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Zwölftes Kapitel.
Die Spanierin und die Deutsche.


Während der mitgetheilten Unterredung war das Ziel erreicht worden. Das Städtchen, welches von der großen Eisenbahn-Linie berührt wurde, lag vor den Reisenden, von fern schon durch die hohen Stations-Gebäude angekündigt. Als der Wagen sich dem kleinen Thore mit seinem dunklen Gewölbe und seinen ominösen vergitterten Gefängnißzellen darüber nahte, fühlte sich Don Alonso Revenga bewogen, das abgebrochene Gespräch wieder anzuknüpfen.

Also, in der That, Madame, sagte er und suchte den Ton des Scherzes in seine Worte zu legen, Sie werden den Zufall, der mich Ihnen gebunden in die Hände lieferte, auszubeuten suchen?

Wie meinen Sie das, mein Herr?

Den zerschlagenen und todwunden Menschen, den Sie in der ersten Bewegung, welche die der Herzensgüte und einer schönen Menschlichkeit schien, zu sich in den Wagen nahmen und dem Sie vielleicht das Leben retteten, werden Sie an der Thür des Kerkers abliefern, um sich für Ihre That bezahlt zu machen? Wie Sie wollen, Sie können es. Sie haben ihren Diener bei sich – und ich bin gelähmt! Ich kann nicht einmal fliehen!

Margarethe fixirte ihn scharf. Sie wußte, was in ihm vorging, und ihr Entschluß war gefaßt. Sie sah, sie brauchte ihn nicht mehr zu fürchten – und von Manuela hoffte sie Alles!

Nein, sagte sie, es ist nicht nöthig. Ich werde Sie in die Arme Ihrer Schwester zurückführen. Wo finden wir sie?

Alonso nahmen diese Worte eine gewaltige Last vom Herzen. Er beschrieb den Weg zu dem Gasthofe, in welchem Manuela ihn erwartete. Der Wagen rollte über das holperige Pflaster des Orts und bog in eine Seitenstraße ein. Vor einem ziemlich abgelegenen Hause mit hohem weißem Giebel und einem großen Einfahrtsthor hielt er. Als Margarethe ausgestiegen und über die Schwelle geschritten war, sah sie sich auf einer breiten Hausflur mit schweren dunklen Leinwandschränken und großen, von Alter schwarz gewordenen Bildern an den geweißten Wänden; es war ein Wirthshaus der guten alten Reisezeit, das einen großen Ruf – verloren hatte. Eine Wendelstiege mit dunkelbraunem gebohntem Geländer in der hinteren Ecke der Flur führte nach oben auf einen schmalen Corridor, der rechts und links Zellenthüren so dicht neben einander wie in einem Kloster zeigte. Die letzte Thür links mit der großen schwarzen Nr. 1 auf dem blaugrauen Oelfarben-Anstrich war die des größten, des Staatszimmers, und hier war es, wo Manuela der Rückkehr ihres Bruders harrte.

Dieses »Staatszimmer« war eine große gelbtapezierte Stube, mit dem unerhörten Luxus eines kleinen, von Staub geschwärzten Kronleuchters aus Glasstücken, der von der Mitte der Decke niederhing, geschmückt und ausgestattet mit einer verschwenderischen Anzahl alter Rohrstühle, die dicht gedrängt, Schulter an Schulter, wie eine Reihe Grenadiere, an den Wänden entlang standen. Nur ein großes Sopha unterbrach diese feierliche Ordnung, und sah aus wie ein Potentat im Kreise seiner Vasallen; und nach dem verstaubten verwahrlosten Aussehen des ganzen Raumes mußte man schließen, daß dieses ehrwürdige und hochansehnliche Möbel nun schon seit vielen Jahren hier in ununterbrochener Stille mit seinen stummen Pairs und Granden ein feierliches Lever halte. An den Wänden hingen in schmalen schwarzen Rahmen Kupferstiche, welche große und überaus herzbrechende Ereignisse aus dem Leben verschiedener junger Herren und Damen darstellten, die in langlippigen Fracks mit hohen Kragen und in eleganten Stulpenstiefeln – oder, was die Damen betraf, in engen Roben, mit Taillen unmittelbar unter den Achseln, gekleidet waren, und die, nach den langen Unterschriften zu schließen, alle Engel des Himmels an Güte und Tugend übertrafen; vergessene Helden vergessener französischer Romane von vergessenen Autoren!

In diesem Raume, den einige Reisekoffer und einige ausgepackte Kleidungsstücke, die umher lagen, nicht wohnlicher machten, hatte Manuela mit ihrer Teresa die langen Stunden zugebracht, während deren sie auf die Rückkunft ihres Bruders harrte. Es war sehr rücksichtslos gewesen von Alonso, seine Schwester im gegenwärtigen Augenblicke allein und sich selbst zu überlassen. Eine rasche Weiterreise hätte sie zerstreut, ihre Gedanken abgezogen und beschäftigt. In dieser Einsamkeit kam ihr nichts zu Hülfe, was sie hätte aus ihrem Schmerze emporheben können. Nicht einmal die Beruhigung hatte sie, daß jetzt unwiderruflich die Würfel ihres Schicksals gefallen. Sie hätte ja die Abwesenheit Alonso's benutzen, sie hätte jeden Augenblick zurückeilen, jeden Augenblick noch Maximilian ein Lebenszeichen geben können, hätte sie es gewollt.

Freilich, eine solche Versuchung trat nicht mehr an sie heran; aber ihre Gedanken waren deshalb nicht minder trostlos, weil sie sie von ihrer Vergangenheit loszureißen und nur auf die Zukunft zu richten strebte.

