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Das Document.


Erstes Kapitel.


Die Gräfin Allgunde von Quernheim befand sich in ihrer Wohnung, im Hause ihres Vaters. Es war ein hohes Zimmer ohne Vorhänge vor den zwei Fenstern, ohne jene hundert kleinen Zierlichkeiten und Bequemlichkeiten, mit denen ein verwöhnter Frauengeschmack sich zu umgeben pflegt. Das altfränkische, mit grünem Moire überzogene Canapé zeigte keine gestickten Kissen und keine Blume oder seltene Pflanze schmückte die Fensterbänke.

Außer den nöthigen Möbeln stand nur ein Clavier an einer der Wände; doch seit mindestens zehn Jahren war es nicht mehr geöffnet worden. Allgunde spielte seit dieser Zeit nicht mehr; sie liebte die Musik nicht. Jetzt waren mehrere schwere Folio- und Quartbände statt der Notenhefte auf das unglückliche Instrument gepackt; meist Wappenbücher, ererbte Manuscripte historischen Inhalts und ein paar lateinische Classiker. Allgunde verstand und las Latein.

Sie saß auf dem Canapé, ein aufgeschlagenes Buch, welches ihrer Hand entglitten war, auf den Knien. Vor ihr, im Zimmer auf- und abwandelnd, bewegte sich Heydenreich Tondern. Ihre Blicke folgten ihm, doch ohne Ausdruck, als ob sie Anderm nachsänne.

Nach einer Weile ergriff sie das Buch wieder und blätterte darin. Es war ein einzelner Band eines neuen Romans, der durch Zufall hierhin verschlagen war, wo er weit und breit keinen Unglücksgefährten zu finden hoffen durfte – unter Larven die einzig fühlende Brust! Denn neue Bücher zu haben, betrachten Leute der vornehmen Gesellschaft bei uns für mehr als Luxus.

Sie thun unrecht daran. Nehmen sie doch keinen Anstand, einen zierlichen Schäfer aus Biscuit, der die Flöte bläst, einen porcellanenen Mops, oder einen kleinen Chinesen mit einem ewig nickenden Zöpfchen für ihren Nipptisch zu erstehen. Könnten sie nicht einmal auch statt des biscuitnen Flötenbläsers das Liederbändchen eines verliebten Poeten, statt des glatten und impertinenten Mopses die neueste Geistesgeburt eines widerbellenden Weltverbesserers nehmen? Und was den zierlichen, kopfnickenden Chinesen angeht – sollte nichts da sein im bunten Bereiche unserer schönen Literatur, das im Stande wäre, an seine Stelle zu treten?

Dieser Thor! sagte Allgunde von ihrer Lectüre aufblickend, es ist entsetzlich, wie frech diese plebejischen Schmierer werden! Ich muß Ihnen ein paar Stellen vorlesen, Tondern; hören Sie. Da heißt es: Mag der Regent noch so viele Virtuosen mit Orden behängen, noch so viele Wände für unendliches Geld mit conservativen Fresken beklecksen lassen – ein einziges Gedicht eines verbannten Dichters vermag einen größern Sturm gegen ihn heraufzubeschwören, als alle Adagios seiner Musikanten übertönen können, einen Sturm, in dessen Wogen seine Pins'ler umsonst all' ihr Oel gießen! – –

Hören Sie noch diese Stelle!

Allgunde fuhr fort zu lesen:

Sollte es unserer würdig sein, statt unsere Seele mit Gott verkehren zu lassen, uns vor einem alten Kleidungsstück oder einer andern Reliquie niederzuwerfen? Es wäre ein Frevel, weil Gott nur ein Gott freier Seelen – eines »Volks von Priestern und Königen« – sein will, und nur ein Despot wie Karl XII. auf den Einfall kommen kann, statt seiner selbst den Seinigen einen Stiefel zu schicken, um ihm die »Proskynesis« zu bezeigen.

Sie warf das Buch entrüstet fort.

Nein, es ist nicht auszuhalten mit dem Pöbel, der heutzutage das Wort führt, rief sie aus.

Nun, vielleicht ist doch mehr Wahres hinter all' diesem Geschwätz, als wir geneigt sind, anzunehmen, sagte lächelnd Herr von Tondern.

