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Sechstes Kapitel.


In der Nähe des Rittersitzes Schlettendorf befindet sich ein Dorf von einiger Ausdehnung, das heißt vielleicht eine halbe Stunde lang und eine Viertelstunde breit, weil die dazu gehörigen Häuser und Höfe in buntester Zerstreuung umherliegen. Doch ist in der Mitte eine Gruppe von Häusern enger zusammengerückt, nämlich um den Hügel her, welcher die kleine, altergraue Kirche mit dem stumpfen Glockenthurme trägt. Hier wohnt Pfarrer und Küster und außer dem Schulgebäude befindet sich auch hier, hinter einem breiten, freien Platze, der die Giebelseite des Gebäudes von der durch das Dorf führenden Chaussee trennt, das einzige Wirthshaus im Orte.

Es ist ein blankes, aus Fachwerk und Ziegelsteinen aufgeführtes Gebäude und obwol es kein Schild führt, das ausdrücklich zur Einkehr einlüde, so weiß doch Jedermann auf fünf Stunden Weges umher, daß hier ermüdeten Reisenden die beste Labung geboten wird, wie auch zwei colossale, mit vieler Pracht auf den Hinterbeinen stehende Schimmel, die auf das Stallthor gemalt sind, andeuten, daß hier Unterkommen für Wagen- und Reitpferd zu finden.

So hatten denn auch eines Tages mehrere große Frachtfuhrwerke auf dem freien Platze neben der Chaussee Halt gemacht und außer ihren Führern erfüllte eine Gruppe von Schulmeistern, die hier, von einer Lehrerconferenz heimkehrend, ausruheten, das Gastzimmer. Vor diesen ländlichen Vertretern der Intelligenz stand, sehr lebhaft gesticulirend, unser alter Bekannter, Isaak Koppel, angelegentlich bemüht, durch mannigfache Kunststücke sich der Anwesenden Bewunderung und vielleicht auch, was ihm noch wünschenswerther schien, ein Trinkgeld von ihnen zu erringen. In der That herrschte allgemeines Staunen über Isaaks fabelhaftes Gedächtniß und sein geläufiges Recitiren aller möglichen Bibelkapitel von vorn und zurück, sobald man ihm nur die ersten Worte sagte. Aber auch sein Zähltalent war Allen unbegreiflich.

Dies grenzt ans Wunderbare! rief einer der Lehrer aus.

Mein, was hilft es mir? sagte Isaak mit philosophischer Bescheidenheit; ich habe es noch nie zu Hülfe rufen müssen, mein Zähltalent, um mein eigenes Geld zählen zu können!

Man sammelte für ihn.

Das sind 64 Pfennig, macht 5? Groschen, sagte er in demselben Moment, als man ihm den Haufen Kupfergeld in die Hand drückte.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre und ein Mann in Blouse und Tuchkappe trat ein, der sich zu dem bewundernden Haufen stellte, welcher Isaak umgab.

He, Conrad, seid Ihr's? sagte der Jude, als er ihn gewahrte.

Ah, Isaak, heil und ohne blaues Auge? Haben sie Euch so ungerupft durchgelassen?

Der Jude lächelte pfiffig, dann zog er Conrad bei Seite und nach Bier für ihn rufend, um ihn gesprächig zu machen, fragte er nach dem Schicksale der belagerten Festung, an deren Vertheidigung der Neuangekommene so wachsam Theil genommen.

Dieser erzählte, was seit Isaaks Entfernung in Arnstein vorgefallen.

Was hat der Herr Verwalter gesagt, daß ich bin fortgegangen? forschte Isaak.

Es sei gut, hat er gesagt; jetzt könne die Herrschaft es selbst mit Euch abmachen.

Und nun, fuhr Conrad fort, das rasch geleerte Bierglas niedersetzend, nun muß ich weiter, immer weiter, es ist ein vermaledeit langer Weg!

Wohin wollt Ihr denn so eilig, Conrad?

