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Achtes Kapitel

Von Schokolade und von dem herrlichen Himmelsland. – Schulhefte mit gemalten Männlein. – »Ballettmädle! Ballettmädle!« – Warum Fräulein Marietta sich für das Lenerl interessiert und dieses todunglücklich ist. – Pause!

Drei Jahre sind nun vorübergegangen, und Frau Friedemann hat sich schlecht und recht mit ihren Enkeln durchgeschlagen. Bei keinem von ihnen war irgendwie zu bemerken, daß es einen Schaden genommen hätte durch den Beruf, dem sie so frühzeitig schon zugeführt worden waren. Das, was Fräulein Bland vorher schon gesagt hatte, war richtig wahr geblieben. Ob in dieser oder jener Lebensschule, Kinder und Erwachsene haben sich zu bewähren unter allerlei Arten Menschen. Wo das Herz auf dem rechten Fleck und ein redliches Wollen zum Guten vorhanden ist, da kann in allen Lagen der Sinn rein und das Gewissen gut bleiben. Dies war auch bei den drei Kindern wahr gewesen. Stolz und glücklich darüber, daß sie helfen durften Brot verdienen, wurde ihnen durch Fräulein Bland und Fräulein Balbi die Kunst als etwas sehr Hohes hingestellt. Und Schule und Alltagsleben wiederum sorgten dafür, daß sie auf dem richtigen praktischen Boden blieben. Ein stiller, ganz stiller Einfluß im Hintergrund mochte aber auch dazu beitragen, daß die Kinder vor manchem, was ihre Seelen hätte trüben können, bewahrt blieben.

Dieser Einfluß ging vom Hinterhäuschen aus, wo Jule und ihr Vater noch immer wohnten und in treuer Anhänglichkeit an die ihnen so lieben Kinder und an die Gefahren, denen sie ausgesetzt blieben, dachten. Sie waren beide zu wenig welterfahren, als daß sie sich ihre Bedenken hätten klarmachen und darüber reden können. »Drum wollen wir halt recht treulich für sie beten und sie unserem lieben Herrgott ans Herz legen; der wird's dann schon recht machen«, sagte der Großvater, und die Jule nickte dazu. Nach wie vor aber ging sie an den Abenden, wo die Kinder daheim und allein waren, zu ihnen hinüber. Und wenn sie auch nie predigte und selten von den inneren Dingen sprach, die ihr Herz erfüllten, so war's doch immer, als käme mit ihr in die Stube eine Friedensluft. Und wenn das eine oder das andere der Kinder etwas zu sehr erfüllt war von dem andern Leben dort, so wußte die Jule, während sie ihre Schokoladestückchen einwickelte, so schöne Beispiele zu erzählen von Männern, die Großes angestrebt, von frommen, edlen Frauen und von dem herrlichen Himmelsland jenseits der Sterne, in dem zu leben wir Menschen später berufen seien, daß alles Unruhvolle beruhigt und alles Oberflächliche gedämpft wurde. Daß dabei aber auch nie die kleine Tüte mit Abfallgutsle fehlte und dazwischenhinein irgend ein lustiges, selbsterfundenes Spiel gespielt wurde, das tat der Weihe der Friedensluft keinen Abbruch.

Lenerl war nun zwölf, Fritz elf und Miezel neun Jahre alt. Noch gingen sie in ihre alte Schule. Fritz gab sich immerhin Mühe beim Lernen, aber zu den Besten gehörte er nie. Sein ganzes Dichten und Trachten ging auf das Zeichnen und Malen hinaus, und gar manches schlechte Zeugnis hatte er sich schon dadurch zugezogen, daß jede leere Stelle in seinen Heften und Büchern vollgesudelt war mit Männlein, Weiblein, Tieren und Landschaften. Im Theater wurde er nicht mehr verwendet. Bocksteif hatte er dagestanden, wo er hätte Bewegungen machen sollen, und wo man Stillstehen verlangt hatte, da zappelte er mit allen Gliedern.

