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Siebentes Kapitel.


Bis die Dämmerung einbrach, blieben die beiden Verschworenen in der Wirthsstube sitzen und Finkenberg unterließ nicht, durch häufiges Einschenken Peggy's Muth in voller Blüte zu halten. Nachdem dieser einmal den Entschluß gefaßt, wuchs seine Sicherheit darin mit jedem Augenblicke, und die Gründe, warum er es ja thun könne ohne alle Gefahr für Leib und Seele, wuchsen nun ordentlich vor ihm aus dem Boden auf.

Finkenberg hörte mit großer Genugthuung seinem Geschwätz zu, dem der lustige Ire fortwährend originelle und lachenerregende Wendungen gab, und war endlich ganz einverstanden, als Peggy beim ersten Strahl des aufgehenden Mondes vorschlug, den Weg anzutreten.

Wir haben zwei und eine halbe Stunde zu machen, Herr, und ich muß sagen, wenn wir noch vor zwölf Uhr damit zu Stande kämen, so wäre es mir lieber, als wenn ich nach dieser Stunde dran müßte.

Und weshalb, Peggy?

Wenn Ihr Euch darüber keine Gedanken macht, so will ich Euch nicht darauf bringen. Denn ich sehe nicht ein, daß es Euch bei dieser kühlen Nachtluft von Nutzen sein könnte. Auch habe ich Leute gekannt, die nach Mitternacht über Kirchhöfe gegangen sind und die mir gesagt haben – recht wahrhafte und ehrenwerthe Leute, Herr, und Einer ist darunter, auf dessen Worte ich jeden Augenblick einen Schwur thun will, solch' ein vernünftiger, würdiger Mann ist er, meiner Mutter Großohm, Herr – nun, meiner Mutter Großohm hat mir gesagt, daß er einmal nach Mitternacht über einen Kirchhof gegangen sei und daß er weder einen Geist in einem weißen Laken am Zaune stehen gesehen, noch von einem hohläugigen Schädel den guten Abend geboten bekommen habe! Und dies ist wahr, Herr, so wahr ich meiner Mutter Sohn bin.

Während Peggy durch solcherlei Gespräch die Zeit zu kürzen bemüht war, schritten die beiden Männer über thaufeuchte Wiesen und zwischen dunkeln Wallhecken einher, dem Orte Olderndorf zu.

 

Wir wollen uns unterdeß nach dem Juden umsehen. Isaak hatte aus zwei Gründen mit solchem Eifer die Bestellung an den Arzt übernommen. Zuerst wollte er in der That noch den Abend nach dem nicht mehr fernen Birkenheim und sodann am andern Tage nach dem Orte, den er dem Knecht nannte und wohin der Weg an Arnstein vorüberführte; nun sah er die schönste Gelegenheit, sich vom Doctor Pauli im Wagen bis nach Arnstein mitnehmen zu lassen.

Und zweitens hatte er wieder einmal Aussicht bekommen, den Arzt in Angst versetzen zu können, was ihm um so größere Genugthuung gewährte, als er diesem und seinem ganzen Hause jede mögliche Kränkung zuzufügen seit dem Augenblicke geschworen hatte, in welchem der Schwiegersohn Pauli's ihn für seine Perfidie gezüchtigt hatte – damals, als Isaak dem Gerichtsarzt verheimlichte, daß Theo gefunden sei und als er sich mit dem Briefe davonmachen wollte. Der Gerichtsarzt war ja noch fortwährend durch ein feierliches Gelöbniß verbunden, des Juden Aufruf und Führung zu folgen, wohin auch immer dieser ihn bringe. Isaak konnte sich mithin einmal wieder die Befriedigung verschaffen, den alten Herrn in Zagen und Angst zu bringen, wenn auch für Nichts und wieder Nichts.

Als er in Birkenheim angekommen war, ordnete er zuerst ein Geschäft mit einem seiner Religionsgenossen und, als es dunkel geworden, trat er den Weg zum Hause des Arztes an. Statt anzuklopfen, schlich er um das Haus her, nach der Rückseite desselben, wo ein heller Lichtschein aus dem Wohnzimmer in Garten und Baumhof fiel. Durch die erleuchteten Scheiben sah er den ältern Arzt neben der Studirlampe über ein Buch gebückt, das augenscheinlich seine ganze Geistesthätigkeit in Anspruch nahm.

