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Dreizehntes Kapitel.

Von viel Blumen, und warum Hannele ganz blaß wird. – Wie Herr Ritter sagt: »Ei, kleine Indianer in meiner Schule!« und Hannele mit der Großmutter Betten richtet. – Vier Hände, die winken. – Die »arme Bläß, die in einem Stall sein muß.« – Warum die Dorfkinder das Mariele nicht verstehen, und warum sie »Peterle hopf!« schreien. – Eine Postkarte.

 

Hanne saß im unteren Flur des Hauses, dessen vorderer Teil zu einer Art Werkstätte eingerichtet war, umgeben von vielen Blumen. Ganze Haufen von Rosen, Levkojen, Pensees, Goldlack usw. lagen schön geordnet auf einem Tisch inmitten von Zittergras, Spargelkraut, Efeu und anderem Grün. Sie hatte vor sich einen Korb stehen, den sie kunstreich mit Obst aller Art füllte und mit einzelnen schönen Blumen besteckte. Er war in ein reiches Haus von der Residenz bestellt, und sie freute sich, etliche ganz seltene Blumen dabei anbringen zu können, die aus exotischem Samen von drüben entstanden waren. Dabei wanderten ihre Gedanken wie so oft zu den fernen Lieben, zu denen je zu kommen sie jede Hoffnung hatte aufgeben müssen. Aber wie gern, ach nur ein bißchen, hätte sie hinschauen mögen ins Heim der fernen Eltern, und wie die Geschwisterchen wohl jetzt aussahen, und was sie trieben! Noch immer tat ihr das Herz weh, wenn sie an ihr Goldkäferle, ihr geliebtes, dachte, und sie vermochte es sich mit dem besten Willen nicht anders vorzustellen als so, wie es damals bei der Abreise gewesen, das süße, kleine, rosige Ding mit den gelben Ringellöcklein!

Der Korb war fertig, und Hanne schob ihn ein bißchen zurück, um ihn besser betrachten zu können. Da trat die Großmutter in den Flur. Sie hatte draußen auf der Bank in der Sonne gesessen, und da hatte ihr der Briefträger einen Brief überbracht. Ihr Gang war noch etwas schleppend, aber sonst hatte sie wieder die alte Kraft und Frische erlangt. Hanne sprang auf, als sie den Brief in Großmutters Hand sah. Gleich darauf fiel ihr aber ein, daß sie noch einen Hochzeitsstrauß und etliche Tischbukettchen vor dem Essen zu binden habe, und sie bezwang sich und sagte: »Großmutter, ich muß warten bis nach Tisch. Geh du nur inzwischen in die Stube und mach' den Brief auf und lies ihn. Deine Brille habe ich vorher auf dem Küchentisch draußen gesehen.«

Das war eine große Überwindung für Hanne, aber man lernt sich überwinden, wenn man ein Geschäft treibt. Blume an Blume reihte sie wieder mit flinken, schnellen Fingern. Die Sträuße waren fertig, und Onkel Andres kam zum Essen. Ei, wie langsam der heute das Fleisch kaute, und wie umständlich er das Brot herunterschnitt! Aber endlich konnte man abtragen und den Brief hervorholen.

Großmutter hatte während des ganzen Essens ein so merkwürdiges Gesicht gemacht, halb ängstlich, halb vergnügt, so daß Hanne fragte: »Hast du schon gelesen oder gewartet?«

Da sagte die Großmutter nur: »Lies selber! Aber recht laut und deutlich, daß man's auch versteht!«

Und dann las Hanne den Brief der Mutter vor, den wir schon kennen, bis zu seinem letzten Teil. Als das aber kam von den Kindern und gar das Entsetzliche von der Gefahr, in der Mariele geschwebt, da war's mit Hannes Fassung vorbei, und sie rief einmal übers andre: »Ach, wenn man da doch helfen könnte! Ach mein liebes, goldiges Kleines, das nun am Ende ganz verwildert, ohne daß man da nur irgend etwas machen kann!«

»Lies nur vollends den Schluß!« sagte die Großmutter. Und als Hanne das tat und an die Stelle kam, wo die Mutter ihre Bitte aussprach, und wo die Großmutter erwartet hatte, daß ihre Hanne außer sich vor Glück sein werde, da war diese auf einmal ganz still und so blaß, daß der Vetter Andres sagte: »Ist dir nicht wohl?« und ans Schränkchen ging, um ein Gläslein Johannisbeerwein zu holen.

