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Vierzehntes Kapitel

Von viel Falbeln und Rüschen, und wie die Miezel sich weigert, Gott zu danken. – Warum Fräulein Marietta sich ärgert und ihre Nähgehilfin ein Schaf nennt. – »Eine Freude, – ach, nur einmal eine Freude!« – Was Fritz alles mitbringt, und von einem Schreiben, das wie Sonnenschein ist. – »Abwarten, nur abwarten!«

Was waren das nun für schwere Tage, als die Miezel Bescheid wußte und sich nun eben darein finden mußte, daß wirklich alles aus sei. Jedes im Haus nahm den innigsten Anteil, alle trösteten und taten dem Mädchen zuliebe, was sie nur konnten. Fräulein Bland verwies auf Lenerl, die ja auch ihrem Lieblingswunsch hatte entsagen müssen, und die nun doch so wacker anderes lerne und vergnügt sei.

Aber die Miezel schüttelte mit dem Kopf und sagte: »Das ist etwas ganz anderes! Mein Lenerl arbeitet auf die Zukunft hin und hat alle Aussicht, daß ihr Hauptwunsch ihr einmal erfüllt wird. Aber bei mir – ihr sagt's ja alle – ist's aus und vorbei. Das Lernen in der Schule ist mir kein Trost, denn ich hab's nie mögen, und viel Gaben hab' ich nicht dazu. Das ärgste von allem ist mir aber doch noch das, daß ich auch nichts mehr verdienen und Großmutter kein Geld mehr bringen kann.«

Das war freilich nebenher auch noch sehr betrübend, trotz der Gehaltserhöhung, und die Großmutter mußte ernstlich darüber nachdenken, wie sie diesen Ausfall decken könnte.

Lenerl litt treulich mit der Schwester und teilte die Sorgen der Großmutter. Es kam ihr so unverdient vor, daß sie täglich das tun durfte, was ihr Höchstes war: lernen und sich vervollkommnen; und daneben hatte sie noch solch eine liebe, treue Freundin, um die sie von der ganzen Klasse beneidet wurde.

Aber auch für Olli war der Umgang mit Lenerl ein großer Gewinn, und das schätzte Frau von Lützow sehr. Olli, die keine Geschwister hatte, war viel geweckter und durch Lenerls Beispiel viel fleißiger geworden. Es tat dem verwöhnten Mädchen auch ganz gut, durch die Freundin in Verhältnisse hineinzusehen, wo nicht alles so glatt ging, und wo die Menschen sich um ihr tägliches Brot ernstlich mühen mußten. Frau von Lützow nahm auch redlichen Anteil am Mißerfolg der jugendlichen Tänzerin, und sie hatte zu viel Lebenserfahrung, um nicht zu wissen, daß, wenn einmal etwas so fest in einem Menschenherzen wurzelte, und wenn eben einmal eine sehr starke Begabung vorhanden war, sich solches nicht so leicht auf etwas anderes überleiten ließ. Die Hauptsache dünkte sie nun, daß des jungen Mädchens Gedanken durch Arbeit irgend welcher Art abgelenkt wurden, soweit es eben die Schule zuließ. Da kam ihr der Gedanke, ob nicht vielleicht Fräulein Marietta eine kleine, einfache Beschäftigung für Miezels Freistunden hätte. Am Nähen, nur nicht an zu pünktlichem, hatte Miezel Freude, das wußte sie. Und so besprach sie sich darüber mit der jungen Schneiderin. Diese lächelte und meinte: »Das wird wohl nicht so leicht sein für ein so jugendliches Flederwischle, wie die Miezel immer genannt wird, eine Beschäftigung zu finden, aber besinnen will ich mich redlich. – Halt!« sagte sie plötzlich, als fiele ihr etwas ein. »Will einmal heute zu Frau Friedemann gehen und mir die Sachlage dort ansehen, und auch mit Fräulein Bland darüber sprechen. Die Mode verlangt gegenwärtig so vielerlei Rüschen und kleine Falbeln. Vielleicht könnte das junge Dingle mit seinen feinen Fingern lernen, mir solche anzureihen und zu machen. Ich könnte die Arbeit dann stundenweise bezahlen, aber freilich, viel wird's nicht sein!«

Fräulein Marietta besprach sich bald mit Frau Friedemann und Fräulein Bland wegen der Beschäftigung von Miezel, und der Versuch wurde gemacht, aber er mißlang. Einmal stellte sich das Mädchen recht ungeschickt zu der Arbeit an, und dann war die Zeit zwischen Schule und Aufgaben auch schwer zu bestimmen. Was aber die Hauptsache war, die Miezel mochte nicht.

