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Zehntes Kapitel.
Der Pairshof.


Kehren wir jetzt zu Maximilian zurück. Der unglückliche junge Mann hatte in der Nacht, welche den für ihn so fürchterlichen Enthüllungen des Spaniers folgte, kein Auge geschlossen. Ohne sich zu entkleiden, hatte er sich auf Wennemar's Lager geworfen und sich nun seinem ganzen, ungemäßigten Schmerze hingegeben. Mehrmals dachte er daran, seinem Leben ein Ende zu machen und durch eine wohlthätige Kugel den gordischen Knoten, in den ihn sein Verhängniß verstrickt hatte, zu zerreißen. Er würde, von der Verzweiflung getrieben, in der That zu diesem Auskunftsmittel gegriffen haben, wenn ihn nicht die religiösen Ueberzeugungen, in denen er auferzogen worden und die ihm stets heilig geblieben waren, zurückgehalten hätten. Denn sein Gemüth war rein, sein Herz groß und sein Geist tief und ernst genug, um sein Leben hindurch der religiösen Gläubigkeit treu bleiben zu können, welche von großem und überlegenem Verstande mehr, als unsere Gesellschaft sich träumen läßt, bedingt ist; die Menschen ohne Religion sind ou des imbéciles ou des scélérats, wie die Marquise de Crequi es eben so wahr als kräftig ausdrückt.

Gegen Morgen war er erschöpft in einen unruhigen, von ängstlichen Traumgesichten erfüllten Schlummer gesunken. Als er erwachte, konnte es nicht früh mehr sein, denn die Sonne stand hoch am Himmel. Wennemar war fort. Maximilian ordnete rasch seinen Anzug, dann verließ er die Wohnung seines gutmüthigen Verwandten und wollte, eben am Fuße der Wendelstiege angekommen, ins Freie treten, als er einen Wagen rollen hörte; drei rasche Schritte weiter, und er sah, daß es Margarethens Equipage war, welche den Hof verließ. Maximilian stürzte ihr nach.

Margarethe! rief er, Margarethe! und rief es mit einem wahrhaft herzerschütternden Tone, wie ein Versinkender, der einen Rettungsschimmer auftauchen sieht und nach ihm ausschreit. Aber die Räder des Wagens rollten weiter, und Margarethe hörte ihn nicht; und wenn sie ihn auch gehört hätte – ihre Räder wären doch davon gerollt, und der Schrei seines Schmerzes hätte in diesem Augenblicke so wenig ihr tief entrüstetes Herz erweicht, sie so wenig zu Maximilian zurückgeführt, wie der Schrei des Falken, der eben über den Giebeln von Haus Bursbeck seinen durchdringenden Ruf ausstieß.

Vor der großen Eingangsthür zum Herrenhause standen der Freiherr von Bursbeck und seine Frau und ihre vier Töchter in Mantillen und Morgenüberwürfen; sie hatten Margarethen zum Wagen begleitet; jetzt kehrten sie eilig in das Gebäude zurück, und Alle hüteten sich voll Scheu, dabei einen Blick nach der Seite hin zu werfen, wo Maximilian sich befand. Sie wußten Alles. Margarethe selbst hatte Alles gesagt, und diese Menschen, über welche sich Maximilian gestern noch wie ein König erhaben gefühlt – sie verläugneten ihn jetzt, sie würdigten ihn keines Wortes und keines Blickes mehr … er war ein Ausgestoßener, ein Geächteter!

Wennemar allein blieb der Alte, oder nein, er war nicht mehr der Alte, er war durch das furchtbar Ernsthafte Dessen, was um ihn her vorging, wie verwandelt und hatte aus der tiefen Theilnahme seines wohlwollenden Herzens eine Art Inspiration erhalten, welche seinen Verstand, seinen Scharfblick, seine hülfbereite Thätigkeit verzehnfachte. Er kam heran, er legte seinen Arm in den Maximilian's und führte ihn noch einmal in seine Wohnung, und während sie über den Hof zurück dahin schritten, sagte er ihm mit einem Tone milden Vorwurfs:

Maximilian, nur das Eine thu nicht, bestehe nicht darauf, Margarethen zu sprechen: versuche es, dich einen Augenblick aus deiner Lage unparteiisch in die ihrige zu versetzen, und dann gestehe dir, daß du ihr schuldig bist, den Willen zu achten, den sie fest und bestimmt ausgesprochen hat, den Willen, dich nie wieder zu sehen!

Du hast Recht, Wennemar, antwortete Maximilian leise und sanft; aber für sich setzte er trostlos hinzu: Wenn sie mich je geliebt hatte, würde sie sich nicht vor Allem zuerst gedrungen fühlen, mich zu sprechen und meine Vertheidigung zu hören?!

Als sie die Mitte der Stiege erreicht hatten, blieb Maximilian plötzlich stehen.

Laß mich, Wennemar, sagte er; was soll ich hier? ich will heimkehren.

Was hast du vor?

Nichts! – ich will in der Einsamkeit über Alles nachdenken! Lebe wohl – ich danke dir, Wennemar – du warst der Einzige, der mir heute eine Freundeshand gereicht hat – ich werde das nie vergessen, Vetter!

Lebe wohl, Maximilian … und – dem alten Manne traten ein paar Thränen in die Wimpern – Max, fasse keine übereilten Entschlüsse – vielleicht wird ja noch Alles gut!

Das ist unmöglich! antwortete Maximilian mit bitterem Lächeln.

Du kannst sicher sein, daß wir Alle reinen Mund halten … das Geheimniß wird gewahrt werden, Maximilian, so viel es in unserer Macht liegt.

Ich will es euch leichter machen, Wennemar, indem ich gehe und – nie zurück kehre!