Hätte Isaak näher hinzutreten und über die Schulter des Lesenden blicken können, so würde er gesehen haben, daß es die »Seherin von Prevorst« Friederike Hauffe (1801-1829) wurde bekannt als ›Seherin von Prevorst‹. Sie zeigt von 1825 an Symptome einer »Dämonen- und Geisterbesessenheit« und soll Stimmen und Lichterscheinungen wahrgenommen und später eintreffende Geschehnisse vorausgesagt haben. Die letzten beiden Jahre ihres Lebens verbrachte sie im Haus des Oberamtsarzts Justinus Kerner in Weinsberg. Kerners Krankenbericht »Die Seherin von Prevorst« (1829), in Romanform verfasst, wurde ein Bestseller seiner Zeit. war, jenes Buch voll wirrer Geheimnisse, in dessen dämonische Räthselkreise der Geist des Arztes so tief versunken war.

Wie er wird in die Höhe fahren, wenn er mich plötzlich sieht! flüsterte Isaak leise für sich; dann stieß er blitzschnell mit beiden dicht behandschuhten Fäusten eine Scheibe des Fensters ein und steckte im nächsten Augenblick seinen Kopf hindurch, das greinendste, hagerste, scheußlichste Gesicht, das man sehen konnte.

Was er beabsichtigt hatte, geschah. Der Arzt fuhr empor, und als er so unerwartet ein drohend verzerrtes Gesicht wahrnahm, das ihn angrinste, ergriff den Ueberraschten ein solcher Schrecken, daß er einen leisen Schrei ausstieß und sein ergrauendes Haar sich über dem grünen Schirm sträubte, welchen er bei Licht zum Schutze seiner Augen trug.

Isaak weidete sich eine Weile stumm an dem Anblick des erschrockenen Mannes; als aber der Arzt endlich die gehobenen und vorgestreckten Arme sinken ließ und ein paar Schritte gegen das Fenster machte, rief er:

Herr Amtsphysikus Pauli, nehmen Sie's nicht übel; ich wollte sehen, ob Sie zu Hause wären, und wie ich mit dem Kopf an die Scheibe stoße, zerbricht sie mit einem Male – sie muß schon früher einen Bruch gehabt haben, Herr Amtsphysikus!

Ihr seid es, Jude!

Der Arzt hielt sich an einer Stuhllehne fest und setzte sich dann, um wieder zu Athem zu kommen.

Ich bin es, Herr Amtsphysikus! Ich hoffe nicht, daß Sie erschrocken sind; es würde mir leid thun, Herr Amtsphysikus!

Ich bin erschrocken! In Euerm Gesichte liegt genug Gift und Hohn gegen jedes Menschenkind, um Jemanden zu erschrecken, wenn er in stiller Stunde, mit seinen Gedanken allein, plötzlich in Euere verzerrten Züge blickt. – Aber sagt, was wollt Ihr, Isaak? Was führt Euch hierher? Wärt Ihr ein anderer Mann, so könntet Ihr in mir einen dankbaren Freund haben; so aber, Isaak, seh' ich Euch lieber gehen als kommen.

Der Geschmack ist verschieden; ich sehe Sie immer gern, Herr Amtsphysikus; es ist ein würdiger Mann, ein gelehrter Mann, der Herr Amtsphysikus Pauli, sag' ich mir dann, und ein gar herablassender Mann; nicht stolz gegen einen armen Juden, wie du bist, Isaak, und nur zu pfeifen brauchst du, Isaak, so kommt der Herr Amtsphysikus Johann Wilhelm Pauli vor lauter Gefälligkeit hervor aus seinem Studirzimmerchen, so gewiß wie eine Grille, wenn man mit dem Halm in ihr Loch bohrt. Und der Herr Amtsphysikus Johann Wilhelm Pauli thut mit dir marschiren bei Nacht wie bei Tag, wohin du ihn haben willst. Hab' ich die Wahrheit gesagt?

