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Schluß

Einige Jahre später.

Brief von Frau Friedemann an Miezel Moosbrugger in München.

 

Geliebtes Miezelkind!

Nun ist es wieder etwas ruhiger und stiller bei uns geworden. Und nun soll's mein Erstes sein, Dir einen ausführlichen Bericht zu schicken. Wie sehr hast du uns gefehlt beim ersten Auftreten von unserem Lenerl! Wie gut aber haben wir alle verstanden, daß es Dir schwer geworden wäre, im Theater zu sein, von dem du einst so traurigen Herzens geschieden! Wenn Du die damalige Enttäuschung inzwischen auch überwunden hast und Dich zu unserer Freude glücklich in Deinem jetzigen Beruf fühlst, so hätte es Dir doch gerade bei diesem Anlaß wieder etwas betrübt ums Herz werden können, und das ist unnötig. Habe ich mich doch so sehr über Fräulein Munks letzten Brief gefreut, die mir sagte, wie sie und ihre Schwester gerade das in Dir gefunden hätten, was sie gesucht!

Nun aber zu dem Abend.

Du weißt ja selbst, wie wacker unser Lenerl, nachdem sie die letzte Schulprüfung so glänzend bestanden, ihre Studien bei Fräulein Bland sofort aufnahm, obgleich diese ihr noch einmal recht gründlich alle Schatten- und Lichtseiten des Berufes einer Schauspielerin vorgehalten.

»Nur wenn du mir eine ganz ernste, ganz echte und rechte Darstellerin des Schönen und Edlen wirst, unterrichte ich dich«, sagte sie ja immer wieder. Und echt und recht, gediegen und ernst ist unser Lenerl geworden und geblieben, auch in den Probejahren, wo sie in kleinen Städten auf kleinen Bühnen ihre ersten Versuche machte, das weißt Du ja. Und nun die Freude, als der Herr Intendant sie zu einem Probespiel hierher berief und sie in der Jungfrau von Orleans auftreten durfte. So habe ich wenigstens wieder zwei meiner lieben Kinder bei mir gehabt, wobei das dritte uns eben freilich stündlich fehlte. Aber nun laß Dir noch einmal innigst danken, daß Du Deiner alten Großmutter in solch rührender Weise gedacht hast. Das Lenerl freute sich wie ein Kind, als ich ihr den schönen schwarzen Seidenstoff zeigte, den Du bei Herrn Bland für mich bestellt hast mit der Weisung, »zu einem Kleid bei dem ersten Auftreten von Lenerl«. Ich hab's ja zuerst gar nicht annehmen wollen, und es ist mir jetzt noch arg, daß Du Dich so sehr in Unkosten für mich gestürzt hast. Aber Frau Enderle ist gleich den andern Tag gekommen, mir das Maß zu nehmen, und sie und die Marietta haben ein solch prachtvolles Staatskleid daraus gemacht, daß es mir eine wahre Verlegenheit war, so in dem Theater zu sitzen und noch dazu vorne dran, auf einem jener rotsamtenen Parkettsitze, der mir an dem Tage von der Intendanz zugewiesen wurde, und auf dem ich mir wie verzaubert vorgekommen wäre, wenn nicht die Jule neben mir und Frau Enderle mit Marietta und Erich Bland hinter mir gesessen hätten. Daß die beiden kurz vorher ein Brautpaar geworden, das erhöhte noch unser Glück in diesen Tagen. Ganz merkwürdig war mir der Souffleurkasten vor mir, in dem heute eine andere saß, und unwillkürlich mußte ich immer horchen, ob sie's auch recht mache; aber nicht lange, denn dann hatte ich auf unser Lenerl aufzupassen. War das wunderbar und schön, als das Kind – mein liebes Kind – wieder dort droben auf der Bühne stand, nicht mehr Kinderrollen spielend, sondern erwachsen, eine vollendete Künstlerin! Wie sie da sagte: »Mein ist der Helm, und mir gehört er zu« und dann erst die Verse vortrug:

»Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Triften,
ihr traulich stillen Täler, lebet wohl!«

da war mir's so zumute wie Dir damals, als ich den Brief von Fräulein Munk vorlas – ich wußte nicht, sollte ich lachen oder weinen. Und ich glaube, mehr geweint habe ich als gelacht, wie der Vorhang nach dem ersten Aufzug fiel und da schon ein brausender Beifall ertönte. Aber es waren Tränen, die nicht weh sondern wohl taten. Als aber nach jedem Vorhangfallen unser Lenerl hervorgerufen wurde, drei-, viermal, und als am Schluß des letzten Aktes, wo sie so wunderschön sagte:

»Hinauf, hinauf, die Erde fliegt zurück,
kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude«,

der Jubel und das Hervorrufen kein Ende nehmen wollten und sie mir beim Hervorkommen immer so liebe Blicke zuwarf, da hab' ich in Gottes Namen laut schluchzen müssen. Recht peinlich war mir's, als ein paar Leute mich darum anschauten. Aber Fräulein Marietta sagte zu mir: »Das ist keine Schande, Frau Friedemann, so etwas erlebt man wahrhaftig nicht oft!«

Nun denk Dir, Miezel, was nachher noch geschehen ist! Als wir uns gerade zum Fortgehen anschickten, kam der Schwarzmann, der Theaterdiener, um mich hinter die Kulissen zu rufen. Und wer stand da neben unserem Lenerl und Fräulein Bland, die ja auch in dem Stück mitgewirkt hatte? Der Herr Intendant selbst, der mir die Hand reichte und sagte: »Frau Friedemann, ich beglückwünsche Sie zu den Erfolgen Ihrer Enkelin. Sie hat meine Erwartungen übertroffen, und es ist alle Hoffnung vorhanden, daß wir sie am hiesigen Theater festhalten können. Für heute aber bitte ich die Damen, einen kleinen Imbiß bei meiner Frau und mir einnehmen zu wollen. Wir müssen doch das erste Auftreten unserer jungen Künstlerin an unserem Theater feiern!«

Und nun stell dir vor, Miezel, ich, die alte, graue Motte aus dem Souffleurkasten, kurz darauf am prächtig gedeckten Tisch des Intendanten sitzend! – In meinem Leben hätte ich so was nicht für möglich gehalten! Und wenn Dein Schwarzseidenes nicht gewesen wäre, ich hätt's ja wahrhaftig nicht annehmen können ... Der Fritz ist mit Erich und Enderles heimgegangen, die auch an diesem Abend ein Festessen abhielten, wobei die Jule nicht fehlen durfte. Nun kommt diese gerade zur Stube herein und möchte so gerne auch noch ein paar Worte beifügen. Und ich gebe gerne die Feder her, denn ich bin noch ein wenig zittrig, und mein Herz ist ganz bewegt und voll Dank gegen Gott.

In inniger Liebe
Deine alte, treue Großmutter.