Um Gottes willen! antwortete Wennemar, erschrocken, sei ein Mann …

Maximilian ließ ihn nicht ausreden, er schüttelte dem guten Alten die Hand, ihre Augen begegneten sich mit einem Ausdruck, der auf beiden Seiten gleich innig war, und dann schritt Maximilian langsam die Treppenstufen wieder hinab und ging zu seinem Pferde, um nach Hause zurück zu kehren.

Was ihm allein zu thun übrig blieb in seiner Lage, darüber war er bald im Klaren. Während er langsam denselben Weg zurück legte, den er vor zwei Tagen mit solcher Hast und in so großer Aufregung gekommen war, stellte er seine Entschlüsse fest. Er wollte fort; er wollte in die weite Welt ziehen und wollte nie wiederkehren; Margarethe konnte dann die Bande, durch welche sie an ihn gefesselt war, ohne Schwierigkeiten lösen, indem sie ihn der böslichen Verlassung anklagte: sie konnte dadurch frei werden, ohne ihn öffentlich vor den Gerichten eines schweren Verbrechens anklagen zu müssen, das, wie Maximilian hoffte, vor der Welt verheimlicht werden könne. Wollte sie ganz frei werden, wollte sie ihre Ehe als nichtig erklärt sehen: dann freilich mußte sie ihn völlig Preis geben: er wollte ihr das selbst zu entscheiden überlassen. Und da sie ihn nicht hören wollte, so gedachte er ihr Das, was zu seiner Rechtfertigung diente, schriftlich mitzutheilen, und ihr es dann anheimzugeben, ob sie die öffentliche Schmach auf sein unglückliches Haupt häufen wolle, oder ob ihr Zorn und ihr Haß befriedigt werden könnten durch jene halbe Trennung, wie sie bei einer echten und gültigen Verbindung ihre Kirche erlaubte. In der Bitterkeit seines Herzens fühlte er etwas wie eine traurige Genugthuung, wenn er sich den Gedanken ausmalte, sie werde nichts mehr schonen, sie werde ihn wie einen flüchtigen Verbrecher von der Gerechtigkeit verfolgen lassen – war doch um so größer dann sein Recht, die Härte des Schicksals und die Erbarmungslosigkeit der Menschen anzuklagen!

Als er in seiner Wohnung angekommen, hörte er von den Bedienten, daß die gnädige Frau ein paar Stunden vor ihm angelangt sei und drüben in ihrem Flügel des Hotels sich eingeschlossen habe; die Dienerschaft habe den Befehl erhalten, ihre Garderobe und alle ihre Sachen einzupacken, und sei eifrig damit beschäftigt. Maximilian ließ nun einen ihm befreundeten Anwalt kommen und hatte eine lange Unterredung mit ihm; er stellte ihm Vollmachten aus, gab ihm mancherlei Weisungen und sandte ihn endlich zu seinem Banquier. Dann ordnete er seine Papiere, verbrannte Briefe, ließ seinen Diener einpacken und warf sich zuletzt, da über diesen Beschäftigungen der Rest des Tages zu Ende gegangen war, todmüde auf sein Lager.

Am anderen Morgen in der Frühe saß er bereits an seinem Schreibtische; er schrieb an Margarethen einen langen, langen Brief: er hatte ihr ja so unendlich viel zu sagen; er legte sein ganzes Herz vor ihr offen; er beschwerte sich nicht über ihren Zorn; ja, er bekannte sich selbst sogar schuldig, aber er erklärte ihr, wie er dazu gekommen, diese Schuld auf sich zu laden; er versicherte sie, daß nur das ihn durchdringende Bewußtsein seiner Stellung ihr gegenüber, daß nur die entsetzliche Schaam, in welcher sich jetzt, wenn er an sie denke, sein Herz verblute, ihn davon abhalten könne, ihr mit den heiligsten Schwüren zu sagen, daß er nur sie liebe und ewig lieben werde; – und dann endlich stellte er ihr die Weise frei, wie sie sich von ihm scheiden lassen wolle, und versicherte sie, daß jedenfalls die Verzweiflung, welche an ihm zehre, sie bald durch seinen Untergang ganz und für ewig frei machen werde.

Maximilian couvertirte und siegelte den Brief und sandte seinen Diener damit zu Margarethen hinüber. Dann stand er auf und trat ans Fenster; er fühlte sich ruhiger, mit dem Briefe war ein, wenn auch nur kleiner, Theil der Last, welche auf seiner Brust lag, abgewälzt, es war dadurch eine gewisse Klarheit über ihn gekommen. Er hatte lange gesessen, die Uhr in dem Frontispice seines Hotels wies auf Zehn. Unten im Hofe hielten mehrere Equipagen; er hatte ihr Hereinrollen ganz überhört, so sehr war er mit seiner Rechtfertigungsschrift beschäftigt gewesen. Zehn Minuten vergingen. Maximilian spähte hinüber zu Margarethens Fenster; er sah sie nicht, aber einmal war ihm, als ob sich eine hohe und schmale Gestalt, wie die der Tante Amalgunde, an den Vorhängen her bewege. Da öffnete sich seine Thüre – der Diener trat wieder ein – er hielt das Schreiben, welches er hatte überbringen sollen, in der Hand.

Die gnädige Frau ist unwohl, sie wünscht keine Briefe zu empfangen, meldete er.

Das war die Antwort auf Maximilian's glühende Herzensergießung!

Ueberwältigt warf er sich auf ein Sopha; das war der Härte, ja, des Unrechts zu viel – nicht einmal eine Vertheidigung wollte man ihm gestatten! … Er wußte seinem Schmerze nicht mehr Einhalt zu thun, und hoffnungslos, den Tod sich wünschend, verbarg er sein Gesicht in den Kissen des Sophas.

