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Drittes Kapitel.


Mehrere Tage nach Valerian's Verwundung sind verflossen.

Wir finden Theo wieder in einem runden Thurmzimmer des Schlosses zu Quernheim. Es ist früh am Morgen und da draußen ein ziemlich kalter Nebel, der den nahenden Herbst mit seinen Schauern ankündet, so hat sich das Edelfräulein in die Nähe des flackernden Kaminfeuers gesetzt. Ihr Arm stützt sich auf die Seitenlehne eines kunstreich geschnitzten Sessels, dessen rohrbeflochtener Rücken mit der steifsten Grandezza der Zeit, welche dies feierliche Möbel geschaffen, grad' aufrecht hoch emporstieg. Die übrige Ausstattung des Zimmers war sehr einfach und die Möbeln zeigten jenen garstigen Geschmack, dessen gradlinige und dünnbeinige Dürftigkeit uns an die Zeiten Josephinens erinnert.

Theo trug einen Morgenüberrock von blaßgrüner Seide, der vorn offen das weiße Unterkleid zeigte und, mit schwarzseidner Schnur um die Taille befestigt, trotz seines Faltenreichthums den ganzen Zauber ihrer üppigen und doch schlanken Gestalt verrieth. Sie hielt den Kopf zur Seite gesenkt und ließ die rechte Schläfe auf der innern Fläche ihrer Hand ruhen, während den Arm die Sessellehne stützte. Ihre Augen blickten durch eines der beiden hohen halbrunden Thurmfenster in die trübe Nebelluft hinaus, deren nasses Grau um die gelb und röthlich sich färbenden Wipfel einer Gruppe von wilden Kastanien wogte und wallte.

Draußen und im Innern des Schlosses herrschte vollständige Stille; kein Laut war wach, kein Fuß hallte auf den Corridoren, keine Stimme tönte auf den Höfen. Diese Stille des Morgens, diese träumerische, um Wipfel, Schloß und Felder wallende Nebelluft hatten eine Art Balsam für Theo, etwas Schmerzbeschwichtigendes. Und sie bedurfte solcher Beschwichtigung. Sie hatte die Nacht in Thränen zugebracht. Ihr Herz war vom tiefsten Wehe zerrissen, das in der Brust eines Mädchens von Theo's Charakter Platz findet. Davon war ihr Gesicht so blaß, ihr Auge so feucht schimmernd. Jetzt hatte sie ihre Thränen getrocknet. Nur zuweilen noch bebte ihre Oberlippe, wie ein ausbrechendes Schluchzen verkündend; dann aber fuhr ihre Hand mit dem Tuche zu ihren Augen und nach einem Drucke auf ihre Lider mit den dunkeln, langen Wimpern blickten die Augen wieder mit derselben träumerischen Ruhe in den Nebel hinaus.

Es war einer jener Tage, wo die äußere Farblosigkeit, Stille und Monotonie der verrinnenden Stunden auch das innere Leben in uns zu einer Art Farblosigkeit herunterstimmt; wo es ist, als sei ein Schleier über die Regungen unsers Herzens geworfen, so daß sie uns selbst ins Undeutliche verschwimmen. Wir lieben es in solchen Stunden, alle Gedanken und Beschäftigungen unsers Gemüths fahren zu lassen, welche uns an heller und härter gefärbten Tagen in Anspruch nehmen. Wir lassen uns in sanfte und schmeichelnde Traumbilder, in phantastisch aufgebaute Luftschlösser verlocken. Was sonst uns drückt, lichtet sich an solchen »verschleierten Tagen«; was sonst uns schmerzt, hat einen Theil seiner Schärfe verloren, und zu keiner Stunde ist der Mensch geneigter, den Stimmen einer philosophischen Resignation zu folgen, als gerade dann.

Theo hatte noch in ihrem Zufluchtsorte den Brief Valerian's erhalten, den wir ihn im Hause Sackenrode's an sie schreiben sahen. Er hatte seine Zurückkunft darin um einen Tag später angekündigt, als sie festgesetzt war, ohne den Grund dieses Aufschubs anzugeben. Am Abende nach dem, an welchem Theo diesen Brief bekommen, erwartete sie Valerian unter der Linde auf dem Hügel, von wo aus sie ihm die letzten Grüße nachgewinkt hatte. Er kam nicht; die Dämmerung, die Nacht kam, Valerian kam nicht. Auch am folgenden Tage – auch am Abende kam er nicht.

