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Viertes Kapitel.


Etwa eine Stunde nach der eben mitgetheilten Unterredung trat in das Wohnzimmer Allgundens ein sehr freundlicher, sehr viele Verbeugungen machender Herr ein, von etwa fünfunddreißig Jahren, groß, mager, mit dünnem, blondem Haar und lächelnden, schmalen Augen, deren Farbe zwischen grün und blau schimmerte. Er trug einen hellblauen Ueberrock und zeigte im Schnitt der Kleidung wie in seiner Haltung den geistlichen Herrn.

Ew. gräfliche Gnaden haben mich herbeschieden, sagte er mit großer Unterwürfigkeit in Ton und Blick.

Ja, gut daß Sie kommen, Lehmann! versetzte Allgunde ihm entgegengehend. Setzen Sie sich. Ich habe mit Ihnen zu reden.

Sie wissen, Gräfin, welch' eifrigen Diener Sie an mir haben

Die Gräfin antwortete hierauf nicht, sondern sie nickte freundlich lächelnd und sagte dann:

Es wird Sie freuen zu hören, daß das Kirchenbuch, welches ich durch den Juden bei Ihnen abholen ließ, richtig in Arnstein abgeliefert und dort im Archive niedergelegt worden ist, wo es für uns Beide am sichersten. Es sind Verhältnisse da, welche mich abhalten, jetzt gleich nach Arnstein zu gehen; sobald diese erledigt, werde ich mich dorthin begeben und das Blatt, welches uns Beiden darin unangenehm ist, vernichten. Bis dahin habe ich vorgezogen, das Buch in Arnstein aufbewahren zu lassen, weil sich dort ein Gewölbe befindet, in das keines Menschen Auge dringen kann, während ich hier, von wo mich so oft dann diese dann jene Angelegenheit auf mehrere Tage fortruft, Gegenstände von großer Wichtigkeit meinen Möbeln nicht gerne anvertraue. Mein Vater z. B. leidet etwas an Neugier – und er hat sehr viel Mußestunden! Sie begreifen mich.

Vollständig, Gräfin! Nur das nicht, weshalb Sie mir überhaupt die Hut des Kirchenbuches entzogen haben. Ich hoffe nicht, daß Sie Mistrauen in mich –

Von Mistrauen ist nicht die Rede. Ich hatte einen andern Grund.

Ich frage nicht darnach, sagte sich demüthig verbeugend der Pfarrer Lehmann. Nach unsern Landesgesetzen steht dem Kirchenpatron das Recht zu, die Bücher sich vorlegen zu lassen. Sie haben im Namen Ihres Herrn Vaters dies Kirchenbuch von mir requirirt und ich habe es Ihnen vorgelegt. Wie weit Sie jetzt das Patronatsrecht darüber auszudehnen geruhen, ist nicht mehr meines Amtes zu untersuchen. Wollen Sie irgend ein Blatt herausreißen – es ist eine öffentliche Urkunde – aber nicht mir liegt es ob, von meinem Patron Rechenschaft zu fordern, wenn ich auch bei einer etwaigen Visitation die Anzeige zu machen hätte.

Gut, gut, lassen wir das jetzt! Sie haben geschworen, die Kirchenbücher genau zu führen. Ich habe die Scrupulosität, womit Sie Ihrem Diensteid nachgekommen sind, geachtet und habe Sie schreiben lassen, was Sie wollten. Nur die Geheimhaltung des betreffenden Buches habe ich mir von Ihnen versprechen lassen –

Der Pfarrer verbeugte sich tief.

Und mich derselben versichert, indem ich Ihr eigenes Interesse daran knüpfte. Wenn ich nun, nachdem viele Jahre verflossen sind, mich noch bewogen finde, den einzigen Beweis eines unbesonnenen Schrittes zu vernichten und so auf ewig ganz unschädlich zu machen, so wird Ihre Scrupulosität dadurch nicht verletzt werden können, und die meinige zu beruhigen, das gelingt vielleicht, fügte Allgunde lächelnd hinzu, der Beredtsamkeit meines Beichtvaters,

Der Pfarrer lächelte ebenfalls sehr schalkhaft.

Nach kurzer Zeit, fuhr Allgunde fort, sollen Sie das Buch wieder bekommen.

Es hat Zeit damit bis zum Advent, wo ich die jährlichen Civilstandsauszüge und Berichte für die Behörden zu machen beginne.

Sie werden früher wieder in den Besitz des Buches kommen. Aber bis dahin geben Sie wohl Acht. Man wird suchen, dasselbe Buch, von welchem wir reden, zu entwenden.

Ah! warum nicht gar!

In allem Ernst. Das ist der Grund, weshalb ich das Buch habe fortbringen lassen. Sein Sie für alle Fälle bereit. In der dritten, vierten Nacht von heute an – vielleicht noch später – vielleicht freilich auch gar nicht, wird der Versuch gemacht werden.