Eine geraume Zeit mochte er so in dumpfem Hinbrüten gelegen haben, als sich eine breite, zwar harte und schwielige, aber warme Hand auf seinen Scheitel legte. Er sah empor – ein mildes Gesicht, auf dem der tiefste Ernst nicht den Ausdruck mitleidigster Theilnahme und unerschöpflichsten Wohlwollens verdrängt hatte, blickte ihn an; es war Niemand anders als Wennemar von Waterlapp.

Wennemar?! du hier?

Ich bin's, Maximilian. Willst du mir folgen?

Folgen? wozu? wohin?

Nur zwei Schritte weit; sie wünschen dich zu sprechen!

Und wer wünscht mich zu sprechen? … du kündigst mir das ja so feierlich an …!

Der Familienrath, unterbrach ihn Wennemar, indem er die Stimme sinken ließ, als spreche er etwas Tieftragisches oder Fürchterliches aus.

Ist der zusammen?! Nun wohl, ich will ihm Rede stehen – komm!

Maximilian hängte sich in Wennemar's Arm und ging jetzt plötzlich gefaßt, erhobenen Hauptes und sicheren Schrittes mit ihm durch mehrere Gemächer seines Hotels bis in einen geräumigen und mit einem gewissen altkränkischen Luxus ausgestatteten Salon, der nach hinten hinaus lag und durch drei auf einen großen Balcon führende Fensterthüren die Aussicht auf die grünen Gebüsche des Gartens bot. Die von der Zeit geschwärzten Vergoldungen an den Möbeln und Leisten, der ehemals dunkelgrüne, verblichene Moire der Tapeten in großen Panneaux, die frostigen weißen Stuccatur-Figuren, welche sich am Plafond von einem kalten grasgrünen Grunde abhoben, die nackten Fenster ohne Vorhänge endlich, alles Das gab diesem Raume etwas Abstoßendes, Trauriges, und dieser Eindruck wurde nur noch erhöht durch die düstere und strenge Physiognomie eines Mannes in einem violetten Hermelin-Mantel, der in Lebensgröße gemalt über dem Kamine hing und die Hand auf einen Marmortisch mit den Insignien eines Fürstbischofs stützte – es war einst ein mächtiger, aus den Vorfahren dieses Hauses erwählter Fürst, jetzt eine Art Spiritus familiaris, der mit seinen bleichen Zügen und stechenden kleinen Augen diesen das ganze Jahr hindurch verschlossenen Raum hütete.

Mehrere Tische standen in dem Saale; um einen derselben, welcher oben ans Ende und in die Nähe der Fenster gerückt war, und dem Maximilian sich beim Hereinkommen gerade gegenüber erblickte, saß eine Reihe von Männern, die alle schweigend und mit dem Ausdrucke von großer Spannung dem Eintreten des Erwarteten entgegen sahen. Ein paar andere Herren wandelten in eifrigem Gespräche auf und ab, eine Gruppe von drei oder vier hatte sich flüsternd in eine Fensternische zurückgezogen; sie alle aber traten heran, als Maximilian, von Wennemar begleitet, über die Schwelle schritt.

Maximilian begrüßte die Versammlung ruhig und, wie er es immer gethan haben würde, mit einer leichten Verbeugung, welche von Mehreren mit gehaltenem Ernst, von Anderen gar nicht erwidert wurde; dann nahm er den Sessel am unteren Ende des Tisches ein, den Wennemar ihm herbeigerückt hatte, und alle anderen Anwesenden gruppirten sich jetzt um die Tafel. Maximilian ließ seinen Blick über sie gleiten; er sah Niemanden, den er für die Verhandlung, welche man zu beabsichtigen schien, sich herbeigewünscht hätte, aber auch Niemanden, den er Ursache gehabt hätte, fort zu wünschen – es sei denn, daß es gerade Der gewesen wäre, welcher Ansprüche darauf machen mußte, die Hauptrolle in diesem Drama zu spielen, und dem Niemand unter allen Anwesenden diese Rolle zu bestreiten gewagt haben würde – Maximilian's Oheim, Ruprecht Mildenfurth, nämlich. Die Anwesenden waren sammt und sonders seine Verwandten, die meisten zwei- und dreifach durch die Bande des Blutes oder der Schwägerschaft mit ihm verbunden; da waren, außer Ruprecht, der Freiherr von Bursbeck, den wir kennen, dann Graf Valerian von Schlettendorf, jetzt ein gereifter Mann, mit edlen Zügen, in denen neben dem wohlwollendsten Ausdruck eine milde Trauer ruhte, die für Maximilian etwas unendlich Trostreiches und Beruhigendes hatte; ferner Baron Heydenreich Tondern, der sehr alt und schwach geworden war und gallsüchtig und boshaft wie immer drein schaute; dann der junge Mainhövel, der Sohn und Stammhalter des alten blinden Freiherrn, der jetzt selig im Herrn entschlafen bei seinen Vätern ruhte; ein blonder, langbärtiger Sasseneck, ein Neffe des tollen Barons, der einst seines Vetters von Quernheim Burg belagerte, und den wir im Anfange dieser Erzählung dem Leser als den Graf Sandor der Provinz vorführten; der alte Sackenrode mit seinem jetzt schneeweißen Kopf; der Freiherr von Prallhufen Ueber diese Personen und ihre Schicksale vergleiche man den Roman des Verfassers: »Die Ritterbürtigen.«, – alle waren sie zusammen gekommen und bildeten eine feierliche Versammlung, wie ein Gericht von alten Rachinburgi über ihres Gleichen, oder von jenen Freigrafen, die, ohne geharnischte Scharen zur Vollstreckung ihrer Befehle zu haben, durch die bloße Gewalt ihrer moralischen Autorität die höchsten Häupter sich beugen sahen.