Nach Birkenheim. Der junge Graf ist mit dem Wundarzt nicht zufrieden, den der Verwalter für ihn hat holen lassen. Er ist vor Ungeduld außer sich und will fort von Arnstein und kann nicht wegen seiner Schmerzen. Nun will er so schnell als möglich den Doctor Pauli aus Birkenheim herbeigeschafft haben, weil der ein geschickter Mann sein soll, was Wunden und Schäden angeht.

Den Pauli? den Amtsphysikus Pauli? Ei, den kenn' ich sehr gut, Conrad. Ich geh' jetzt nach Birkenheim und will ihn schon bestellen; den Weg könnt' Ihr sparen, Conrad. Geht heim und sagt, der Doctor komme morgen in der Frühe.

Wollt' Ihr, Isaak? Ist das ein Wort?

Ein Wort! Und ich will ihn selbst herbringen, den Doctor, denn ich habe ein Geschäft übermorgen in Strelsberg, das liegt drei Stunden über Arnstein hinaus, und da mach' ich die Tour mit dem Doctor zugleich. Er ist ein guter Freund von mir, der alte Herr und ein gar lieber Mann! Ja, ja, Conrad, da könnt' Ihr einen Weg sparen.

Nun, so geb't mir die Hand darauf, daß Ihr Euch sogleich auf die Sohlen macht, Jude! Ich habe Euch einen Gefallen gethan, in jener Nacht, als Ihr zum Schloß hinaus wolltet; und jetzt verlaß' ich mich darauf, daß Ihr mir keinen Streich spielt.

Seid unbesorgt, Conrad, ich gehe schon. Guten Abend – guten Abend, meine Herren, guten Abend, Ihr Leute!

Isaak verabschiedete sich mit diesen Worten von Conrad, von den Schullehrern und von den Fuhrleuten, welche Letztere seinen tiefen Bückling gar nicht und seinen Gruß durch ein unverständliches Brummen erwiderten. Seinem weißen Pudel gab dagegen Einer von ihnen einen Tritt, der ihn seinem Herrn heulend nachsandte, zur Thüre hinaus.

Als Isaak draußen war, nahm er seinen Filzhut ab und, indem er sehr kräftig auf den Deckel desselben einschlug und ihn dann in die Höhe warf, schien er ihm Mittheilungen sehr heitern Inhalts machen zu wollen. In der That thronte der Filz im nächsten Augenblicke mit so viel ironischer Lustigkeit und, im wörtlichsten Sinne, Verschlagenheit auf des Hebräers Scheitel, wie nur immer in der Macht eines vielgepufften Deckels steht, auf dem Kopfe eines so unternehmenden Strolchs anzunehmen. Isaak wanderte eilfertig nach Birkenheim zu.

Kurze Zeit nachher betraten zwei andere Gäste unser Wirthshaus an der Heerstraße; auch sie waren zu Fuß gekommen und der Eine von ihnen, ein langer Mensch, sah sehr bestäubt, sehr müde und sehr angegriffen aus. Er trug einen grünen Jagdrock und ein schwarzseidenes Tuch um den Kopf gebunden.

Der Andere war eine kurze, gedrungene Figur mit vollem, rundem Gesicht, strotzenden Wangen und einer platten Nase, die sehr trotzig und sehr moros in die Welt schaute, wie hochmüthig auf den Schutz zweier kleinen, grauen Augen ihr zur Seite, die mit einem eigenthümlichen, verschmitzten Lächeln Jedem, der sie ansah, zu sagen schienen: Was, wollt' ihr lachen über meine Nase? Ist dies nicht eine sehr würdevolle Nase? Und wenn ihr darüber lachen wollt', bedenkt ihr nicht, daß sie vor eurer den Vortheil voraus hat, schon plattgedrückt zu sein, während bei der eurigen meine Fäuste noch ein lohnendes Stück Arbeit zu thun finden? –

Auch befanden sich zwei Reihen auffallend weißer und scharfer Zähne, von kampflustig geschwellten Lippen umsäumt, unterhalb der würdevollen Nase, deren Inhaber nebstdem einen starken Eichenknittel in der Hand trug und durch alles Dies eine sehr herausfordernde Figur bildete. Seine Kleidung bestand aus einem dunkelblauen Ueberrock, kurzen, gelbledernen Beinkleidern, die in Stulpstiefeln mit Sporen untergingen, und einer blauen Livréemütze, welche mit einem gothischen B. unter einer Freiherrnkrone geschmückt war.