»Mit dem ist nichts anzufangen, Frau Friedemann, den lassen Sie lieber zu Hause!« hatte Herr Bruckmann gesagt. Fritz weinte zwar ein wenig darüber, weil er sich doch schämte, noch mehr aber, weil er allein von den Geschwistern am Schluß der Woche der Großmutter keinen Beitrag zum Haushaltgelde abliefern konnte. Im übrigen aber war er recht froh, nicht mehr »gedrillt« zu werden, und ganz besonders behaglich war ihm, daß er die einsamen Abende im Hinterhaus bei dem Großvater und Jule zubringen durfte. Freilich, die schönen Kulissenbilder, die durfte er nun nicht mehr ansehen, aber dafür entwarf er selber, wenn seine Aufgaben erledigt waren, die schönsten Gemälde, und er hatte dabei in dem alten Mann und Jule die aufrichtigsten Bewunderer.

Recht wenig Freude an diesen Kunstwerken bezeigte die Großmutter, die mit wirklicher Besorgnis im Enkel die Gaben des Großvaters wieder aufleuchten sah. Wußte sie doch nur zu gut, wie dornenreich und aussichtslos bei allen Anlagen die Laufbahn ihres Mannes gewesen war, und Fritz sollte und mußte doch so bald wie möglich verdienen. Recht wenig fleißig war neuerdings die Miezel in der Schule. Wenn sie wollte, konnte sie ganz gut lernen. Aber sie wollte eben nicht immer, denn sie war zerstreut und dachte an anderes. Über Zerstreutheit klagte aber auch Fräulein Balbi bei ihr, und wenn diese auch sonst sehr zufrieden mit des Kindes Leistungen war, so mußte sie doch manchmal schelten, wenn Miezel rechts und links verwechselte und den Reigen dadurch in Unordnung brachte, oder wenn sie träumerisch dastand und ein Kommando überhörte. Sowie aber dann die Musik begann, war all dies nicht mehr zu fürchten. Das junge Mädchen lebte und webte mit dem Takt, und alle ihre Bewegungen waren leicht und sicher und gingen in der Musik auf. Das machte den Zuschauenden viel Freude, und die »Miezel Moosbrugger« war, wenn sie in einem Stück auftrat und tanzte, der erklärte Liebling der Leute geworden. Alles klatschte und spendete Beifall, und die Kleine hatte schon manchmal sogar Blumen und Zuckertüten erhalten von solchen, die sich an den hübschen, anmutigen Bewegungen des Kindes ergötzten. Da kam es nun vor, daß die Miezel mit einem recht stolzen Gesichtchen in die nächste Probestunde kam. Aber Fräulein Balbi wußte sie stets zu dämpfen: »Bilde dir nur nicht ein, daß du etwas Besonderes bist, und daß du schon etwas Besonderes kannst! Das kommt nur den Leuten so vor, die nicht wissen, wie weit zurück du noch in der eigentlichen Kunst bist, und die das bißchen zierliche Hüpfen überschätzen. Wie viel du noch lernen und dich anstrengen mußt, um wirklich einmal etwas Tüchtiges zu leisten, das weißt du selber. Drum werd' mir nur nicht eitel! Dazu ist wahrhaftig durchaus kein Grund vorhanden.«

Ob die Miezel eitel geworden war, wer konnte das sagen? Die Großmutter beobachtete sie wohl mit Freuden, aber auch mit Sorgen, wenn sie gar so reizend aussehen konnte, und die Jule noch mehr, denn sie achtete gar genau auf ihren Liebling, und gar manchmal erhaschte sie einen selbstgefälligen Blick, den die Miezel in den Spiegel warf. Oder sie bemerkte auch, um wieviel wichtiger der jüngeren Schwester die Wahl von neuen Kleidern oder Hüten und dergleichen war als dem Lenerl. Machte sie aber einmal je eine Bemerkung darüber, so sagte die Großmutter, wohl um sich selber zu beruhigen: »Das Kind hat von klein auf mehr als wir alle an Schönem eine Freude gehabt, und vorerst wird ihre Eitelkeit ja doch noch recht gedämpft. Erst neulich wieder habe ich gehört, wie Herr Bruckmann fast jede ihrer Bewegungen tadelte, so daß es Tränen darüber gab.«