Auch Frauen schienen anwesend, wenn sie auch nicht sichtbar waren; denn eine Tapetenthür dicht neben dem Kamine stand nur angelehnt, und Maximilian hörte dahinter Frauengewänder rauschen – gewiß war es Tante Amalgunde, welche dort in dem Entresol-Zimmerchen sich aufhielt, um kein Wort von der Verhandlung zu verlieren.

Ruprecht Mildenfurth begann zu reden, als Maximilian sich gesetzt hatte. Man konnte den löwenhaften alten Mann mit dem königlichen Gebahren nicht ohne tiefes Mitleid ansehen, so hatte die furchtbarste Gemüthserschütterung ihm ihren Stempel aufgedrückt.

Maximilian, begann er und suchte dabei den alten Donnerton aus der Brust heraufzuholen, der ihm sonst zu Gebote stand, wenn er die Würde würdiger zu machen glaubte, indem er ihr ein Unterfutter körnigster Grobheit gab – Maximilian, wir sind hier zusammen gekommen, um uns über die Haltung zu berathen, welche … welche bei einem solchen Falle … wie der deinige ist … von uns anzunehmen … Seine Stimme stockte – es lag ihm etwas auf der Brust, daß der Athem nicht ausreichte zu dem hohen und gewaltigen Tone, in dem er begonnen – er schwieg einen Augenblick erschöpft, und dann stieß er, die Stirn auf die Hand stützend und das Haupt hin und her wiegend, wie in der äußersten Verzweiflung die Worte aus:

O Max! Max! daß du so vor uns stehen mußt! und barg sein zusammengefallenes Gesicht in den beiden Händen, die Ellbogen auf den Tisch stemmend.

Ich will statt Ihres Oheims reden, hob jetzt Valerian von Schlettendorf an. Sie werden uns Allen, wie wir hier sind, nicht das Recht der Theilnahme an Ihrem Schicksale bestreiten, Rauschenloo, und deshalb hat Ihr Oheim uns hier zusammenberufen, freilich nicht allein dazu, Ihnen diese Theilnahme auszudrücken. Denn, offen gestanden, uns liegt bei Ihrem Falle zunächst ein Interesse, das unseres Namens und Standes, zu wahren ob. Sie wissen selbst nur zu gut, in welche Stellung wir zu Dem, was man das allgemeine Bewußtsein unserer Zeit nennen kann, gerathen sind – in wie fern durch unsere eigene Schuld, darüber habe ich früher oft meine Meinung ausgesprochen und brauche es hier nicht aufs Neue zu erörtern. Genug, es ist so. Mitten in einer Gesellschaft, deren letztes Ziel das Geld ist, stehen wir als Ketzer da, weil wir ein Höheres kennen, als das Geld: den Adel unseres Namens. Wir sind die Ueberreste einer weiseren Neuordnung, die aus den Begriffen und Vorstellungen der Menschen ausgetilgt ist … bis auf uns – wir allein sind übrig. Wie die Juden durch das Mittelalter wanderten, als Ueberreste der verschwundenen alten Geschichte, so wandern wir durch die neue Zeit, als Zeugen des verschwundenen Mittelalters. Aber unsere Existenz ist nicht allein ein Zeugniß, sie ist auch ein Widerspruch – eine Empörung – ja, ein Hohn, eine Herausforderung. Wir betrachten uns als Menschen, die zu höher bevorrechteten Wesen emporgehoben sind; die Welt, die Zeit will die Menschen niedergeschroben sehen, zu blinden Existenzen, die einen ewigen öden Maschinen-Kreislauf machen zwischen den drei Stadien: Arbeit – Geld – Genuß. Deshalb haßt man uns. Wir machen Ansprüche, wo man uns kein Recht zugesteht, als das, unserer Existenz uns zu schämen. In unserer eigenen Heimat stehen wir in Feindesland. Und so müssen wir achtsam sein, wie ein Heer vor dem Feinde, und jede Blöße vermeiden. Es wäre eine Niederlage für uns Alle, wenn Sie, Maximilian Rauschenloo, öffentlich eines schweren Verbrechens beschuldigt und wegen dieses Verbrechens verurtheilt würden. Ich brauche Ihnen deshalb nicht zu sagen, daß es unser Wunsch ist, Sie gegen ein Schicksal dieser Art mit allen Mitteln, welche uns zu Gebote stehen, und durch Aufbietung unseres ganzen Einflusses, wenn es sein muß, zu schützen. Aber vorher müssen wir aus Ihrem eigenen Munde Aufklärungen erhalten. Wir müssen wissen, ob wir Sie gegen den weltlichen Richter mit gutem Gewissen schützen können, ob wir nicht unserer eigenen Ehre dadurch vergeben, daß wir uns zwischen die Gerechtigkeit und eine offenbare Schuld stellen.

Theilen Sie uns vor allen Dingen mit, was Sie jetzt zu thun vorhaben, Maximilian! fiel Heydenreich Tondern hier ein, der während Valerian von Schlettendorf's Rede seinem Nachbar spöttisch mit den kleinen boshaften Augen zugezwinkert hatte, wie immer, wenn er Valerian's »Ideologien« über den Adel, wie er es nannte, anhören mußte.

Maximilian beachtete seine Frage nicht, sondern heftete, während er antwortete, seine Augen fest auf Valerian's wohlwollende Züge.

