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Zehntes Kapitel.


Valerian fühlte beim Erwachen am folgenden Morgen die wohlthätigen Wirkungen von Pauli's geschickter Behandlung seiner Wunde. Er fühlte sich gestärkt und frischer und das gelinde Wundfieber, das bis jetzt an ihm gezehrt hatte, schien völlig gebrochen. Pauli hatte vorsichtiger Weise diejenigen Heilmittel, welche er nach Isaaks Angabe, daß Valerian verwundet sei, als nothwendig voraussetzen konnte, mit sich genommen. Denn in Arnstein waren sie nicht aufzutreiben und bis zur nächsten Apotheke wären viertehalb Stunden Weges gewesen.

Nachdem der Gerichtsarzt ein paar Stunden seinem Patienten Gesellschaft geleistet, nahm er Hut und Stock, um zu einem Kranken in einer der Hütten unten im Thale zu gehen, von dem ihm der Verwalter am vorigen Tage erzählt und den er sofort aus eignem Antriebe besucht hatte. Die Hütte lag über eine halbe Stunde weit vom Schloß entfernt und als Pauli von seiner Wanderung zurückkam, läutete schon die Schloßglocke zu Arnstein das Gesinde zum Mittagessen zusammen.

Im Schloßhofe fand er zu seinem Erstaunen einen ausgespannten, eleganten Reisewagen stehen, der auf den Schlägen ein kleines, von einer Freiherrnkrone überragtes Wappen zeigte. Es war, im rothen Felde, eine Jungfrau mit blondem, flatterndem Haar in weißem Gewande, eine schwarze Alraunwurzel in der Hand; das war das Wappen der Barone von Blankenaar, welches Jedermann in der Gegend kannte, denn es knüpften sich mystische Sagen an diese »weiße Jungfrau von Blankenaar«, welche, wie sie im Wappen der Baronin prangte, auch von vielen Dienern des Hauses gesehen worden sein sollte, nächtlich durch die Gemächer und in den Umgebungen des Schlosses wandelnd.

Pauli beeilte seine Schritte, als er den Wagen sah, und trat ins Haus. Auf dem Flur kam eine Magd aus der großen Halle und sagte, drinnen erwarte ihn eine junge Dame. Der Arzt trat in die Halle und sah im obern Theile des Raumes, entfernt von dem Tische des speisenden Gesindes, eine blonde und zierliche junge Frau auf- und abgehen, die bei seinem Eintreten einen leisen, freudigen Ruf ausstieß und auf ihn zueilte. Er erkannte sie.

Sophie! rief er aus; du bist's?!

Er umarmte seine Tochter und dann fragte er:

Aber, theures Kind, wie kommst du hierher, was ist vorgefallen?

Ich mußte dich sprechen, lieber Vater; aber nicht hier sei es – wir müssen allein sein – nur um Gottes willen, rasch, rasch!

So komm mit mir, nach oben, sagte Pauli, ihr den Arm reichend. Wie gut, daß du endlich, endlich gekommen! Wir können auch in den Hof gehen, unter die Ulme, wenn du so hastig bist!

Er führte sie dahin und nachdem Sophie auf der Bank unter dem Baume Platz genommen, sagte er:

Mein Kind, wie siehst du angegriffen aus! Deine zarten Wangen glühen von Erhitzung, sonst, fürcht' ich, würden sie blaß sein wie deine vom Wind zersausten Locken.

Ich habe gelitten, Vater, viel, unaussprechlich viel gelitten. Nicht um meinetwillen oder durch eignes Leid – nein, in der Seele meiner Freundin, meiner theuern Freundin Theo. O Vater, es gibt auf Erden kein edleres, großherzigeres, von allem Niedern unbefleckteres Wesen, als sie; aber es gibt auch kein unglücklicheres Wesen, als sie! Wie dankbar bin ich dem Himmel für die Tage, die ich bei ihr verlebt habe, in denen ich, wenn auch wenig, doch etwas Trost für sie hatte und dafür ihre Freundschaft erworben habe, plötzlich, unverdient, wie einen glücklichen Zug aus der Lotterie des Zufalls. Gott, wie voll, wie voll ist mein Herz von Theo! Mein Eugen würde eifersüchtig, wenn er in dies Herz sehen könnte! Aber es ist nicht Zeit dazu, daß ich dir erzähle, in welche neue Welt voll tiefer, schwärmerischer Lebenspoesie, in welchen bunten Reichthum von Empfindungen ihr Vertrauen mich hat blicken lassen. Die Zeit drängt. Vater, wir müssen für sie handeln, rasch und entschlossen. Ein solches Wesen darf nicht untergehen.

