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Elftes Kapitel.


Seit dem Morgen dieses Tages schon, besonders aber seit dem Eintreffen der erwarteten Gäste war Alles in Quernheim in großer Bewegung gewesen. Auf sieben Uhr Abends hatte Allgunde die Stunde der Trauung festgesetzt, und Theo, die schweigend der Gräfin Anordnungen freien Lauf ließ, hatte nur auf möglichst große Oeffentlichkeit und Feierlichkeit der Ceremonie bestanden.

So war denn die geräumige Hauskapelle, unter eifriger Leitung des Grafen Quernheim selbst, mit Blumengewinden geschmückt, der Altar prangte mit dem schönsten Silberschmuck und für die geladenen Gäste wurde ein Mahl gerüstet, welches die ererbte Sitte schwerer Massenhaftigkeit mit den modernen Vorzügen verfeinerter Kunst vereinigen sollte.

Gräfin Allgunde von Quernheim war während des ganzen Tages in bester und heiterster Stimmung gewesen. Aber gewaltig hatten sich ihre Züge verdüstert, als sie in der ersten Stunde nach Mittag einen bescheidenen und vielgebrauchten Wagen, den zwei plumpe Ackergäule schleppten, auf den Hof kommen und daraus das blasse Gesichtchen Mariens von Sasseneck sich vorbeugen sah. Sie stand am Fenster und Tondern hinter ihr, als Frau von Sasseneck ankam.

Dies ist unangenehm, sagte sie, ihre Stirn in Falten ziehend.

Sie kommt uns höchst fatal! versetzte Tondern.

Sie darf Theo vor der Trauung weder sprechen, noch auch von ihr gesehen werden.

Da ist nichts zu thun, als sie so lange in strengster Hut zu halten; man muß sie einsperren, wenn's nöthig ist! rieth Heydenreich.

Wollen Sie wieder zur Gewalt greifen? sagte lächelnd Allgunde. Gehen Sie hinunter, sie tritt in die Hausthüre, führen Sie Marie zu mir, Tondern.

Tondern ging und nach einer Weile kehrte er mit Frau von Sasseneck in das Zimmer Allgundens zurück.

Marie! du hier?! sagte Allgunde; mein Gott, du bist nicht zu Hause?!

Aber, liebe Allgunde, du weißt ja –

Freilich weiß ich, daß du für gut befunden hast, eine kleine Reise zu deinem Vergnügen zu machen – aber um Alles in der Welt willen, was führt dich hierher, jetzt hierher? Ich sage dies nicht, als ob ich nicht immer dich gerne hier bei mir sähe – nur daß du jetzt kommst, ist mir so auffallend!

Ich habe mit Theo zu reden, Allgunde.

Mit Theo? Du willst ihr wahrscheinlich eine Botschaft von Schlettendorf zutragen? Nicht wahr? Liebes Kind, du solltest dich vor Allen hüten, in solche Verhältnisse dich einzumischen oder gar den postillon d'amour für diesen unwiderstehlichen kleinen Don Juan Valerian zu machen! Ich weiß nicht, was er dir gesagt haben mag, aber das kann ich dich versichern, daß Theo von ihm nichts mehr hören mag und hören will, und daß du dir schlechten Lohn holen würdest, wenn du mit Botschaften von ihm zu ihr kämst. Theo und Tondern werden heut Abend getraut. Du siehst, Marie, zu welch' passender Zeit du kommst!

Getraut! Gott im Himmel! So schnell?

Schnell? Ist er nicht seit zwei Jahren ihr Bewerber?

Die nervenschwache Frau zitterte am ganzen Körper, als sie daran dachte, welche Wirkung diese Nachricht auf Valerian üben werde.

Und dennoch, sagte sie sich fassend und mit großer Entschlossenheit, ich muß dennoch Theo sehen und sprechen.

Wenn du willst, Marie, weshalb nicht? Ich will dich bei ihr anmelden lassen.

Allgunde zog eine Klingel.

Aber sag' mal, Marie, fuhr die Gräfin dann fort, warst du zu Hause oder nicht?

Boshafte Frage!

Nein, ich frage ganz im Ernst! Du weißt doch, daß wir Familienrath gehalten und Sasseneck ernstlich von seinen Thorheiten abgemahnt haben, daß mein Vater selbst bei ihm gewesen ist, um ihm Vernunft beizubringen? Daß er das Beste verspricht und dich mit Böllerschüssen und einer glänzenden fête champêtre empfangen will, wenn du nur zurückkehrst? Oder hat dir von allem Dem noch Niemand gesagt? Und weißt du auch nicht einmal, daß dein Kind so krank ist?

Mein Kind – sagte stammelnd die erschrockene Frau – mein Kind krank – schwer krank? O allmächtiger Gott – o mein Kind! Adieu, Allgunde, hier ist dann nichts für mich zu thun – ich will fort, ich will zu ihm!

Sie schoß zum Zimmer hinaus, die Treppen hinunter und keine fünf Minuten waren vergangen, als der Reisewagen mit den plumpen Kleppern sich in großer Hast zum Schloßthore wieder hinausbewegte.

Ist ihr Kind krank? fragte Tondern.

Ich glaube gehört zu haben, daß es den Schnupfen hat.

Von der sind wir also befreit! sagte Tondern lächelnd die Hände reibend.