Wahres? versetzte Allgunde – ja freilich ist viel Wahres dahinter, das wird man einem denkenden Menschen auch nicht ausreden wollen. Aber da liegt die Dummheit, daß man es jetzt tagtäglich dem Pöbel in die Ohren schreit, für den die Wahrheit nicht gemacht ist.

Nach den Begriffen der guten Gesellschaft sagt aber auch ein Mensch von Erziehung dem andern nicht die Wahrheit ins Gesicht. Wo soll nun die arme Wahrheit bleiben? lächelte Tondern.

Unsere Zeit ist die der absoluten Indiscretion, fuhr Allgunde fort. Was aber diese Romanschriftsteller angeht, so ist bei ihnen nichts als eine jämmerliche, spatzenhafte Eitelkeit. Die gute Gesellschaft des vorigen Jahrhunderts hat schon längst alle die Entdeckungen gemacht, welche unsere Literaten erst heute machen. Wir Aristokraten standen damals mit unsern spitzen, rothen Absätzen ruhig auf den Geweben dieser neuen Weisheit, die wir als Teppiche, als Unterlage und Folie unserer ungestörten Lebensfreuden gebrauchten. Jetzt sind diese Plebejer, diese Dichter und Denker, wie sie sich bescheiden nennen, nach unendlicher Mühe und Anstrengung, vermittels der spitzfindigsten philosophischen Speculationen, endlich auch bei den Resultaten angekommen, die von uns längst mit spielender Leichtigkeit gefunden waren. Und nun dieser Lärm, dieses Brüsten mit der neuen Weisheit, dies Gegacker über die frischen Geisteseier, über jedes eben gelegte Gedänkchen, und sei es auch noch so klein! – Bei einem Manne von Stande und Erziehung versteht es sich von selbst, daß er seine Erfahrungen, seine Anschauungen und auch manch' Erlebniß oder Geheimniß habe, welches interessant ist. Aber eben weil es sich von selbst versteht, ist man nicht eitel darauf. Nun sehen Sie aber dies Volk der Affen mit ihrer Indiscretion, ihrer Eitelkeit, wenn sie irgend ein Brosämchen aufgegabelt haben.

Vergessen Sie nicht, sagte Heydenreich, daß wir meistentheils ein größeres Interesse bei der Discretion haben, als sie.

Im Ganzen und im letzten Grunde nicht! versetzte die Gräfin. Wir wollen Aristokraten bleiben und diese Andern, sie wollen es werden; je lauter sie sind, desto hitziger wollen sie es werden. Das ist ja die große, unumstößliche Stütze der Aristokratie, ihre ewige Bürgschaft und ihr ursprüngliches Recht, daß jeder Mensch ohne Ausnahme im Grunde seiner Seele Aristokrat ist. Machen Sie den ersten, besten Bauer gesprächig, er wird Ihnen erzählen, daß er irgend einen Handgriff, einen Vortheil, eine Kenntniß bei der Bestellung seines Ackers voraushabe vor den andern Bauern, daß er in irgend einer Gemeindeangelegenheit tiefer sehe als die Andern, und wenn Sie allen seinen innersten Gedanken in ihren geheimsten Verschlingungen folgen könnten, so würden Sie endlich auf die ausgebildete Ueberzeugung stoßen, es sei eigentlich recht dumm von der ganzen Gemeinde, daß sie nicht allmorgendlich zu Klaus komme und seine Orakelsprüche einhole, wie dies und jenes den Tag über zu beschicken sei, oder daß sie nicht längst ihn, Klausen, zum lebenslänglichen Vorsteher erwählt habe. So sieht es in jedes Menschen Seele aus. Aristokrat ist Jeder. Vielleicht ein paar Schwärmer ausgenommen, die sich einige Jahre lang über ihre eigenen Gefühle täuschen. Aber wie lange hat eine Anstalt, wie die des Vaters Enfantin Barthélemy Prosper Enfantin (1796-1864), der Lieblingsschüler des Sozialisten Saint-Simon und einer der Begründer des Saint-Simonismus: Das Privateigentum solle in gesellschaftliches verwandelt und das Erbrecht abgeschafft werden; nur das durch Fähigkeit legitimierte Eigentum solle als berechtigt anerkannt werden. Jeder Einzelne solle eine sorgfältige staatliche Erziehung erhalten, die dazu beitrage, ihm seinen Platz in der Arbeitsordnung anzuweisen. »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jede Fähigkeit nach ihren Leistungen«, lautet das Grundprinzip der neuen Sozialordnung. Die Spitze der hierarchisch gegliederten Gesellschaft bildet das Priestertum, das die »industrielle Religion« predigt und für die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig ist. - Nach der Spaltung der Sekte 1831 zog sich Enfantin mit einigen 40 ihm treu gebliebenen Anhängern auf seine Besitzung in Ménilmontant zurück und organisierte dort eine patriarchalisch-sozialistische Gesellschaft nach seinen neuen Lehren. Die Staatsgewalt sah in der Verbindung eine Verletzung des Vereinsgesetzes, zugleich aber auch der öffentlichen Moral und guten Sitten. Enfantin wurde zu einem Jahr Gefängnis und 100 Frank Geldstrafe verurteilt. Die Verbindung wurde aufgelöst, der Saint-Simonismus war damit vernichtet., zusammengehalten?