Pauli schlang den Arm um seine Tochter und voll liebender Bewunderung sah er ihr in das sanfte, zärtliche Auge, welches von einem Enthusiasmus glänzte, der ihr ganzes Gesicht verklärte.

Kind, wie dein Gesicht glüht; sprich ruhiger, fasse dich!

Väterchen, laß mich, ich bitte dich, warne mich nicht, ich kann nicht ruhiger sein!

So sag', was sollen wir für sie thun?

Ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß etwas geschehen muß. Sieh, die Sachen stehen so. Theo liebt den Grafen Schlettendorf. Aber man hat ihr Verdacht gegen ihn eingeflößt, daß er ihr untreu ist, daß er überhaupt ein unwürdiger Mensch; ich glaube nicht daran und sie glaubt es auch nicht; sie vertraut ihm, sie hält an ihm fest mit allen Kräften ihrer Seele und doch hat der Pfeil getroffen und sitzt ihr tief im Herzen; schon an dieser Wunde würde sie verbluten. Dazu kommt aber, daß sie den Baron Tondern heirathen soll, und obwol sie anfangs die entschiedenste Abneigung gegen ihn gehabt hat, scheinen doch ihre Verwandten ihren Willen endlich vollständig unterjocht zu haben und nun hat sie eingewilligt. Heute Abend um sieben Uhr findet die Trauung in Quernheim statt.

Heute Abend schon?

Ja, und Theo hat gewollt, daß alle ihre Verwandten zugegen seien. Man hat deshalb eingeladen, was auf zehn Stunden umher nur irgend mit der Familie zusammenhängt.

Wie ist es möglich, daß Theo eingewilligt hat, Tondern zu nehmen?

Es hat freilich erst ein paar sehr heftige Scenen zwischen ihr und ihrer Cousine Allgunde gegeben; aber ich glaube, daß dieses dämonisch begabte Weib gewußt hat, Theo's Seele bis zur Willenlosigkeit zu brechen. Ich bin nur drei Tage lang bei Theo gewesen – wie vorher auf sie gewirkt worden ist, weiß ich nicht; aber allein in diesen drei Tagen hat man genug Politik und Schlauheit, Ueberredung und Drohung, Bitten und Versprechungen auf sie wirken lassen, um den Geist des Festesten zu erweichen.

Warum hat sie in solcher Lage dem Grafen keine Zeile geschickt, kein Lebenszeichen zukommen lassen?

Sie, versetzte Sophie, sie hätte das thun sollen, während er sie unverantwortlicher Weise ohne Nachricht von sich ließ, nach einem Zeichen seiner Liebe und Treue dürstend, wie ein Verschmachtender nach einem Wassertropfen dürstet? Nein, lieber Vater, das konnte sie nicht, das litt ihr jungfräulicher Stolz nicht, dazu hatten die Vorwürfe, die in ihrer Gegenwart gegen den Grafen Schlettendorf ausgesprochen wurden, zu viel anscheinend Gegründetes! – Nein, Vater, es hat ihr das Herz abstoßen wollen, aber schreiben, ihm zuerst schreiben konnte sie nicht!

Aber er hat ihr geschrieben. Der Brief ist in Quernheim abgegeben.

Sie hat nichts erhalten. O diese Gräfin Allgunde bewacht sie wie ein Argus. Aber höre weiter, mein Vater. Theo hat eingewilligt, heute Abend getraut zu werden; doch ist sie weit entfernt, resignirt ihrem Schicksal entgegenzugehen; und Das, was mich mit namenloser Angst erfüllt, was mich unhaltbar hierher zu dir getrieben hat, das ist die Ueberzeugung, daß Theo den Augenblick, der sie zum Weibe Tondern's macht, der sie zwingt, die süßeste Religion ihres Herzens, die Liebe zu Valerian als Verbrechen zu betrachten, daß sie den Augenblick nicht überleben wird!