 

Kurze Zeit nachher langten mehrere Wagen vollgepackt mit Freund- und Verwandtschaft an. Einen der ersten füllten der Freiherr Heinrich von Mainhövel nebst Gemahlin und ihre Tochter Herbertine, die zum Lohn für ihre Artigkeit mitgenommen wurde, sich an den Hochzeitkuchen gütlich zu thun.

Der Freiherr war im Ganzen rosiger Laune, denn obwol er Tondern nicht besonders liebte und für Theo ein unglückliches, geknicktes Dasein an der Seite Tondern's voraussah, so war ihm doch eigentlich sehr wohl, daß diese Partie endlich zu Stande kam und so die Angelegenheit mit den Metalliques-Obligationen, die ihm wie ein Damoklesschwert über dem Haupte schwebte und ihn manche Stunde seiner schlaflosen Nächte gepeinigt hatte, ihre Erledigung finde.

Uebrigens aber beschattete eine gewisse Melancholie seine bizarren Züge wie immer, so oft er ins Freie kam. Und obwol dies im Grunde nichts Anderes, als eine egoistische Trauer, vom Anblick der Natur und ihrer Herrlichkeiten ausgeschlossen zu sein, genannt werden mag, so lag doch Etwas darin, was auf seinen starren Charakter eine mildere Färbung breitete; es lag etwas mit ihm Versöhnendes in dieser Trauer des alten Mannes, und es war, als ob weichere Empfindungen auch anderer Art da nicht ganz fern sein konnten, wo wenigstens ein Gefühl von einer gewissen Tiefe innern Lebens sprach.

Allgunde empfing den Freiherrn unten an der Thüre, reichte ihm ihren Arm und führte ihn in die Gesellschaftszimmer.

Sie beklagen sich sonst über die »einfältige Einrichtung der Natur«, daß der Mensch Verwandte habe, lieber Mainhövel, sagte sie; ich hoffe, Sie haben heute, wo Ihre besten Freunde einmal die Ehre haben, Sie bei sich zu sehen, nicht ähnliche Seufzer ausgestoßen!

Gewiß nicht, fiel Frau von Mainhövel ein, die an Tonderns Arm hinter ihnen ging; Heinrich ist heute von einer ganz auffallenden Liebenswürdigkeit. Er hat mir, denken Sie, liebe Cousine, erst einmal vorgeworfen, daß mein Schlaganfall von neulich nichts als Folge meiner Paroxismen von Jähzorn sei und –

Und ich habe erst einmal anhören müssen, daß ich mich nur mit dem unsinnigen Studiren um mein Augenlicht gebracht, so rosiger Laune ist meine liebe Gemahlin, fiel Mainhövel ein.

Diese Vorwürfe sprachen die beiden Ehegatten mit großer Scherzhaftigkeit aus und es war schwer zu sagen, wer von Beiden die Sache lustiger finde. Allgunde und Tondern aber waren zu sehr in die Familiengeschichte von Surenburg eingeweiht, um die Bitterkeit nicht zu fühlen, die bei Beiden hindurchklang.

Frau von Mainhövel konnte sich in der That nicht zur Ruhe geben, daß ihr Gemahl seine Augen einer so unnützen, müßigen und für einen Edelmann unziemlichen Beschäftigung, wie ihr das Studiren schien, geopfert; sie war fest überzeugt, daß nur hohle Köpfe den Drang fühlten, sich mit dem unersprießlichen und närrischen Zeuge auszufüllen, das aus den Büchern herausstudirt werde, und daß ein Mensch von Geist und Verstand gar keinen Platz in sich fühlen werde für den gelehrten Wust.

Deshalb hegte sie für die Kenntnisse ihres Mannes die tiefste Verachtung und, obwol sie in großer Furcht vor ihm stand, wie alle Genossen des Hauses, war sie doch nicht im Stande, ihre weibliche Natur bis zu dem Grade zu verläugnen, um ihn mit den stillen Ueberzeugungen ihres sinnigen Gemüths zu verschonen.

Und seit er ihr Stammhaus und ihr Vermögen hatte daraufgehen lassen, um einen halbvollendeten, kahlen, öden Palast, in dem Niemanden wohl und behaglich zu Muthe werden konnte, zu erbauen, glich vollends nichts der tiefen, tödtlichen Verachtung, womit Frau von Mainhövel auf ein so thörichtes, bemitleidenswürdiges Geschöpf, einen Gelehrten und Büchermenschen, herabblickte.

Man war in den Gemächern oben angekommen. Hier, lieber Mainhövel, sagte Allgunde, sollen Sie sitzen; man hat Ihnen hier einen kleinen Thron hergerichtet, auf welchem Sie präsidiren; das Brautpaar sitzt neben ihnen, zuerst Theo, dann Tondern, dann ich.

Was macht Theo, fragte der Freiherr von Mainhövel.

O sie ist sehr wohl auf! versetzte Allgunde. Sie ist mit ihrer Toilette beschäftigt, und ich hoffe, sie wird eine so strahlende und glückliche Braut sein, wie je eine in der Kapelle von Quernheim getraut worden!