Aber Hanne wehrte ab; sie sagte mit ganz schwacher Stimme: »Das geht nicht, ach nein, das geht nicht!«

»Was geht denn nicht?« fragte die Großmutter.

Da aber fiel ihr Hanne um den Hals und schluchzte und schluchzte so endlos wie in der Nacht, wo sie den Abschied von ihrem Mariele vor sich hatte. Und wenn die Großmutter immer dringender fragte: »Ja, was hast denn? Warum weinst denn so schrecklich?« da schüttelte Hanne nur mit dem Kopf und sagte: »Weil's nicht geht, weil's nicht sein kann!«

Der Vetter Andres verstand Hanne und murmelte so etwas vor sich hin, wie: »Kinder sind halt nichts für alte Leute.«

Da aber wehrte die Großmutter, und ihre Stimme klang so freudig fest wie schon lange nicht mehr: »Ich glaube gar, ihr meint, ich sei zu schwach dazu, und Kindertrubel könnte mir schaden? Aber ich sag' euch, wenn's mich vielleicht auch manchmal ein bißchen müd' machen sollte, so tut das nichts. Bin jetzt lange genug gepflegt worden. Und ein ganzer Berg ist mir vom Herzen, wenn ich denke, daß ich der Kathrine etwas abnehmen kann. Eine Großmutter hat noch immer gekonnt, wenn sich's um ihre Enkelein handelt. Und jetzt, Hanne, – wein' doch nicht so! Gleich heute nachmittag setzt du dich hin und schreibst, daß die Kinder möglichst bald kommen sollen, – vorausgesetzt freilich, daß es dir recht ist,« setzte die Großmutter mit ihrem alten schelmischen Lächeln hinzu.

Da fiel das Hannele der Großmutter um den Hals, aber diesmal mit Freudentränen. »Mein Mariele – ich soll mein Mariele wieder kriegen!« rief sie glückselig einmal übers andre. »Großmutter, ich verspreche dir hunderttausendmal, daß ich dir alle Mühe abnehmen werde, die die beiden machen!«

Vetter Andres murmelte in den Bart: »Jetzt hat man seine Ruhe gehabt,« und, so brav er war, er konnte nicht unterdrücken, zur Großmutter zu sagen: »Hast's auch überlegt, was du da auf dich nehmen willst? Da wird einem ja das ganze Haus umgedreht werden …«

Die Großmutter lächelte nur, Hannele aber stürzte mit dem Brief zu Frau Ritter, die in der Küche Geschirr abtrocknete, und die sich auch mit ihr freute, und zu Herrn Ritter, der gerade in die Schule gehen wollte. Und der meinte: »Das wird ja ganz interessant für mich, Halbindianerle in die Schule zu bekommen! Da werden mir die andern ja am Anfang gar nicht mehr aufpassen wollen.«

Aber dann schüttelten er und seine Frau, die Hanne nachgelaufen war, dieser die Hände und sagten abwechselnd: »Das ist eine Freude!« … »Aber eine große Aufgabe ist's für deine alte Großmutter!« … »Und doch ist's so natürlich, wie die Kathrine sich's ausgedacht hat, drum wird es auch recht werden!«

Und nun rannte Hanne wieder nach Hause. Fast hätte sie über dem Herrlichen, das passiert war, das Fortschicken der Blumen vergessen. Indem sie durch den Garten lief, hatte sie das Gefühl, als müsse sie jedem Strauch und jeder Blume zurufen: »Freut euch mit mir! Das Mariele kommt! Das Mariele kommt! Und der Peter kommt auch!« setzte sie rasch noch in Gedanken hinzu, denn sie hatte den Bruder doch auch so lieb, nur nicht ganz so wie das Schwesterlein.