Da machte nun Marietta, der Fräulein Bland die tägliche Plagerei mit dem Mädchen klagte, kurzen Prozeß mit der Miezel: »Will dir was sagen! Um vier Uhr kommst du nach Hause und kannst schnell vespern. Dann eilst du so rasch als möglich in mein Geschäft. Weit ist's ja nicht – und ich werde dir ein Plätzchen in meiner Nähe anweisen, da arbeitest du viel bequemer als zu Hause. Wenn du fleißig bist, kannst du in zwei Stunden was Nettes zusammenrüschen, und dann hast du immer noch Zeit, deine Aufgaben zu machen. Nur fix, fix!« sagte sie lebhaft, als sie Miezels verdrossene Miene sah, der auch dieser Vorschlag, wie gegenwärtig alles, nicht behagen wollte. Aber gegenüber einem so entschiedenen Fräulein half kein weiteres Sträuben und kein Zögern. Und »Fix, fix!« hieß es bei allem in der nächsten Zeit.

In die Nähstube mochte Fräulein Marietta das Kind nicht gern setzen, sie nahm es deshalb unter ihre eigene Aufsicht in ihr Privatzimmer, und da gab's kein Herumsehen, kein Seufzen und kein Aussetzen, die Nadel mußte arbeiten, die Gedanken sich sammeln. Dazwischen aber fiel manches ermunternde Wort. Miezel sah viel Schönes, was ihr gefiel, und wenn sie nach ihren zwei Stunden Arbeit fünfzig Pfennig erhielt, so war das doch immerhin etwas, und die Großmutter zeigte sich sehr erfreut darüber. Trotzdem war und blieb die mißmutige Miezel ein Druck für die ganze Familie, und es war nicht abzusehen, wie und wann das anders werden sollte. Ganz traurig war oft besonders die Jule, wenn ihr sonst so froher, lustiger Herzensliebling nur gar so verdrossen und unlustig dasaß oder immer wieder von neuem bitterlich im Hinterhause jammerte und gar kein Zureden nützen wollte.

Da war es der Großvater, der oft recht strenge dreinfahren und sagen konnte: »Jetzt hör einmal auf mit deinem ewigen Geklage! Bist ein undankbares Mädle! Wenn dir auch unser Herrgott das Springen und Hopsen genommen hat, so kannst du doch noch in die Schule und in die Kirche und sogar über alle Berge gehen. Da lieg du einmal so viel Jahre wie ich auf einem Fleck, und sei alt und sonst gebrechlich dabei, und dann beklage dich! Aber auch da nicht einmal hat man das Recht dazu; denn so, wie's unser Herrgott macht, so muß es recht sein, und wir müssen ihm schließlich noch dafür danken.«

Aber so etwas mochte die Miezel schon gar nicht hören, und sie, die den Großvater sonst recht liebhatte, konnte sehr unwirsch sein und in ungutem Ton antworten:

»Ich noch danken? – Nein, das ist zuviel verlangt! Das kann ich ganz gewiß nicht.«

Die Großmutter arbeitete und mühte sich des Morgens, Mittags und bis in die Nacht hinein. Es blieb ihr oft kaum die nötige Zeit zu den Mahlzeiten. Das Lenerl machte eine Klasse nach der andern mit Fleiß und Erfolg durch. Wollte sie aber Fräulein Bland, die nach wie vor die treue Freundin und Hausgenossin war, bestürmen, ihr nun endlich zu sagen, ob sie nach Abschluß der Schulzeit an die Erfüllung ihrer Wünsche denken dürfe, so wies sie diese immer noch kurz ab und sagte: »Warten und erst reif werden!«

Genau so hieß es auch bei Fritz, bei dem der Pflegevater streng darauf hielt, daß er vorerst einmal tüchtig lerne und sich dann erst zu einem Berufe entscheide. Der in Aussicht gestellte Besuch damals zur Weihnachtszeit hatte nicht ausgeführt werden können, weil Fritz die Masern bekam. Das nächste Jahr war der Vetter nicht wohl, und der Bub mußte der Nandlbas in Haus und Stall zur Seite stehen.