In der That war Theo an diesem Tage ruhiger, wohler, gefaßter, als an allen jüngstvergangenen. Den Morgen hatte sie ganz allein zugebracht; Heydenreich Tondern war von ihr beschieden worden, sie wolle ihn erst am Abende auf dem Wege zur Kapelle sehen, und als es Nachmittag geworden, hatte sie zwei jungen Mädchen, ihren Bäschen im fünften oder sechsten Grad, Audienz gegeben, welche die Sorge für ihre Toilette zu übernehmen gekommen waren. Das Ankleiden einer Braut ist ein so wichtiges und so schwieriges Geschäft, daß sehr begreiflicher Weise ein Nachmittag leicht darüber hingeht. Die geschäftigen Bäschen Theo's rührten alle Hände an ihrer Cousine, die Zofen liefen und tummelten sich und doch war der Abend da, ehe man es glaubte.

Theo hatte es übrigens den armen Mädchen auch recht sauer gemacht. Denn statt selbst zu helfen und sich zu rühren, saß sie still, in Gedanken versunken da und mit theilnahmloser Indolenz ließ sie die jungen Mädchen sich abplagen, daß ihnen die Tropfen auf die Stirn traten, die rothen Wangen erglühten. Theo steckte keine Nadel selber ein. Sie ließ Alles mit sich vornehmen, wie ein geduldiges Kind, aber auch, als ob sie so hülflos sei, wie ein Kind.

Endlich war man fertig. Es schlug sieben.

Gehen wir! sagte Theo.

Ich bitte dich, sieh dich nur einmal im Spiegel an, liebe Theo, wie du schön bist, versetzte eines der jungen Mädchen, indem sie Theo vor eine Psyche führte.

Theo betrachtete sich in dem Spiegel. Die andere Base näherte sich ihr und rückte den Myrthenkranz zurecht.

Ah, laß, laß, Marianne, ich will ihn nicht! sagte Theo wie plötzlich Leben bekommend.

Es war das erste Wort, welches die Mädchen während der ganzen Operation aus ihrem Munde gehört hatten; ihre Gedanken schienen sie bis jetzt so in Anspruch genommen zu haben, daß ihr erst die Psyche zeigte, wie sie ein bräutliches Gewand und einen Myrthenkranz trage.

Ich will ihn nicht, sagte Theo, zog die Nadeln heraus und warf den Myrthenkranz zu Boden. Kommt jetzt!

Die jungen Mädchen sahen sich an und waren stumm vor Erstaunen. Aber während die Eine den schönen Kranz vom Boden aufhob, war Theo rasch weiter gegangen und schon auf dem Wege zur Kapelle; im Raume vor derselben, einem Parterresalon, fand sie den Bräutigam und die Zeugen, nämlich den Grafen Quernheim und den Freiherrn von Mainhövel, den der Graf führte. Allgunde befand sich schon in der Kapelle, in ihrem Betstuhl neben dem Altar kniend; sie trug ein einfaches, schwarzes Atlaskleid, ihr Stiftskreuz auf der Brust.

Die Hauskapelle zu Quernheim war geräumig, aber sie war an diesem Abende von Menschen dicht angefüllt, die Kopf an Kopf eine undurchdringliche Masse bildeten. Denn nicht allein die geladenen Verwandten, die Diener derselben, die sämmtlichen Leute des Grafen Quernheim waren darin versammelt, sondern auch die Honoratioren des nächsten Kirchdorfes, kleine Beamte, Förster, Rentmeister u. s. w., kurz Alles, was die nächste Nachbarschaft bewohnte, hatte sich herzugedrängt; denn Alles war voll Theilnahme für das schöne Edelfräulein von Blankenaar.

Unter den geladenen Gästen war der Pfarrer von Olderndorf, die Trauung aber sollte der Pfarrer des nächsten Kirchdorfs, der sich dies Recht nicht nehmen ließ, vollziehen.

Eine unruhige Bewegung lief durch die Anwesenden in der Kapelle, als die Stunde schlug; doch dauerte es noch eine geraume Weile, denn draußen hatte Theo mit Tondern und den Andern, welche ihr Gefolge bilden sollten, eine heftige Debatte über den Myrthenkranz zu bestehen. Endlich vereinigte man sich dahin, daß eine der Brautführerinnen den Myrthenkranz in der Hand tragen solle, da Theo sich entschieden weigerte, ihn zu nehmen. Sie wollte nun einmal nicht mit dem Symbol der Bräutlichkeit an Heydenreich's Seite vor den Altar treten.

Die Harrenden draußen hatten unterdeß Muße gehabt, noch einmal allen Schmuck der Kapelle zu bewundern, mit ihren Blicken den Verschlingungen der weißen Stuckarabesken nachzugehen und sich die Augen von dem Glanzmeer der Lichter blenden zu lassen, die von krystallenen Lüstren und zahlreichen Spiegelleuchtern wiederstrahlten.

Endlich flogen beide Flügel der Thüre auf, welche rechts von den Zuschauern aus den Gemächern der Herrschaft unmittelbar auf das Chor der Kapelle führte.

Theo trat ein; neben ihr eines der jungen Mädchen, das andere führte Tondern, die große und barocke Gestalt des Freiherrn von Mainhövel folgte mit dem Grafen Quernheim, dessen Hand er gefaßt hielt. Allgunde erhob sich in ihrem Betstuhl und ein stolzer, kalter Blick folgte dem Paare an den Altar.

Desto wärmer sprach sich die Bewunderung der Zuschauer aus. Als Theo eintrat, durchlief ein lautes Ah! die Kapelle und trotz aller Spannung auf die heilige Handlung, die jetzt vorgenommen werden sollte, mußte die Bewunderung der Anwesenden sich in vielfachen, leisen Ausrufen Luft machen.