Es ist mir lieb, daß Sie mich wenigstens anhören wollen, bevor Sie ein Urtheil über mich fällen, Graf Schlettendorf; und vor Allem ist es mir von Werth, daß mein Oheim Ruprecht es war, der zu diesem Entschluß den Anstoß gab, wenn ich auch aus der feierlichen Stimmung, die über dieser Zusammenkunft ruht, sehe, daß Sie mein Unglück zu jenen großen criminalistischen Scandalen zu rechnen geneigt sind, welche in neuester Zeit Träger der vornehmsten und unbeflecktesten Namen auf die Verbrecherbank gebracht und uns tiefe Wunden ins Fleisch geschnitten haben. Gegen eine solche Auffassung jedoch muß ich mich feierlich verwahren. Ich bin kein Verbrecher – Maximilian sprach dies laut, aber mit vor Aufregung zitternder Stimme … habe ich eine Schuld, so habe ich diese Schuld vielleicht vor dem Richter und vor dem Gesetze – ich weiß nicht, in welchem Maße, – aber ich habe sie auch nicht im geringsten Maße vor meinem inneren Richter, vor meinem Gewissen. Ich bin das Opfer der unverschämtesten und abscheulichsten Betrügerei, welche je ersonnen worden ist! Ich habe mich in Spanien vermählt – das heißt, ich bin einer Dame auf dem Krankenbette angetraut worden, und bin dann sofort, ohne nur noch einen Augenblick zu zögern, allein in meine Heimat zurückgekehrt, weil mich eine Dienstpflicht ohne Verzug abzureisen zwang. Meine junge Frau, so war es unter uns verabredet, sollte mir folgen: ich wollte die Meinen unterdeß auf ihre Ankunft vorbereiten. Aber als ich, nachdem meine Dienstgeschäfte in der Hauptstadt abgemacht waren, kaum in Mildenfurth angekommen, erhielt ich die Nachricht von dem Tode meiner Frau – nicht eine bloße briefliche Nachricht – nein, ich erhielt durch die Vermittlung unseres Gesandten in Madrid ein Schreiben, dem ein offizieller Todtenschein beilag.

Wo ist er? fragte Heydenreich Tondern trocken.

Ich habe ihn nicht mehr! antwortete Maximilian stockend.

Sie haben ihn nicht? rief Valerian wie im Zweifel an der Wahrheit dieser Worte aus.

Sie haben wohl die Cigarette damit angezündet? Das war höchst weise und vorsichtig gehandelt! sagte Tondern mit offenbarem Hohne.

Der Schein, fuhr Maximilian, ohne diese Aeußerung einer Antwort zu würdigen, fort, wurde mir nebst einem Briefe gesandt, welcher ausführliche Details über die letzten Stunden und den durch ein Nervenfieber verursachten Tod meiner jungen Gattin enthielt; zugleich war die dringende Bitte hinzugefügt, das officielle Document unter Couvert an eine angegebene Adresse in Paris zu senden. Manuela's Bruder habe nämlich seine Schwester in einer französischen Tontinen-Anstalt eingekauft und habe dem namhaft gemachten Bekannten in Paris den Auftrag gegeben, sich bei der Casse der Gesellschaft einzufinden und an der Stelle des Bruders sich die Summe auszahlen zu lassen, welche durch Manuela's Tod verfallen sei; doch bedürfe dieser Bekannte in Paris dazu des Todtenscheines. Ich, fuhr Maximilian fort, habe diese Bitte arglos erfüllt: ich habe den Todtenschein nach Paris gesendet und bin so in die Schlinge gefallen, welche mir ohne Zweifel gestellt wurde, um ein für den Fälscher so compromittirendes Document aus meinen Händen zu locken.

Also Sie haben den Todtenschein nicht?

Nein!

Nicht einmal eine Abschrift?

Auch das nicht!

Und der Brief, der die Nachricht von dem Tode Ihrer Frau in Spanien enthielt?

Ich habe ihn verbrannt, wie ich Alles verbrannt habe, was auf Manuela Bezug hatte – kurze Zeit, nachdem ich die schmerzliche Nachricht empfangen. Ja, ich habe ihn verbrannt, wiederholte Maximilian lauter, damit er Niemanden vor die Augen komme und Niemand mich frage nach einem schönen, aber kurzen Jugendtraume, der die Formen der Wirklichkeit annahm und wie eine nur zu poetische Episode sich in mein Leben verflocht. Ich weiß nicht, ob ich hier ganz verstanden werde; aber Sie, Valerian Schlettendorf, werden mich begreifen. Gibt es nicht Gefühle in Ihnen, haben Sie, als Sie noch in jugendlichen Schwärmereien ein Glück fanden, welches Ihnen die kältere Lebenserfahrung getödtet hat, nicht Gedanken verfolgt, über welche Sie der Welt nun und nimmer Rechenschaft geben werden? Meine Natur wenigstens ist so. Was mich tief innerlichst durchdringt, was meine besondere, meine Lebens-Poesie für mich ist, davon rede ich nicht, und am allerwenigsten von Dem, was mein, was überhaupt des Menschen Heiligstes, was mein Schmerz ist.

Wie tief die Nachricht von dem Tode Manuela Revenga's mich erschütterte, brauche ich nicht zu sagen. Aber ich fühlte bald, daß dieser Schmerz ein anderer war, als der Schmerz, den ich bei früheren Erfahrungen gleicher Art, bei dem Verluste einer Schwester, dann meiner Eltern empfunden hatte. Die Trauer um Manuela verlor sehr bald das eigentlich Stechende, sie wich einer milden Schwermuth, in welcher mir war, als sei das ganze Erlebniß, welches mich mit ihr verband, nichts weiter als ein flüchtiger Traum gewesen, ein jugendlich entfesseltes Schwärmen, das Abenteuer einer Dichter-Phantasie in der Region des Schönen, aus der mich die nackte Wirklichkeit zurückgerissen habe; denn mein Verstand mußte der Wirklichkeit ihr Recht einräumen, so gut, wie er es gegen die phantastischen Visionen einräumt, in deren Mitte wir uns versetzen, wenn eine Flut von herrlichen Tönen, ein Strom von Musik unsere Seele auf ihre Wellen nimmt und zu allen Höhen des Daseins emporträgt. Sind die letzten Klänge der Musik verrauscht, und man fragt uns, ob wir unserer irdischen Existenz entsagen und nun für immer in dem ätherischen Duftreiche leben wollen, wohin uns eben unsere Phantasie trug– gewiß werden wir lächelnd: Nein sagen.