Ein kleiner Ersatz für die getäuschten Hoffnungen war der jedesmalige Besuch Erich Blands zur Winterszeit, und dieser, der nun so ganz zu den Bewohnern des Hauses am Marktplatz gehörte, konnte Fritz von allem und von allen berichten. Einmal sagte Fritz ärgerlich: »Die Miezel ist ein Schaf, weil sie sich's so zu Herzen nimmt, daß das Getanze ein Ende hat!«

Die Nandl, die dabei war, meinte: »Mich dauert nur die Großmutter mit dem Mädel, 's gibt doch sonst noch so viel Schönes in der Welt, bei dem sich's glücklich und lustig sein läßt. Aber gerade so sind meine Münchner Damen! Die kennen auch nichts Höheres als die Tanzerei. Und wie ich ihnen im Sommer vom Mißgeschick der Miezel erzählte, da haben sie sich vor Mitleid kaum mehr ausgekannt. Ein Glück, daß die nicht beisammen sind, – den Kopf täten's dem Mädel vollends verdrehen, dem lieben, dummen!«

Wenn Miezels Kummer für ihre Umgebung oft ein rechter Druck war und die meisten fanden, er sei recht unnötig und übertrieben, so sollte nun eine Zeit des wirklichen Kummers kommen, an dem alle Freunde der kleinen Familie treuen Anteil nahmen. Die Großmutter hatte sich wohl überanstrengt, denn sie fühlte sich oft sehr matt und müde. Beim Soufflieren tat ihr die Brust weh, und sie wurde nicht verstanden. Sie fühlte, daß es so nicht weiter gehe, und mußte um Urlaub bitten, der ihr gewährt wurde.

»Aber lange fehlen dürfen Sie nicht, Frau Friedemann. Machen Sie daher, daß Sie bald wieder frisch werden! Ein Ersatz für Sie ist schwer zu finden«, sagte der Regisseur.

Der letztere Satz tat der Großmutter ja wohl, aber das Gebot, schnell wieder gesund zu werden, bedrückte sie so schwer, daß sie vor Elendigkeit wirklich krank wurde und sich legen mußte. Das Lenerl steckte in dieser Zeit gerade tief in einer wichtigen Prüfung, und so fiel die ganze Last des Haushaltes und der Pflege auf Miezel. Wohl war sie seit einem halben Jahr nicht mehr in der Schule, aber dafür arbeitete sie vormittags und nachmittags drei Stunden bei Fräulein Marietta und war dort vom Rüschenmachen schon lange zum wirklichen Nähen vorgerückt, einer Arbeit, die sie tat, weil sie sie eben tun mußte, – eine wirkliche Freude empfand sie aber nicht dabei. Deswegen hatte sie Fräulein Marietta eines Abends einmal wieder tüchtig unter vier Augen vorgenommen. Die beiden saßen gerade ausnahmsweise wieder beisammen im Privatzimmer, um vereint die letzten Stiche au einem dringenden Kleide zu machen. Fräulein Marietta empfand stilles Mitleid mit dem Mädchen, denn es sah wirklich erbärmlich aus. Sie redete ihr in Güte und Freundschaft zu: »Weißt, Miezel, niemand versteht vielleicht so gut wie ich, was das heißt, wenn einem im Leben scheinbar alles quer geht. Hab' auch einmal eine Zeit gehabt, als meine Eltern mich verließen und ich in der Welt herumgestoßen wurde, wo ich glaubte, unser Herrgott habe mich verlassen. Nirgends habe ich mehr hinausgesehen, und dann ist's doch so gekommen, daß ich bei meiner Frau Enderle eine zweite Mutter fand, und daß mir's jetzt so gut geht, wie ich mir's nie hätte träumen lassen. Jetzt weiß ich, daß der liebe Gott alle Fäden in unserem Leben in seiner Hand hält. Und glaub mir, Miezel, die deinigen sind auch nicht zerrissen, sondern er bindet sie da wieder an, wo er's für gut findet, und wo's für dich am besten ist.«

»'s sieht nicht danach aus, Fräulein Marietta«, schluchzte Miezel, der über diesen guten Reden die Tränen gekommen waren. »Die Großmutter krank und meine liebste Hoffnung zerstört! – O, wenn doch nur auch einmal wieder so eine rechte, große Freude käme, aber die gibt's eben für mich nicht mehr!«