So war das Aeußere des Mannes beschaffen, der in Begleitung des müden Blassen in das Wirthszimmer trat und zwar augenscheinlich mit dem vollen Bewußtsein, daß, wo er auch immer seine Erscheinung mache, diese nicht ohne Wirkung bleiben könne.

Er sah sich im Wirthszimmer um, ohne irgend Jemanden zu grüßen, und schritt dann ans Ende des Raumes, wo eine Glasthüre in ein zweites, besser möblirtes und für vornehme Gäste oder Festlichkeiten vorbehaltenes Zimmer führte. Dies mußte aufgeschlossen werden und hier, umschwärmt von Tausenden summender Fliegen, nahmen die beiden Wanderer Platz. Der Unternehmende warf seinen Eichenknittel auf den Tisch und der lange Blasse bestellte Wein und Zuckerwasser. Als das Verlangte gebracht war, sagte Jener:

Nun lassen Sie sehen, Herr; erst will ich selbst es sehen.

Hier ist der Brief, versetzte der Lange, niemand Anderes, als unser Bekannter, Herr von Finkenberg, der so ziemlich geheilt, sich gedrängt gefühlt hatte, den Hof zu Ostenwalde zu verlassen und vorerst nach Schlettendorf zurückzukehren, von wo aus er sich nach Blankenaar begeben hatte, um Erkundigungen einzuziehen. Er hatte ein Portefeuille hervorgezogen und einen Brief in einem Couvert daraus genommen.

Seht, Peggy, sagte er, so sieht der Brief aus; die Adresse lautet an mich und hier in der Ecke steht: Absenderin Theo Blankenaar. Auch seht Ihr, daß dies Eurer Herrin Schriftzüge sind.

Ja, ja, das seh' ich! erwiderte Peggy.

Nun schaut; dem Anschein nach sind lauter Papierthaler in dem Couvert, aber hier, an der Seite, ist ein zusammengeschlagener Funfzigthalerschein; wie ich ihn nun herausnahm, steckte dies Briefchen darin! Les't den Brief.

Peggy nahm und las; da er jedoch mit dieser anstrengenden Arbeit nicht recht vom Fleck kam, las Finkenberg, ihm über die Schulter blickend, vor:

»Lieber Herr Pfarrer Lehmann!

Obwol ich weiß, wie treu und sorglich Sie das einzige Document meines Verhältnisses zu F. vor Jedermanns Auge hüten u. s. w.«

Es war der Brief der Gräfin Allgunde von Quernheim, worin sie die Leichtigkeit schilderte, mit welcher das berührte Document gestohlen werden könne und der am Ende des ersten Kapitels dieses Theiles unserer Geschichte mitgetheilt worden ist.

»Ihre ergebene Allgunde, Gräfin« schloß Finkenberg die Vorlesung und setzte dann hinzu: Wißt Ihr dies nun anders auszulegen, als ich es Euch gedeutet habe, Peggy? Ist nicht im Gegentheil Alles klärlich so, wie ich es mir denke? Im Anfang wußte ich freilich nicht recht, was aus dem Briefe zu machen; der Bursche, der mir ihn brachte, versicherte mich, daß Fräulein Theo ihm selbst denselben übergeben habe, daß sie ihm auch den Weg beschrieben, den er nehmen müsse, und daß sie hinzugesetzt, er solle den Brief ja nicht verlieren, er solle sagen, derselbe käme von ihr. Wie kam aber dieser Brief der Gräfin in die Hände Eures Fräuleins? Warum sandte diese ihn mir und so viel Geld dabei, während sie wußte, daß es mir für den Augenblick nicht fehle?

Ja, das ist seltsam, sagte Peggy kopfschüttelnd.