Theo war in der That wunderbar schön in diesem Augenblicke. Sie schien größer als sonst und ihre Züge hatten einen besondern Ausdruck, den Niemand früher in ihnen wahrgenommen, der sie aber unbeschreiblich veredelte und verklärte. Es lag eine unendliche Ruhe, die Ruhe eines großen Entschlusses darin, die Zuversicht, welche das Resultat eines klaren und reinen Wollens ist.

Ihre Kleidung war einfach; über einer Robe von schwerem, weißem Atlas trug sie ein Ueberkleid von echten Spitzen, vorn über den Knien aufgeschlagen und von weißen Schleifen gehalten, in deren jeder ein großer Diamant funkelte. Ihr übriger Schmuck bestand ebenfalls aus Diamanten von sehr großem Werth, denn die Erbin von Blankenaar hatte den reichsten Familienschmuck im Lande. Ein langer Spitzenschleier wallte um ihre imponirende Gestalt. So schritt sie, das dunkle Auge offen, die Wangen leise geröthet, ruhig, wie voll festen Gottvertrauens, wohin man sie führte – zum Altare.

Der Priester im Ornat erwartete sie und als Heydenreich neben Theo niedergekniet war, begann er die Gebete. Theo horchte ihm gespannt zu, während Heydenreich Tondern seinem nichtssagenden, blonden Gesichte den Ausdruck möglichster Andacht und Innigkeit zu geben versucht hatte und die Augen niederschlug.

Heydenreich Tondern sprach das Jawort aus. Der Priester wandte sich darauf zu Theo mit der üblichen Frage:

Theophanie Helene von Blankenaar, ist es dein freier Wille u. s. w. Als er die Formel ausgesprochen, antwortete Theo mit lauter und in der ganzen Kapelle vernehmbarer Stimme:

Nein!

Gleich darauf erhob sie sich. Heydenreich blieb kniend und sah zu ihr empor, sprachlos, als ob der Blitz zu seinen Füßen eingeschlagen. Der Priester blickte verwirrt nach dem Betstuhl der Gräfin Allgunde hinüber.

Allgunde war aufgesprungen, zornsprühenden Blickes, wie eine wunde Löwin. Sie verließ ihren Betstuhl und ein paar Schritte zum Altar hin machend sagte sie:

Fahren Sie fort, Herr Pfarrer; die Braut weiß nicht, was sie spricht. Sie ist momentanen Anfällen von Geisteszerrüttung unterworfen. Fahren Sie fort, ich befehle es!

Sie hat nein gesagt, gnädigste Gräfin, stammelte zitternd der Pfarrer, während Theo, ruhig wie vorher, auf Allgunde niederblickte, ohne Zorn oder Haß wider diese, oder gar Hohn und Schadenfreude zu verrathen.

Bis jetzt waren die Anwesenden alle lautlos gewesen, starr vor Ueberraschung und in athemloser Spannung. Da aber von Allgundens Worten das heftige: »Fahren Sie fort!« auch von den Entferntesten vernommen worden, so entstand eine große Bewegung unter dem plebejischen Bestandtheile der Versammlung; hier wurden Rufe der Entrüstung laut, man drängte in gewaltiger Aufregung nach vorn und eine helle Stimme machte sich vor allen andern bemerkbar:

Laßt mich durch, Leute, laßt mich durch, sag' ich, sie werden sie erdrosseln, ich kenn' diesen Teufel im Unterrock. Laßt mich durch, Leute! Fort da und kostet's mich mein Leben, ich will durch – Lady, Lady, hier bin ich, hier kommen ein paar Fäuste, Lady!

Bei dieser Bewegung im Volke hatten die den obern Theil der Kapelle erfüllenden Verwandten und Freunde des Brautpaares schnell einen undurchdringlichen Kreis um den Altar geschlossen, in dessen Mitte Theo, Heydenreich, Allgunde und die Zeugen und Brautführerinnen standen, welche Letztere sich erschrocken zu den andern Frauen retteten.

Allgundens Brust wogte so heftig auf und ab, ihr Herz schlug mit so zornigem Ungestüm, daß sie einige Augenblicke lang nicht sprechen konnte und es den Blicken, die sie auf Theo schoß, überließ, all' ihren Grimm auszudrücken.

Theo's Vormund Mainhövel nahm zuerst das Wort:

Theo, Theo, was ist das! rief er mit drohender Stimme.

Meine Pflicht! antwortete Theo leise, aber bestimmt. Sollte ich vor dem Altare, vor dem Priester meines Glaubens eine Lüge aussprechen? Es ist nicht mein freier Wille, was mich hierher führt. Man hat mich beredet und gezwungen.

Das ist nicht wahr! sagte Allgunde.

Weshalb sprachst du nicht eher? Weshalb dies Aergerniß? fuhr Mainhövel fort.

Hab' ich nicht oft genug früher gesprochen? versetzte Theo mit bitterm Lächeln. Hab' ich nicht hundertmal Nein! gesagt, hab' ich nicht geschworen, daß ich nimmermehr diese Ehe eingehen wolle? Hat man darum aufgehört, mich zu foltern? Nein – fuhr sie fort, mit ruhigem Stolz ihr Auge auf Allgunde richtend, man hat darum nur noch unablässiger mein Gemüth zu unterjochen und meinen Willen zu tödten versucht, man hat mit Schmerzen meine Seele zu Boden drücken und vernichten wollen, wie sie nur ein böser Dämon ersinnen kann, der die wunden Stellen seines Opfers kennt.