Welcher Zukunft ging sie entgegen! Einem Leben, auf dem für immer etwas unheimlich Drückendes, eine dunkle Fessel, der Bann eines Geheimnisses ruhte! Sie war nicht Frau und nicht Wittwe und doch für ewig gebunden; ihr allein war der Eingang in das alte Asyl wunder Herzen, und von der Welt durch einen großen Schmerz geschiedener Gemüther – das Kloster, verwehrt. Und vielleicht darum gerade schwebten ihr die Hallen und Zellen eines stillen Frauenklosters, in dem jetzt auch ihre ehemalige mütterliche Freundin, Donna Sancha, lebte, wie ein wahres Paradies vor … ein Paradies, vor dem ihr Unglück wie ein düstrer abwesender Geist stand, während alle Andern gerade von ihrem Unglück hineingeleitet wurden!

Und so hatte Manuela keine andere Aussicht, als ihr Leben an der Seite ihres Bruders hinzubringen: neben einem verschlossenen, harten Menschen, der ihr Unglück verschuldete, der kein Gefühl für ihre Leiden, kein Verständniß für ihr Gemüth besaß. –

Nur das eine Gute hatten ihre Erlebnisse, daß er sie achten und respectiren gelernt, daß sie seinem Uebermuth durch ihre kühne Handlungsweise die Spitze abgebrochen. Und so durfte sie wenigstens auf ein Leben häuslichen Friedens hoffen, wenn sie einmal in die Heimat zurück war, wo ihr dann weiter offen stand, Zerstreuung in der Beschäftigung mit der Kunst ihres Bruders zu suchen, für welche sie Talent besaß, und die schon früher ihr Wochen- und Monden lang eine Quelle der Erfrischung, Stärkung und Selbstbeherrschung gewesen war. Die Kunst und die Schwermuth sind ja so nahe verwandt! Und wahrlich, die Schwermuth, die dazu gehört, um ein Künstler zu sein: – die hatte sie!

Und der Gedanke der Rückkehr in die Heimat war doch auch ein Trost. Die Ferne, die Fremde, welche einst so magisch mit glänzenden und phantastischen Bildern Manuela gelockt hatte, war ja so völlig anders gewesen, als diese geträumt; kalt, reizlos, ungastlich hatte die Fremde die schwärmerische Weltfahrerin abgestoßen und auf sich selbst zurückgewiesen. Die Illusionen waren dahin. Die Schwingen ihrer Sehnsucht waren nicht gebrochen, denn diese Schwingen bricht nichts in dem Menschen, so lange er ein Herz bewahrt. Aber sie hatte erfahren, daß die wirkliche Welt nicht die Luft um und über sich hat, worin diese Schwingen tragen. Wir Alle lernen das einmal. Unser Geist fühlt, wenn wir jung sind, Adlerschwingen an seinen Seiten. Aber unsere ersten Flugversuche lehren uns, daß das Leben von keiner Atmosphäre umflossen ist, auf deren Strom die Adler sich schaukeln und schwimmen können.

Manuela hatten die Ereignisse so belehrt, wie es bei andern, bei glücklichern Menschen Reihen von Jahren thun; denn meist sind es viele Jahre, deren wir bedürfen, um ins Leben hineinzureifen, und denen dann andere folgen, in welchen wir wieder aus dem Leben hinausreifen. Das ist die Zeit der Trennungen und Lösungen von Dem, was uns einst liebe Gedanken und theure, innig gehegte Beschäftigungen und Vorstellungen waren. Wir entreifen ihnen. Wir ziehen engere Kreise um uns. Wir denken öfter an die Gestalten, welche unsere Jugend umgaben. Wir kehren zu unserer Heimath zurück.

Aehnlich war es auch Manuela zu Muth, während sie an ihre Heimkehr dachte, in den langen Stunden, in denen Alonso sie in dem stillen unbesuchten Wirthshause zurückgelassen. Es lag etwas Beruhigendes und Tröstendes in der Wehmuth, womit sie an die sonnige weiße Villa auf der Höhe vor Motril gedachte, an das Thal des Guadalfeo, mit den blauenden Zügen riesiger Sierren darüber, mit der Aussicht auf das schöne, unendliche, himmelansteigende mittelländische Meer! Und an die kühle Klosterkirche, neben der die Grabsteine ihres Vaters und ihrer Mutter errichtet waren; und an alle Lieblingsplätze ihrer Jugend, und an den Patio mit der reichen Blumenwelt und dem plätschernden Brunnen in der Mitte … den Raum, der einst all ihr flüchtiges Glück umschlossen hatte!

Doch ihr Schmerz war viel zu neu und frisch, und alle die furchtbaren Aufregungen, in welche ihr Schicksal sie geworfen, zitterten noch viel zu gewaltig in ihrer Seele nach, als daß sie durch alles Dies schon jetzt hätte Fassung und Ruhe gewinnen können. Teresa hatte während des verflossenen Tages mit Sorge das unstäte, Wesen ihrer Gebieterin überwacht. Sie war wie ein gehetztes Reh, das noch zitternd und zagend von einem Dickicht ins andere flüchtet, auch wenn längst die Jagd und Meute seine Spur verloren und von ihm abgelassen bat. Um sie zu bewegen, Nahrung zu sich zu nehmen, sich während der Nacht zur Ruhe zu legen, hatte Theresa jedesmal ihre ganze Ueberredungsgabe aufwenden müssen. Am Morgen war Manuela mit dem ersten Sonnenstrahle wieder auf gewesen. Die Besorgniß wegen des langen Ausbleibens von Alonso war nun noch hinzugekommen, um ihre Unruhe und Bewegung zu steigern.

Es war deshalb kein Wunder, daß Manuela in eine furchtbare, gar nicht zu bemeisternde Aufregung gerieth, als ihr die Rückkehr ihres Bruders mit der Gemahlin Maximilian's gemeldet wurde.