Ob die Miezel eitel wurde? Wo sie es hätte am meisten werden können, das war, trotz ihres Nichtlernens, in der Schule, wo die Mädel sie als etwas Besonderes anstaunten und sie gar manchmal in der Pause baten, ihnen doch etwas vorzutanzen. Da umstanden sie die kleine Künstlerin und staunten ihre hübschen Wendungen und Bewegungen an und sagten wohl auch: »Nein, wie du so etwas gut kannst!« Einzelne versuchten es nachzumachen, aber zum Gelächter der andern brachten sie es nicht zustande.

Nun war Miezel aber in eine neue Klasse gekommen mit teilweise neuen Mädchen, und da ging's auf einmal aus einer neuen Tonart: »Ist denn das nicht die, die neulich in dem Wintermärchen als Schneeflocke herumwirbelte?« – »Ist denn das der Puck, der wie nicht gescheit auf der Bühne herumfuhr?« – »Ist denn das die Miezel Moosbrugger, das Ballettmädle, das da in unserer Klasse ist und neben einem sitzt?« sagte ein Bürgersmädchen in geringschätzigem Ton, nahm seine Röcke zusammen und rückte bei Beginn der Stunde von der Miezel ab.

»Ballettmädle!« – Ballettmädle!« hörte die Kleine nun gar oft da und dort flüstern oder laut ausrufen, und es lag nichts weniger als Bewunderung in dieser Bezeichnung. Waren in der niederen Klasse alle gleich nett und freundlich mit ihr gewesen, so gab's nun eine Spaltung, und mit Betrübnis und Zorn sah das Kind, daß nicht jedermann eine Freude am Theater und an der Tanzkunst hatte.

Ein paarmal kam die Miezel mit bitteren Tränen nach Hause und klagte der Großmutter ihr Leid. Dieser tat das Herz weh, und sie mußte dabei an die Urteile ihrer alten Freundinnen denken, die ja auch so verschiedener Ansicht über diese Sache waren. Was sollte sie dem Kinde sagen, um es zu beruhigen?

Da aber machte Fräulein Bland kurzen Prozeß: »Wenn sie dich wieder einmal verspotten, deine Schulkameradinnen, so sag du ihnen einfach: ›Dann bleibt eben vom Theater weg, wenn ihr die gering achtet, die euch Genuß verschaffen und etwas vorspielen!‹ Und dann kannst du ihnen wohl auch sagen, wie schwer deine Arbeit ist und wie hart deine Übungen. Frag sie einmal, ob sie die Ausdauer dazu hätten, jeden Tag ein bis zwei Stunden lang ermüdende Bewegungen zu machen! Und anstatt ihnen vorzutanzen, mach' ihnen diese einmal vor, und dann sieh zu, ob du sie nicht dazu bringst, daß sie Achtung vor dem ›Ballettmädl‹ bekommen. Freilich, wenn eine gewisse Miezel Moosbrugger sich auffallend putzt oder nachher faul und unaufmerksam in den Stunden sitzt, dann wird diese Achtung wieder rasch schwinden, und sie werden denken: Hüpfen und tanzen kann sie wohl, aber dabei ist sie eine schlechte Schülerin und ein oberflächliches Kind!«

Diese Reden machten auf Miezel Eindruck, und sie versuchte es zuerst mit dem Erklären ihrer Kunst, dann aber auch mit dem besseren Lernen. Für ihre Eitelkeit aber war diese Zeit recht dämpfend gewesen. –

Fräulein Bland brauchte ein neues Kleid und ging deshalb in die Werkstatt der Marietta Fiorini. Frau Enderle, deren Pflegemutter, hatte den Moosbruggerschen Kindern all die Zeit her ihre netten, aber sehr einfachen Kleidchen mit Liebe und Verständnis gemacht, und Fräulein Marietta, die sich mit ihrem warmen Gemüt geradeso für die Kunden ihrer Mutter wie für ihre eigenen interessierte, hatte die Kleinen auch in ihr Herz geschlossen.