Heydenreich antwortete nichts. Er ging eine Zeitlang sinnend auf und ab und dann sagte er:

Es ist mir sehr fatal, daß Theo sich so viel mit diesen modernen Ausgeburten der Presse beschäftigt hat.

Fatal! lächelte bitter Allgunde – ich meine, Sie hätten den Umstand zu benutzen gewußt; haben wir sie nicht durch diese Liebhaberei, wie durch ihren Unabhängigkeitssinn, ihre Flucht zum Hofe von Ostenwalde endlich, in den Ruf Georg Sand'scher Ruchlosigkeit gebracht? Wird sie nicht, Dank unsern Andeutungen, für eine femme émancipée gehalten, die von Niemanden Beistand erwarten darf und bei Allen nur noch auf feindliche Gesinnungen stößt?

Wird sie sich darum uns in die Arme werfen? fragte Heydenreich.

Lassen Sie mich machen, lieber Freund, ich kenne Theo; ich weiß, daß meine Nachricht von Valerian's feiger Flucht vor einem Duell einen tiefen Eindruck auf sie machen wird. Und sein Betragen jetzt, wo er sich förmlich verkrochen zu haben scheint! Es war anfangs eine Schreckensbotschaft für mich, als Sackenrode erzählte, er sei plötzlich entflohen gewesen; seit ich aber weiß, daß er nicht zu Theo zurückgekehrt ist, wird mir jeden Augenblick klarer, wie viel dadurch für uns gewonnen worden. Ich kann meinen ganzen frühern gewaltsamen Plan fahren lassen und jetzt auf dem friedlichsten Wege von der Welt meine Aufgabe lösen. Nur Finkenberg wird mich eine gewaltsam eingreifende Maßregel kosten.

Mein Herz schlägt nicht eher ruhig, bis Theo hinter diesen Wänden ist! seufzte Heydenreich.

Sie ist es spätestens morgen Abend; Tante Crispine bringt sie. Seien Sie ganz unbesorgt.

In diesem Augenblicke wurde an die Thüre geklopft und ehe noch Allgunde: herein! gerufen, schauten die scharfen, von Luft und Wetter gerötheten Züge Isaak Koppel's ins Zimmer.

Darf ich? sagte er, an der Thüre stehen bleibend.

Ha, Isaak, rief die Gräfin. Woher kommst du? Ich habe früher deine Zurückkunft erwartet.

Hab' ich gekonnt?!

Du hast nicht gekonnt? Was hat dich gehindert?

Eine ganz seltsame Geschichte! Ew. gräfliche Gnaden werden's nicht glauben, wenn ich es erzähle.

Isaak! rief die Gräfin, indem sie in eine Fensternische trat; der Jude folgte ihr dahin.

Hast du das Packet dem Verwalter abgeliefert? fragte sie hier mit leiser Stimme.

Ja, wie es Ew. Gnaden befohlen haben, versetzte Isaak.