Sie geht umher, daß es ein Schrecken ist, sie anzusehen; ihr Auge ist thränenlos, ihr Gesicht hat eine gelblich marmorne Blässe und kalte Starrheit, und wenn ich sie so mit einer tiefen Stirnfalte und eisigen Blicken vor sich hinstieren sah, war mir oft wahrhaft unheimlich zu Muthe; es war, als ob der finstere Geist irgend einer unheilvollen That sich über ihren Brauen festgesetzt; o es war schrecklich, Vater! Sie stand vor mir wie eine Medea und ich mußte schaudernd an Dolch und Blutthat denken.

Gott halte die Hand über sie; das arme Mädchen!

Es muß etwas geschehen, Vater, es muß etwas gethan werden. Gestern Abend erhielt ich ein Billet von Eugen, worin er mir schrieb, daß du hier bei Schlettendorf seiest. Es war mir, als sei das ein Schicksalswink; so faßte ich meinen Entschluß. Ich sagte Theo nichts, ich bat sie nur, mir für heute ihre Equipage zur Disposition zu stellen und, in meiner Angst nicht den Anbruch des Tages abwartend, warf ich mich lange vor Sonnenaufgang in den Wagen. Und nun, Vater, rathe, hilf! Liebt Valerian sie, ist er ihrer noch würdig, so unterrichte ihn und lass' ihn augenblicklich nach Haus Quernheim eilen – eine andere Hülfe sehe ich nicht ab! – Du zögerst? Wäre es wirklich wahr? Hätte Valerian die Sasseneck entführt?

Einfältige Verleumdung! Er ist Theo so treu wie Gold! Aber er hatte ein Duell, er ist an der Schulter verwundet, er kann, er darf nicht fort, es kann sein Leben kosten, versetzte Pauli.

Vater, es kann auch ihr Leben kosten! Also Leben gegen Leben steht auf dem Spiele. Willst du Theo, die Tochter deines Freundes Blankenaar untergehen lassen, um den dir weit fremdern Mann einer vielleicht von deiner Aengstlichkeit vergrößerten Gefahr nicht auszusetzen?

Es ist ohnehin zu spät, sagte Pauli, der in größter Noth und Unentschlossenheit die Hände rang; es ist zu spät, wir können unmöglich vor sieben Uhr in Quernheim sein!

Mag der Kutscher die Pferde bis zum Stürzen antreiben – wir müssen da sein! Geh, geh, Vater, geh hinauf!

Der Arzt erhob sich und gehorchte dem Willen seiner heftig bewegten, wie eine Rose glühenden Tochter. Während er zu Valerian eilte, rief sie selbst den Kutscher herbei, der sie gebracht hatte, und hieß ihn die Pferde wieder einspannen.

Sie können kaum ihr Futter verzehrt haben, sagte dieser unwillig.

Mensch, wenn Ihr Eure Herrin lieb habt, spannt ein, so schnell es möglich ist, und dann fahrt, als ob das wilde Heer Euch peitschte; fahrt auf Leben und Tod!

Die sanfte Sophie kannte sich selbst nicht mehr, so aufgeregt war sie. Während ihr Vater oben bei Valerian war, ging sie hastig im Hofe auf und ab; dann eilte sie in die Ställe, zog ihre Glacéhandschuhe aus und drückte und riß sich ihre zarten Finger wund an den Schnallen der Pferdezäume, die ihr der Kutscher zu langsam überwarf; mit wahrem Heroismus war sie an die stampfenden Rosse herangetreten, denen sie in anderer Stimmung um Alles in der Welt nicht so nahe gekommen wäre.