Den dritten Tag brachte Theo in unendlicher Beklommenheit fast ganz auf dem Hügel zu, nach dem Erwarteten ausschauend. Bis jetzt hatte Finkenberg sie zu trösten versucht; er hatte ihr alle Gründe aufgezählt, die, wie er glaubte, Valerian zurückhalten konnten; dann hatte er sie zu beruhigen versucht, wie man ein Kind beruhigt, mit Gründen, an welche er selbst nicht glaubte; endlich aber verstummte er vor den leidenschaftlichen Ausbrüchen der Sorge und Bekümmerniß Theo's.

Das, sagte er sich, muß man dieser Menschenrace lassen, es sind starke und heftige Gemüther, sie wissen zu lieben, zu hassen und zu zürnen, wie es in dieser schwachmüthigen Zeit nur noch Wenige wissen.

Endlich, am vierten Morgen, hielt eine Kalesche, die mit drei Pferden bespannt war, auf dem Bauerhofe zu Ostenwalde. Theo eilte herbei. Es war ihre Tante Crispine, die sich aus einer solchen Fülle von aufgepackten Cartons und Hutschachteln entwickelte, daß es aussah, als ob sie die nächste Messe zu beziehen vorhabe.

Tante Crispine umarmte ihre Nichte mit aller Zärtlichkeit, welche sie durch die Sitte ihrer Ahnen und durch das Herkommen unter ihren Standesgenossen bei solchen Gelegenheiten für gerechtfertigt erachtete. Obwol sie es für schauderhaft gemein hielt, sich, wie Theo gethan, mit Bauern zu liiren, und nur erklärlich aus gewissen Ansichten und Sympathien Theo's, welchen sie ihre volle Verachtung schenkte, so unterließ sie doch, ein Wort des Tadels zu äußern, um nichts herbeizuführen, was einer Scene ähnlich sehe.

Nachdem sie sich aus ihren Enveloppen losgeschält und in eigener Person dafür gesorgt hatte, daß vor allen Dingen zuerst ihrem Mops eine gesunde und reine Milch vorgesetzt werde, nahm sie den Arm Theo's und eröffnete dieser, daß sie schon früher gekommen sein würde, um ihre theuere Nichte einem unwürdigen Aufenthalte zu entführen, wenn sie nicht das Resultat einer in dieser Beziehung mit der Cousine Allgunde angeknüpften Verhandlung abzuwarten entschlossen gewesen; denn ohne deren Zustimmung habe sie nichts zu thun gewagt. Jetzt habe sie von der Cousine die besten Nachrichten erhalten; Allgunde schreibe ihr, sie möge doch Theo zurückführen, Herr von Mainhövel und sie selbst, Allgunde, seien ganz einverstanden mit Schlettendorfs Bewerbung, Valerian habe des Vormundes Zusage und erwarte mit ihr Theo in Quernheim, wo ein Familienrath gehalten werden solle, zu dem auch sie selbst, Tante Crispine, freundlichst geladen sei.

Tante Crispine kramte in einem schwarzsammtnen Ridicüle mit mächtigem Silberschloß nach dem Briefe Allgundens, um ihn Theo zu zeigen. Diese stand dunkelroth zitternd vor ihr.

Weshalb hat Valerian mir das nicht geschrieben?

Er? hat er nicht geschrieben? Ja, ich besinne mich – er ist unpäßlich, schreibt Allgunde. Da lies, liebe Theo!

Krank? o Gott! o geben Sie her!

Theo las rasch den unterdeß aus dem tiefuntersten Grunde des Sammtbeutels an's Tageslicht geförderten Brief Allgundens.

Theo war durch die Nachricht, daß ihre Cousine Quernheim in ihre Verlobung mit Valerian einwillige, so überrascht worden, daß sie im Anfange nicht recht daran glauben konnte; sie argwöhnte etwas wie eine Schlinge. Hatte doch Valerian ihr geschrieben, daß Mainhövel in Folge von Allgundens Wink seine Einwilligung versage. Aber als Theo den Brief Allgundens gelesen hatte, war sie beruhigt. Die Einwilligung war darin ausgesprochen, aber nicht froh und willig, sondern mit großem Widerstreben. Ja, so, von der Nothwendigkeit gezwungen, von ihrer Freundschaft zu Valerian gedrängt, hatte Allgunde einwilligen können.