Ein heftiger, stechender Blick Allgundens traf, während Theo dies sagte, den Grafen Quernheim; er sollte sprechen, aber er hatte den Kopf verloren. Trotzdem blieb der Blick seiner Tochter unerbittlich auf ihm haften und so sagte er denn, unstäten Auges bald auf Theo, bald auf seine Tochter blickend:

Dies ist in der That eine – eine Blosstellung meines Hauses, Theo, eine vorbedachte – Allgundens Blick wurde stechender, ihre Miene zorniger – eine raffinirte Bosheit gegen meine edle, unschuldige Tochter und mich – zu wollen, daß der Trauung möglichst große Oeffentlichkeit gegeben werde, daß man Jedermann zulasse und dann –

Graf Quernheim, versetzte Theo, ich bedauere Ihretwegen dies Alles von Herzen. Wenn ich Zeugen der Trauung wollte, so war es einzig und allein, um in diesem Augenblicke nicht in der Gewalt Derer zu sein, die statt schützender Verwandten meine Feinde sind, sondern um unter dem Schutze der Oeffentlichkeit zu stehen!

Die Gäste, die Vettern und Cousinen vom dritten bis zum zehnten Grade hatten bisher in stummer Entrüstung geschwiegen. Der unerhörte Vorgang machte einen Eindruck, als wenn der Donner zwischen sie geschlagen; diese chinesischen Gemüther, deren höchste Gottheit die Etiquette und ängstliche Wahrung des äußern Scheins war, mußten bis auf den tiefsten Grund ihrer Seele erschüttert sein durch die unerhörte Schmach, welche ein solcher Vorgang auf ihre Häupter und Namen wälzte.

Da war keines unter diesen porzellanenen Herzen, welches gerührt worden, welches in edler Entrüstung höher geschlagen, keines, das sich gefragt, welch' herzzerreißendes Drama von den handelnden Personen dieser Scene vorher mußte hinter den Coulissen aufgeführt worden sein, bevor eine solche Katastrophe die Entwickelung des letzten Acts bringen konnte. Spielten sich doch unter ihren Augen oft genug solche erschütternde Familiendramen voll tragischer Motive und Situationen ab, ohne daß sie eben viel davon merkten oder sich sehr darum kümmerten.

In Dem, was hier vorfiel, sah man nichts Anderes, als die unverantwortliche Kühnheit eines emancipationssüchtigen Weibes, das sich durch einen Gewaltstreich der wohlthätigen Macht ihrer rechtmäßigen Autorität entziehen wollte, das diesen Frevel noch obendrein vermehrte, indem sie die Schmach nicht allein mit vorbedachter Tücke öffentlich machte, sondern auch noch wagte, an diese Oeffentlichkeit förmlich zu appelliren.

Gegen die Beschlüsse der adligen Verwandtschaft sich auf den Schutz einer aus Plebejern und Bauern zusammengesetzten Menge berufen zu wollen – dies war mehr, als man geduldig hinnehmen konnte, und nun endlich gar noch unumwunden auf Zwang und Gewaltmaßregeln anzuspielen, der man sich von solcher Verwandtschaft versehen könne – dies mußte über Theo einen Sturm heraufbeschwören, der unmittelbar nach ihren letzten Worten auszubrechen begann.

Das ist eine fürchterliche Beleidigung für uns Alle, rief Einer der Männer.

Dies können wir uns unmöglich sagen lassen! Ich habe es immer gesagt, sie ist wirklich wahnsinnig.

Ja, sie hat einen Anfall von Verrücktheit.

Man muß sie unschädlich machen.

Quernheims sollten sie einsperren –

Bis sie zur Vernunft kommt –

Mainhövel ist ihr Vormund. Mainhövel muß das thun.

Mainhövel, sprechen Sie –

So flogen die Stimmen hin und her, hastige, zornige Stimmen, von durchbohrenden und giftigen Blicken auf die arme Theo begleitet, die blaß in der Mitte stand und ängstlich suchend nach einem befreundeten Gesichte spähte.

Aber aus allen diesen gerötheten Köpfen, die sie umdrängten, blickte kein Auge, das ihr freundliche Billigung zugewinkt hätte; da war kein Gesicht, auf welchem milde Theilnahme für sie gelegen, keines, das ihr auch nur mit stummem Mienenspiele gesagt hätte: Sei getrost, du thatest recht, Gott wird dich schützen! Sie schlug die Augen zu Boden, faltete die Hände und seufzte: Gott stehe mir bei!

Theo sah wohl ein, daß die zornigen Menschen, die sie umdrängten, das höchste Interesse dabei hatten, sie für wahnsinnig auszugeben. Nur so konnten sie eine Schmach abwenden, die sonst auf sie gefallen wäre. Ich bin verloren! dachte sie, und es überfiel sie ein Zittern, daß sie sich an dem Betstuhl halten mußte, vor dem sie eben gekniet.

Der Freiherr von Mainhövel war aufgefordert worden, zu sprechen. Der verletzte esprit de corps, die tödtlich getroffene Familienehre forderte von ihm ihre Genugthuung.