*

Brief von Hanne an die Eltern.

Wiesental, Herbst 19..

Liebe, liebe Eltern!

Die Karte, auf der stand, daß die Kinder gut angekommen sind, habt Ihr ja wohl erhalten. Heute aber sollt Ihr einen ausführlichen Brief bekommen, denn ich kann mir denken, wie Euch verlangt, alles Nähere zu erfahren.

Von der Seereise hat Euch ja die Hamburger Familie, mit der sie gereist, noch berichtet, und der Herr Agent hat wohl auch dem Onkel Joseph geschrieben, daß er die Kinder selber in den Zug gesetzt hat. Uns hat er telegraphiert, daß sie mittags um zwölf Uhr ankommen würden. Ach Mutter, ach Vater, was war das für ein anderes Gehen auf den Bahnhof als damals, wo Ihr alle fort seid! Schon ein paar Tage vorher haben wir alles gerichtet. Peter schläft bei Onkel Andres oben und Mariele in der großen Schlafstube mit uns. Großmutters Gesicht hat ganz geleuchtet, als wir Dein Bett, liebe Mutter, wieder aus der Kammer holten, es aufstellten und frisch bezogen. Deine Kommode, in die ich Unnötiges inzwischen gelegt hatte, wurde geleert, und in Großmutters großem Schrank ist sehr gut Platz für Marieles Kleider. Gelt, das interessiert Dich doch alles sehr? Immer wieder hab' ich mir vorhalten müssen, daß kein ganz kleines Mariele und kein Peter im Jüpplein kommen würden. Aber ich war so froh, daß wir wenigstens noch zwei Kinder zu erwarten hatten, und ich habe dem Mariele zum Empfang eine wirklich schöne Puppe gekauft und habe ihr des abends ein halb Dutzend Kleidchen gemacht. Dem Peter richteten wir etliche Büchlein und Gartengeräte hin. Doch jetzt zur Hauptsache! Als wir, die Großmutter und ich und der Vetter, der sich's nicht nehmen ließ auch mitzugehen, auf dem Bahnsteig standen und der Zug endlich um die Waldecke bog – Ihr wißt um dieselbe, hinter der er damals verschwunden ist –, da habe ich mich ordentlich an der Großmutter halten müssen, so furchtbar hab' ich mich gefreut. Und da haben zwei Gesichter herausgeschaut, und vier Hände haben gewinkt. Aber daß dies die zu Erwartenden sein sollten, konnten wir anfangs gar nicht glauben. Das ist ja merkwürdig, wie braungebrannt mein rosiges Mariele ist, und wie seltsam das zu ihrem blonden Haar aussieht. Daß sie noch immer Locken hat, und jetzt gar so schöne, lange, das freut mich besonders. Der Peter sprang zuerst heraus und half seinem Schwesterlein. Dann zog er ganz höflich vor uns die Mütze und sagte: »Guten Tag!« während mein Mariele den Bruder hinten am Rock packte und fast verlegen vor uns stand. Als wir die beiden aber in unsere Arme schlossen und sie mit uns heimwärts wanderten, da erzählte der Peter schon allerlei von der Reise und von Euch. Marieles erstes aber war, daß sie gewissenhaft sagte: »Viele Grüße von Vater und Mutter!« Dabei sprach sie aber das Wort »Grüße« aus, wie wenn's mit drei R geschrieben würde. Zu herzig! Als wir uns dem Haus näherten, standen eine Masse Kinder herum, das könnt Ihr Euch ja denken, die alle die Ankömmlinge sehen wollten. Da ist's dem Mariele angst und bange geworden, und es hat zum erstenmal meine Hand erfaßt und ganz trutzig dreingesehen. 's ist halt die vielen Menschen noch nicht gewöhnt gewesen. In der Stube hatten wir schön gedeckt, und an Marieles Platz hatte ich die Puppe gesetzt. Aber das war eine Enttäuschung! Denn von der hat sie gar nichts wissen wollen, sondern hat sie gleich auf die Seite geschoben und gesagt: »No – nicht muñeca! – Puppen ich nicht mehrr mag, viel mehrr Tiere.« Der Peter hatte eine sichtliche Freude an seinem Gartenwerkzeug und wollte es gleich probieren, während die Büchlein ihn entschieden mehr genierten als freuten. Als die Großmutter die Suppe hereinbrachte und das Tischgebet sprach, da freute es diese furchtbar, als die Kinder die Hände falteten und nachher sagten: »Das sagt drüben Mutter auch.« An der guten Nudelsuppe löffelten sie ein bißchen herum – Suppe seien sie nicht gewöhnt – aber die Dampfnudeln und das gekochte Obst schmeckte ihnen herrlich, so daß Onkel Andres, als Peter zum viertenmal den Teller hinstreckte, lachend sagte: »Da könnt Ihr in Zukunft was erleben, der kann's wie ein Drescher!«