Theo fühlte jetzt keinen Argwohn mehr, sie war zu glücklich dazu; ihr Herz war in unendlicher Freude aufgeblüht, wie eine Blume, die dem Kosen lauer Lenzlüfte sich öffnet; sie sah nur Sonnenschein und goldnen Morgenduft um sich.

Aber stürmisch verlangte es sie jetzt fort; Valerian war unwohl – er hatte ihr nicht geschrieben, also konnte seine Krankheit nicht unbedeutend sein – ihr hochwallendes Gefühl wich im nächsten Augenblicke großer Sorge und so eilte sie rasch davon, um sich zur Abreise zu rüsten, ohne Tante Crispine weiter anzuhören, die eben begonnen hatte, ihrer Nichte recht zärtliche Vorwürfe zu machen.

Denn Tante Crispine fühlte sich durch Theo's Betragen persönlich empfindlich verletzt. Theo hatte sich verlobt, hatte sich sogar leidenschaftlich verliebt, wie es allen Anschein hatte, und Theo hatte die unerhörte Perfidie und Rücksichtslosigkeit gehabt, von allem Dem Tante Crispinen kein Wörtchen zu sagen, sie nicht beim ersten Schritt auf diesem Wege ins Vertrauen und vor dem letzten ernstlich zu Rathe zu ziehen.

Tante Crispine hatte sich nie viel um Theo gekümmert; seit sie von Allgunden sich hatte aufbinden lassen, Theo lese die Romane der Sand und wolle die Frauen emancipirt wissen, fühlte sie sich entschieden von ihr abgestoßen. Denn unter emancipirten Frauen dachte sich Tante Crispine, verleitet durch eine Caricatur, die ihr der Zufall einmal zu Gesicht gebracht, eine Art ziemlich indecent blickender weiblicher Wesen, welche sich durch einen Männerhut, einen engen Spenser mit schwarzen Oliven und endlich durch die Kürze weitfaltiger, gestreifter Roben von zweifelhafter Anständigkeit auszeichneten. Nun aber schien die Natur Tante Crispinen Veranlassung gegeben zu haben, recht lange, auffallend lange Kleider zu tragen. Vielleicht waren ihre Füße durch Zierlichkeit nicht eben auffällig; doch ist darüber nichts Gewisses zu sagen, obwol es sich dem Auge eines Jeden aufdrängen mußte, daß ihrem Gange Ruhe und Anmuth fehlte und daß er etwas Heftiges und Stoßartiges hatte.

Dem sei nun, wie ihm wolle, Tante Stachelbeere, wie familiaire Heiterkeit sie zu bezeichnen pflegte, erhob sich bei jeder Gelegenheit als eifrigste Vertheidigerin der guten, alten Sitte, eines moralischen und eingezogenen Wandels der Frauen und christlicher Ordnung überhaupt; sie wollte nichts hören von Emancipation und kurzen Röcken und schreibenden Frauen, und in ihrem Geiste versinnbildlichten sich die großen Contraste und socialen Kämpfe der Gegenwart in Gestalt des kurzen und des langen Rocks; in den Falten des kurzen nisteten die Teufel der Empörung und des Unglaubens, am langen Rock dagegen hielten Autorität und Kirche, Zucht und Sitte. –

Nun trug Theo zwar nichts Anderes, als sehr stattliche Roben, die selbst die Spitzen ihres entzückenden, kleinen Fußes neidisch verbargen; aber Allgunde von Quernheim hatte sie nun einmal bei der Tante Crispine in den Verdacht unchristlicher Ansichten und warmer Anhänglichkeit an die Bestrebungen gebracht, welche den Frauen eine unanständigere Stellung im Leben und eine unanständigere Tracht geben wollen.

Damit war die Entfremdung zwischen Tante und Nichte bewerkstelligt; Tante Crispine überließ Theo völlig ihrem Schicksale und dem souverainen Gutdünken ihrer Erzieherin, der Cousine Allgunde. Trotzdem aber hatte sie es jetzt sehr empfindlich aufgenommen, daß Theo ihr nicht rückhaltlosestes Vertrauen geschenkt bei einer Angelegenheit und in einem Augenblick, wo eine alte Tante doch zweifelsohne so viel zum Heile eines verliebten Mädchens beitragen kann.