Margarethe war nämlich eine Weile unten geblieben und hatte ihren Kammerdiener vorausgesandt, um sich und Alonso anzukündigen; dann ging sie selbst hinauf. Trotz der Aufregung, worin auch sie sich befand, hatte sie daran gedacht, daß sie den verwundeten Bruder nicht zu Manuela ins Zimmer führen lassen dürfe, ohne sie auf diesen erschreckenden Anblick vorbereitet zu haben. Ihr Herz pochte in krampfhaften Schlägen, als sie die Wendelstiege emporschritt; sie mußte sich an dem Geländer festhalten, und es war ein wahre Wohlthat für sie, als oben an der Treppe ihr Kammerdiener ihr entgegentrat, so daß sie auf dessen Arm sich stützen konnte, um die Schwelle Manuela's zu erreichen.

Gnädige Frau, sagte Jakob, ich habe Sie gemeldet, aber ich habe keine Antwort erhalten. Die junge Dame hat mich mit weit aufgerissenen Augen stier angeblickt, als ob sie mich nicht verstehe, und hat keine Sylbe erwiedert. Ich habe Ihren Namen wiederholt, aber …

Es ist gut, Jakob. Sorge jetzt dafür, daß der Verwundete recht langsam und schonend heraufgebracht wird. Dann gehe selbst zu einem Arzte – doch nein, sende Jemanden zu ihm, du bleibst zurück, du bleibst in meiner Nähe, hörst du!

Während Margarethe diese Befehle gab, gewann sie auch ihre Fassung wieder. Im nächsten Augenblick öffnete sich die Thür von Manuela's Zimmer, und Teresa trat heraus; Manuela erschien hinter ihr auf der Schwelle; als sie Margarethen erblickte, trat sie rasch einige Schritte zurück – Margarethe ging hinein.

Die beiden Frauen standen einander gegenüber. Es war ein Contrast, wie er nicht schärfer gedacht werden kann. Margarethe gefaßt, das blasse Haupt nicht stolz, aber wie im Bewußtsein der Sicherheit über sich selbst ruhig gehoben, das Auge mit dem Ausdruck tiefer Wehmuth auf die junge Spanierin geheftet. Vielleicht lag auch etwas von Spannung, von weiblicher Neugier in ihren Blicken, aber gewiß war es nichts Feindseliges, was der Schwester Alonso's aus Margarethens blauen Augensternen entgegenblickte; und wenn auch nothwendiger Weise ein gewisses Gefühl der Demüthigung die Letztere überschleichen mußte, so war doch die Klarheit ihrer Seele zu groß und vorwaltend, als daß sie sich für dieses Gefühl durch Widerwillen und Haß an dem Wesen hätte rächen wollen, welches in so seltsamer Art mit ihrem Schicksale verschlungen war, und das ja im Grunde nur ihre allertiefste Theilnahme verdiente.

Ganz anders Manuela. Margarethens gefaßter Ruhe gegenüber bot sie das Bild der furchtbarsten Erregung dar; sie war völlig außer sich – die Nachricht vom Zustande ihres Bruders und dieses plötzliche Begegnen mit Margarethe hatte ihr, wie gesagt, alle Haltung genommen – sie wurde bald bleich, bald roth, ihre Blicke waren unstät, und wenn sie auf Margarethe fielen, zuckte ein Feuer darin, welches diese in eigenthümlicher Weise abstieß. So kam es, daß die ganze Erscheinung Manuela's ihr den Eindruck einer wildfremden Natur machte, mit der sie nie einen Punkt der Vereinigung und des befreundeten Zusammentreffens finden werde.

Mein Bruder, mein Bruder! rief Manuela endlich aus und wollte nun plötzlich an Margarethe vorüber, Alonso entgegen eilen.

Margarethe hatte ihr die Hand hingereicht, aber Manuela nahm sie nicht, sie schien ihr jetzt ausweichen und sich vor ihr flüchten zu wollen. Doch gleich darauf, nachdem sie einige Schritte vorwärts in den Corridor gemacht, lief sie, als ob sie sich vor dem Anblick ihres Bruders fürchte oder als ob sie ihrer Sinne nicht mehr mächtig sei, in ihr Zimmer zurück, warf sich in einen Sessel und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

Margarethe nahte sich ihr. Sie wartete so vor ihr stehend einige Augenblicke, ob Manuela sich fassen und das Antlitz erheben würde; aber Manuela sah nicht auf.

Madame, sagte Margarethe dann leise, aber mit Betonung – ich bringe Ihnen einen Bruder zurück. Es ist möglich, daß Sie ohne meine Hülfe ihn nicht wiedergesehen hätten!

Manuela rührte sich nicht.

Erschrecken Sie nicht, wenn Sie ihn sehen; seine Verwundungen sind, glaube ich, nicht gefährlich, sie waren es nur, so lange sie unverpflegt waren, so lange der Mishandelte verlassen und verirrt …

In diesem Augenblicke erhob sich Manuela, sie sprang an Margarethe vorüber dem Eingange des Zimmers zu, wo Alonso, auf Jakob und den Hausknecht gestützt, eben langsam sich über die Schwelle bewegte. Mit einem Ausruf des Schreckens über die erbarmenswürdige Gestalt stürzte Manuela sich an seine Brust und umklammerte seinen Hals. Alonso schien ihre stürmische Zärtlichkeit nicht zu erwiedern. Er machte sich sanft von ihr los und ließ sich zu dem Sopha in der Ecke führen, das Teresa vorsorglich mit einigen Kissen zu einer bequemen Ruhestätte umgeschaffen hatte. Als der Verwundete endlich hier ausgestreckt lag, kniete Manuela vor ihm auf den Boden nieder und bestürmte ihn mit einer Menge von Fragen. Alonso beantwortete sie nicht.