Nach dem Essen sagte Peter plötzlich, genau so wie einstens: »Jetzt will ich zu meinen Hasen!« Und richtig, er fand sofort wieder den Weg in den Stall, war aber sehr enttäuscht, keine mehr zu finden. Hingegen waren beide Kinder sehr erfreut, die Bläß zu sehen, und wir hatten nur zu tun, sie davon abzuhalten, daß sie nicht zu ihr in den Stand hineinliefen und sie an den Hörnern faßten.

»Laß sie heraus!« befahl Peter. Aber als wir ihm sagten, daß die Kühe bei uns immer im Stall blieben, da wurde er sehr ungnädig und meinte: »Das würden wir nie tun in Argentinien. Das arme Tier muß doch springen und weiden können und wird gewiß bald krank sein!«

Beide Kinder schauten sich dann um, und Mariele fragte: »Wo sind denn die andern?« Sie konnte gar nicht begreifen, daß wir nur diese eine Bläß und nicht eine ganze Herde haben. An den Hühnern hatten sie eine große Freude, und als ich Futter holte und wir beide, mein Mariele und ich, nebeneinander knieten und sie fütterten, da war mir's gerade wie damals, nur daß ich statt eines kleinen Mädels neben mir ein großes hatte. Mariele hat die Großmutter in ihrer dunkeln Tracht zuerst immer wieder mit erstaunten Augen angeschaut, und dann hat sie gefragt: »Warrum so schwarrz?« Als aber die Großmutter ihr erwiderte: »Weil ich einmal einen lieben Großvater hatte, der von mir gegangen ist. Dann ist's hier so, daß man ein schwarzes Kleid anzieht,« da strich das Kind ganz zart und leise über Großmutters Rock und sah dann aber fast ängstlich auf ihr rotes Kleidchen herunter. »Aber Mariele kann rrot sein?«

Am Nachmittag, als die Kinder im Haus und mit uns schon etwas bekannt waren, da gingen wir mit ihnen zu Ritters hinüber. Die freuten sich auch so sehr. Mariele sprach noch wenig, aber als wir dem Peter sagten, dies sei der Herr Lehrer, bei dem er künftig lernen dürfe, da machte er ein tiefes Kompliment und sagte äußerst höflich: » Buenos dias, Señor! Rechnen kann ich gut, aber sonst noch gar nichts!«

Herr Ritter lachte herzlich und sagte: »Diese Offenheit gefällt mir, und wir werden gewiß gute Freunde werden.«

Dies Wort behagte wiederum dem Peter, und er faßte ungeniert Herrn Ritter bei der Hand und fing an, ihm alles Mögliche zu erzählen. Mitten drin aber fragte er: »Wo haben Sie Ihren Stall? Können Sie reiten?«

Das war nun so komisch, sich Herrn Ritter reitend vorzustellen, daß wir alle laut lachen mußten, was Peter übel aufnahm. Das Mariele aber setzte ihm altklug auseinander, er müsse doch noch wissen, daß die Mutter ihnen gesagt habe, daß sehr wenige Leute in Wiesental Pferde hätten und noch weniger reiten könnten.