Theo hatte unterdeß ihr Mädchen rasch ihre Sachen einpacken heißen und dann nahm sie Abschied von dem Hofe und seinen wackern, tüchtigen Bewohnern, vom »Bauern« bis zum kleinen Hüter der Kühe und dem gelben Sultan, seinem Freunde, hinab. Alle sahen voll tiefer Rührung der Erscheinung des schönen Edelfräuleins nach, die so viel bewundernder Liebe in ihnen zu erwecken gewußt hatte – nichts Gewöhnliches bei dem harten und zähen Geschlechte, dem jedes weichere Gefühl so gut wie jeder feinere Genuß als eine luxuriöse Ueberflüssigkeit vorkommt, die neben andern Ueppigkeiten dem reichen Städter vorbehalten ist und zu der des Bauern Tagesaufgabe, hartes Ringen mit einer spröden, filzigen Natur, keine Zeit läßt.

Von Finkenberg, der in den letzten Tagen sich bedeutend zu erholen schien, hatte Theo mit dem Versprechen Abschied genommen, daß sie Valerian mahnen wolle, so bald er könne, ihm Nachrichten zukommen zu lassen. Finkenberg sah mit bekümmertem Gesichte und ängstlichen Zweifeln sie den Hof verlassen, um von der Tante in den Bereich der Gräfin Allgunde zurückgebracht zu werden.

Jetzt also war Theo wieder in diesem Bereiche, unter dem Einflusse dieser Frau, und sie hatte es alsbald tief und schmerzlich genug empfunden. Mit einer gehaltenen, milden Freundlichkeit war sie empfangen worden. Die Worte ihres Briefes, die Einwilligung des Vormunds und Valerian's leichte Unpäßlichkeit, die ihn in Schlettendorf zurückhalte, bestätigte Gräfin Allgunde von Quernheim, mehr durch schweigendes Geltenlassen, wenn Theo davon sprach, als durch ausdrückliche Worte.

Als aber am Abende, nachdem die Tante Crispine mit dem Grafen von Quernheim sich zum Ecarté zusammengesetzt, Theo sich in ihr Zimmer begeben hatte, um an Valerian zu schreiben, da folgte Allgunde dem unglücklichen Mädchen und legte feierlich die Hand auf Theo's Arm.

Schreibe nicht, Theo! sagte sie: Du weißt nicht, an wen du schreiben willst!

Wenn ich an Valerian schreibe? versetzte erschrocken aufspringend Theo. Das düstere Gesicht der Gräfin, ihre harten, starrenden Augen weissagten ein Unheil.

Allgunde fuhr fort:

Du hegst Vorurtheile gegen mich, Theo, die mir nicht unverborgen geblieben sind. Wollte ich dich auf einen Schmerz, der dir bevorsteht, durch besänftigende, lindernde Worte vorbereiten, so müßte ich befürchten, ihm dadurch nur eine größere Schärfe zu geben. Wollte ich dir Tröstungen sagen, wie ein Weib sie für den Schmerz eines andern Weibes hat, so müßte ich befürchten, du würfest meine warmen, innigen Worte, als seien sie schadenfroher Hohn, zu dem andern ungerechten Hasse, den du in deiner Seele gegen mich aufhäufst.

Ich hasse Sie nicht, Cousine; Gott weiß es, was man Haß nennt, ist meiner Seele fremd, versetzte Theo ernst und stolz. – Aber, um des Himmels willen, foltern Sie mich nicht länger!

Schreibe nicht an Valerian. Du kennst diesen Menschen nicht, unglückliches Kind!

Ha! was heißt das, Allgunde?

Er ist deiner unwürdig. Er ist ein feiger Mensch und ein Verbrecher!