Mit solchen Reflexionen und Vorstellungen tröstete ich mich, als ich den Tod Manuela's vernommen. Ich sagte mir auch, daß sie in die Welt nicht paßte, in welche ich sie hatte verpflanzen wollen. Es war ein poetischer Gedanke, die schöne glänzende Palme in die Erde zu bringen, welche unsere Fichten nährt … aber er hätte mit dem Untergang der Palme enden müssen. In Spanien flog mein Geist über die Hemmnisse fort, aber schon in dem Augenblick, in welchem ich zurückgekehrt war, hatte ich mir gestanden, daß es grausam sei, Manuela hierher zu verpflanzen und daß sie hier nimmermehr glücklich werden könne. Sie war gewohnt, eine andere Luft zu athmen; man hätte ihr hier Vorstellungen aufdrängen müssen, welche ihr innerlichst fremd und widerstrebend gewesen. Trat ich in einen Kreis von Frauen, so fragte ich mich erschrocken, welche Rolle würde Manuela hier spielen? Welchen Hohn würden diese gestrengen Sittenrichterinnen über ihre feurige Lebhaftigkeit ausgießen! Und nun gar mit Männern zusammengebracht – welches Kopfschütteln würde die Naivetät ihrer religiösen Vorstellungen erregen, welche Satyre würde ihrer Unbekanntschaft mit tausend Gegenständen unserer »Bildung« folgen! Und dann, wie würde man sie bessern, belehren, schulen wollen – wie würde man ihr das Leben verbittert, zur Hölle gemacht haben! Das Alles war mir wie eine schwere Last auf die Brust gefallen, als ich wieder auf dem Boden meiner Heimat stand; und hier, in der alten Umgebung inmitten unserer Sitten und, offen gestanden, inmitten unserer Vorurtheile, sagte ich mir auch, daß das Zerwürfniß mit meinem würdigen Oheim, in welches ich durch meine Verbindung gerathen wäre, vielleicht ein unheilbares geworden sein würde. So, um mich kurz zu fassen, schob ich die ganze Episode meines Lebens, welche sich unter dem sonnigen Himmel Andalusiens abgespielt hatte, wie eine heilige Erinnerung in den innersten Winkel meines Herzens zurück und warf über das Geheimniß meiner Seele wie eine Isisdecke das Schweigen!

Sie wissen nun Alles, meine ganze – wenn Sie es so nennen wollen – Schuld. Sie besteht darin, daß ich nicht noch Forschungen nach Manuela's Tode anstellte; aber ich hatte ein paar Briefe an sie geschrieben und keine Antwort bekommen; statt dessen kam die Nachricht ihres Todes – wie konnte ich daran zweifeln, da ich sie krank verlassen, da meine Briefe nicht beantwortet worden, da ich ein allem Anschein nach authentisches, von einer öffentlichen Behörde ausgestelltes Zeugniß in Händen hatte? Wer kann mir vorwerfen, daß ich unter solchen Umstanden vertraute? – Nach kurzer Zeit lernte ich Margarethen kennen; ich war in einer ernsten, weichen, noch immer erregten Stimmung, in jener Stimmung, in welcher die Leidenschaft ihren festesten Ankergrund findet – ich liebte Margarethen, ich warb um sie – der Wunsch der Meinigen, der dieser Verbindung schon lange voraus geflogen war, ebnete den Weg – so ward ich ihr Gatte – aber von Manuela sprach ich Niemandem – ich wollte Niemandem das Recht geben, mit neugierigen Fragen in meiner Seele zu wühlen und die Leiche eines begrabenen Jugendtraumes aus ihrer heiligen Ruhestätte aufzustören. – Das ist Alles, was ich zu sagen habe; danach mögen Sie beschließen, was Sie glauben beschließen zu müssen; ich nehme geringen Antheil daran; bei mir liegt aller Schmerz in dem Einen Gedanken, daß ich mein Weib, daß ich Margarethen verloren, daß ich Manuela unglücklich gemacht – das Uebrige kümmert mich wenig mehr!

Maximilian's Vertheidigung hatte bei einigen der Anwesenden einen tiefen, bei der Mehrzahl aber nur einen geringen Eindruck gemacht. Denn wenige von ihnen waren im Stande, die Gründe, welche er aus den Zuständen einer tief fühlenden und mit reizbaren Saiten bespannten Seele hervorholte, zu verstehen und ihrem wahren Werthe nach zu schätzen; es machte im Gegentheil einen schlimmen Eindruck auf einen großen Theil der Anwesenden, daß Maximilian, statt mir einfachen Worten und Hervorhebung der Thatsachen, sich mit poetischen Redensarten und Dem, was ihnen ins Gebiet der Phrase zu gehören schien, vertheidigt hatte. Was sie völlig stutzig machte, war, daß er nicht einmal mehr den Todtenschein Manuela's, ja, nicht einmal mehr den Brief mit der Trauernachricht besaß! Verstimmt und Maximilian abgeneigt wegen der Schmach, welche sie durch seine Angelegenheit auf sie Alle geworfen glaubten, zeigte sich die Mehrzahl dieser Männer leicht der Ueberzeugung zugänglich, daß hier die Möglichkeit eines bodenlosen Leichtsinnes und eines Verbrechens vorliege, da Maximilian kein einziges Zeugniß für die Wahrheit seiner Angaben zu Hülfe rufen könne. Aber Alle schwiegen, als ob Jeder sich scheue, zuerst das Wort zu nehmen.