Graf Quernheim, ich bitte dich, sagte der Freiherr, laß zuerst die Kapelle von allem Volk räumen.

Wird das endlich geschehen, was zuerst hätte geschehen sollen, rief Tondern aus, der sich mit seiner verbissenen Wuth in die Reihen der Uebrigen zurückgezogen hatte.

Der Graf Quernheim rief seinen Bedienten den nöthigen Befehl zu. Gleich darauf entstand ein heftiges Gedränge im untern Theile der Kapelle; die Masse der dunkeln Köpfe dort fing an, hin- und herzuschwanken und zu wogen wie ein windbewegtes Aehrenfeld. Zornige Rufe, Schreie der Gedrängten, Drohungen der Bedienten erfüllten den Raum.

In diesem Augenblicke, den Allgunde von Quernheim benutzte, um dem Freiherrn von Mainhövel etwas ins Ohr zu flüstern, öffnete sich rasch die Thür, durch welche vorhin das Brautpaar eingetreten war, noch einmal.

Unvermuthet, wie plötzlich aus den, Boden aufgewachsen – denn Keiner hatte in der Aufregung die Thüre sich öffnen sehen, die im Rücken des um Theo gedrängten Kreises lag – stand im nächsten Augenblick ein Mann neben Theo auf der untern Stufe des Altars, den man auf den ersten Blick kaum erkannte, bis ein verwundertes Murmeln von Mund zu Munde lief:

Valerian – Schlettendorf – was will der? woher kommt der?

Valerian war todtenblaß, sein glühendes, eingesunkenes Auge schoß Blitze, die jedem Besonnenen den Rath geben mußten, ihm nicht in den Weg zu treten. So stand er neben Theo, einen dunkeln Mantel über die linke Schulter und um seine Gestalt geworfen, während die rechte Schulter frei war wie der Arm, mit welchem er Theo umschlang und an sich zog, als wolle er sie schützen gegen allen Zorn der Welt.

Dicht neben ihn trat Finkenberg, Sophie aber, die sich ängstlich den beiden Männern nachgedrängt hatte, kniete erschöpft, außer Athem vor innerer Bewegung, neben Theo nieder und küßte einmal über das andere ihrer Freundin herabhängende, kalte Hand.

Theo hatte einen Schrei ausgestoßen und halb ohnmächtig, blaß wie eine im Sturmesschaukeln ermüdete Lilie, hing sie jetzt in Valerian's Arme.

Was ist geschehen? rief er mit zorngedämpfter Stimme.

Keiner antwortete. Da schrie dieselbe helle Stimme, die sich früherhin laut gemacht hatte, aus dem Volke unten:

Die Lady hat: Nein! gesagt. Jetzt wollen sie sie als verrückt einsperren!

Valerian warf einen flammenden Blick auf Theo, einen Blick, als wolle er sagen: o könnte ich mein Herz und meine Seele dafür als Dank dir hingeben; und sie enger als früher noch umschlingend und sich über sie beugend sagte er mit einem Tone, in welchem sich zu unbeschreiblicher Innigkeit Bewunderung, Liebe und Mitleid gesellten: Meine Theo! Dann erhob er den Blick von ihr und sagte mit lauter Stimme:

Gräfin Allgunde von Quernheim, ich fordere Rechenschaft von Ihnen, denn Sie sind die Triebfeder von allem Diesem. Warum haben Sie meine Braut an den Altar geschleppt –

Rechenschaft? Sie? von mir? fiel Allgunde ihm mit erzwungenem Lachen ins Wort – und zwar hier unter dem Dache meines Vaters? in meinem Schlosse?

Jetzt wird die Sache dramatisch! flüsterte hämisch lächelnd Tondern.

Wir wollen in die Zimmer zurückgehen, meine Freunde, rief der Freiherr von Mainhövel aus. Um Gottes willen, nur den Scandal hier in der Kapelle nicht verlängert!

Nein, rief Valerian, bleiben Sie, die Leute da unten sollen auch bleiben. Ich denke hier ein öffentliches Gericht zu halten. Gräfin von Quernheim, Sie haben an meiner Braut und an mir gehandelt, daß ich keine Schonung mehr kenne. Darum klage ich Sie an, hier am Altar vor Gott und vor dem höchsten Richter auf Erden, der öffentlichen Meinung, dem ich das Urtheil überlasse, klage ich Sie an der Gewaltthat und der Infamie. Sie haben Theo verkuppeln wollen an den Mitwisser ihrer Verbrechen als Preis seines Schweigens.

Und diese Verbrechen sind? sagte Allgunde laut und ungebeugt. Ich rathe Ihnen, sie uns nicht schuldig zu bleiben und die Beweise beizubringen, denn ihre Behauptungen, Graf Schlettendorf, sind ohne Credit im Land, seit man Sie als Entführer und Demagogen kennt.

Allgunde, du vergißt dich, fiel der Graf Quernheim hier seiner Tochter ins Wort und faßte ihren Arm. Diesem Menschen kannst du auf seine Vorwürfe unbeschadet deiner Würde keine Antwort geben! Komm fort! Dann werde ich mit ihm reden!

Lassen Sie mich, Vater, sagte Allgunde zornig; ich muß dieser Scene auf der Stelle ein Ende machen.