Ich nahm also einen kurzen Entschluß, fuhr Finkenberg fort, mein Kopf war ja so leidlich wieder zusammengeflickt; so machte ich mich denn auf den Weg und ging zuerst nach Schlettendorf, wo ich den jungen Grafen sprechen wollte. In Schlettendorf wußte man jedoch kaum, was aus dem Grafen geworden sei; ein Jude hatte dem Rentmeister eine Anweisung übergeben, welche zu Arnstein geschrieben worden; da befand sich der Graf, wie der Jude erzählt hatte – weshalb, mit wem, darüber hatte der Letztere allerlei confuses Zeug erzählt, das man nicht glaubte. Dagegen hatte man gehört, daß Euer Fräulein in Quernheim sei und daß man große Zurüstungen mache zu ihrer Vermählung mit dem Baron Tondern.

Ja, das hat man auch bei uns erzählt, rief Peggy aus, obwol man es kaum glauben kann; denn so wahr ich athme, Herr, diesen Schleicher Tondern hat mein Fräulein ihr ganzes Leben lang gehaßt!

Aber Ihr wißt, Peggy, wie böse und stolz die Gräfin von Quernheim ist; und wie sie Euer unglückliches Fräulein jetzt wieder in ihrer Gewalt hat, wißt Ihr auch.

Wenn man sie hinge – mit den Füßen nach oben, Herr – sollt' es zu scharf sein, Herr?

Das weiß ich nicht, aber ich weiß, daß man sie erst in der Gewalt haben müßte, um ihr solche Aufmerksamkeiten bezeigen zu können.

Oder ihn, den Tondern?

Ihr könnt' darüber denken, wie Ihr wollt, Peggy; ich werde keinen Streit deswegen mit Euch anfangen.

Das wären sie beim Donner alle Beide nicht werth, Herr! fiel Peggy ein und stürzte sein Glas hinunter.

Hört mich weiter, nahm Finkenberg wieder das Wort. Das also habt Ihr selbst gemerkt, daß Euer Fräulein eine Verbindung mit dem Tondern verabscheut; und da sie ein edles und stolzes Wesen ist und nun von dieser falschen –

Klapperschlange mögt Ihr sie nennen, Herr! fiel Peggy eifrig ein; nennt sie dreist so, auf meinen Kopf die Sünde!

Da sie von dieser falschen Schlange also gezwungen werden soll und vergewaltigt, so wird es ihr Herz brechen.

Peggy schlug sich mit der Hand auf den Schenkel und fluchte dreißig Schock Teufel zusammen.

Auch könnt' Ihr denken, Peggy, fuhr Finkenberg fort, daß sie jetzt in einer beweinenswerthen Lage und in tödtlichem Kummer ist.

Ja, Herr, es ist herzzerreißend!

Aber Ihr begreift nun auch Alles, was ich Euch schon gesagt habe. Sie ist in die Hand der schlimmen Gräfin gefallen und da Niemand sich ihrer annahm, da der Graf Schlettendorf – vielleicht mit Gewalt zurückgehalten, denn Arnstein ist ein Quernheim'sches Schloß – sie allein und schutzlos gelassen hat, so ist sie in große Verzweiflung gekommen. Da hat der liebe Gott durch einen Zufall einen Brief in ihre Hand gespielt, welchen ihre Peinigerin an den Pfarrer geschrieben. Sie sieht nun, es gibt eine Stelle, an welcher diese Gräfin Allgunde verwundbar ist; ich bin der Mann, der Gewalt über sie haben wird, wenn ich nur beweisen kann, daß ich das bin, als welcher ich im Kirchenbuch stehe, als ihr angetrauter Gemahl. Sie, das Fräulein, sieht aus dem gefundenen Briefe, daß die Gräfin fürchtet, das Kirchenbuch könne mir in die Hände fallen; also schickt sie mir den Brief zu, nebst vielem Gelde. Was soll das anders heißen, als: da, hier findest du genau beschrieben, wo das Buch und wie leicht es zu bekommen ist; hole es nun, so bald wie möglich, und dann komme mir zu Hülfe. Dieser Gräfin, die mich zur Verzweiflung bringt und im tiefsten Jammer gefangenhält, schreibe als ihr Mann deine Gesetze vor, rette mich, denn so allein kann ich gerettet werden.