Einer war unter ihnen, welcher die Rede gar nicht gehört hatte; das war Ruprecht Mildenfurth. Aber das Gesicht hatte er erhoben, so lange sein Neffe geredet, und die Blicke der großen vortretenden verstörten Augen waren mit einem flehentlichen Ausdrucke von einem Antlitz zum anderen gewandert, als suchten sie hier einen milden Wiederschein, ein mit Wohlwollen getränktes Spiegelbild Dessen zu entdecken, was Maximilian zu seiner Rechtfertigung vorstellte. Doch, ach! er fand wenig von diesem Widerschein, und seine Züge begannen ein heftiges Mienenspiel, von dem sich schwer sagen ließ, ob es Zorn, Schmerz oder Verzweiflung ausdrückte.

Was ist da zu thun, Bursbeck, sagte endlich Tondern, der es liebte, Andere vor sich zum Sprechen aufzufordern und gerade Die, von denen er voraussetzte, daß sie durch ihr Votum den Ruhm ihrer Weisheit keineswegs erhöhen würden – was ist da zu thun?

Es ist schlimm, daß du den Todtenschein nicht hast, Max Rauschenloo, antwortete der Freiherr von Bursbeck.

In der That, nahm Valerian wieder das Wort – dieser Umstand ist für Sie höchst beschwerend, Maximilian; ich will nicht andeuten, daß ich den geringsten Zweifel an der Wahrheit Ihrer Aussage hege … aber ich glaube, daß wir uns schwerlich entschließen können, etwas für Sie zu thun, bis es Ihnen gelungen ist, in Spanien mit Erfolg Nachforschungen nach dem Urheber des Todtenscheins anzustellen; die Behörde, welche das Document ausstellte, muß ja leicht zu finden sein.

Hat der Gesandte, durch dessen Hände er gegangen ist, ihn gesehen? unterbrach Tondern.

Nein, er war in einem versiegelten Couvert, zusammt dem Briefe von der Hand des Bruders Manuela's.

Das ist wieder sehr schlimm! fuhr Tondern sarkastisch fort; er existirt nicht … Niemand hat ihn gesehen … es scheint mir deshalb, Rauschenloo, als ob Sie am besten thäten, um Ihrer Rechtfertigung willen sehr bald selbst nach Spanien zu gehen!

Und wir thun am besten, den Dingen ihren Lauf zu lassen! rief Sackenrode aus; wir compromittiren unsere Würde, wenn wir uns bereit erklären unseren Einfluß für eine faule Sache aufzubieten.

Zum Reisen bin ich entschlossen – auch ohne Ihren Rath, Tondern, sagte Maximilian sich erhebend, und zu Sackenrode gewendet setzte er stolz hinzu: Du vergißt, Vetter, daß ich nicht die Verwendung deines »Einflusses«, wie du es nennst, um Hülfe angerufen habe.

Also Sie wollen nach Spanien gehen und eine Untersuchung anstellen, wer Sie getäuscht hat? fragte Valerian.

Nach Spanien? Nein! erwiderte Maximilian mit großer Entschiedenheit.

Und weshalb nicht?

Was begraben ist, ist begraben. Ein innerer Schauder hält mich ab, den Gespenstern abgestorbener Gefühle, welche dort sich mir bei jedem Schritte in den Weg stellen würden, entgegen zu gehen!

Diese Aeußerung, welche aufs innigste mit seinem Charakter und mit jener Verwöhnung zusammenhing, von welcher wir früher sprachen und welche ihn verleitete, tieferen und vielleicht mit Schmerz verbundenen Erregungen aus dem Wege zu gehen, diese Aeußerung, sagen wir, vollendete den Ruin Maximilian's in den Augen seiner Standesgenossen und Verwandten. Hätte Maximilian, wenn er sich so schuldlos wußte, wie er sich darstellte, nicht entschlossen sein müssen, Alles aufzubieten, um den Betrug, der ihn ins Unglück gestürzt, zur Strafe zu ziehen und mit den Beweisen, daß dieser Betrug allein Schuld an seiner verzweifelten Lage sei, sich vor dem Richterstuhl der Seinigen und der öffentlichen Meinung zu rechtfertigen?

Nun, so reisen Sie dahin, wo der Pfeffer wächst! murmelte Heydenreich Tondern aufstehend.

Ja, entfernen Sie sich von hier, Maximilian Rauschenloo, sagte Valerian Schlettendorf, es ist das Beste, was Sie thun können; denn hier ist Ihres Bleibens nicht mehr. Wir sprechen über Sie nicht eine Aechtung aus, wir weihen nicht wie mit einem alten Vehmfluche Ihr Haupt den Vögeln des Himmels und Ihre Asche den Winden; aber der Eindruck, den, wie es mir scheint, die Mehrzahl der Anwesenden von hier mit sich fortnimmt, würde in seinen Wirkungen für Sie eben so unerträglich und fürchterlich werden, wie es nur je der Spruch eines Vehmrichters hat sein können. Von Allen gemieden und vereinsamt, gebeugt unter der trostlosen Last eines Namens, dessen ehemaliger Glanz zu seiner jetzigen Befleckung einen niederdrückenden Contrast bildete, von der Geburt auf eine Höhe gestellt, auf welcher Ihnen die Möglichkeit genommen ist, sich zu verbergen; das Ziel von Tausenden nur Misgunst und Schadenfreude verrathenden Blicken, so oft Sie sich sehen lassen; ein vogelfreies Wild für eine kläffende Meute, welche Ihre ganze Vergangenheit aufwühlen wird; Monate lang die Nahrung boshafter Journalisten-Federn – nein, nein, Maximilian Rauschenloo, Ihr Schicksal würde hier ein unerträgliches sein – darum fliehen Sie und kehren Sie nie mehr in Ihr Vaterland …

In einen Kreis von Männern zurück, der Sie leider als ein faules Glied ausreißen und fortwerfen muß, fiel Tondern ein.