Gräfin Allgunde von Quernheim, fuhr Valerian fort, mit welchem Recht tragen Sie das Kreuz da auf Ihrer linken Brust? Dies Kreuz ist eine Lüge. Hier steht Ihr Gemahl, Gräfin Allgunde, Ihr von der Kirche Ihnen angetrauter Gemahl; er trägt eine tiefe Narbe an seiner Stirn, das ist eine Erinnerung an die eheliche Zärtlichkeit, womit Sie für sein Fortkommen besorgt waren!

Welche Infamie, diese Beschuldigungen! rief Allgunde aus; wer ist so frech, vor mich zu treten und zu behaupten, er sei mein Mann? Ich würde ihn als Verbrecher ins Zuchthaus liefern lassen, setzte sie mit einem stechenden Blick auf Finkenberg hinzu.

Ich bin es, sagte dieser ruhig.

Sie? – Herr Pfarrer von Olderndorf, – ich glaube, Sie kennen diesen Mann – kommen Sie her!

Der Pfarrer von Olderndorf drängte sich auf Allgundens Ruf herbei.

Erinnern Sie sich dieses Menschen?

Der Pfarrer blickte sie fragend und ungewiß an.

Nun, sprechen Sie ohne Furcht; wenn ich nicht irre, ist dieser Mensch ein ertappter Dieb.

Der Pfarrer schüttelte den Kopf.

Nun? nicht? rief Allgunde mit ebensoviel Staunen als Entrüstung.

Der Dieb, sagte der Pfarrer, sich an Allgundens Ohr niederbeugend, ist jenes runde, kecke Gesicht dort mit der aufgeworfenen Nase, das sich in diesem Augenblicke niederbeugt, um das Kleid des Edelfräuleins von Blankenaar zu küssen. Den fingen wir in der Sakristei. Soll ich ihn laut bezeichnen?

Nein, schweigen Sie! sagte Allgunde, die jetzt plötzlich ihre Fassung verlor und den Boden unter sich wanken fühlte, als sie sah, daß die List, auf welche sie getrotzt, gescheitert sei und daß alle ihre Zuversicht keine Stütze habe. Sie starrte den Iren an, der Theo in diesem Augenblicke seine Huldigungen bemerklich zu machen strebte und stammelte mit zitternder Lippe: der ist's – der? – Lehmann – der?!

Allgunde, sagte Finkenberg, der Pfarrer, der uns getraut hat, steht hier. Du hast ihn selbst herbeigerufen. Dort ist der Graf Valerian von Schlettendorf, der –

Der vor Gericht beschwören wird, daß er das pfarramtliche Trauungsdocument über die Ehe dieses Mannes mit der Gräfin Allgunde von Quernheim gesehen hat –

Und hier ist der Handelsmann Isaak Koppel, rief der Jude, der während des Vorigen als aufmerksamer Beobachter in der Kapellenthüre stehen geblieben war, mit höhnender Schadenfreude – der das Document auch gesehen hat und der das ganze Trauregister der Gemeinde Olderndorf auswendig weiß von Anfang bis zu Ende! Soll ich's hersagen, meine Herren?

Isaaks greinendes Gesicht drängte sich durch die Menge.

Der Pfarrer von Olderndorf sah ein, daß der Jude, dessen fabelhaftes Gedächtniß bekannt war, mit seinem Zeugniß den Ausschlag geben werde, wenn die Angelegenheit vor die Gerichte komme; er fühlte, daß Allgunde verloren und es für ihn am gescheitesten sei, der Partei beizutreten, welcher sich der Sieg zuneigte. Sein Zeugniß hier öffentlich abgelegt, mußte nämlich den Streit beenden, statt daß er sonst vielleicht wirklich von Finkenberg bei Gericht angebracht worden wäre, was der Pfarrer Gründe hatte, durchaus nicht zu wünschen. Ueberdem wußte er, daß auf alle Fälle fortgesetztes Läugnen seine Schuld erschweren werde.

Herr Pfarrer von Olderndorf, nahm Valerian noch einmal das Wort, ich fordere Sie auf, bei Ihrem Amtseid, haben Sie die Gräfin Allgunde von Quernheim und den Herrn von Finkenberg in Ihrer Kirche getraut oder nicht?

Ja, sagte der Pfarrer Lehmann; auf den Befehl der Gräfin, am 13. October 183* um zehn Uhr Vormittag. Herr Baron von Tondern und sein Jäger waren die Zeugen.

Der Gräfin Allgunde leuchtete in diesem Augenblicke ein, daß ihre Kühnheit und ihr Trotz sie zu dem Fehler verleitet, sich diesen Verhandlungen zu lange ausgesetzt zu haben.

Sie nahm ihres Vaters Arm.

Sie haben recht, mein Vater, sagte sie mit unterdrücktem Athem, es ist unverantwortlich von mir, mich allen diesen Verleumdungen eines schändlichen Complotts auszusetzen!

Sie war blaß, ihre Kraft war gebrochen, ihr Haupt schwindelte. Aber sie hatte auch in diesem Augenblicke Selbstbeherrschung genug, um stolzer Stirne und aufrechter Haltung die Kapelle zu verlassen, sich zu stellen, als trage sie in sich alle Bürgschaften eines dereinstigen glänzenden Sieges, als sei die gegenwärtige Niederlage nichts, denn die Folie des zukünftigen Triumphs. So blickte sie um sich, so verschwand sie im Innern des Schlosses.