Manuela, sagte er in französischer Sprache, laß mich nur einen Augenblick ruhen. Du magst unterdeß dieser Dame für Das danken, was sie an mir gethan hat. Ich glaube, ich wäre ohne ihre Hülfe draußen in einem Graben umgekommen!!

In dieser Aeußerung lag für Manuela etwas Grausames. Sie hätte sich so gern aus der unsäglichen Verlegenheit und Verwirrung, worein Margarethens Gegenwart sie versetzte, dadurch gezogen, daß sie den Anschein angenommen, nur für ihren Bruder Sinne zu haben. Und nun machte Alonso ihr dies durch seine Worte völlig unmöglich; und dann beleidigte er sie förmlich durch die Eiseskälte, womit er ihre stürmische Zärtlichkeit aufnahm – in Margarethens Gegenwart war ihr das doppelt schmerzlich.

Aber nicht das allein war es, was Manuela bei den Worten ihres Bruders wie ein Stich durchs Herz ging. Sie hatte ja Margarethen ihre Liebe, ihr Lebensglück, Alles, Alles, ohne Dank zu verlangen, geopfert – und nun sollte sie der Frau, die sie instinctartig haßte, sich dafür verpflichtet bekennen, daß diese eine bloße Pflicht der Barmherzigkeit geübt, einen Verwundeten in ihren Wagen aufgenommen hatte? Alles, was sie selbst gethan, gelitten – war das nichts im Vergleich mit einem Alonso geleisteten Dienste?

Manuela hätte über dieses Uebermaß von brüderlichem Egoismus außer sich gerathen mögen; aber sie kämpfte alle die Bitterkeit, welche sie erfüllte, nieder. Indem sie nachgab, hoffte sie am ersten Margarethen zu entfernen, deren Gegenwart ihr etwas unerträglich Drückendes hatte. Sie stand auf und wandte sich zu Margarethen, aber ihre unruhigen Blicke blieben abgewendet und suchten den Boden, während sie tonlos sagte:

Ich danke Ihnen, Madame, für Das, was Sie an meinem Bruder gethan haben. Sie sehen, er bedarf der Ruhe, er ist im höchsten Grade erschöpft.

Meine Gegenwart ist Ihnen lästig, Sie wollen mich fortschicken, antwortete Margarethe mit einem schmerzlichen Lächeln – aber ich gehe noch nicht, ich bin gekommen, weit mehr von Ihnen zu verlangen …

Ich glaube, was in meiner Macht steht, das habe ich Ihnen gegeben!

Und doch bin ich nicht zufrieden, ich verlange eine That von Ihnen …

Ich bitte, lassen Sie hören …

Es ist freilich nichts Geringes – es ist ein schweres, ein furchtbares Geständniß für eine Schwester; aber Maximilian's und auch mein Lebensglück hängt davon ab, daß Sie meine Bitte erfüllen.

Sprechen Sie, Madame, ich bin sehr gespannt, was Sie noch von mir verlangen können, was ich noch mehr zu Ihrem Glücke thun soll!

Manuela's Worte wurden immer bitterer, ihr Ton immer gereizter, sie kam dem Augenblicke immer näher, wo die kaum gewonnene Fassung sie wieder zu verlassen drohte.

Manuela, antwortete deshalb Margarethe, der dies nicht entging, in mildestem, beinahe herzlichem Tone – ich habe Ihnen ein großes Unglück mitzutheilen – Maximilian ist in gerichtliche Untersuchung gerathen.

Manuela wechselte einen Augenblick lang die Farbe. Ihr Auge blieb an den Boden geheftet.

Es gibt nur Eine Rechtfertigung für ihn, fuhr Margarethe fort: wenn er den Todtenschein, durch welchen er getäuscht ist, vorlegen kann, oder doch mindestens ein Zeugniß, daß dieser Todtenschein existirt hat.

Er hat ihn nicht mehr? fragte Manuela kaum verständlich.

Nein, Ihr Bruder hat ihn unter einem schlauen Vorwande Maximilian aus den Händen gelockt.

Und Sie fordern nun von mir …?

Brauche ich es Ihnen noch zu sagen – treibt nicht Ihr Herz Sie augenblicklich dazu? Sie sollen mir ein Zeugniß ausstellen, Manuela, worin Sie erklären, daß Ihr Bruder Alonso einen solchen Todtenschein erschlichen hat. O, Sie werden das thun – Manuela – ein paar Worte, dictirt einem Notar, nur einem unbescholtenen Manne, kostet es Ihnen – dann ist seine Ehre gerettet –, Sie werden, Sie können das nicht weigern – ich verpfände Ihnen mein Wort, daß Ihrem Bruder Alonso deshalb, ein so arges Verbrechen auch damit eingestanden ist, nicht ein Haar gekrümmt werden soll. Niemand soll das Blatt sehen, bis er sicher jenseits unserer Grenzen ist – Manuela, Sie können, Sie werden das nicht verweigern, es hängt mehr als ein Leben, es hängt Maximilian's Ehre davon ab – Sie müssen mir es geben, und gleich, gleich – o, ich will Ihnen auf den Knieen dafür danken!

Margarethens Wangen hatten sich vor Erregung geröthet, während sie in flehentlicher Eindringlichkeit so sprach; sie hatte, von ihrem Gefühle fortgezogen, Manuela's Hand ergriffen – Manuela zuckte bei dieser Berührung zusammen, entzog ihr die Hand und schlug die Augen auf – sie blickte eine Weile Margarethen voll und fest ins Gesicht. Dann sah sie nach Alonso hinüber – Alonso machte eine verneinende Bewegung auf ihre stumme Frage. Hätte ein anderer Mund ihr Zeugniß für Maximilian verlangt, sie hätte diesen Wink Alonso's schwerlich beachtet und wäre der Eingebung ihres Herzens gefolgt; aber Margarethen gegenüber überwog die Bitterkeit, welche gegen diese Frau in ihrem Inneren schlummerte – sie konnte der Befriedigung nicht widerstehen, welche sie lockte, sie gehorchte Alonso.