»Weiß ich doch auch, wie's ist, ohne Eltern aufzuwachsen«, sagte sie manchmal. »Und weiß ich doch auch, was es ist, dann in gute, treue Hände zu kommen wie ich bei meiner Mutter Enderle und die Kleinen bei ihrer Großmutter! Ich wollte, die drei würden's auch einmal so gut im Leben treffen mit ihrem Beruf wie ich mit meinen Neigungen und meinem bescheidenen Talent.« Das junge Mädchen sah sich stolz in dem schönen Ankleideraum um, in dem in großen Schränken hinter hohen Glasfenstern Kleider aller Art hingen, von den einfachsten bis zu den feinsten. Die Kleiderkünstlerin stand vor Fräulein Bland und steckte ihr da und dort eine Spitze oder eine Rüsche fest oder ordnete kunstvoll die Falten an dem halbfertigen Gewand. Dabei erzählte sie der Dame, daß sie eben doch die allerschönsten und dauerhaftesten Stoffe durch Vermittlung des jungen Herrn Bland, des Bruders der vor ihr Stehenden, bekomme.

»Ich weiß ja, daß das Fräulein schon viel Sorgen mit ihm hatte«, sagte sie, »aber jetzt ist er ein Kaufmann aus dem ff und versteht seine Ware wie kein anderer. Wir verkehren am liebsten mit ihm, und Fräulein Bland können stolz auf den Herrn Bruder sein.«

Nun kamen die beiden wieder auf die Moosbruggerschen Kinder zu sprechen.

»Das ist es eben, was mich gegenwärtig bewegt, was wir weiter mit der älteren der beiden Mädels machen sollen«, setzte Fräulein Bland das Gespräch fort. »In dem Lenerl steckt etwas ganz Besonderes, und sie wird einst noch mit dem Talent, das ihr entschieden gegeben ist, vielen Menschen Freude machen und viel Hohes und Edles darstellen können. Aber dazu sollte sie nun vor allem eine sehr gründliche Schulbildung erhalten. Wir sollten sie in eine höhere Schule schicken können, und dazu fehlen uns leider Gottes die Mittel. Eine wirkliche Schauspielerin, die ihren Beruf ernst und würdig auffaßt, muß gründliche allgemeine Bildung haben. Das ist's, was mich herumtreibt, und worüber ich vergeblich nachsinne. Die Kosten in einer Anstalt kann Frau Friedemann, die ohnedies so schwer mit dem Leben ringt, nicht auftreiben, und ich selber habe leider auch so wenig übrig.«

Fräulein Marietta, die eben einen Augenblick vor der Dame gekniet und ihr einen Besatz am Rande des Rockes festgesteckt hatte, stimmte ihr zu und sagte: »Das begreife ich, daß das eine Sorge ist. Weiß ich doch aus eigener Erfahrung, wie so ganz anders man im Leben dasteht, wenn man hat gründlich lernen und sich ausbilden dürfen! Zeit meines Lebens danke ich's den guten Menschen, die mir einst dazu verholfen.«

Plötzlich aber schien ihr etwas einzufallen, und indem sie rasch Fräulein Bland aus dem nun fertig anprobierten Gewand heraushalf, sagte sie: »Mir kommt ein Gedanke. Ach, wenn der der richtige wäre! Wenn ich Ihnen helfen könnte!«

Wenige Augenblicke, wie in sich versunken, stand das Mädchen da, dann sagte es: »Die Damen, in deren Schule ich einst gehen durfte, wären vielleicht bereit, auch das liebe Lenerl bei sich aufzunehmen, wenigstens für einen ermäßigten Preis, denn ganz umsonst wäre es ihnen ja nicht möglich.«

»Das ist lieb von Ihnen, sich das auszudenken! Uber auch ein sehr ermäßigter Preis ist für unseren Fall eben noch zu hoch«, sagte Fräulein Bland betrübt.