Allgunde! Allgunde! rief in einer Entrüstung, die sie an allen Gliedern zittern ließ, das Edelfräulein. Sie haben mir manchen Schmerz bereitet, Sie haben mit manchem Wort mir tief ins Herz geschnitten, wie mit giftigen Dolchen – aber hüten Sie sich, Allgunde – ich bin nicht mehr, was ich war, Ihr hülfloses Opfer! Nein, ich fühle mich frei und in meiner Freiheit und in meiner Liebe fühle ich mich stärker, als Sie in Ihrem Mittelpunkte Alles umspannender Intriguen. Hüten Sie sich, Allgunde – hüten Sie sich – ich kenne keinen Haß und suche keine Rache wegen Dessen, was Sie mir gethan – aber erheben Sie nicht Ihre Hand wider Valerian – bei Gott, lassen Sie den aus ihrem falschen Spiele oder –

Still, still thörichtes Kind! sagte mit demselben feierlichen Ernst, nur milder, Allgunde. Ich habe nichts mit Valerian zu schaffen und da du mich nicht anhören willst, so gehe ich, um fremden Menschen, um der Dienerschaft zu überlassen, dich über die Tugenden deines Bräutigams aufzuklären. Sie wollte gehen. Theo hielt sie zurück.

Gehen Sie nicht! Keinen Schritt weiter, ehe Sie Alles gesagt haben!

Nun so sag' ich dir denn, daß Valerian vor einem Duelle, in das er mit Tondern verwickelt war, feige vom Kampfplatze entflohen ist. So sag' ich dir denn, daß dieser dein Bräutigam, Graf Valerian von Schlettendorf, die Frau von Sasseneck entführt hat und seit beinahe acht Tagen sich mit ihr in Arnstein eingeschlossen hält in feiger Angst vor den Drohungen des erzürnten Mannes. Das Vorgeben seiner Unpäßlichkeit war eine Lüge gegen mich. Das unter diesen Umständen von deiner Vermählung mit ihm keine Rede sein kann, brauche ich nicht hinzuzusetzen.

Die Gräfin Allgunde verließ, straff sich aufrichtend, mit stolzen Blicken über die Schulter, die niedergeschmetterte Theo.

Theo hätte Valerian nicht mit der Leidenschaft geliebt, mit welcher sie an ihm hing, wenn sie den Beschuldigungen, die Allgunde gegen ihn ausgesprochen, vollen Glauben beigemessen hätte. Doch hatten diese Beschuldigungen Macht genug, ihre Seele mit tiefer Bangigkeit, mit herzbrechendem Zagen zu erfüllen. Valerian hatte ihr nicht geschrieben, er hatte in seinem ersten Briefe ihr nichts von dem Grunde seines Ausbleibens gesagt; unmöglich konnte ferner Allgunde sich der Gefahr aussetzen, schon am andern Tage vom Ersten Besten, den Theo befragte, Lügen gestraft zu werden, wenn sie ohne allen Grund ein so auffallendes Factum, wie jene Entführung und Einschließung in Arnstein war, rein aus der Luft gegriffen hätte. –

Und war das nicht jedenfalls klar, daß nun doch nicht Mainhövel's Einwilligung erlangt sei und daß der Segen ihres Vaters Theo vorenthalten bleiben werde, der Segen, den sie nimmer durch einen eigenmächtigen Schritt in Fluch zu verkehren sich entschlossen hätte – trotz Valerian's Zuversicht auf ihre Seelenstärke?

Eine Verleumdung über uns, und sei sie auch die lächerlichste, widersinnigste von der Welt, pflegt unsern theuersten Freunden gewöhnlich mehr gläubiges Erstaunen zu verursachen, als sie billiger Weise vor uns verantworten können. Die Liebe aber ist gar blind und leichtgläubig; sie ist ihrem innersten Wesen nach zaghafter Natur und man kann sagen, ohne ihr großes Unrecht zu thun, daß es Augenblicke gibt, wo ein Hase ein rechter Held gegen sie ist. Das Symbol einer aufblühenden Mädchenliebe sollte auch eigentlich nichts Anderes sein, als ein zierliches Kränzlein aus Espenlaub.

Es braucht nach allem Diesem nicht geschildert zu werden, wie verzweiflungsvoll die Seele Theo's war, wie sie rang, um an dem Vertrauen und der Blindheit der Leidenschaft festgeklammert zu bleiben, dem rettenden Bret, das sie aufrecht halten mußte über dem Abgrunde von Weh' und Verzweiflung, dessen Wogen sie umstürmten.

Sie durchwachte eine schreckliche Nacht. Nur zuweilen legte der Stolz ihrer Seele eine lindernde Hand auf ihre brennende Stirn. Es wäre für sie, die spröde, so lange der Liebe verschlossene Theo zu niederschmettend, innerlichst, in allem tiefsten Seelenleben zu vernichtend gewesen, wenn sie alle Leidenschaft ihres Herzens und den unendlichen Reichthum der Empfindung an einen Nichtswürdigen fortgeworfen hätte.