... Nun komm ich noch, die Jule, und will Dir nur sagen, daß so etwas, wie das Stück, in dem unser Lenerl heute spielte, mir sehr gefällt, und daß ich da durchaus nicht gegen das Theater sein kann. Unser Lenerl ist auch ein Prachtmädle, so ernst und bescheiden, und hat doch – Du hättest's nur sehen sollen – einen ganzen Haufen Sträuße und Kränze bekommen, so daß wir daheim gar nicht wußten, wohin damit. Dem Großvater hat sie von den schönsten herübergebracht, und die andern haben wir auf die Veranda gehängt, da hat die ganze Nachbarschaft was davon. Daß ich neben Deiner Großmutter sitzen durfte, hast Du schon gehört. Und zu nett war, wie im ganzen Theater herum Bekannte waren. Im ersten Rang saß die liebe Frau von Lützow und ihre Tochter. Die haben, wie zwei gute Freunde, dem Lenerl immer wieder zugenickt. Auch die zwei bösen Mädchen von damals aus der höheren Schule, die Lilli von Redern und die Esther Mayer, saßen dort; denen hat man am Anfang angesehen, daß sie gerne gelacht und gespottet hätten. Aber dann sind sie sehr ernst geworden, als des Lenerls Spiel immer schöner und eindringlicher wurde. Im zweiten Rang saß unsere Frau Lederer im allerschönsten Staat. Die hat ja auch nicht viel vom Theater gehalten und von den Leuten, die dabei beschäftigt sind, – grad' so wie ich. Aber vorhin, als ich sie geschwind traf, da sagte sie: »Ich sehe ein, man kann sich irren, und vor der Frau Friedemann hab' ich die größte Achtung, daß sie, trotz ihrer etwas merkwürdigen Beschäftigung, doch so was Tüchtiges wie das Lenerl und die beiden andern erzogen hat. Freilich hat ja Fräulein Bland von Anfang an dazu geholfen. Und daß die keine ›Theatermamsell‹ ist, wie man halt so sagt, das hab' ich gleich gemerkt – hätt' sie sonst auch gar nicht ins Haus genommen!« Frau Friedemanns Kranzfrauen, die Hugendubel und ein paar andere, die sind auch in meiner Nähe gesessen, und ich hab' ein paar Brocken von ihrer Unterhaltung aufgefaßt.

»Das hab' ich vorher nicht gewußt, daß man beim Theater und doch so brav sein kann!« sagte die eine. Und Frau Hugendubel meinte: »Die Friedemann hat's bewiesen! Es ist mir arg, daß wir's ihr am Anfang so schwer gemacht haben!«

Und nun, liebes, gutes Miezele, der Großvater läßt Dich herzlich grüßen. Er wird wohl immer schwächer, aber sein Geist ist noch ganz frisch. Und als das Lenerl und der Fritz gestern zu ihm herüberkamen, – er hat sich recht gesehnt, die beiden zu sehen, – da hat er ihre Hände genommen und ganz feierlich gesagt: »Bleibt gut und brav und haltet euch an unsern Herrgott, es führt immer ein jeder Weg, den wir Menschen gehen, zu ihm, und das ist die Hauptsache!«

»Großvater«, hat da der Fritz ihm in die Ohren geschrien, –denn leider ist das ob seiner zunehmenden Taubheit jetzt nötig geworden, – »Großvater, weißt du schon, daß mein Weg nicht in die Schreibstube, sondern zur Malerei führt? Der Vetter hat's erlaubt, und der Prentl-Alois nimmt mich! Mein Marterl für die Eltern hab' ich schon lange heimlich bei ihm verfertigt, und er hat mir gar nicht sehr viel dabei geholfen. Aber jetzt heißt's fest lernen! Und wenn ich dann was Rechtes kann, so komm ich hierher und mal die allerschönsten Kulissen, – dann bin ich auch wieder beim Theater! Die Miezel mit ihrer Tanzerei gehört doch auch noch so halb dazu, und wenn sie dann auf Besuch kommt, so hat die Großmutter wieder ihr ganzes Dreiblatt beisammen, und du, Jule, mußt aber bis dorthin einen ganzen Berg von Zuckerln für uns bereit halten!« Dabei nahm er mich wie in der Kinderzeit um den Hals und drückte mich so, daß ich laut aufschrie und der Großvater mahnen mußte »Bring' mir meine Jule nicht um, ich brauche sie!«

Und nun gute Nacht, meine Miezel! Daß Ihr in Eurer Anstalt so viel Bucklige und Verwachsene wie ich eine bin, wieder zurecht bringt, das ist mir eine besondere Freude und dünkt mir noch wichtiger, als ob eines schön sitzt und läuft. Aber ich will nicht mehr urteilen. Hab's ja in den letzten Jahren und durch Euch alle gründlich verlernt!

In Liebe und Treue
Deine alte Jule.


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