Da aber meinte Fräulein Marietta lebhaft: »Ich versuch 's und wag's, wenn's Ihnen recht ist. Und was noch fehlt, – lassen Sie mich nur machen – das will ich schon zusammenbringen – ich habe allen Mut dazu. Ich werde einfach einigen von den reichen Damen, die zu mir kommen, sagen, daß, wenn sie sich seit ein paar Jahren an den köstlichen Leistungen des Lenerl Moosbrugger erfreut hätten, sie nun auch etwas für es tun sollten. Und es müßte sonderbar zugehen, wenn sie darauf nicht eingingen!«

Ganz begeistert von ihrem Einfall ließ sich Fräulein Marietta nichts mehr dreinreden, und die Damen, an die sie sich umgehend wandte, gingen darauf ein. Die meisten von ihnen interessierten sich für das talentvolle Mädchen und steuerten willig zu dessen weiterer Ausbildung bei. Merkwürdigerweise war die willigste von allen Frau Kaufmann Lederer, die Hausfrau von unten im ersten Stock, die so fleißig im Laden waltete. Lange Zeit waren ihr die Theaterangehörigen oben im dritten Stock ein Dorn im Auge, und mit einem gewissen Mißtrauen begegnete Sie Frau Friedemann und den Kleinen. Fräulein Bland kam hier nicht in Betracht, die kannte sie schon seit so viel Jahren, daß es ihr ganz selbstverständlich erschien, daß sie gediegen und brav war. Die Großmutter schien ja auch recht zu sein, trotz ihrer etwas heruntergekommenen Kleidung, aber die Kinder, die wurden gewiß recht ausgelassen und unartig, seit sie »Komödiantenmädle« geworden waren.

Ein bißchen wild konnten die drei ja manchmal sein. Sie polterten die Treppe hinab oder schlugen auch eine Türe zu, aber unartig, was man eigentlich unartig nannte, das waren und wurden sie nicht. Frau Lederer wartete vergeblich auf diese Umwandlung. Nun wurde sie freundlicher gegen die drei, redete sie auf der Treppe auch manchmal an. Und als das Lenerl so pünktlich jeden Ersten vom Monat, früh morgens, ehe sie in die Schule ging, der Hausbesitzerin den Mietzins brachte und dabei so höflich und bescheiden war, da hatte diese nach und nach das Kind in ihr Herz geschlossen. Und wie Frau Lederer nun kürzlich –sie ging sehr selten ins Theater – das Lenerl in dem Stück »Glaube und Heimat« den Spatz, den frischen Buben, das einzige Kind der um ihres Glaubens willen Vertriebenen, spielen sah, da hatte sie Achtung vor einer solchen Leistung bekommen.

»Wenn du in Zukunft in lauter so schönen und guten Stücken auftrittst, Lenerl, wie dieses eines ist, dann will ich dir gerne zum weiteren Lernen verhelfen.«

So konnte nun diese Sorge als gelöst betrachtet werden, und im Herbst trat das Lenerl aus der Bürgerschule aus und durfte in die höhere Schule gehen, aber nicht ohne daß es vorher schwere Kämpfe gegeben hätte.

Als Fräulein Bland dem jungen Mädchen die Mitteilung von dieser Veränderung in seinem Leben machte, da war das Lenerl anfangs ganz glückselig, daß es nun so recht gründlich all das Schöne und Interessante, das es gab, lernen durfte.