Unterdeß hatte der Arzt Valerian mitgetheilt, was ihm seine Tochter gesagt. Er hatte sich vorgenommen, ihm auf's schonendste und erst nach gehöriger Vorbereitung zu eröffnen, um was es sich handle; Valerian aber errieth mit einer wunderbaren Schnelligkeit Alles aus den wenigen ersten, mit stockender Beklommenheit vom Arzt vorgebrachten Worten. Sein stürmisches Aufwallen war so heftig, so furchtbar leidenschaftlich, daß der Arzt vollends um seine Fassung kam. Mit zitternden Händen half er dem Grafen, sich zu kleiden, bis dessen Reitknecht eintrat und seinem Herrn Beistand leistete, der in zorniger Ungeduld den Aermel vom Rocke riß, weil er sich nicht über den Verband seiner Schulter ziehen ließ, und dann, in einen Mantel gehüllt, die Treppe hinunterstürmte.

Pauli folgte ihm; Gott im Himmel, sagte er, welche furchtbare und unsägliche Schmerzen muß dieser Mann bei diesen heftigen Bewegungen haben! Und ich glaube, er fühlt nicht mehr davon, als von den Stichen einer Mücke!

Valerian saß schon im Wagen, als der Kutscher kaum eingespannt hatte. Sophie setzte sich neben ihn, aber ihren Vater bat er zurückzubleiben und hieß auch seinen Reitknecht vom Bock herabsteigen, damit der Wagen nicht mehr als nöthig beschwert werde.

Nun fort! rief er; aber halt, wo ist der Jude? Isaak! Isaak!

Isaak Koppel stand am Fenster in der Schloßhalle. Er kam herbeigeeilt.

Auf den Bock, auf den Bock mit ihm! rief Valerian; der Reitknecht faßte ihn unter dem Arm und nach wenigen Secunden thronte Isaak oben auf dem Bocke, wo er sich sehr ängstlich festhielt.

Der Kutscher zischte und im nächsten Augenblicke füllte dumpfes Donnerrollen den langen und düstern Thorweg des Schlosses von Arnstein.

Die Pferde Theo's waren ein paar kräftige und gute Renner; es waren braune, ziemlich schwere Thiere mecklenburger Race und fest genug gebaut, um Ausdauer zu verheißen. Sie flogen in der That mit dem Wagen davon, als man erst einmal glücklich am Fuße des steilen Schloßberges war. Nach vier Stunden, die man auf Feldwegen zurücklegen mußte, hatte man eine chaussirte Heerstraße; dann war Alles gewonnen. Auch befand sich dritthalb Stunden vor Quernheim an dieser Straße ein Posthaus. Vielleicht fügte der Himmel, daß hier angeschirrte Postklepper in Bereitschaft gefunden wurden, wenn die Braunen erlahmten und zu stürzen drohten.

Der Wagen stieß fürchterlich bei dem schnellen Fahren über den unebnen Feldweg. Isaak flog auf seinem hohen Bocke einmal über das andere in die Höhe, wie ein geprellter Fuchs, und in unendlicher Modulirung entfuhr ihm jedes Mal ein anderer Schmerzenslaut.

Mein, Kutscher, mein, die Pferde gehen durch – der Wagen fliegt in Stücken auseinander – wir werden kopfunter in den Graben geschleudert – da liegt ein Stein – da liegt ein Baumast – mein, mein, da ist ein Loch! – so äußerten sich in unaufhörlicher Abwechselung die Besorgnisse des hüpfenden Hebräers.

Der Kutscher aber schwang schadenfroh und als ob es eine Gefahr, umzustürzen, gerädert zu werden oder den Hals zu brechen, gar nicht gäbe, unaufhörlich die Peitsche. Die edeln Thiere aber brausten, wie in tiefster Indignation über die ungewohnten Schläge, durch Morast und Sand mit gleicher Windeseile davon.

Sophie verwandte kein Auge von den Zügen Valerian's, voll ängstlicher Theilnahme den Ausdruck des Schmerzes darauf suchend, den die Stöße des Wagens seiner zerschossenen Schulter machen mußten. Sein Gesicht war marmorblaß, seine Augen, die tiefer in ihre Höhlen gesunken waren als gewöhnlich, glühten von einem so leidenschaftlichen, vulkanischen Feuer, daß die junge Frau ihn gar nicht anzureden wagte. Aber dieser Ausdruck seines Gesichts blieb unbeweglich haftend und Spuren körperlichen Schmerzes verrieth es in keinem Augenblick.