Das ist die Auslegung, welche ich von diesem zugeschickten Briefe gemacht habe, und ich frage Euch nun, Peggy, ob Ihr eine andere und bessere wißt!

Nein, Herr, eine bessere weiß ich nicht!

Also bleibt uns auch nur Eines zu thun übrig. Uns, sage ich, Peggy, denn Ihr seid der Mann, mir zu helfen. An Euch habe ich gleich gedacht. Euch habe ich kennen gelernt, als einen Mann, der schweigen kann und der es verdient, eine so gute und so schöne Herrin zu haben; als einen Mann, der Muth und Ehre hat und der viel zu gut weiß, was er sich selbst schuldig ist, um einen so betrübten, filzigen Schlucker, solch' einen Ausbund von einem schleichenden Schelm, wie den Tondern, zum Herrn über sich haben zu wollen. Ihr habt Euerm Fräulein damals hübsch den Rücken gedeckt, Peggy, in jener Nacht, als sie von Blankenaar sich entfernte. Jetzt nur noch ein solch' Stücklein und Ihr seid der Mann, Peggy, dem sie vielleicht ihr Leben, jedenfalls ihr Lebensglück verdankt. Sie wird es Euch Dank wissen, Peggy! Ihr könnt ein glücklicher und ein reicher Mann werden, Bursche!

Finkenberg schlug ihm hierbei zur Ermunterung auf die Schulter und schenkte dann sein Glas voll.

Es ist Alles recht gut, versetzte Peggy, nachdenklich den Kopf auf den Arm stützend, recht gut und richtig, Herr, aber meine Scrupel habe ich doch.

Scrupel? Euere Herrin zu retten aus großer Noth, da habt Ihr Scrupel?

Wenn man das Ding vom rechten Fleck aus ansieht, so ist es doch einem nächtlichen Einbruch verzweifelt ähnlich, und wenn man gar keine Complimente mit ihm machen wollte, so müßte man es Kirchenraub tituliren.

Dummer Schnack! versetzte Finkenberg. Es soll ja hier nichts gestohlen werden. Es handelt sich ja nur darum, ein Document zu bekommen, dessen Vorlegung ich fordern kann und das mir vorenthalten wird.

Geht hin und fordert es, offen und rund heraus!

Warum nicht gar; der Pfarrer schlägt mir höhnisch die Thüre vor der Nase zu!

Wendet Euch an die Gerichte, daß sie den Pfarrer auffordern zur Auflegung seines Buchs.

Daß mit Hin- und Wiederschreiben ein halbes Jahr vergehe und endlich noch, wenn der Pfarrer das Trauregister vorlegt, das rechte Blatt herausgenommen wäre.

Peggy schwieg. Er machte ein sehr bekümmertes Gesicht. Peggy war seiner Herrin bis in den Tod ergeben und, nachdem Finkenberg ihm die ganze Angelegenheit vertrauensvoll, aber in solcher Form und Wendung auseinandergesetzt hatte, wie sie für die ehrliche Haut am faßlichsten war, brannte er vor Verlangen, für Theo einen entscheidenden, wenn auch gefährlichen Schritt thun zu können.

Hatte sie doch vor zwei Jahren, als sie mit ihrer Cousine Allgunde und dem Grafen Quernheim eine Reise nach England und einen Abstecher durch Irland gemacht, seine arme, bettelnde Mutter mit Gaben so überhäuft, daß diese in der Freude ihres Herzens ihren Sohn herbeigerufen, um die fremde, freigebige Lady zu sehen und ihr zu danken, und hatte doch Theo darauf ihn, den harmlosen, drolligen Sohn der grünen Insel, auf den Gipfel des Glücks gehoben, indem sie ihm Dienste in ihrem Hause angeboten. So war er aus seinem Heimatlande herübergekommen und fühlte sich jetzt in seiner saubern Livrée wie ein Nabob, wenn er an die Erdhüttenwirthschaft daheim zurückdachte.