»Jetzt sag' ich aber auch wie dein Bruder: Bist ein Schaf!« schalt Fräulein Marietta. »So jung und schon den Kopf hängen lassen! Und dabei vertropfst du mir auch noch den schönen Seidenstoff! Gleich nimmst du ein Tuch und wischst es wieder weg! Und dann freu' dich, daß es deiner Großmutter seit ein paar Tagen wieder besser geht. Gib acht, wenn erst das Frühjahr kommt, so wird sie euch wieder ganz gesund, – es hat ihr ja eigentlich nichts als Ruhe und Pflege gefehlt. Und noch was – das nimm mit heim, Miezel! – der Großmutter fehlt auch Freude. Glaube mir, je mehr du dich dazu zwingst, wieder ein freundliches Gesicht zu machen, desto eher wird die Großmutter wieder ganz gesund werden.«

Miezel drückte der treuen Ratgeberin die Hand, und nachher beim Fortgehen sagte sie: »Ich will's versuchen, aber leicht ist's nicht.«

Kurz danach, als Frau Enderle so, wie sie es alle Tage zur Feierabendstunde tat, zu der Pflegetochter heraufkam, da fand sie diese mit dem Auftrennen einer ganzen Reihe von Miezels Nähten beschäftigt.

»Es ist ein Elend mit dem Mädchen«, sagte sie verstimmt. »Das Wollen wäre ja jetzt schon da, aber sie ist wirklich ungeschickt im Nähen wie auch im Haushalt. Ich begreife Frau Friedemann, daß ihr die Zukunft des Mädels schwer auf dem Herzen liegt.«

»Wie leicht habe ich's da einstens mit dir gehabt, Mariettele, die von klein auf so gut wußte, was sie werden wollte!« sagte Frau Enderle mit einem liebreichen Blick auf die Pflegetochter.

»Ja, aber nicht zu vergessen, daß du mir die Wege ebnetest, und daß sich der Ausführung dessen, was ich gerne tat, kein Hindernis entgegenstellte wie bei der armen Miezel!«

Recht viel Mühe gab sich diese in der kommenden Zeit, freundlicher auszusehen und zu sein, wie Marietta ihr geraten. Es gelang ihr auch schon deshalb, weil der Fuß entschieden kräftiger wurde, so daß noch einmal die Hoffnung in ihr aufkeimte, sie könne ihren früheren Beruf wieder aufnehmen. Zaghaften Herzens machte sie Fräulein Balbi einen Besuch und wagte schüchtern diese Frage. Aber es war nichts und blieb nichts. Das Fräulein und auch Herr Bruckmann, der dazu kam, setzten Miezel auseinander, daß sie nun nach der langen Unterbrechung wieder von vorne anfangen müßte, und dazu sei sie jetzt zu alt.

Also wieder nichts und für immer nichts. Nun mußte das arme, endgültig enttäuschte Ding wirklich ernsthaft an die Frage eines Lebensberufes gehen. »Was nun?«

Ganz dumm und müde vor lauter Denken darüber, flüchtete sich das junge Mädchen eines Abends wieder ins Hinterhaus. »Ach, Großvater, wenn ich nur schon so alt wäre wie du, dann hätte alles bald ein Ende, und ich brauchte mir nicht erst den Kopf zu zerbrechen, wie ich das Leben herumbringen soll!«

So etwas aber war dem Großvater, der noch immer lag und litt und geduldig das Leben ertrug gerade so, wie es unser Herrgott ihm eingerichtet hatte, ein Greuel. Und wieder zankte er das junge Mädchen tüchtig. Er ärgerte sich nun nachgerade über sie, und Jule, die eben in die Küche ging, um das Nachtessen zu richten, winkte Miezel, ihr zu folgen. Und während sie Feuer anzündete und die Milch zusetzte, sagte sie: »Ich verstehe dich ja schon, Miezele, und möchte dir gern helfen, obgleich ich deine Liebhaberei für das Getanze nie habe verstehen können. Aber jetzt muß einmal Ernst gemacht werden. Wenn der Großvater schläft, komme ich noch zu euch hinüber. Und dann wird endlich ernst darüber gesprochen und nachgedacht, was du tun und werden kannst. Wer weiß, vielleicht hat unser Herrgott dir doch noch etwas vorbehalten, was dich freut, vorausgesetzt, daß du ihm auch etwas Gutes zutraust und nicht fortwährend brummst über das, was er für gut findet.«

Das Ergebnis der abendlichen Unterredung war, trotz allem Besinnen, doch wieder kein anderes, als daß Miezel eben vorderhand weiter nähen solle, um dann vielleicht später einmal eine Stelle als Jungfer oder dergleichen anzutreten. Das war immerhin einmal etwas anderes, und mit diesem schwachen Ausblick auf eine Abwechslung gab sich das junge Mädchen nun wirklich Mühe, nicht mehr so trübselig in die Welt zu schauen.