Madame – antwortete sie – wie können Sie das von mir verlangen? Wie kann ich meinen Bruder für einen Verbrecher erklären?!

Sie weigern sich – Manuela – Sie weigern sich? rief Margarethe mit zitternder Lippe – Sie weigern sich, ein Wort zu sagen, von dem die Ehre Maximilian's abhängt, welches darüber entscheidet, ob die Welt ihn von sich ausstößt oder nicht?! Nun, wohl, wohl, wenn Sie es denn wollen – es soll doch nicht gelingen, ihn zum Verbrecher zu stempeln – leben Sie wohl, Madame, ich gehe, ich reise nach Spanien, ich sammle dort Beweise für Ihres Bruders Schuld …

Jetzt zitterte auch Manuela's Lippe – sie war todtenbleich geworden, sie hielt sich nicht mehr.

Madame, flüsterte sie mit vor Zorn erstickter Stimme, während ihre schmalen, zauberhaft schönen Augen ein unheimliches Leuchten zeigten und giftige Blitze sprühten, während – zum ersten Male – ihr ganzes Wesen verrieth, daß sie – die Schwester Alonso's war: Madame, es ist unglaublich, was Sie uns zu sagen, was Sie von uns zu verlangen kommen, aber noch unglaublicher, daß Sie uns zu drohen wagen! Ich habe um Ihretwillen einem Rechte, welches klar ist wie die Sonne, entsagt: ich bin stolz genug gewesen, ich bin groß genug gewesen, auf ein Gut zu verzichten, das ich mir bestritten fand; ja, Madame, ich bin es, welche Ihnen das Almosen eines Herzens, eines flatterhaften, eines unwürdigen Herzens hingeworfen hat! Behalten Sie es auf ewig, finden Sie Ihr Glück in einem solchen Besitze, ich wünsche es Ihnen von ganzer Seele; aber kommen Sie nicht, von mir Dank zu verlangen, oder uns Bedingungen vorzuschreiben, oder gar uns Drohungen zu machen! Nein, lieber bedenken Sie, ganz stille für Sich, in welchem traurigen Lichte Sie vor der Welt daständen, und was Sie wären, Madame, wenn ich Sie durch meine mein Schweigen und Gehen – nicht rettete!

Margarethe trat einen Schritt zurück vor all den solchen, welche die zornige Spanierin in diesen Worten wider sie zückte. Sie war überrascht und fühlte sich einen Augenblick wie von einem leisen Schwindel ergriffen, einem solchen Aufbrausen gegenüber, dem sie die Stirn bieten, das sie in seine Schranken zurückweisen mußte. Aber bald faßte sie sich, und nur Eine Empfindung blieb von allen übrig, und diese Empfindung war das schmerzhafte Brennen ihres an seiner zartesten Stelle verletzten Frauenstolzes.

Madame, sagte sie deshalb, sich hoch aufrichtend, eiskalt, eine unbeschreibliche Hoheit auf dem marmorblassen Gesicht – ich verstehe Sie nicht! Wer hat Ihnen gesagt, daß ich das Almosen eines Herzens von Ihnen will – wer hat Ihnen gesagt, daß man, daß ich, daß Margarethe von Wartenstein Opfer von Ihnen heischt?

Wie?! das ist doch ein zu überraschender Dank für meine Entsagung auf mein Recht!

Wenn Jemand von Ihnen eine Entsagung auf Das verlangte, was Ihr unbestrittenes Recht ist – bei Gott, Sie werden nicht sagen können, daß ich das war!

Nicht Sie, aber …

Auch Niemand, den ich beauftragt habe.

Madame, Sie wollten …

Ich will nichts, als Maximilian's Ehre rein gewaschen sehen – das will ich!

Aber, beim Himmel – das Opfer von Einer von uns zweien …

Halten Sie fest an Ihrem Rechte – Sie werden sicher sein, daß Sie das Wort »Opfer« von meinen Lippen nicht hören werden, Donna Manuela Revenga!

Ich sollte – Madame, ich sollte – zurückkehren?!

Rieth ich Ihnen, zu gehen?

Zu Maximilian?

Sind Sie nicht seine erste, seine rechtmäßige Gattin?

Das bin ich!

So gehen Sie – und das Zeugniß, welches Sie mir verweigern, legen Sie es dem Gerichte ab, um Ihren Mann zu retten!

Margarethe war hinreißend durch den niederschmetternden Stolz, womit sie diese Unterredung führte, sie stand da, wie eine classische Heldin, wie eine Tomiris vor ihrem Ueberwinder.

Alonso – hörst du das?! rief in unbeschreiblicher Aufregung Manuela aus.

Alonso hatte nur zu wohl gehört: er hatte sich aus seiner liegenden Stellung erhoben, hatte sich auf den Arm gestützt, und während er schweigend die beiden Frauen beobachtete, hatte sich eine unbeschreibliche Angst seiner bemächtigt. Die Unterredung zwischen seiner Schwester und Margarethen nahm eine für ihn mehr als bedenkliche Wendung; er durfte die Hoffnung, welche plötzlich wie ein voller Wogenguß in ein versiegtes Strombett in Manuela's Herz zurück zu schießen drohte, nicht um ein Haarbreit höher steigen lassen – oder der Preis aller seiner Mühen war dahin, sein Verbrechen war umsonst, ja, seine Sicherheit aufs Spiel gesetzt; denn trat Manuela in ihre Rechte wieder ein – vielleicht hätte sie dann nicht, wie jetzt, Alonso's geschont, wenn sie Maximilian damit retten konnte, daß sie jenen Preis gab.