Nein, sie war zu stolz, um solch' ungeheuere Erniedrigung in den eigenen Augen möglich glauben zu können. Sie mußte, sie wollte vertrauen, sie betete mit heißester Inbrunst um Vertrauen, und so kam es, daß endlich, gegen Morgen, sich ihr roth gemeintes Auge schloß und ein Gefühl hingebender Zuversicht wie ein Friedensengel zu ihr niederstieg und beruhigend den schmerzlichen, fieberhaften Schlag ihrer Pulse niederdrückte.

Jetzt war es Morgen geworden; sie war gefaßt erwacht und war entschlossen über ihre nächsten Schritte. Nur dem Familienrathe, der heute noch in Quernheim bevorstand, konnte sie sich nicht entziehen. Dann wollte sie nach Blankenaar heimkehren und dann ihren treuen Reitknecht nach Schlettendorf schicken.

Die Thüre öffnete sich leise und möglichst geräuschlos trat Allgunde wieder ein. Wollte sie sich weiden an dem Eindruck, den ihre Worte am vorigen Abende auf ihr Opfer gemacht? Sie hielt einen Brief in der Hand, der noch ohne Siegel und Adresse war.

Guten Morgen, Theo. Erschrick nicht so! Ich komme nur, um einen kleinen Dienst von dir zu erbitten.

Worin besteht er, Cousine?

Ich denke mir, daß Herr von Finkenberg in seiner jetzigen Lage in Ostenwalde ohne Hülfsquellen ist, sagte Allgunde so trocken und ruhig, als ob es sich um einen für sie sehr gleichgültigen Gegenstand handle. – Obwol ich keinerlei Verpflichtungen gegen diesen Menschen habe, würde es mir doch ein gewisses Gefühl der Genugthuung geben, wenn ich ihn für den Augenblick vor dem Darben sicher wüßte. Ich habe deshalb in dies Briefcouvert eine kleine Summe in Tresorscheinen gelegt und komme zu dir, um dich zu bitten, die Adresse darauf zu machen.

Zu mir? Darf ich fragen, weshalb?

Weil Finkenberg einen Brief, der von meiner Hand adressirt wäre, zurückweisen würde. Er soll glauben, die Sendung komme von dir.

Aber Sie begreifen, Allgunde, daß ich mich nicht mit den Pfauenfedern einer Freigebigkeit schmücken mag, die nicht von mir ausgeht.

Du würdest mir einen großen Gefallen damit gethan haben. Wenn du nicht willst, mag die ganze Sendung unterbleiben.

Das wollte nun Theo auch nicht verschulden, da sie in Allgundens Entschluß ein gutes Werk sah, welches ihr um Finkenberg's wie um dieser selbst willen gleich lieb war.

So geben Sie! sagte sie, nahm den Brief und schrieb die Adresse.

Bitte, setz' hier in diese Ecke: » Absenderin: Theo Blankenaar«.

Aber er kennt meine Hand, sagte Theo, während sie die verlangten Worte schrieb.

Es ist desto sicherer, versetzte Allgunde. Ich danke! Jetzt will ich gehen und siegeln.

Darf ich nicht das auch thun? fiel ihr Theo ins Wort.

O ja, antwortete, stolz über den Argwohn Theo's lächelnd, Allgunde. Du sollst den Brief auch selbst absenden.

Theo siegelte, nachdem sie noch einen Blick in das mit Papiergeld gefüllte Couvert geworfen. Allgunde war indeß hinausgegangen und hatte einen Boten hereingesandt, dem Theo die Sendung übergab. Verliert es ja nicht, es ist wichtig, setzte sie hinzu, nachdem sie dem Burschen den Weg bezeichnet, den er zu nehmen habe. Sagt, es käme von mir!

Allgunde kam zurück. Sie hatte sich in einem Nebenzimmer aufgehalten, bis der Bote fort war.

Mögen sich die Dinge wenden, wie sie wollen, sagte sie hier für sich, Finkenberg sollen alle Wurzeln seiner Existenz abgeschnitten werden.