Und doch war sie moralisch vernichtet. Alle Zeugen dieser Scene waren erfüllt von Verachtung gegen sie und brachen ohne Bedenken den Stab über ihre Schuld. Ja sie gingen vielleicht sogar zu weit in dieser Verachtung. Was in Allgunde das, wenn auch vorübergehende, doch darum nicht minder wahre Aufflammen einer Leidenschaft gewesen, ihre Verbindung mit Finkenberg – darin sah man – gewöhnt, sich an materielle Auffassungen zu halten – nichts als niedrige Motive, ohne an eine Veredelung derselben durch tiefere Empfindung zu glauben. Was Berechnung des Ehrgeizes und Adelstolz in Allgunde gewesen, der Entschluß, die Ehe geheim zu halten, wurde – da man einmal im Zuge war zu verdammen – als gemeine Habsucht ausgelegt, als Verlangen, die Einkünfte einer Stiftspräbende weiter beziehen zu können.

Und als man endlich sich bei Finkenberg nach seiner Wunde erkundigte und dieser Details gab über Allgundens Bestrebungen, ihn aus dem Lande zu schaffen, da erreichte die Entrüstung ihren höchsten Grad. Jene Gewaltthat gegen Finkenberg, die eigentlich mehr Tondern's Werk war, wurde ohne Anstand ihr auch zur Last gelegt; und so war Allgunde ganz und gar und für ewige Zeiten in den Gemüthern aller Derer verloren und verurtheilt, welche sie früher beherrscht und geleitet hatte und die ihr vorher huldigten wie einer Königin.

Die Plane des Ehrgeizes, welche sie mit der besten Kraft ihres Lebens aufgebaut und verfolgt hatte, lagen in tausend Trümmern wie zerschlagene Scherben vor ihren Füßen. Das Hohngelächter der Schmach übte für ihre Vergehungen eine Rache an ihr aus, die für Charaktere ihrer Art fürchterlicher und vernichtender sein mußte, als die ganze Scala von Leiden, welche die menschliche Gerechtigkeit über Schuldige, welche ihr verfallen sind, zu verhängen weiß.

Als Allgunde sich mit ihrem Vater entfernt hatte, war es zuerst Tondern, der zu entkommen suchte, ohne gesehen zu werden, denn er fürchtete, nach Allgunden könne die Reihe an ihn kommen und er Gegenstand unangenehmer Eröffnungen von Seiten Valerian's werden. Er drängte sich deshalb nach unten hin, durch das Volk zur Kapelle hinaus und nachdem er seine Diener aufgesucht und anzuspannen befohlen, stieg er in seinen Wagen, wo er sich in eine Ecke drückte, bis die Pferde angelegt waren.

In dieser Situation hatte er die beste Gelegenheit, Beobachtungen über den Grad seiner Beliebtheit unter dem Volke anzustellen, denn von allen Gruppen der jetzt aus der Kapelle hervorströmenden und den Schloßhof verlassenden Zuschauer war nicht eine, die nicht laut und rückhaltlos irgend eine Bemerkung über ihn gemacht hätte. Leider waren diese Aussprüche ebensowenig schmeichelhaft für seinen innern Menschen, wie für seine äußere Erscheinung und am allerwenigsten befriedigend für die Ansprüche seiner Eitelkeit auf den Ruhm eines tugendhaften und christlichen Gemüths.

Endlich war der Kutscher fertig und Tondern durfte seinem Herzen Luft machen mit einem donnernden Fluche, den er in dem Augenblicke ausstieß, als sein Wagen den Schloßhof von Quernheim verließ.

Unterdeß hatten die andern Gäste alle die Kapelle geräumt und bald darauf rollte eine ganze Reihe von Equipagen der Tondern's nach durch die dunkle Allee, die kaum noch von den heimkehrenden Gruppen heftig gesticulirender und lebhaft sprechender Fußgänger verlassen war. In Quernheim aber erlöschte ein Licht nach dem andern, die Dienerschaft zehrte in verstohlener Hast an dem üppigen Hochzeitmahle und flüsterte sich scheu Bemerkungen über vergangene und Prophezeiungen über zukünftige Dinge zu.

Ein paar Stunden, nachdem der letzte Gast sich entfernt hatte, herrschte schon Todtenstille in den Sälen und Corridoren des Schlosses und das ganze Gebäude hob sich mit seinen Giebeln und Thürmen in den Nachthimmel auf, wie ein dunkles Monument über dem Grabe eines großen Schmerzes oder einer großen That, welcher längstverschollene Jahrhunderte ein Mal aufgethürmt haben. Doch umschloß dieser dunkel gethürmte, von der Nacht in gigantische Formen gezogene Bau weder das Grab einer großen That, noch war es ein todter Schmerz, der im untersten Grunde seiner Gewölbe Ruhe und Kühlung gefunden; der Schmerz, der innerhalb dieses düstern Monumentes gefühlt wurde, war lebendig, furchtbar, wühlend, eine Hölle voll Qual.

Der matte Lichtschimmer, der noch um Mitternacht und bis zum Morgengrauen aus einem schmalen, spitzbogigen Fenster des Schlosses fiel, verrieth das Flackern einer Lampe, welche von eben so viel Bewegungen und Symptomen der Verzweiflung Zeuge sein mochte, wie sie nur je der verglimmende Docht in der Gruft einer verurtheilten Vestalin beleuchtete.



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