Halten Sie ein, halten Sie ein! rief er deshalb jetzt Margarethen zu – wecken Sie bei meiner Schwester nicht Gedanken, nicht Hoffnungen, welche in ihrer Brust todt und begraben sein müssen …

Alonso, willst du noch einmal der Dämon deiner Schwester werden? unterbrach ihn Manuela.

Unglückliches Geschöpf! rief er, sie mit einer Handbewegung abwehrend, aus – wie ist es möglich, daß die durchdachtesten, festesten Beschlüsse so von wenigen Worten, von einem Hauche umgestoßen werden können …!

Und weshalb, Alonso, sollte ich diese Entschlüsse, die mich elend machen, nicht umstoßen? ist es zu spät dazu?

Ja, zu spät ist es, zu spät!

In diesem Lande würde ich nicht bleiben, nein, nun und nimmer mehr; aber wenn Maximilian sich entschlösse, mit mir …

Du weißt nicht, was du redest, Manuela! rief Alonso aus, der bei diesen Worten wie auf einer Folter lag.

Was kann Sie abhalten? fragte Margarethe kalt, beinahe verächtlich.

Ich bin sein angetrautes Weib! sagte die Spanierin.

Das warst du, aber …

Nun? aber? bin ich's etwa nicht mehr?

Heute liegt eine unübersteigliche Kluft zwischen dir und ihm, eine Kluft, über welche es keine Brücke mehr gibt. Du bist das Weib Maximilian's nicht mehr.

Nicht mehr?! rief Margarethe.

Du redest irre!! fiel Manuela mit stockender Stimme ein.

Margarethe ist es, Margarethe allein! rief Alonso aus und sank ermüdet von seiner Aufregung auf seine Kissen zurück.

Die beiden Frauen sahen ihn mit einem Ausdrucke der Verwunderung, mit einer Haltung an, welche beinahe an Erstarren grenzte. Dann ging Manuela wankend an das Ruhelager ihres Bruders, sie legte ihre Hand auf seine Schulter, ihre Brust wogte stürmisch; aber sie schien keine Worte mehr zu haben, um nach dem Grunde seiner Behauptungen zu fragen – ihr funkelndes Auge, das sich auf seine Züge heftete, in sein Gesicht einbohrte, fragte ja genug. Auch Margarethe trat einen Schritt näher an Alonso heran und flüsterte, nach Athem ringend:

Erklären Sie sich endlich!

Alonso ließ, so ermüdet er war, sich den Genuß nicht entgehen, seine Blicke von einer der beiden Frauen auf die andere gleiten zu lassen: sie waren ihm in diesem Augenblicke ein Schauspiel, wie sie an seinem Munde hingen, wie sie dastanden, als ob Leben oder Tod für sie in der nächsten Minute von seinen Lippen fallen würde – er war grausam genug, sich daran zu weiden und ihre Qual zu verlängern.

Aber Manuela war in dieser Stunde nicht die, welche mit Geduld ertrug, daß man sie hinhielt.

Sprich! Alonso, sprich! rief sie gebieterisch aus – oder ich glaube, du lügst!

Das kannst du nicht, Manuela, denn ich habe sehr bündige Beweise für Das, was ich sage, erwiderte Alonso langsam, als ob er jedes Wort, welches er sprach, wie einen Tropfen Gift, das er seiner Schwester als Arznei einschüttete, abzähle – du bist von Don Masimilian Rosoglio, dem Gemahl dieser würdigen Dame, geschieden – nein, nicht das, deine Ehe ist für null und nichtig und so gut als nie vorhanden erklärt worden.

Unmöglich! riefen beide Frauen wie aus Einem Munde.

Alonso antwortete ihnen nicht: er heftete noch einmal mit dem Ausdruck einer unbegreiflichen Theilnahmlosigkeit an Dem, was in diesem Augenblicke in den beiden Frauen vorgehen mußte, seine Augen auf ihre Züge, und dann winkte er Teresa herbei, die sich während all des Vorhergehenden, das sie ja nicht verstand, still zurückgezogen in einer Fensterbrüstung gehalten hatte. Die Duenna mußte Alonso's Koffer herbei tragen und auf einen Tisch vor den Leidenden hinstellen; dann erhob sich Alonso, suchte einen Schlüssel, öffnete und zog eine große verschlossene Schreibmappe heraus.

Manuela, sagte er darauf, während Teresa den Koffer entfernte, glaubst du, ich hätte mich darüber getäuscht, daß es mir auf die Dauer unmöglich sei, ein Weib, welches einen von der Leidenschaft eingegebenen Entschluß verfolgt, zu hüten und von der Ausführung ihres Willens abzuhalten? Glaubst du, ich sei zufrieden gewesen mit der schwachen Bürgschaft für dein Bleiben, welche in meiner und meines Dieners Wachsamkeit lag? O nein, und der Erfolg hat gezeigt, daß ich wohl daran that, meinen Kräften zu mistrauen! Ich griff zu energischeren Mitteln, meiner Sorge um dich überhoben zu sein. Das eine kennst du: oft genug ist heute die Rede davon gewesen; es stellte mich davor sicher, daß der Mann, mit welchem du eine so unpassende Verbindung eingegangen warst, zurückkomme und Ansprüche auf dich erhebe, welche mein Gewissen mir verbot, anzuerkennen, da die Sorge für dein wahres Glück ein mir heiliges Vermächtniß unseres Vaters ist. Von dieser Seite der Furcht überhoben, galt es für mich darum, auch deiner sicher zu werden. Ich zog einen Rechtsgelehrten zu Rache und erhielt eine Auskunft, so günstig, wie ich sie wahrlich nicht erwartet hatte. Ich ließ mir nun Vollmachten von dir unterzeichnen – du erinnerst dich dessen. Auf diese gestützt und in meiner Eigenschaft als dein Vormund, verlangte ich von dem Officialat-Gerichte unseres hochwürdigsten Bischofs zu Malaga die völlige Annullirung deiner Ehe …

Das ist ja ganz unmöglich – das ist ja gar nicht erhört – unsere Kirche, die katholische Kirche trennt ja einmal geschlossene Ehen unter keiner Bedingung! fiel Margarethe athemlos ein.