Der Gerichtsarzt antwortete nicht, sondern sah mit bekümmertem Blick fragend den Juden an. Dieser fuhr fort, indem er seine heisere Stimme zu tiefem, feierlichem Tone anstrengte:

Herr Amtsphysikus Johann Wilhelm Pauli zu Birkenheim – die Stunde ist gekommen! Halten Sie sich bereit. Ich rufe Sie. Um Mitternacht muß ein Wagen vor Ihrer Thür halten und Sie folgen mir, wohin ich Sie führen werde.

Ha, sagte der Arzt, soll dies wieder beginnen? Er fuhr mit der Hand über die Stirn. Dann sagte er mit abwehrender Bewegung des Arms und in entschiedenem Tone: Nein, Jude, an diesem Bande hältst du mich nicht mehr! In Angst und Betäubung habe ich dir etwas gelobt –

Geschworen! auf die Bibel geschworen, Herr Amtsphysikus –

Nun ja, geschworen, was ich nicht schwören durfte. Ich bin entschlossen, es nicht zu halten.

Dem Meineidigen wächst die Hand zum Grabe hinaus –

Mag sie – das Unrecht liegt im Schwur, nicht im Bruch des Eides. Geht fort, Isaak Koppel; ich mag nichts mit Euch zu schaffen haben.

Nun, wenn Sie denn nicht wollen, so lassen Sie's bleiben; aber heraus müssen Sie, der junge Graf Schlettendorf hat einen Schuß in die Schulter bekommen und liegt in Arnstein und verlangt nach Ihrer Hülfe. Deshalb lassen Sie einen Wagen holen und machen Sie sich auf den Weg, denn seine Wunde ist gefährlich.

Das ist etwas Anderes, und wenn Ihr die Wahrheit sagt, bin ich augenblicklich bereit.

Ich habe selbst mit dem Herrn Grafen zu sprechen und deshalb werden Sie mich mitnehmen in Ihrem Wagen, Herr Amtsphysikus.

Euch, Isaak? Doch, der Weg ist weit – in Gottes Namen. Kommt herein und wartet in der Küche.

Isaak folgte der Einladung und der Arzt schickte nach Postpferden, um ohne Zögerung in Begleitung Isaaks den Weg antreten zu können. Dieser setzte sich denn auch mit großem Wohlbehagen neben den Arzt in dessen Wagen und fiel bald in einen tiefen Schlaf, während die wachbleibenden Augen des Andern oft nach seinen mondbeglänzten, marmorkalt gewordenen und im Schlummer wahrhaft dämonischen Zügen blickten, um sich jedes Mal wie von einem tief unheimlichen Anblick rasch wieder abzuwenden.

Des Juden Vorgeben, daß er mit Valerian sprechen müsse, war ein unwahres; er hatte es blos als Vorwand gebraucht, um vom Arzte mitgenommen zu werden und in einer bequemen Chaise fahren zu können – ein Genuß, der ihm nur selten bei seinem unruhigen Umherschweifen auf allen Straßen zu Theil wurde.

Als aber Beide am andern Tage in den Vormittagstunden vor Arnstein ankamen, ging Isaak dennoch mit dem Arzt in die Burg, theils aus Neugier, theils weil er für seinen Dienst oben ein Frühstück in Anspruch zu nehmen gedachte.


Um dieselbe Zeit ungefähr, in welcher der Gerichtsarzt in Arnstein ankam, wurde in Quernheim der Gräfin Allgunde der Besuch des Freiherrn Heydenreich von Tondern angekündigt. Sie erhob sich sehr bewegt und voller Spannung, um ihm entgegenzueilen, und ihm die Hand entgegenstreckend rief sie:

Heydenreich! Sie kommen aus der Hauptstadt; was bringen Sie mit?

Die besten Nachrichten von der Welt, Gräfin Allgunde. Mein Name nebst zwei andern unbedeutender Bureauchefs, die nicht in Betracht kommen können, steht auf der Liste der Bewerber, die vom Minister dem Könige vorgelegt worden ist. Der geheime Staatsrath von L. hat an meinen Vetter Prallhufen geschrieben. Die Entscheidung kann nicht lange auf sich warten lassen!

Nun so gratulir' ich, Heydenreich. Gott sei gedankt, daß Dies durchgesetzt ist!

