei litt sie nicht, daß Roland ihr zur Hand ging, ja sie wies ein Anerbieten dazu mit Unwillen zurück und eben so seine Aufforderung, daß sie die Ruhestätte für sich selber benützen möchte.

»Schlaf' du, Roland Graeme,« sprach sie, »schlaf' du, verfolgtes, enterbtes Waisenkind, Sohn einer unglücklichen Mutter! Schlaf' du. Ich gehe in die Kapelle, um neben dir zu beten.«

Ihre Redeweise war zu schwärmerisch, zu entschieden, als daß der Jüngling fernere Einsprache hätte versuchen sollen. Indem Roland sich ihrem Willen fügte, empfand er jedoch eine gewisse Scham darüber. Es war, als hätte sie die Jahre vergessen, die seit ihrer Trennung verflossen waren, und als erwartete sie von dem hochgewachsenen, verzogenen und eigenwilligen Jüngling den leidenden Gehorsam des Kindes, welches sie in der Burg Avenel gelassen hatte. Dies konnte seine verletzende Wirkung auf den angebornen Stolz ihres Enkels nicht verfehlen. Er gehorchte allerdings, denn bei ihrem plötzlichen Wiedererscheinen war das kindliche Gefühl der Unterwürfigkeit zugleich mit dem der Dankbarkeit und Anhänglichkeit wieder aufgetaucht. Allein dem ungeachtet fühlte er das Joch.

»Hab' ich,« fragte er sich, »Hund und Falken aufgegeben, um unbedingt auf ihr Wort zu hören, als wär' ich noch ein Kind? Ich, von dem selbst seine neidischen Genossen eingestanden, daß er sie in allen Fertigkeiten übertraf, bei deren Erlernung sie sich die größte Mühe gaben, und die bei mir von selbst kamen, als wären sie angeboren? – Das kann und darf nicht sein. Ich will kein zahmer Sperber sein, den ein Weib auf der Faust trägt, und dem man nicht eher die Kappe abnimmt, als bis er auf seine Beute stürzen soll. – Erst will ich ihr Vorhaben kennen, ehe ich mich darauf einlasse.«

Solche Gedanken gingen dem jungen Roland durch die Seele, nachdem er sich niedergelegt hatte, und obwohl er ermüdet war von einer Wanderung, dauerte es doch lange, bis er einschlief.

 

Anmerkung zum Kapitel:

Die Schilderung der Zelle beruht lediglich auf Dichtung. Sanct Cuthbert, ein gepriesener Heiliger, hatte ohne Zweifel im Grenzland, wo er bei seinen Lebzeiten geblüht, verschiedene Orte, wo er verehrt wurde. Indeß ist die Kapelle von Tillmouth die einzige, welche der im Text beschriebenen Einsiedelei einigermaßen gleicht. Diese Kapelle hat eine Quelle, welcher die Kraft zugeschrieben wird, dem, welcher mit gehörigem Glauben an ihre Wirksamkeit davon trinkt, drei Wünsche zu gewähren. Der Heilige soll hier gelandet sein in seinem steinernen Sarg, in welchem er von Melrose aus dem Tweed herunter gefahren war, und zum Zeugniß dessen hat der steinerne Sarg lange dort gelegen. Der verstorbene Sir Franz Blake Delaval soll den Sarg genau gemessen und gefunden haben, daß derselbe nach hydrostatischen Grundsätzen allerdings habe schwimmen können. Ein Pächter in der Nachbarschaft, dem der Sinn für Heiligthümer abging, erklärte seine Absicht, das letzte Bett des Heiligen in einen Trog für seine Schweine zu verwandeln. Allein die Entweihung ward unmöglich gemacht entweder durch den Heiligen oder durch einen seiner frommen Verehrer, denn am folgenden Morgen fand man den Sarg in zwei Stücke zerbrochen.

Die in den angegebenen Stücken der beschriebenen Einsiedelei ähnliche Kapelle von Tilmouth liegt übrigens gegen Melrose gerade in der entgegengesetzten Richtung im Vergleich mit der Lage, welche oben der Cuthbertszelle zugeschrieben ist.


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