Alonso heftete einen eigenthümlichen, wie spöttischen Blick auf sie, und ein ironisches Lächeln zuckte um seinen Mund.

Sie mögen sehr bewandert sein im canonischen Rechte und Dem, was die katholische Kirche thut oder nicht thut, Madame, sagte er dann – eine Bestimmung dieses Rechts-Systems, die vor einem Frauenohre zu erklären, freilich gewisse Schwierigkeiten bietet, dürfte Ihrer Kunde doch ganz und gar entgangen sein! Manuela's Ehe, die durch weiter nichts geknüpft war, als den bloßen priesterlichen Segen, gehörte nicht zu jenen heiligen Verbindungen, welche die Kirche als nur durch den Tod auflöslich betrachtet. Und da der Deutsche, der Manuela unmittelbar nach der Trauung verlassen hatte, nicht zu ihr zurückgekommen war, so nahm der geistliche Hof unseres Bischofs meinen Antrag bereitwillig entgegen; Manuela's Gatte wurde in zwei oder drei Zeitungs-Blättern unserer Provinz, die ihm natürlich unmöglich zu Gesichte kommen konnten, aufgefordert, seine Einreden zu erheben, und da er nicht erschien, so erklärte das Officialat unseres Sprengels die Ehe Manuela Revenga's mit dem flüchtigen Senhor aus Deutschland für null und nichtig!

Und das ahnte ich nicht einmal! stammelte Manuela todtenbleich, während ihre Arme wie leblos an ihrer Seite niederfielen.

Und das verschwiegen Sie! rief Margarethe aus, getheilt zwischen den Empfindungen eines Glückes, einer Freude, welche mit Worten nicht zu schildern war, und eines tiefen Schauderns vor diesem Menschen, der trotz all dem Jammer, welcher wie ein erschütterndes Drama an ihm vorübergezogen, eine solche Thatsache hatte verschweigen können.

Alonso nahm unterdeß ruhig ein großes versiegeltes Schreiben aus der Mappe, die er in seinen Händen hielt, und überreichte es seiner Schwester. Es war von seiner eigenen Hand an Manuela adressirt.

Da ist die Urkunde! sagte er; so wie sie da ist, sandte ich sie dir, Manuela, als ich in Folge deiner gütigen Vermittlung drei Tage lang der Gast der Königin in ihren kleinen wohnlichen Fremdenzimmern auf der Burg zu Motril war. Nachdem ich mich von meinem ersten Schrecken über meine Verhaftung als Hochverräter erholt hatte, schickte ich meinen Wärter zum Alcalden, um die Erlaubniß zu erhalten, dir dieses Blatt aushändigen zu lassen; der Alcalde ertheilte mir diese Erlaubniß – du siehst das Urtheil noch in demselben Couvert, in welchem ich es in die Hände eines Gerichtsdieners übergab, damit er es dir so eilig wie möglich bringe und dich von der Flucht abhalte; aber es war zu spät, es war zu viel Zeit verloren worden über der Einholung der Erlaubniß des Alcalden. Die Sendung traf dich nicht mehr, das Unglück war geschehen, du warst fort! Das Blatt kam am anderen Tage in meine Hände zurück. Sollte ich es dir nachsenden? Ich wußte nicht einmal, wohin es adressiren!

Aber als Sie Manuela's Aufenthalt erfuhren, aber hier? fiel Margarethe ein.

Madame, antwortete Alonso, als ich hier ankam, sah ich, daß für mich nichts verloren sei – sollte ich nun meiner Schwester den einzigen Trost rauben, der sie aufrecht erhielt, den Gedanken, daß sie ein großes Opfer bringe, daß der Heldenmuth der Entsagung eine Märtyrer-Krone um ihr Haupt geflochten habe? Die arme Manuela! sollte ich sie noch mehr betrüben? O nein, ich ließ sie bei ihrem Glauben – mir war ja auch ihr Glaube, daß sie gebunden, ganz willkommen – er mußte Manuela für ewig abhalten, später in ihrem Leben thörichten Bewerbungen um ihre Hand noch einmal ihr Ohr zu leihen! Diese für mich entscheidend ins Gewicht fallende Rücksicht war es auch, was mich früher bewog, das Urtheil Manuela nicht mitzutheilen, als ich es, längere Zeit vor ihrer Flucht, erhielt.

Während dieser Erklärungen Alonso's hatte Manuela mit zitternden Händen das Blatt entfaltet, Margarethe trat neben sie und überblickte es mit ihr – sie verstand genug von dem fremden Idiom, in welchem es geschrieben war, um sogleich zu erkennen, daß Alonso die Wahrheit gesprochen; es trug ein Datum, das gerade um die Frist eines Monats dem voraus ging, an welchem Margarethe mit Maximilian am Altare gestanden hatte.

Margarethe nahm das Blatt leise aus der Spanierin Hand, sie sagte sanft:

Das gehört mir, Manuela!!

Und ganz überwältigt, außer sich vor Glück, stürzte sie laut schluchzend um Manuela's Hals, preßte sie im Drang ihrer übermächtigen Empfindung krampfhaft an ihre Brust, dann eilte sie aus dem Zimmer, über den Corridor, die Stiege hinunter in den Wagen und rief dem verwunderten Diener ein:

Zurück, zurück, zurück! laß fahren, daß die Pferde stürzen! zu.