»Ich aber kann's,« sagte Peter ordentlich trotzig. Und als nachher die Kutsche vom Herrn Pfarrer vorüberfuhr und einen Augenblick vor der Post hielt, da war unser Peter wie der Blitz drunten auf der Straße, und wie der Blitz saß er auf einem der alten Pferde, das ganz erstaunt über solch ungewohnte Behandlung mit den Füßen hin und her trat, sich aber nach Peters Begehren absolut nicht vorwärts bewegte. Der Kutscher, der eben aus der Post zurückkam, war höchst ungehalten über solch einen frechen Bengel. Dann aber war er ganz perplex, als der Bub mit einem Satz beinahe über ihn hinweg vom Pferde herunter sprang. Die Dorfkinder, die sich gleich wieder hier versammelt hatten, freuten sich furchtbar, und seither heißt es beständig, wo der Peter sich auch zeigen mag, und wo gerade ein Pferd daherkommt: »Peterle, hopf auf den Gaul! – Peterle, hopf wieder runter!«

Alle Wiesentaler Buben spielen jetzt eifrig Indianerles, wobei natürlich Peter der Anführer ist. Die Mädchen aber heißen ihre Docken Carmelita und Teresita, Elvira und Isabella. Und als sie gar von der Caupolikana, der Mapucha und der Maimai hörten, da war ihr Entzücken groß.

Wild, das ist unser Peter, das kann man nicht anders sagen. Aber unartig, wie wir gefürchtet haben, das ist er doch nicht. Und ganz merkwürdig ist, wie er sich Großmutter gegenüber zusammennimmt. »Mutter hat gesagt, bei alten Leuten müsse man still sein!« äußerte er neulich altklug. Als aber Großmutter ihm daraufhin sagte: »Brav mußt freilich sein, Peter, und keine Unarten machen! Aber daß du alleweil um mich herum nur auf den Zehen läufst und so leis sprichst, daß ich's kaum versteh, das ist nicht nötig!«

Auf dies hin hat der Peter sie ganz glückselig angeschaut, hat geschwind einen Sprung gemacht, und jetzt pfeift und singt er den ganzen Tag. Großmutter aber und der Vetter freuen sich mit mir und mit dem halben Dorf, wenn der Bub des Abends draußen auf dem Brunnenrand sitzt und fremdartige Weisen durch die beiden Finger pfeift. Mariele singt dann manchmal mit ihrem feinen Stimmlein auch mit. Aber meistens sitzt sie still da und hat wie einst ein Millemille – gato, wie sie sagt, – im Arm. Den Leuten gegenüber ist sie noch immer arg schüchtern, und wenn die Kinder sich vor sie hinstellen und sagen: »Schwätz doch Spanisch, daß wir hören, wie's tut!« dann macht sie den Mund sicher nicht auf. Aber mit mir fängt sie nun an, wie ein Vögelein zu zwitschern, geradeso wie Du, liebe Mutter, es uns geschrieben hast, in dreierlei Sprachen. Und wie gut ist's jetzt, daß ich doch ein wenig Spanisch kann, was Mariele ganz beglückt. Aber manchmal, wenn ich etwas falsch sage, will sie sich halb tot lachen, und dann sagt sie mir's so lange vor, bis ich's kann. Ich gebe mir aber auch große Mühe, recht schön Hochdeutsch mit ihr zu sprechen. So viel merken wir aber täglich, daß das Kind noch immer in Gedanken drüben ist. Und wenn sie irgendwo etwas Schönes sieht, so ist ihre stehende Redensart: »Das ich den Eltern zeigen, wenn sie kommen!«

Ihr lieben, lieben Eltern, ich erzähl' Euch nun so viel von den Kindern, und da kriegt Ihr am Ende doppelt Heimweh nach ihnen. Denn daß das hart für Euch ist, das spüre ich jetzt so recht erst an der Freude, die wir durch sie haben. Wenn Du, liebe Mutter, doch nur auch gewiß Gesellschaft an der neuen Schweizer Familie hast, und Dir, lieber Vater, wünschen wir so sehr, daß Deine Anpflanzungen gelingen. Das muß ich doch noch sagen, daß Peter recht fleißig in der Schule ist, und das Mariele des Abends bei der Großmutter so nett kleine Verslein und Sprüche lernt. Wir haben beide auch schon mit in die Kirche genommen, mit einiger Angst, ob sie sich auch still verhalten würden, aber sie waren vor lauter Erstaunen ganz brav. Nur gegen Schluß der Predigt, die ein wenig lang war, hat der Peter ganz laut gesagt: »Jetzt hab' ich genug!«