Auch hätte er vielleicht keinen Anstand genommen, für seine Gebieterin sein Herz dahinzugeben. Aber hier handelte es sich um eine Unternehmung, die ihn stutzig machen mußte. Einbrechen in eine Kirche, um ein Buch daraus zu stehlen –

Peggy hatte einen gewaltigen Respekt vor großen Büchern, vorzüglich vor solchen, welche er bei Pfarrern oder Gerichtspersonen hatte liegen gesehen; vollgeschrieben mit Hieroglyphen, die ihm wie geheimnißvolle Zauberformeln vorkamen, über deren Wirkungen er weiter nichts sagen konnte, als daß sie noch Niemanden große Freude bereitet; im Gegentheil, wenn irgend ein Unheil in seiner Nähe passirt war, so hatte er es regelmäßig aus den großen Büchern herausschlüpfen gesehen. Zehnten und Pachtzins, Pfändung und Haft, und die Bestimmung, welcher Mutter Sohn zu den Soldaten müsse, alles Das hatte man aus dem verfluchten Schlangengeäder herausgelesen, welches in den großen Büchern stand.

So kam es, daß Peggy mindestens eben so viel Widerstreben fühlte, seine Hand an ein großes Buch zu legen, als wenn ihm vorgeschlagen worden, einen geweihten Kelch aus der Sakristei zu holen.

Es ist sehr niederschlagend, Herr, sagte er.

Fürchtet Ihr die Gefahr, Peggy?

Nein, aber die Sünde; es ist eine Kirche, Herr, und es ist ein Buch!

Die Sünde! Würde Euere Herrin mir den Brief gesandt, das heißt, mich aufgefordert haben, es zu thun, wenn sie es für eine Sünde hielte?

Dies Argument schien nicht ohne Wirkung zu bleiben.

Das Buch soll ja nicht gestohlen werden; wenn es seine Dienste geleistet hat, wird es dem Pfarrer zurückgesandt, hob Finkenberg wieder an.

Eine Kirche ist ein geweihter Ort!

Aber eine Sakristei –

Ist auch geweiht; oder ist sie es nicht, Herr?

Ich meine, Peggy, es könnte sich eben so viel dafür, als dawider sagen lassen.

Nun, Herr, so seid Ihr dawider und ich will dafür sein; dann wollen wir ein paar Gänge machen und sehen, was oben bleibt.

Nein, Peggy, das ist nicht der rechte Weg, um über Glaubens- oder Kirchensachen ins Klare zu kommen. Und wenn ich überhaupt ein Mann wäre, der sich im Stande fühlte, auf diese Art über streitige Punkte der Theologie Licht zu verbreiten, so würde ich Euch bei dem ganzen Handel nicht brauchen, sondern das Verdienst für mich selber nehmen.

Wann, glaubt Ihr, müßt's geschehen, Her»? hob Peggy nach einer Pause wieder an.

Je schneller es geschieht, desto sicherer sind wir, daß die schlimme Gräfin noch nichts von dem Verlorensein des Briefes gemerkt und noch keinen zweiten geschrieben hat. Was meint Ihr, wenn's noch diese Nacht geschähe? Wir haben Mondlicht! Was meint Ihr, Mann?

Die Sünde! Es ist ein geweihter Ort! sagte Peggy, seinen Kopf unruhig bald auf den rechten, bald auf den linken Arm stützend.

Hört, Peggy, wenn's denn nun auch eine Sünde wäre – ich denke, daß schon mehr und vornehmere Leute als Ihr, Mann, auf ein paar Tage Ofenarrest im Fegefeuer es nicht haben ankommen lassen! Ist sie's nicht werth, sie, ein kleinwenig Sündigen? Und hört, Peggy, denkt, sie nähme sich in der Verzweiflung das Leben? Sie ist heftig und entschlossen, und es ist leicht möglich, daß sie lieber ihr Leben opfert, als ihren Willen. Wie dann, wenn nun jedenfalls eine Sünde geschehen müßte? Geht Eure Treue nicht so weit, daß Ihr sie für Eure Herrin thätet?

Ihr habt recht, antwortete Peggy. Und so will ich denn sagen, in Gottes Namen; topp, da habt Ihr meine Hand!



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