Hat es der Verwalter im Archive niedergelegt?

So viel ich weiß! Er hat mich nicht hineinsehen lassen ins Archiv.

Gut, sagte Allgunde, und trat aus der Nische hervor. Jetzt erzähle deine seltsame Geschichte.

Allgunde setzte sich wieder und betrachtete aufmerksam den Juden; es schien ihr eine Veränderung in dem Wesen des Hebräers eingetreten zu sein. Sonst war Isaaks Seele voll Frechheit und voll Hohns für jede Kreatur, aber seine äußern Manieren waren voll demüthigster Schüchternheit, voll hündischer Unterwerfung, wenn er mit der Gräfin sprach. Heute war das Umgekehrte der Fall. Isaak hatte etwas mürrisch Verwegenes in seinem Wesen, er war brüsk und laut, aber in seiner Seele schien eine versteckte Aengstlichkeit zu sein, die er maskiren wollte.

Er erzählte die Flucht der Frau von Sasseneck und die Belagerung der Burg Arnstein. Von Beidem hatte Allgunde erfahren und es war ein Familienrath anberaumt worden, um die Angelegenheit der flüchtigen Edelfrau zu schlichten. Was aber die Gräfin nicht wußte, das war, daß auch Valerian in Arnstein sei.

Graf Schlettendorf ist da! rief Allgunde aus, als Isaak diese Mittheilung machte. Jude, ist das wahr oder lügst du?

Schlettendorf! Unmöglich! fuhr Heydenreich auf.

Nun ja, der Graf Schlettendorf, sagte Isaak von Einem zum Andern schauend.

Wie kam er hin? wann? zugleich mit Frau von Sasseneck? – wer ist bei ihm? was will er in Arnstein?

Auf diese Fragen, die Isaak bestürmten, wußte er nur zu antworten:

Zuerst kam die gnädige Frau und ein paar Minuten darauf waren der Herr Graf auch da; ein Reitknecht ist bei ihm – was er will in Arnstein, weiß ich nicht.

Schienen sie erstaunt, sich einander zu treffen oder nicht?

Ich weiß nicht, ob sie erstaunt gewesen sind! Mein, was weiß ein armer Jud', ob so vornehme Herrschaften erstaunt sind? Aber 'ne große Freude hat die gnädige Frau gehabt und hat den Grafen nicht fortgelassen von sich, das hab' ich gemerkt.

Allgunde fixirte das schmale, dunkle Auge Heydenreich Tondern's, das dämonisch funkelte. Dieser sah schweigend wieder in das ihre. Es war, als ob in Beiden ein Gedanke aufgeblitzt sei und Jeder dem Andern zuschieben wolle, ihn zuerst auszusprechen.

Der Baron Tondern nahm endlich zuerst das Wort:

Also war es nicht Feigheit allein, was ihn so schnell verschwinden machte. Es waren andere Angelegenheiten im Hintergrunde.

Frau von Sasseneck auf meinem – auf meines Vaters Gut ein Rendezvous geben, wie finden Sie das? rief Allgunde aus.

Nachdem Beide sich sehr entrüstet also ausgesprochen hatten, wandten sie sich von einander ab, denn Keinem wäre es in diesem Augenblicke sehr darum zu thun gewesen, dem Andern ins Auge zu sehen.

Aber der Jude sah ihnen in die Augen mit seinen schielendsten Blicken und mit bitterm Hohn sagte er für sich:

Komödianten! sie betrügen sich selbst – weshalb soll ich sie nicht wieder betrügen? Betrügen und betrogen werden, das ist das menschliche Leben!

Nachdem er dieses philosophische Axiom ausgesprochen hatte, das trefflich in sein System paßte, welches als oberstes Princip den Satz hatte: Ich bin ich und jedes Nichtich ist für mich nichtig und weniger als mein Pudel – wollte er sich entfernen.

Allgunde rief ihn zurück.

Isaak, wenn Sasseneck Arnstein so eng umschlossen hält, wie bist du denn durchgekommen?