Mein Geschäft geht ausgezeichnet, und mein Mariele hilft mir den ganzen Tag dabei. Es weiß schon ganz nett, daß man die Blumen nur mit langem Stiel pflückt, und sie legt sie mir in Reih und Glied und reicht mir kleine Sträußchen zum Binden. Ich sag' Euch, die ist geschickt. Und Vetter Andres sagt: »Das ist eine! An der kriegst du bald eine Hilfe!« Er hat dem Mariele schon einen kleinen Wagen zusammengemacht, und wenn er sie nur von weitem sieht, so strahlt sein runzliges Gesicht. Um Großmutter braucht Ihr Euch nicht zu sorgen. Ich sag' Euch, die wird ordentlich wieder jung mit den Enkelein, und ganz selig war sie, als Mariele neulich ihren Kopf an sie lehnte und sagte: » te quiero! – ich hab' dich lieb!« Nur manchmal, da überkommt sie es. »Alles wär jetzt so schön, – wenn nur auch der Philipp und die Kathrine dabei sein könnten!«

Ich soll Euch noch sagen, daß der Schreiner, der Deine Werkstatt gemietet hat, lieber Vater, nun angebaut hat, weil er sein Geschäft, das sehr gut geht, vergrößern will. Da müssen wir hie und da denken, daß Ihr Euch das Auswandern hättet ersparen können. Aber Großmutter meint: Es wird auch so gut sein. Und ich soll Euch schreiben, daß Gottes Wege eben oft scheinbar große Umwege seien.

Nun grüßen wir alle innigst, und ich bin in Liebe

Euer getreues, glückliches
Hannele.

*

Und nun wäre diese Geschichte eigentlich zu Ende, denn ich wüßte kein Kapitel mehr zu füllen. Aber eine kleine Postkarte, die nach vier Jahren von der Estancia Wiesental in Argentinien nach Wiesental in Schwaben flog, die möchte ich euch doch noch lesen lassen, weil ich glaube, daß sie euch freut. Der Inhalt lautet:

Ihr Lieben!

Ende November wollen wir in Gottes Namen unsere Besuchsreise zu Euch antreten und hoffen, Weihnachten mit Euch feiern zu dürfen. Mutter, Hanne, liebe Kinder, bleibt uns um Gottes willen gesund; denn wir freuen uns unsäglich auf Euch. Gott hat unsere Arbeit gesegnet, und wir können uns die Freude, Eure lieben Gesichter einmal wiederzusehen, erlauben. Freilich müssen wir nach einem halben Jahr, in dem Juan uns vertritt, wieder zurückkehren. Aber dann kriegen wir ja unsern Peter wieder mit zur Hilfe. Und die Schweizer und deutschen Ansiedler, die wir seither in die Nähe bekommen haben, machen uns das fremde Land nun doch einigermaßen zur Heimat. Ob unsere zwei lieben Töchter wohl einmal ihr so blühendes Geschäft verlassen und uns drüben besuchen oder für ganz zu uns kommen können, das liegt in der Zukunft und in Gottes Hand. Noch füge ich bei, daß es möglich ist, daß Onkel Joseph mit uns reist. Der will seine Christina in eine deutsche Pension bringen. Isabella hat sich ja, wie Ihr wißt, in Buenos Aires verheiratet, soll aber ihren Mann nicht sehr beglücken. Den Onkel zieht's ebenso wie jeden, der ausgewandert ist, mit tausend Fäden nach der alten Heimat, und er freut sich ganz besonders, Dich, liebe Mutter, noch einmal in diesem Leben zu sehen. Und nun Adios und Hasta la vista, das heißt: Auf Wiedersehen! Behüt Euch Gott tausendmal!

Philipp und Kathrine.


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