Vier! sagte er, auf seine Uhr blickend – und da ist die Chaussee!

In der That, sie war endlich erreicht; ein Ruck noch und die Räder rollten mit lautem Rasseln auf dem festen Pflaster.

Gott sei Dank! rief der Kutscher aus; es wurde mir bange um meine Braunen.

Ja, Gott sei gelobt! seufzte Isaak; an die Tour werde ich denken! Wenn Ihr jetzt Eure fünf Sinne zusammenhaltet, Kutscher, so möchte ein etwas leichtsinniger Mensch die halbe Hoffnung fassen, wir könnten ungerädert ankommen.

Fünf Minuten vor sechs war man am Posthause. Der Kutscher sprang vom Bock, um nach andern Pferden zu fragen. Es standen angeschirrte im Poststall. Aber der Kutscher besah sie unschlüssig; er wußte nicht, sollte er lieber sich weiter auf seine abgehetzten Thiere verlassen oder die frischen Kräfte dieser lendenlahmen Klepper in Anspruch nehmen. Während er so zweifelnd und mistrauisch die knochendürren, kuhhessigen Geschöpfe betrachtete, hörte er plötzlich draußen die gellende Stimme des Juden schreien:

Herr Kutscher, he, hier, wir verbrennen, wir brennen!

Er stürzte zum Stall hinaus; eines der Räder des Wagens stand in dickem Rauch; die eilige Fahrt hatte bis auf diesen Grad Eisen und Holz der Achse erhitzt.

Valerian war in Verzweiflung; der Kutscher aber sah ein warnendes Zeichen darin, daß er seine Braunen behalten solle, denn da er nun durch den Hausknecht die Nabe des Rades und die Achse mit Wasser begießen lassen mußte, konnte er die nothwendig gewordene Verzögerung dazu benutzen, seine Pferde verschnaufen zu lassen und ihnen ein Stück Brot ins Maul zu schieben.

Valerian legte sich, die Augen schließend, in den Wagen zurück, mit dem Entschluß, sich gewaltsam zu betäuben und jeden Gedanken während der nächsten Stunde zu unterdrücken, um nur seiner Sinne und seiner körperlichen Kraft mächtig zu bleiben in der fürchterlichen Spannung dieser nächsten Stunde; denn das Stillhalten des Wagens ließ ihn erst zum Bewußtsein kommen, wie er eigentlich angegriffen und von Schmerzen gebrochen war.

Da zupfte Sophie ihn am Mantel und flüsterte:

Graf Schlettendorf, schauen Sie einmal auf!

Was ist's? fragte Valerian.

Es ist ein Mann aus dem Posthause getreten, der Sie sehr aufmerksam beobachtet und wegen der Dämmerung nicht sicher scheint, ob er sie erkennt oder nicht. Sehen Sie, dort der Lange! Er wendet sich bald hierher, bald dorthin, um uns zu fixiren.

Valerian beugte sich vor; ich glaube, sagte er, daß dies Finkenberg ist. Bitte, winken Sie ihm.

Sophie winkte und der Fremde trat näher.

Finkenberg! rief Valerian.

Graf Schlettendorf! In der That, Sie sind's! Ich glaubte Sie zu erkennen und war doch in diesem Dunkel meiner Sache nicht gewiß.

Woher kommen Sie? Wohin wollen Sie? Weshalb kamen Sie nicht früher zu mir? Weshalb ließen Sie mich ohne Nachrichten? Steigen Sie ein! Sie fahren mit! So – jetzt sprechen Sie!

Finkenberg hatte schnell den Rückplatz im Wagen eingenommen und sagte:

Diese Fragen könnte ich nur durch eine lange Erzählung vollständig beantworten. Der Kern davon ist – aber – Finkenberg blickte fragend auf Sophie.

Was zögern Sie? Heraus damit, heraus!

