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Zwölftes Kapitel.


In dem Augenblicke, in welchem Allgunde von Quernheim mit ihrem Vater die Kapelle verlassen, hatte Valerian seine Kräfte schwinden gefühlt. Bis dahin war er durch seine Aufregung emporgehalten worden; aber endlich war das äußerste Maß erreicht und er sank kraftlos zusammen – nicht ohnmächtig, doch der Stütze bedürfend und heftig nach freier Luft verlangend.

Finkenberg führte ihn hinaus; auf dem Hofe wurde ihm wohler und er bestand nun darauf, nach Schlettendorf gefahren zu werden. In Quernheim konnte man freilich nicht übernachten. Theo ihrerseits hatte ihren Entschluß gefaßt:

Das Unglück ist daher gekommen, daß wir uns getrennt haben, Valerian, sagte sie. Du sollst mich von nun an nie mehr von deiner Seite lassen!

Sie setzte sich neben ihn in ihren Wagen, ließ seinen fiebernden Kopf an ihrer Brust ausruhen und breitete sorgfältig Shawl und Mantel um ihn. Ihr gegenüber setzten sich Sophie und Finkenberg; so fuhr sie der Kutscher, der, ohne sich lange zu bedenken, ein paar Pferde Quernheim's statt seiner abgetriebenen Braunen eingespannt hatte, langsam nach Schlettendorf.

Während der Fahrt erzählte Finkenberg von dem Einbruch, den er Peggy beredet, in die Kirche zu Olderndorf zu versuchen. Peggy hatte sich sehr herzhaft dabei benommen, aber man hatte ihn mit überlegenen Kräften gefangen genommen, als er eben zum Sakristeifenster wieder herausgesprungen. Finkenberg hatte sich nun auf die Flucht begeben, Peggy aber auszuwandern gelobt, wie es von ihm verlangt wurde; doch hatte er sich bis jetzt in der Nähe von Quernheim versteckt gehalten, weil er seine Herrin noch einmal sehen und sprechen wollte, ehe er in die Verbannung gehe.

Theo hörte nur zerstreut zu, bis Finkenberg des von ihr adressirten Briefes erwähnte, den er in Ostenwalde erhalten und in dem er eine Aufforderung zu jener That gesehen. Diese Angabe überraschte sie höchlich, aber man hatte sich bald darüber verständigt, daß Alles eine List der Quernheim gewesen sein müsse, wobei Theo als Werkzeug benutzt war.

Gegen die Morgendämmerung kam man in Schlettendorf an. Um die Mittagstunde schlug Valerian die Augen auf, nach einem tiefen, stärkenden Schlummer. Seine ersten Blicke trafen Theo, die zu Häupten seines Bettes in einem Lehnstuhl saß

Theo! rief er aus, ihre Hand an seine Lippen ziehend. Theo, du hier!

Ja, Valerian, sagte sie, die Augen zu Boden schlagend; dies ist mein Platz, solange du krank bist! Vielleicht wird man mich tadeln – aber ich lasse es über mich ergehen – ich betrachte es als eine Buße – denn ich fühle, daß ich etwas abzubüßen habe –

Zu büßen? du, Theo?

Ich habe dir vertraut, Valerian – ja, vertraut bis zum letzten Augenblicke – aber ich werfe mir vor, daß ich so tief erschüttert worden bin durch die schweren Anschuldigungen, welche man gegen dich vorbrachte, und daß ich Augenblicke hatte, wo ich irre ward, wo ich dir zürnte! – Mein Schmerz ist meine Sünde! Als ich dich sah, bleich, verwundet und doch, trotz deiner Wunden und Schmerzen, mein Retter, da fühlte ich meine Schuld – vergib mir, Valerian, vergib!

Sie beugte sich über seine Hand nieder und küßte sie. Eine Thräne fiel aus seiner Wimper auf ihre weiße Stirne. Sie sah zu ihm empor und lächelte und Valerian stockte die Stimme vor tiefer Rührung, wie sie so ihn anblickte; denn er war nie auf Erden dem Blicke eines Auges begegnet, aus dem ihm so innig und so tief die unergründliche Liebe eines Engels angesehen.

Wir stehen hier am Ende unserer Geschichte, denn es würde überflüssig sein, zu schildern, welche Seligkeit für Theo und Valerian die nächsten Tage brachten, in denen sie, mit wenigen Unterbrechungen sich selbst überlassen, die Erzählungen bestandener Gefahren und Leiden, die Schilderungen ihrer Empfindungen und ihrer innersten Gedanken während der jüngstverflossenen Tage gegen einander austauschten.

Jene Unterbrechungen rührten her von der Anwesenheit Pauli's, der zu Fuße von Arnstein zurückgewandert gekommen und der nun Alles aufwand, um die verzögerte und durch die gefährliche Aufregung sehr erschwerte Heilung Valerian's zu beschleunigen; oder von der Anwesenheit Sophiens, seiner Tochter, die, zum großen Jammer ihres Eugen, Theo hatte versprechen müssen, so lange bei ihr zu bleiben, wie der Letztern Anwesenheit in Schlettendorf zur Pflege Valerian's dauere.

Eine andere Unterbrechung – und gewiß eine auffallende und unerwartete – verursachte ein Besuch des alten, blinden Freiherrn von Mainhövel auf Schlettendorf, der Valerian allein zu sprechen begehrte und eine lange Unterredung mit ihm hatte. Das Resultat mußte für Beide sehr befriedigend sein, denn der alte Freiherr trennte sich von Valerian mit wärmern Freundschaftsbetheuerungen, als er seit seiner Jugendzeit vielleicht irgend einem Menschen auf Erden gemacht hatte.