Aber, mein Himmel, wie wissen Sie dies, Frau Gräfin, woher –

Das ist mein Geheimniß, antwortete Allgunde.

Hören Sie nur, was ich von Ihnen wünsche. Halten Sie einige handfeste, entschlossene Männer Ihrer Gemeinde, denen Sie vollkommen vertrauen können, bereit. Wachen Sie mit Ihnen. Kommt der Dieb, so seien Sie vorsichtig. Fangen Sie ihn nicht eher, als bis er wirklich durch Aufbrechen und Einsteigen das Verbrechen des Kirchenraubes vollendet hat und, auf der That ertappt, keinerlei Ausflüchte mehr machen kann. Seien Sie ja besonnen und nicht zu rasch, hören Sie! Uebrigens mögen sie um so ruhiger bei der ganzen Angelegenheit sein, als sie es mit einem schwachen und furchtsamen Menschen zu thun haben.

Wohl! sagte der Pfarrer. Und dann?

Dann nehmen Sie den Dieb, wenn er gefangen ist, nebst den Männern, die ihn ergriffen, mit sich in Ihr Haus. Lassen sie die Letztern nicht eher gehen, als bis sie bei hellem Morgenlicht den Dieb angeschaut und seiner Identität sich versichert haben. Darauf entfernen Sie diese Leute, dem Ertappten aber sagen Sie im Geheim, er solle sich sofort dahin begeben, wohin man ihn habe vor einigen Wochen schon senden wollen. Geld dazu habe er empfangen. Bleibe er jedoch noch vierundzwanzig Stunden lang in dieser Gegend sichtbar, so werde er als Kirchenräuber den Gerichten übergeben. Sodann lassen Sie ihn sich mit so viel Heimlichkeit, wie es irgend möglich ist, aus ihrem Dorfe schleichen.

Sie sehen, mein Auftrag ist nicht grade schwer. Es kommt nur darauf an, daß Sie ein paar zuverlässige Männer finden, die zu schweigen verstehen. Und Ihre Beichtkinder müssen Sie ja kennen. Geld brauchen Sie nicht zu sparen.

Der Pfarrer sah eine Weile nachdenklich vor sich hin. Dann stand er auf und sagte:

Ich will mein Möglichstes thun, Sie ganz zufrieden zu stellen!

Kommen Sie dann zu mir, um mir zu berichten, Lehmann. Doch kommen Sie auch, wenn nach sechs bis acht Tagen der Einbruch nicht erfolgt ist. Wie gesagt, zwei Tage haben Sie mindestens noch Zeit, sich vorzubereiten.

Der Pfarrer verbeugte sich, um zu gehen.

Nachher will ich Sie nicht mehr mit all' diesen Dingen quälen, sagte Allgunde, dem Geistlichen die Hand reichend. Der Pfarrer in Hellstein wird täglich schwächer; die Pfründe wird Niemanden anders zu Theil, Lehmann, als Ihnen. Es ist die beste von den Patronatstellen meines Vaters.

Der Pfarrer küßte mit einiger Ungelenkigkeit, die seine süße Freundlichkeit nicht liebenswürdiger machte, der Gräfin die Hand.

Und wie ist es mit Fräulein Theo, deren Trauung ich damals vornehmen sollte? Ich war schon auf dem Wege nach Arnstein, als ich Gegenbefehl erhielt.

Der Pfarrer sprach diese Worte leise und mit listigem Augenzwinkern.

Was diese Angelegenheit angeht, so hoffe ich, Sie nicht bemühen zu brauchen.

Es wird also nichts aus der Vermählung?

Im Gegentheil, Theo wird sich zu diesem Schritte ganz aus freien Stücken entschließen und unser alter Pfarrer hier dürfte sich dann nicht nehmen lassen, die Trauung selbst zu vollziehen.

Dann, antwortete Lehmann, wenn Sie es dahin bringen, gnädigste Gräfin, beuge ich mein Knie aus Bewunderung vor Ihnen. Denn ein Paar Charaktere, welche mehr geeignet sind, sich wechselseitig abzustoßen und zu fliehen, wie Herr von Tondern und das Fräulein Theo, habe ich nicht kennen gelernt.

O man muß nur den Menschen zu behandeln wissen, versetzte zufrieden lächelnd Allgunde. Es kommt darauf an, bei welchen Handhaben man ihn faßt. In jedem Charakter sind Handhaben um ihn – so – oder so – nach rechts, nach links, nach dieser Seite, nach jener hinzuwenden, wie man will! – Adieu, Lehmann, bringen Sie mir gute Nachrichten. Auf Wiedersehen!

Als der Pfarrer Lehmann gegangen war, wurde Tondern der Gräfin gemeldet. Sie hatten eine ziemlich heftige Debatte zusammen und als Allgunde sich wieder allein befand, sagte sie nachdenklich und besorgt:

Worauf trotzt nur dieser Mensch, daß er so rücksichtslos und impertinent gegen mich zu werden wagt?



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