»Eine Freude – ach, einmal nur wieder eine rechte Freude!« – Dieser Wunsch regte sich wohl dann und wann in dem Herzen sowohl der Enkelin wie auch der Großmutter, denn auch Lenerls Leben war ein gänzlich der Pflicht und Arbeit geweihtes: Lernen und Pflichterfüllung oft bis spät in die Nacht hinein und recht wenig Vergnügen und Zerstreuung.

Da war's nun eine unsagbare Freude, als eine Karte von Fritz kam, nur mit den wenigen Worten: Hurra, ich habe das Einjährige, und zwar nicht schlecht bestanden! Darf zur Belohnung über Ostern zu Euch kommen und freue mich unbändig! Übermorgen früh schnüre ich mein Bündel; die Nandlbas macht noch frische Butter und bäckt Küchle für Euch. Zum Abendbrot bin ich daheim. Und paßt nur auf, allen bring' ich etwas mit! Nochmals Hurra und juchhu!

Euer alter, treuer, glücklicher Fritz.

... Übermorgen war da und der Fritz desgleichen. Und mit ihm kam eine ganze Fülle von Frische und Freude und Sonnenschein in Großmutters Wohnung. Schon das gute, treuherzige, lustige Gesicht war eine Erquickung, und dann das wirklich befriedigende Zeugnis, und dann der ganze Rucksack voll herrlicher Sachen: der Riesenbutterballen, die Platte voll köstlicher Schmalzküchlein. Und dann, was das rührendste war, Fritzens Geschenke. Der Bub hatte nebenher beim Prentl-Alois in den Freistunden geholfen, – nicht gezeichnet und gemalt, das wollte der Vetter für ein paar Jahre nicht haben, und auch Prentl-Alois war nicht dafür, – aber er half eifrig Gartenzäune und Gartenmöbel anstreichen für die kommende Fremdenzeit. Und damit hatte er so viel verdient, daß er für die Großmutter einen schwarz und weiß getüpfelten Stoff zu einem Sommerkleid und den beiden Mädchen nette, weißgestickte Schürzen hatte kaufen können.

Für Fräulein Bland und Erich brachte er reizende Falzbeine, die er in den Winterabenden ganz nach eigener Erfindung geschnitzt hatte, und für die Jule und den Großvater hatte die Nandl ein großes Stück »G'selchtes« auch noch zum Mitbringen beigepackt.

War das ein Freuen und ein Jubeln, ein Fragen und ein Erzählen, als nach dem Nachtessen auch die Freunde von drüben und vom Hinterhaus dazugekommen waren! Aber das Wunderbarste sollte erst kommen. Es war schon ziemlich spät, als Fritz plötzlich einfiel, daß die Nandl ihm ja auch noch einen Brief mitgegeben hatte, einen Brief von den Sommerfrische-Damen, der über die Bas an die Großmutter kam, weil die Damen keine Adresse gewußt hatten. Erstaunt nahm diese das Schreiben in Empfang. Was mochte wohl die Damen veranlassen, ihr zu schreiben? Seit dem damaligen gemeinsamen Sommeraufenthalt hatten sie sich ab und zu bei der Bas nach Frau Friedemann erkundigt, wobei die beiden immer großes Interesse für die Kinder bezeigten, besonders für Miezel. Und nun, was stand da drin? Was war's, das die Großmutter zuerst ganz blaß und dann ganz rot werden ließ, und das sie schließlich mit erregter Stimme allen Versammelten vorlas? Der Inhalt des Briefes lautete:

München, den 2. April ...

Verehrte Frau Friedemann!