Drinnen aber sank Manuela ohnmächtig in die Arme ihrer treuen Teresa.


Wir haben unserer Erzählung nur wenig noch hinzu zu fügen.

Einige Stunden später, und Margarethe lag weinend in den Armen ihres Gatten. Das Glück, welches Beide empfanden, war um so größer, je furchtbarer die Last gewesen war, die auf ihnen gelegen hatte, je hoffnungsloser Maximilian sein Weib hatte scheiden sehen; und um wie unendlich viel inniger und heiliger schienen ihnen jetzt die Bande, welche sie an einander knüpften! Ja, für Maximilian war das liebeglühende Weib, welches jetzt an seiner Brust lag, gar die Margarethe nicht mehr, welche er noch vor wenigen Tagen sein genannt und in welcher ihm die geistige Lebhaftigkeit das Gemüth und das Herz verschleiert hatte – wie eine Heldin kam sie ihm jetzt vor, doch wie eine Heldin durch die echtesten Frauen-Tugenden, durch leidenschaftliche Hingabe, durch Treue bis zum Opfermuth.

Aber trotz dieses Glückes ist ein großer Ernst über Maximilian gekommen, ein Ernst, der zuweilen beinahe das Gepräge der Schwermuth hat. Und wie konnte es auch anders sein? Wie konnte Das, was er gelitten, spurlos an seinem Geiste vorübergegangen sein? Und die arme Manuela – der Gedanke an sie wird noch lange einen Schatten über seine glücklichsten Stunden werfen; und dann die bittere, bittere Erfahrung, die Maximilian über die Menschen, über seine nächsten Bekannten machen mußte: beinahe Alle hatten sie ihn für schuldig gehalten! So geneigt waren sie also, das Uebelste zu glauben – von solchem Argwohn erfüllt, wo sein früheres Leben ihnen auch nicht das leiseste Recht zum Argwohn gab, so jämmerlich dürftig war all ihre Menschenkenntniß, all ihr oft betheuerter Freundessinn!!

Es war Maximilian unerträglich, sein früheres Leben inmitten dieser Menschen fortzusetzen. Er sehnte sich hinweg, er trat bald darauf mit Margarethen eine Reise nach dem Süden an. Wennemar begleitete sie – Margarethens und Maximilian's Wünsche trafen darin zusammen, und die unbegrenzte Freude, womit Onkel Wennemar in der Naivetät eines Kindes sich an allen Erscheinungen der Fremde ergötzt, wirft fortwährend ihren Widerschein auf die ernstere Stimmung der beiden Gatten.

Mit Onkel Ruprecht war eine Zeit lang eine große Veränderung vorgegangen. Er war gebeugt, er war kein Schatten mehr von dem früheren gefürchteten Despoten, der nahe daran schien, sich das Recht über Leben und Tod seiner Hintersassen und Familienglieder eingeräumt zu wähnen. Der Kummer hatte ihn zahm gemacht. Er stellte Betrachtungen über das Kapitel von der Familientyrannei an; Alonso's Beispiel hatte ihn zu diesem Nachdenken bewogen; er dachte an Amalgunde, die er auch einst verhindert hatte, einem Manne zu folgen, den sie liebte – kurz, es regte sich etwas wie ein beschwertes Gewissen in ihm. Er mußte sich ja auch gestehen, daß alles Unglück ursprünglich aus der frevelhaften Anmaßung Alonso's entsprungen, die Vorsehung für Manuela spielen und eigenmächtig ihr Schicksal lenken zu wollen: und daß dann das ganze Verhältniß nur deshalb sich so unendlich tragischer und schmerzlicher gestaltet, weil er, »Sultan Ruprecht«, seinerseits wiederum dieselbe Rolle übernommen und despotisch eingegriffen, statt den Dingen ihren Lauf zu lassen und Maximilian das Recht zuzugestehen, selbst zu beschließen und zu handeln. Diese Moral des Ganzen erkannte Ruprecht sehr wohl und in dieser Stimmung suchte er sich mit Maximilian zu versöhnen, aber Maximilian wich ihm durch seine Abreise aus. Er that recht daran, sich um seinen Oheim keine Sorge zu machen. Ruprecht Mildenfurth's Aenderung hat nicht lange vorgehalten; Menschen seiner Art verwandeln sich nicht; er ist heute der Alte wie zuvor.

Margarethe hat sich einen Canal zu eröffnen gewußt, durch welchen ihr von Zeit zu Zeit Nachrichten über Manuela zufließen. Sobald sich Alonso erholt hatte, ist Manuela langsam mit ihm durch Frankreich und über Madrid in ihre Heimat zurück gekehrt. Die Eindrücke der Reise haben sie wunderbar zerstreut; ihr Bruder, welcher ihre Energie zu achten gelernt hat, ist auffallend rücksichtsvoll und zuvorkommend gegen sie. Doch ist eine Art von Kampf aufs Neue zwischen den Geschwistern ausgebrochen. Manuela hat nämlich den Gedanken festgehalten, in ein Kloster zu gehen. Alonso will es nicht und bietet Alles auf, sie daran zu verhindern. Wir wissen nicht, wer siegen wird. Alonso hat bei dem Kampfe die Duenna Teresa auf seiner Seite – sie ist seine Kampfgenossin, weil sie – seine Feindin ist; denn sie fürchtet sich vor dem Alleinsein mit ihm, wenn Manuela den Schleier genommen habe; auf Manuela's Seite jedoch steht der würdige Frai Torribio, und ist Alonso schlimm, so ist Frai Torribio klug und – hartnäckig.



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