Ja, Gott sei gedankt, daß ich es durchgesetzt habe, sagte Heydenreich mit einer gewissen Betonung des »Ich«. Er war in der That über dies Resultat doppelt erfreut, weil es erzielt worden, ohne daß Allgunde zu ihrer projectirten Reise in die Residenz gekommen. Er konnte für die Zukunft mit um so größerm Fug ihre Verdienste an seiner Erhebung ignoriren und sich einer Dankbarkeit entziehen, die ihm lästig war, einen Einfluß zurückweisen, dem er sich bis jetzt nur mit Ungeduld und Widerstreben, wenn auch mit vollständig täuschender Fügsamkeit unterworfen hatte.

In dem Tone dieses »Ich« liegt eine zukünftige Kriegserklärung! dachte Allgunde. Doch nur erst die Angelegenheiten der Gegenwart geschlichtet, später ist mir auch eine kleine Intrigue gegen dich nicht unangenehm, setzte sie in Gedanken hinzu.

Allgunde und Heydenreich waren viel zu lange warme und vertraute Freunde gewesen, als daß sich nicht in dem Gemüth Beider von verschiedenen Gelegenheiten her eine Menge kleiner Grimmigkeiten und Erbitterungen sollte gesammelt haben, die einmal ausbrechen mußten. Und wäre dies auch nicht der Fall gewesen – jeder von ihnen kannte zu gut die kleinen Schwächen und verwundbaren Stellen des Andern, als daß sie hätten aus diesem irdischen Leben scheiden können, ohne sich einmal die Befriedigung zu gönnen, von solcher Kenntniß Gebrauch zu machen, und zwar mit all' jener liebenswürdigen kleinen Bosheit und Schadenfreude, die schon hienieden für den geplagten Sterblichen Quelle so mancher tröstenden Genugthuung ist.

Ja, fuhr Heydenreich fort, sich neben Allgundens Sopha in einen Fauteuil werfend, dies Ereigniß freut mich; denn es beweißt mir, daß die alten, unerschütterlichen Grundfesten des Adels jetzt mit immer aufgeklärteren und weiseren Gesinnungen von unserer früher so mistrauischen Regierung angesehen werden und daß sie immer mehr zur Geltung kommen.

Freilich, sagte Allgunde, und es ist nicht zu verkennen, daß unser Streben, Das wieder zu bekommen, was wir früher besessen haben, uns mitunter weit mehr erlangen läßt, als wir ehemals je hatten.

Das ist wahr, versetzte Heydenreich, und es ist natürlich. Denn wir wissen, was wir wollen, wir sind einig über Ausgangs- und Endpunkt, während die Liberalen in ihrer Blindheit Alles auf einmal wollen und sich in hundert Parteien zersplittern, mit hundert Meinungen, hundert Tendenzen, hundert Stichwörtern. Ferner haben wir den Gott der Neuzeit in der Tasche – und wir sind Charaktere. Da liegt's, in dieser Eigenschaft liegt unsere Stärke; wir sind Charaktere und so haben wir einen Corporationsgeist in uns erblühen machen können, für den wir zu kämpfen, zu leiden, zu opfern verstehen. Die ganze übrige Welt ist mattherzig, heut' warm und morgen wieder kalt; lügenhaft, großsprecherisch und feig. Mag sie hundert Mal auch, wie sie behauptet, in ihrem Kampfe Recht und Wahrheit für sich haben – was hilft es ihr? Da sie mit solchen Waffen nicht zu siegen weiß, verdient sie auch nicht zu siegen.

Wir bilden freilich ein hübsches Heer, sagte Allgunde; schon seit man den frühern reichsunmittelbaren Adel, also die ganze mächtige, reiche Klasse der ehemaligen Souveraine oder Halbsouveraine mit uns zusammenwarf und uns Allen gemeinsame Interessen gab, hat man eine furchtbare Phalanx aus uns gemacht. Den linken Flügel bilden die Jesuiten und den rechten die aristokratisch-christlich-germanischen Sympathien unserer deutschen Regierungen. Was wollen wir mehr?

Ich glaubte, Sie möchten die Jesuiten nicht! sagte Heydenreich.