Sie dachte, daß Theo gerade jetzt in einer Gemüthsstimmung sei, worin es leicht, einen Mann in ihren Augen zu verderben. Und wenn in Theo's Augen, war er ja auch in Valerian's Augen auf ewig verloren, wenn diese Beiden je wieder zusammenkommen sollten, was Allgunde freilich sehr angelegentlich zu verhindern entschlossen war, was aber doch im Reiche der Möglichkeit lag. Allgunde wollte nach dieser Seite hin für alle Fälle gerüstet sein. Finkenberg mußte untergehen; ehe war keine Ruhe in ihrer Seele.

Was soll aus Finkenberg werden? Was haben Sie vor mit ihm? sagte Theo ziemlich bitter, als Allgunde zurückgekommen und sich schweigend ihr gegenüber an den Kamin gesetzt hatte.

Ich, mit ihm? antwortete Allgunde. Gar nichts – nichts! Ich will ihn nicht hungern lassen – aber mein Almosen gebe ich ihm meinetwegen, aus Rücksichten gegen mich, nicht für ihn!

Doch wol zumeist aus Rücksicht auf das heilige Band –

Es existirt durchaus kein Band zwischen diesem Menschen und mir. Ich habe ihn in Wien gesehen und den Zoll, den jedes weibliche Herz einmal im Leben der Leidenschaft und der Schwärmerei zu zahlen hat, er hat gewußt, ihn mir abzufordern. Er war ein Lügner von Anbeginn; so log er meiner arglosen Jugend gegenüber sich in die Maske hinein, welche ich für das wahre Gesicht eines edeln Gefühls und einer großen Liebe hielt. Er war beider nicht fähig. Er war ein Spion, während ich ihn für einen Edelmann hielt.

Ich weiß, sagte Theo; aber er folgte Ihnen hierher und hier hob ihn eine bessere Gesinnung am Beispiele redlicher Männer über seine frühere entwürdigende Existenz empor. Er ist nicht von Haus aus schlecht, es scheinen große Anlagen im Keime in ihm erstickt zu sein. Wer einmal durch heilige Pflichten an ihn gebunden wäre, wie Sie es sind, der könnte einen lohnenden Beruf darin finden, diese Keime unter dem Schutt so vieler zusammengestürzter Lebenshoffnungen –

Theo, Theo! unterbrach hier Allgunde die Sprechende heftig – also auch dir hat dieser Mensch sein Märchen aufgebunden? Also auch du glaubst – gestehe es nur – ja, du glaubst es, das Unwahrscheinlichste, was sich erdenken läßt, was kein anderes Zeugniß für sich hat, als die Worte eines Elenden, der die Lüge als Beruf trieb!

Nein, fuhr sie fort, es ist kein Band zwischen ihm und mir, und wäre es, so würde es längst unheilbar zerrissen sein und weder Gott noch die Menschen würden mich überzeugen können, daß ich noch Pflichten gegen ihn hätte! Oder glaubst denn auch du an die Gerechtigkeit des weiblichen Sklaventums, wie es unsere Gesetze besiegeln, unsere Sitten heiligen? Male dir lebhaft die Situation aus: der Mann liegt anfangs vor dem Weibe auf den Knien, er fleht, er, der Starke, demüthigt sich und davon gerührt hören wir seine Worte an, sie werden inniger, glühender, sie werden zu einem leidenschaftlichen Liebeswerben, das uns plötzlich in ungeahnte Kreise eines tiefen, wunderbaren, göttlichen Gefühlslebens blicken läßt. Eine Zauberwelt geht vor uns auf, in der Blumen berauschenden Duftes sich verhüllend um die tiefsten, bis zum Schmerz und Krampf gesteigerten Entzückungen der Psyche schlingen, damit die zaghafte Jungfrauenseele nicht zurückbebt vor so viel wollustvollem Weh'. O wie viel lockende Stimmen tönen dann schmeichlerisch, um uns in diese Zauberwelt zu ziehen! Jedes Buch, jedes Wort, jedes Bild wird zum Verführer. Jeder Gedanke in uns ist dann ein Proteus, mag er auch das Antlitz eines grauen Weisen, ja eines Heiligen haben, wenn er in uns auftaucht – nach einer Weile verziehen sich unmerklich seine Umrisse und endlich schaut uns ein süßlächelndes Antlitz an, das flehend: Liebe, Liebe! flüstert.

Theo hörte mit ebensoviel Aufmerksamkeit als Verwunderung ihrer Cousine zu, denn eine ganz neue Seite im Charakter derselben ging ihr auf.