Nun wohl, sagte Finkenberg; Sie blieben fort, Graf Schlettendorf, und da weder Sie noch Nachrichten von Ihnen kamen, wurde mir Angst in Ostenwalde. In Schlettendorf und Blankenaar hörte ich seltsame Gerüchte, Sie hätten Frau von Sasseneck entführt und Fräulein Theo werde Tondern heirathen –

Herr des Himmels, rief Valerian, das hat man von mir gesagt –?

Ja, fiel Sophie hier ein, das ist von Ihnen behauptet worden, Graf, und man hat es so umständlich erzählt, daß es die höchste Wahrscheinlichkeit erhielt.

Und das hat man Theo erzählt?!

Ja, versetzte Sophie schüchtern wegen der gewaltigen, leidenschaftlichen Entrüstung, die Valerian's Ausruf hatte.

So stehe Gott dir bei, Allgunde, Allgunde!

Valerian flüsterte zähneknirschend diese Worte

O Theo, Theo! jammerte er dann und ein Strom von Thränen schoß über seine Wangen nieder. Es war ihm eine Erleichterung, er konnte plötzlich freier aufathmen.

Und deshalb, fuhr nun Finkenberg fort, hielt ich es für das Beste, für mich und zugleich auch für Theo, Das zu thun, was ich selbst für mich thun konnte, ehe ich mich in die Berge vertiefte, um Sie aufzusuchen. Ich glaubte einen Fingerzeig von Freundeshand zu erhalten, welchen Weg ich einschlagen solle, um in den Besitz eines Beweismittels für die Rechtmäßigkeit meiner Ansprüche zu kommen. Ich verfuhr danach – es war ein trotziges Wagniß und misglückte! So war ich denn jetzt im Begriffe, Sie wieder aufzusuchen, Graf Schlettendorf. Die Nacht wollte ich in diesem Wirthshause hier bleiben und morgen bei Ihnen in Arnstein eintreffen, nicht ohne sehr gespannt auf den Empfang zu sein, den ich finden werde; denn man hat von Ihrem Abenteuer so viel erzählt, daß ich irre an Ihnen geworden war, Graf!

O nichts mehr davon! rief Valerian aus; nur fort, fort!

Die Achse war immer noch erhitzt. Aber Valerian duldete keinen Aufschub länger; ein letzter Eimer Wasser rauschte durch die Speichen und fort rollte der Wagen. Man hatte beinahe zwölf Minuten verloren. Es begann zu dunkeln.

Als man endlich durch das Kirchdorf fuhr, in welchem Haus Quernheim eingepfarrt war, schlug es sieben Uhr.

Es ist zu spät, zu spät! stammelte Valerian.

Nur fort, Kutscher, rief Sophie, die Uhren gehen verschieden; auch wird eine solche feierliche Handlung gewöhnlich später vorgenommen, als man vorhatte; allerlei Verzögerungen treten ein!

Mir ahnt das Schlimmste! sagte leise Valerian; dies wird der letzte Abend sein, den Einer von uns, Tondern oder ich, erleben!

Noch eine Strecke, eine nicht endende, Sophie in einen wahren Fieberzustand versetzende Strecke, und – endlich, endlich schoß der Wagen seitwärts von der Chaussee auf weichen Rasengrund nieder. Man war in der Eichenallee, die zum Schloßhofe von Quernheim führte. Helle Lichter schimmerten durch die dunkeln Zweige; die Thorsäulen des Hofes trugen angezündete Laternen und der Glanz der Lüstres fiel aus der Fensterreihe im Corps de Logis, hinter denen die großen Gesellschaftssäle sich befanden. Dieses Alles erleuchtete den Schloßhof so, daß man die Menge der ausgespannten Equipagen übersehen konnte, welche hier zusammengedrängt standen.

Der Wagen unserer Reisenden hielt vor dem Schlosse, Finkenberg stieg zuerst heraus, Valerian stützte sich auf ihn, sprang auf den Boden und, nachdem er ihm gesagt hatte: Kommen Sie mit mir, ich bedarf Ihrer, eilte er von Finkenberg's Arm unterstützt in das Gebäude. Sophie folgte ihnen und dieser der Jude.

In dem Augenblick, wo sie die Schwelle der gastlich weitgeöffneten Schloßthüre betraten, schlug die Thurmuhr halb acht.



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