Sie sind mir ekelhaft als Heuchler und Schleicher. Sie sind das Ungeziefer der Geschichte. Aber daß sie uns dienen, ist mir recht. Doch danke ich es ihnen nicht; denn sie thun es ihrer selbst, nicht unsertwegen oder um der Religion, des Rechts willen.

Religion und Recht, fiel Tondern ein, sind freilich überhaupt nur noch von bedingtem und untergeordnetem Werth – die Mittel, um die Massen zu schulen. In den höhern Lebensregionen sind alle andern Fragen ohne Ausnahme vollständig untergegangen in der politischen Frage. Dies ist jetzt noch nicht klar ausgesprochen, obwol es im Bewußtsein der Führer liegt. Alles aber wird bald absorbirt werden von den großen Kategorien der Reform und der Reaction, und eines Tages wird man alle die befreundeten Mächte, die jetzt incognito Liebschaft mit einander treiben, mit wehenden Fahnen sich zuziehen sehen, um eine große Brudermacht zu bilden. Die conservative Macht, welche Wächter der kirchlichen Freiheit Deutschlands sein sollte, wird endlich in feuriger Wallung dem Katholicismus ihrer Nachbarmacht im Osten eine zärtliche Liebeserklärung machen und als Zeichen langer, stummer Leidenschaft ihr einige Ritterhelme, einen romantischen Rosenkranz und eine verschärfte Censurinstruction zu Füßen legen. Ja, die Zukunft wird den bunten Wirrwarr der Gegensätze lösen und das Handgemenge unserer Zeit in zwei große, kämpfende Parteien scheiden. Statt daß man jetzt den Kampf vor lauter Streitenden nicht sieht, wird Jeder zur Besinnung kommen, warum er ficht und dem Wehen einer großen, Alles überragenden Standarte folgen. Auf der einen Seite werden Protestantismus und alle Dissenter, Wissenschaft und Philosophie, Kunst der Dichtung und Kritik, Demokratie, constitutionelle Freiheit, Fortschritt, Aufhebung der Geburtsvorzüge und Prärogative, Organisation der Arbeit u. s. w. sich freundlich zusammenfinden – freilich mit dem stillen Vorbehalt, nach errungenem Sieg weiter mit einander zu reden. Auf der andern Seite werden Papstthum, Katholicismus, Conservatismus, Positivismus, Bevormundung des Volks, Gebundenheit der Presse, Adel, Romantik, Jesuiten, Absolutismus, Unterdrückung constitutioneller Formen u. s. w. sich zusammenfinden und mit gleichem Eifer wie mit gleichen Gesinnungen den Kampf führen. Nach dieser großen Evolution drängt die Zeit. Es wird ein fürchterlicher Kampf werden, fürchterlich auch deshalb, weil es dem parteilosen Manne, dem das Sündigen in Ilium und außer Ilium nicht entgeht, nicht mehr erlaubt bleiben wird, seinen eigenen und unabhängigen Standpunkt einzunehmen.

Aber das Alles mag noch in weiter Ferne liegen, lieber Tondern, sagte Allgunde; es gehört dazu, daß die Menschen den Muth fassen, sich selbst Geständnisse über ihr eigentlichstes Wollen und Streben zu machen. Mit Muth aber sind die Menschen, sind besonders die Richtungen unserer Zeit nicht überflüssig ausgerüstet. Alle suchen eifrig, sich ein Mäntelchen umzuhängen und irgend ein hübsch klingendes Wort ihrer eigentlichen Tendenz als Maske vorzubinden. Bis dahin aber, Tondern, was gedenken Sie zunächst zu thun, wenn Sie im Besitze des großen Einflusses sind, welcher für Sie in Aussicht steht?

So viel wie möglich! Was uns angeht, so werde ich thun, was in meiner Macht ist, das autonomische Statut auf uns hier ausgedehnt zu sehen, welches von unberechenbarer Wichtigkeit für unsere politische Bedeutung werden dürfte, da es uns das Mittel in die Hand gibt, zu verhindern, daß sich je aus unserm eigenen Schoose eine Opposition herausbilde, die mit verkehrten Gesinnungen Einfluß und Reichthum verbände. Nämlich durch Übertragung des Majorats an einen andern, besser denkenden Sohn, wenn der älteste liberale Meinungen annähme.