Ich? Nun mir wurde die Zeit oben lang und so nahm ich den Augenblick wahr, wo ich den Reitknecht des Herrn Barons von Sasseneck hinter dem Schloß im Obstgarten auf der Wacht sah. Da hat mich ein Knecht durch das Mauerpförtlein gestern Abend ausgelassen und als ich zu dem Reitknecht kam, hab' ich gesagt: Ignatz, lass' mich durch und ich stunde dir bis zu Mittwinter das Geld für die silberne Uhr, so du hast gekauft von mir zu Martini vor'm Jahr; es sind 4 Thaler 18 Groschen Courant.

Ich darf nicht, mein Herr schlüg' mich todt, wenn er Euch sähe, Isaak, hat er geantwortet.

Weißt du was, Natz, ich will mich ducken hinter die Sträucher und ich will dir schenken die 18 Groschen von den 4 Thalern ab.

Der Mensch hat sich besonnen und derweil bin ich fortgekrochen auf allen Vieren hinter den Hecken bis in den Wald, und sodann hab' ich Reißaus genommen.

Ihr könnt' jetzt gehen, Isaak, sagte die Gräfin. Aber bleibt in der Nähe; ich bedarf Eurer vielleicht.

Der Jude verbeugte sich und ging; aber statt in der Nähe zu bleiben, eilte er nach dem Gute Valerian's, wo er dem Rentmeister eine Schrift vorzeigte, die dieser mit einer Summe von 200 Louisd'or einlöste.

Nun, fragte lächelnd Heydenreich, als Isaak das Zimmer verlassen hatte.

Nun ist nicht zu säumen, rief Allgunde glühend von innerer Bewegung; was uns eben klar geworden, wovon wir überzeugt sind, das muß zuerst Ueberzeugung Sasseneck's werden, wenn er es noch nicht wissen sollte. Eilen Sie zu ihm, öffnen Sie ihm die Augen und geben Sie seinem Zorne doppelte Flammen. Sie werden ihm ja einreden können, was Ihnen gefällt. Diese Belagerung darf er mehrere Tage hindurch nicht aufheben und Valerian's Abenteuer muß so ruchbar werden wie immer möglich; für jenes sorgen Sie – fort Heydenreich, auf's Pferd, fort!

Heydenreich küßte ihre Hand und eilte davon. Allgunde schritt in großer Bewegung in dem Zimmer umher; dann versank sie in tiefes Sinnen. Endlich setzte sie sich an ihren Schreibtisch. Hier suchte sie lange unter dem Papiervorrath und wählte zuletzt ein sehr feines und dünnes Blatt, auf welches sie die folgenden Zeilen schrieb:

 

Lieber Herr Pfarrer Lehmann!

Obwol ich weiß, wie treu und sorglich Sie das einzige Document meines Verhältnisses zu F. vor Jedermanns Auge hüten, so habe ich doch mit einiger Besorgniß daran gedacht, daß eine Entwendung desselben im Grunde sehr leicht wäre. Man braucht nur in einer schönen, mondhellen Nacht eine Scheibe des Sakristeifensters einzustoßen, um dasselbe bequem von außen öffnen zu können, und dann muß Jedem zuerst der große Schrank in die Augen stechen. Ich möchte wetten, er läßt sich mit Leichtigkeit aufsprengen – das kleine Schloß würde einem dünnen Taschenmesser weichen, fürcht' ich! Dies ist mir in der vorigen Nacht durch den Kopf gegangen. Es ist Ihr Interesse fast so gut wie das meine, daß man jenes Buch nicht finde, deshalb ersuche ich Sie, einen bessern Aufbewahrungsort ausfindig zu machen – etwa in ihrem Schlafzimmer oder wo Sie meinen – denn, um Ihnen nichts zu verhehlen, man hat mir unlängst gedroht: es gebe Etwas, um eine Schlinge für mich daraus zu machen – also – sapienti sat!

Ihre ergebene
Allgunde, Gräfin Q.

 

Die Gräfin datirte dieses Schreiben um zwei Tage später als das laufende Datum war.

Sie erhob sich und indem sie mit großem Hohne sagte: Ja, eine Schlinge soll daraus gemacht werden! verschloß sie das Blatt sorgfältig in einem ihrer Portefeuilles.



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