Valerian aber erzählte Theo, als sie wieder zu ihm ins Zimmer trat, zuerst eine ausführliche Geschichte von Metalliquesobligationen, die er von seinem Banquier kommen lassen müsse, dann aber theilte er ihr gewisse Pläne mit, die sie erröthend anhörte und zu denen sie endlich mit einem schüchternen: Wie du es willst! ihre Einwilligung erklärte.

Drei Wochen nachher – so hatte es in diesen Plänen gelegen – segnete der Sohn des Bauern zu Ostenwalde Theo und Valerian in der Schloßkapelle von Blankenaar zu einem Paare ein. Der Arzt hatte zwei Tage vorher Valerian für vollständig geheilt erklärt. Zum Hochzeitmahle waren wenige Gäste geladen worden, und da Valerian bemerkt hatte, daß der Freiherr von Mainhövel noch immer nicht wußte, mit seiner Mündel wieder in das rechte Gleis unbefangenen Verkehrs zu kommen, so bat er ihn, neben seinem Stuhle Platz zu nehmen und den Ehrenplatz neben der Braut wies er dem Vater des biedern, jungen Geistlichen an, dem wackern Bauern von Ostenwalde, der zur Hochzeit hatte mit herüberkommen müssen.

Ihm zu Ehren brachte Valerian auch einen herzlichen Toast aus, und zwar:

»Den Wahrern alter Rechte und alter Sitte, welche die Kraft des Landes bilden; den freien Grundsassen, die vor der Eroberung dieses Landes durch fränkische Krieger des Landes Herren waren; auf welche, als gemeineren Ursprungs, stolz niederzublicken uns weder das Alter unsers Besitzes noch unsere Sitten und unsere Aufführung, noch unsere Stellung im heutigen Staatsleben erlauben.«

Dieser Toast machte eine große Sensation und wurde von manchem der Anwesenden – die sich überhaupt über die gemischte Gesellschaft höchlichst scandalisirten – nichts weniger als beifällig aufgenommen. Der Bauer aber dankte Valerian gerührt und fühlte sich nicht wenig in seinem Selbstgefühl gehoben, als sein Sohn ihm den Inhalt von Valerian's Worten erst recht deutlich gemacht hatte.


Am Abende vor dem festlichen Tage, von dem wir eben sprachen, war der Freiherr Heydenreich von Tondern in das Zimmer der Gräfin Allgunde von Quernheim getreten, alle Zeichen großer Aufregung verrathend.

Tondern! rief Allgunde aus, die einsam die Stunden der Dämmerung zu verträumen schien – Tondern, seh' ich Sie einmal wieder!

Ich habe eine Nachricht bekommen –

Ha, die Ernennung –?

Ja, die Ernennung ist erfolgt – aber einer der vorgeschlagenen Bureaumenschen ist Statthalter der Provinz und nicht ich!

Dann steh' Gott uns bei! Dann sind wir ganz verloren, Tondern!

Lesen Sie, was Herr von Prallhufen mir schreibt.

Die Gräfin nahm den Brief und klingelte, daß Licht gebracht werde. Als sie die Hiobspost gelesen, ließ sie die Hände in den Schoos sinken und sah mit einem trostlosen Blicke Tondern an.

Was ist nun zu machen? fragte sie.

Ja, was ist zu machen? Nichts! Man ist sehr aufgebracht gegen uns. Marie Sasseneck, welche ihr toller Gemahl jetzt wie eine Heilige verehrt, fährt überall umher und erzählt von Haus zu Haus, es sei bloße Verleumdung von Ihnen und mir, daß Schlettendorf sich nicht mit mir habe schlagen wollen und daß er sie, Marie, entführt habe. Ihrem Manne aber hat sie so viel vorgeschwatzt, daß er sich mit mir schießen will, sobald er wieder ganz hergestellt ist, weil ich ihn belogen habe. Auch von Schlettendorf habe ich eine neue Herausforderung bekommen. Wir haben ein herzlich dummes Spiel gespielt, Allgunde! Mir thut eine Luftveränderung noth, ich reise morgen auf längere Zeit nach Belgien und Freiburg. Das Schießen –

Wird Ihnen Ihr Beichtvater in Freiburg verbieten! sagte lächelnd Allgunde – ja, ja, reisen Sie! Auch ich treffe Anstalten dazu. Sobald mein Vater die furiose Aebtissin meines Stifts beschwichtigt hat, die mich, weiß Gott mit wie vielen Criminal- und Civilklagen bedroht, gehe ich mit ihm nach Italien.

Und Finkenberg? fragte Tondern.

Da lesen Sie, versetzte Allgunde, indem sie Tondern einen Brief zuschob, der auf ihrem Tische lag; er war von Finkenberg's Hand, an den Grafen Quernheim adressirt und enthielt folgende Zeilen:

 

Herr Graf!

Ich habe erreicht, was ich wollte, die Anerkennung meiner Ehe, die Demüthigung Ihrer Tochter. Weitere Ansprüche mache ich keine. Ich gebe im Gegentheil Ihrer Tochter alle Freiheit, die ich ihr geben kann und entbinde sie aller Verpflichtungen gegen mich, so weit es nur immer in meiner Macht steht. Möge sie jedoch hierin nicht den Ausdruck meiner Verzeihung, sondern den meines Hasses sehen. Ich werde den Rest meines Lebens auf den Gütern des Grafen von Schlettendorf zubringen und in stiller Zurückgezogenheit hoffe ich hier für immer vom Anblicke eines Wesens befreit zu sein, welches ich leider noch nicht weise genug bin zu verachten.

Genehmigen Sie u. s. w.

Fr. v. Finkenberg.


Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.

 


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