Der Eisenbahnagitation gedenke ich ein Ende zu machen. Die Regierungen sind fürchterlich kurzsichtig bei ihrem Eisenbahnschwindel! Hier ins patriarchalische Land soll mir keine Locomotive kommen, wenn ich es verhindern kann! Ferner freut es mich, etwas für die Ordnung der bäuerlichen Verhältnisse thun zu können!

Das ist ein anderer Ausdruck für den misfällig gewordenen: Wiederherstellung der Leibeigenschaft! warf Allgunde ein.

Wenn Sie wollen, ja – doch würde ich auch vor diesem Ausdruck nicht zurückschrecken – heutiges Tages geht Alles! Hat die Kirche nicht die Unfehlbarkeit des Papstes wieder kühn hervorholen dürfen? Weshalb sollen wir nicht das Institut der Leibeigenschaft wieder einführen, welches doch nichts thut, als dem Grundherrn über den Bauern das Vormundschafts- und Verhütungsrecht geben, das jetzt die Behörden über die Gemeinden sich nehmen? – Gab es doch eine Zeit, wo Unfehlbarkeit des Papstes und Leibeigenschaft zwei gleich absurde Dinge schienen. Aber haben wir umsonst den glänzenden Fortschritt unsers Jahrhunderts gemacht?

Vor Allem ist darauf zu wirken, sagte Allgunde, die, mit größerer politischer Genialität, als Heydenreich besaß, auf Ideen und Principfragen ihre Blicke zu richten liebte, vor Allem ist darauf zu wirken, daß unser Adel sich immer mehr in seiner jetzigen, vom Thron noch so durchaus unabhängigen Lage befestige. Diese gibt uns unsere exceptionelle, dem ganzen übrigen Adel Deutschlands überlegene Stellung und erhält uns unsern Charakter, worin unsere Stärke liegt. Die Reaction zur Wiedererlangung jenes alten Rechtes, wonach wir alle Stellen in Verwaltung und Heer innehatten, ist für uns eine ganz falsche Politik. Sehen wir getrost zu, wenn ein Bürgerlicher Minister wird und lassen dem Roturier seine Freude darüber, dem nicht einfällt, daß je despotischer ein Staat, desto unbeschränkter er die Wahl seiner Diener vornimmt und daß der Sultan Sklaven zu Großwesiren macht. Aber suchen wir vom Staat unabhängige Sinecuren zu erhalten und zu schaffen. Das Charakteristische unserer Regierungen ist die Eifersucht auf jede von ihnen unabhängige, sich selbst genügende Existenz; die ist ihnen ein ewig bleibender Stachel, der sie nicht ruhen läßt; o Sie werden sehen, wie man uns die Cour machen, wie man uns zu gewinnen suchen wird, wenn wir unsere Unabhängigkeit bewahren! Und so werden wir nach und nach desto mehr zugestanden bekommen, je weniger wir uns dankbar für das Erhaltene und Gewonnene zeigen!

Das ist wahr, sagte Heydenreich, und wie könnten wir auch mit Titeln, Ordensketten und solchem Tand uns an das Staatsschiff binden lassen, welches in unserer Zeit einen so gefährlichen Cours segelt? – Halten Sie nicht die Regierungen selbst mitunter schon mehr oder minder vom Jakobinismus angesteckt?

Allgunde schüttelte den Kopf.

Glauben Sie nicht?

Nein! Die aura popularis soll in ihre Segel wehen und zugleich allgemeine Windstille herrschen! Auf diesen Wunsch gründet sich die ganze moderne Herrscherpolitik.

Lassen wir aber dies Alles jetzt, Gräfin; ich komme, um zu fragen, wie es Theo geht und wann ich endlich das Jawort von ihren eigenen Lippen hören werde. Sie begreifen, daß ich jetzt ohne Aufschub zum Ziele kommen muß!

Ja, Heydenreich, Sie sollen es. Theo ist –

In diesem Augenblick wurde Allgunde unterbrochen, indem ein Bedienter hereintrat, um ihr die Ankunft eines Menschen zu melden, der sie allein sprechen wolle.

Die Gräfin verließ das Zimmer.



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