Sollten wir so viel Verführungen widerstehen? fuhr Allgunde fort, ist uns darum dies weiche, vertrauenvolle, poesiegetränkte Frauenherz mit allen seinen edeln und schönen Schwächen gegeben, diese Fähigkeit, ein Leben willig hinzuopfern, unser Sein und Wesen rückhaltlos, ja sogar in stürmischem Entzücken zu verschenken? Können wir bei solcher Versuchung hart und kalt bleiben und den Schleier einer berechnenden, eiteln, egoistischen Tugend über unser Auge ziehen, auf daß uns alle jene Verführungen unsichtbar werden? Nein, kein Weib kann das! Es wäre ein schlechtes Weib, eine öde, dürftige Seele, die es könnte! Pfui über sie! Ein edles Frauengemüth öffnet sich der Liebe, wie eine gesunde Rose, wenn der warme Sommerhauch sie trifft. In hellem, jauchzendem Schwunge stürzen wir uns in das Meer, das vor uns in krystallenem Glanze den Himmel spiegelt; den Himmel, der – wir sehen es jetzt zum ersten Mal – in der Brust eines Menschen Raum hat. Jenes helle Jauchzen kann – wir wissen es nicht – das Schwanenlied unserer Jungfräulichkeit sein; aber das wissen wir, daß es das hohe Lied, der Triumphruf der Weiblichkeit ist. So haben wir uns dahingegeben – ganz, mit allem Sein, wie der goldne Sonnenstrahl, der sich in den Diamant gestürzt hat, und nun, nichts mehr für sich, im Edelstein alles Glühen und Farbensprühen weckt.

Allgunde hatte sich erhoben; sie stand, den linken Arm auf den Kaminsims stützend, den rechten lebhaft bewegend. Theo blickte noch immer voll Verwunderung auf ihre Cousine. Sie hatte sie nie so warm und so begeistert reden gehört; hingerissen von ihren Worten fühlte sie selbst eine hohe Röthe ihre Wangen färben.

Und nun, fuhr die Gräfin langsamer sprechend fort, nun mitten in das Gefühl des vollen Glücks hinein der Schlag, der Alles, Alles vernichtet, der giftige Windhauch, der den Strahl auslöscht, das Meer zu einer dunkeln Flut voll ekelhafter Ausgeburten der Schmach, der Abscheulichkeit aufstürmt! Nun in dein jubelndes Entzücken hinein die Kunde geworfen: Der Mann, der sich dir zum Gotte log, dem du gläubig dich selbst opfertest, in dem du nichts mehr anbetetest als die Gnade, daß er das Opfer deiner Seele und deiner Existenz annahm – der Mann ist – ein Mann, ein treuloser, der, deiner rasch satt, feilen Dirnen nachläuft, deiner spottet bei den Orgien, die er mit Andern seines Gelichters hält, der feige ist, der seine Ehrlichkeit den Gewalthabern, seine Seele dem Teufel verkauft hat – der – doch was soll ich weiter meine Lippen beflecken mit den Eigenschaften eines Niederträchtigen!

Und in solcher Lage, da soll ich, was das Gesetz dem Weibe vorschreibt, thun, da soll ich sagen: ich bin eine demüthige Dienerin meines Herrn, da soll ich unterwürfig weiter seine Sklavin sein, wie ich es war in den Stunden seliger Täuschung? Und das kannst auch du behaupten, Theo? du, das stolze, hochherzige Mädchen? du, soeben noch betrogen von einem Verräther, einem Feigen, einem Ehebrecher? du kannst mir das Recht bestreiten, dem Hunde, welcher mich besudelt, einen Fußtritt zu geben, der ihn lehrt, mir nicht wieder nahe zu kommen?!

Pfui, Theo, ich werde irre an dir! Es gibt freilich Weiber genug, deren moralisches Gefühl so niedrig, deren Entwürdigung so groß ist, daß sie sich beugen. Die aber können nicht wahrhaft geliebt haben, denn es gehört Genie und Geistesgröße zur Liebe. – Ich, ich werde bis zum letzten Hauche meiner flammenden Entrüstung über jede Sklavenseele treu bleiben.

Allgunde von Quernheim verließ das Zimmer.

Theo barg ihr Gesicht in der Fläche der Hand. Ihre Augen schwammen in Thränen, ihr Herz im bittersten Leide.



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