Sie werden erstaunt sein, einen Brief von uns zu bekommen, und wir möchten uns vor allem andern nach Ihrer aller Befinden erkundigen. Wir hoffen, daß es Ihnen und Ihren Enkeln gut geht. Dann aber möchten wir gleich mit unserem Anliegen herausrücken. Wie Sie ja wohl schon durch Frau Nandl erfuhren, haben wir seit einem Jahre eine Schule für Körperkultur errichtet. Wir wollen damit bezwecken, daß durch Übungen des Körpers, wobei auch Atemübungen sind, schwerfällige und schwächliche Kinder wieder Leichtigkeit und Kraft bekommen. Ferner sind wir der Ansicht, daß Musik, vereint mit Tanz und rhythmischen Bewegungen, auch veredelnd auf die Seele wirkt, und daß besonders jungen Mädchen es wohl ansteht, wenn sie ein bißchen mehr in ihren Bewegungen auf das achten, was schön und gefällig ist, daß sie vor allem ordentlich gehen lernen, so daß man nicht bei jedem Schritt die ganze Fußsohle sieht; daß sie sich ordentlich setzen und aufstehen lernen, ohne Hinzuplumpsen und wieder wie ein Pfeil in die Höhe zu schnellen; daß sie geschmeidig und weich laufen und springen, statt mit den Armen zu fuchteln und mit den Füßen auszuschlagen. Dies zu erreichen, sind die Bestrebungen unserer Schule, und durch allmähliche Übungen sollen die Kinder auch so weit gebracht werden, daß sie nach Musik und nach ihrem eigenen Empfinden hübsche Reigen und weiche Bewegungen ausführen lernen.

Zu unserer Freude finden wir großen Beifall bei den Müttern und sind im Begriff, die ganze Veranstaltung zu vergrößern. Zu diesem Zweck brauchen wir aber eine Hilfe, ein junges Mädchen, das ein feines Empfinden für alles das hat und selber so gewandt ist, daß es den Schülern die Übungen vormachen kann. Da dachten wir nun an Ihre Enkelin, an deren Unfall wir ja damals so großen Anteil nahmen, und von der wir durch Frau Nandl hörten, daß sie jetzt wieder beinahe hergestellt sei.

Überlegen Sie sich, verehrte Frau Friedemann, diese Sache! Fräulein Miezel müßte freilich noch etwa ein halbes Jahr selber bei uns lernen, ehe sie Lehrerin werden könnte. Aber dann wäre die Sache wohl in unserem wie in ihrem Interesse, und die Stellung konnte eine sichere, bleibende sein. Wir könnten, je nach Leistung, ein gutes Gehalt versprechen. Und so, wie wir das temperamentvolle junge Mädel damals kennen gelernt haben, würde sie sich gewiß glücklich und befriedigt in diesem Berufe fühlen.

Einer recht baldigen und hoffentlich zusagenden Antwort entgegensehend, grüßen Sie herzlich

Berta und Edwina Munk.

Einen Augenblick herrschte Stille, als die Großmutter den Brief vorgelesen hatte. Aber dann kam ein solches Schluchzen und solches Weinen von seiten Miezels, daß alle Anwesenden gar nicht wußten, was sie daraus machen sollten, und Jule besorgt ihren Arm um das junge Mädchen legte und sagte: »Jetzt hab' ich mich alleweil beim Hören mehr und mehr gefreut, daß so etwas Wunderbares passiert, und du heulst!«

Da wischte sich die Miezel endlich die Augen, und mit einem ebenso unerwarteten Jubelschrei, wie vorher das Weinen war, rief sie: »Ich heul' ja nur vor lauter Glück und Freude, Jule, und weil ich gar nicht gedacht habe, daß noch einmal so etwas Schönes für mich kommen könnte.«

Da gab's kein Besinnen und Überlegen mehr. Durch diesen Brief war wirklich in Großmutters Stube und Leben einmal wieder eine helle Sonne, eine wahre Erlösung hereingekommen. Noch an demselben Abend drückte sie dies den Damen in einem Briefe aus, und daß sie mit der Miezel voll Dank und Freude den Vorschlag annehme.

Der Großvater aber, dem Miezel noch in später Nacht die wunderbare Wendung erzählte, sagte: »Hab' ich's nicht gesagt? Hab' ich nicht recht? Abwarten und sich fügen!« Und dann murmelte er schlaftrunken, denn Miezel hatte ihn in ihrem Jubel aus dem ersten Schlaf geweckt: »Abwarten ... ja, nur abwarten, und dann wird alles im Leben recht!«


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