Aber nun kam die Kehrseite für sie. Warum war nur Fräulein Bland so feierlich, als sie ihr von diesen schönen Zukunftsplänen berichtete? Und warum sagte sie so eigentümlich: »Lenerl, jetzt setz dich mal zu mir her, ganz dicht neben mich, auf mein kleines Sofa!« Und warum nahm sie sie so zärtlich dabei in den Arm mit den Worten: »Jetzt muß mein Lenerl aber auch vernünftig anhören, was ich ihr noch zu sagen habe!«

»Doch nichts Arges?« ... Dem Lenerl wurde ganz ängstlich zumute, und Fräulein Bland sagte: »Nein!«

Aber was kam, war für Lenerl doch was Arges, für den Augenblick doch das Ärgste, was sie sich ausdenken konnte. Fräulein Bland setzte ihr mit liebreichen Worten auseinander, daß sie es für gut halte, wenn ihr liebes Kind nun in den nächsten Jahren nicht mehr auftrete, sondern erst wieder, wenn es sehr viel gelernt habe und groß sei.

»Fräulein Bland, nicht wahr, das ist doch nicht Ihr Ernst? Das kann doch nicht möglich sein, jetzt gerade, wo ich so hübsche Rollen bekomme, und wo ich doch meine Sachen so gut gemacht habe? ... Ich hab' es doch gut gemacht, Fräulein Bland, Sie haben mich noch selber gelobt, und sogar der Herr Intendant hat zu mir gesagt: ›Mach' nur so weiter, dann wird was Rechtes aus dir!‹ Jawohl, er hat gesagt, ich soll so weitermachen, und warum soll ich denn nur jetzt auf einmal aufhören? Da will ich lieber gar nicht in die Schule gehen, da will ich lieber auf alles andere verzichten. Wenn ich nicht weiterspiele, dann vergesse ich ja alles, und wenn Sie sagen, ich dürfte erst wieder spielen, wenn ich groß bin, dann ist das so schrecklich lange, daß ich es ganz gewiß nie erleben werde!«

Das Lenerl fing an bitterlich zu weinen und entwand sich vor Aufregung den Armen Fräulein Blands, die sie liebevoll tröstete.

Da aber sagte diese: »Ich versteh' dich recht gut, mein Lenerl, daß dir schwer zumute ist. Aber nicht wahr, du willst doch einmal eine echte, gute Schauspielerin werden?«

Das Lenerl nickte, noch immer schluchzend.

»Nun gut, dazu ist aber nötig, daß du jetzt eine große Pause machst und dir das aneignest, was du zu deinem künftigen Berufe brauchst. Glaubst du denn, daß es mich und alle, die sich für dich interessieren, freuen würde, wenn du immerfort deine Kinderrollen spielen würdest? Und was dann weiter? Dir selber und uns allen würde das mit der Zeit recht langweilig werden, und um Rollen Erwachsener zu übernehmen, würden dir Kenntnisse und Bildung fehlen. Nein, nein, mein Lenerl, ich weiß, was du sagen willst!« wehrte Fräulein Bland ab, denn das Kind hatte bittend die Hände erhoben. »Siehst du, alle Menschen im Leben müssen zeitweise Opfer bringen, die Alten wie die Jungen, und so ziehen wir jetzt halt in Gottes Namen diesen Strich. Später wird das Lenerl sehr vergnügt und dankbar dafür sein, daß wir es so und nicht anders gemacht haben.«

»Aber doch noch nächste Woche in den Königskindern?« – »Aber doch nur noch ein einziges Mal den Spatz?« fragte das Kind angstvoll. Es gab heute und in den nächsten Tagen noch manche Szene und manchen Jammer, weil Fräulein Bland fest dabei blieb und auf das bestimmteste erklärte: »Nein, es ist besser, du trittst nicht mehr auf und der Schnitt wird auf einmal gemacht!«


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