Maximilian war während dieser Worte todtenbleich geworden.

Bei Gott! sagte er, mögt ihr Alle mich für schuldig halten … ich bin zu stolz, zu meiner Vertheidigung ein Wort mehr zu sagen, als ich gesagt habe – aber für Beleidigungen fordere ich Rechenschaft von Ihnen, Tondern, und von dir, Sackenrode!

Sackenrode und Tondern lachten höhnisch. Sie halten sich noch wol für satisfactionsfähig, Maximilian, sagte Heydenreich Tondern mit einem eiskalten Spott. Ich glaube wol, daß es Ihnen ganz recht wäre, wenn sich eine Rauferei für Sie vom Zaune brechen ließe; aber abgesehen davon, daß mein Gewissen mir verbietet, mich zu schlagen, steht die Partie auch zu ungleich. Sie werden einsehen, daß Ihr Leben und das meine nicht ein und denselben Preis mehr haben!

Maximilian war seiner nicht mehr Herr. Gebrochen sank er in seinen Stuhl zurück. O Gott, was that ich dir! sagte er, die Hände vor dem Gesichte, und eine Zeit lang war er wie besinnungslos und hörte nicht die Bewegung, die um ihn entstanden. Da faßte ihn eine Hand an der Schulter; er blickte empor, sein Auge traf entsetzte Gesichter, und eine unbekannte Stimme sagte leise und schüchtern hinter ihm:

Herr Baron, ich muß Sie bitten, mir so bald zu folgen, wie es Ihnen möglich ist.

Ein blasser kleiner Mann von militairischer Haltung mit einem dürftigen blonden Backenbart stand da; er war in Uniform, und diese Uniform sagte Alles, was er selbst aus Schonung, oder aus Schüchternheit in dieser Versammlung angesehener und vornehmer Männer, hinzuzusetzen unterließ.

Das Geheimniß von Maximilian's Doppelehe war bereits in den Besitz zu vieler Eingeweihten gekommen; die Justiz hatte einen Wink von einem so auffallenden, beinahe unglaublichen Verbrechen, das in den höchsten Gesellschaftskreisen begangen sein sollte, erhalten, und sie hatte mit Blitzesschnelle handeln und ihre Pflicht thun zu müssen geglaubt, im Bewußtsein, wie einem solchen hervorragenden Opfer gegenüber ihre Thätigkeit tausendfach controlirt werde.

Maximilian sah eine Weile den Beamten an, als ob er ihn nicht verstehe, dann erhob er sich, beugte langsam mit einer gewissen stolzen Herablassung das Haupt und sagte:

Kommen Sie, mein Herr! ich bin bereit, Ihnen zu folgen!

Es wird sich hoffentlich nur um einige Aufklärungen handeln, welche der Herr Instructionsrichter sich geben zu lassen veranlaßt ist! bemerkte der Beamte, wie um zu beschwichtigen.

Gut, gut! kommen Sie, wiederholte Maximilian und wandte sich zum Gehen.

Max!! Er geht! Er geht! donnerte in diesem Augenblick eine tiefe und rauhe Stimme. Es war die Ruprecht Mildenfurth's, der während der letzten Hälfte dieser Verhandlungen wie in sich versunken, wie in völliger Stumpfheit über seiner unsäglichen Trostlosigkeit brütend da gesessen hatte, der aber jetzt auffuhr, als ob durch diesen letzten Schlag die volle alte Kraft in ihm wach gerüttelt sei, und wie ein wunder Eber brüllte.

Er geht … gelassen … in den Kerker! rief der alte Freiherr – Maximilian! ehrvergessener Mensch – statt den Schädel lieber an der Mauer zu zerschlagen – o, so nimm meinen Fluch mit in die Wohnung der Schande – ich verfluche dich, ich enterbe dich!

Dann bin ich doch wenigstens so etwas wie ein Bettler, da ich mich zum Verbrecher nicht habe stempeln lassen wollen! sagte Maximilian Rauschenloo mit einem unaussprechlich bitteren Lächeln, indem er stolz das todtenblasse, gramgezeichnete Gesicht empor zu halten suchte; aber er kämpfte vergebens wider seine Empfindung in diesem Augenblicke an, seine Natur versagte den Dienst bei allem Dem, was auf ihn einstürmte – er fühlte einen heftigen Schwindel und tastete convulsivisch nach einer Stütze; aber es war keine Stütze da, denn er stand bereits in der Mitte des Saales; deshalb streckte er die Hand nach dem einzigen Menschen aus, der ihm nahe geblieben war – nach dem Manne des Gesetzes. Vor seinen Augen begann es immer heftiger zu flirren – da vernahm er ein Rauschen von Frauengewändern, er hörte einen leisen Schrei der Angst, und ein Paar Arme schlangen sich warm, mit krampfhafter Heftigkeit um seinen Nacken, und ein warmer Odem hauchte ihm wie ein Balsam Leben ein, und:

Maximilian! Maximilian! rief die Stimme, die den Angstruf ausgestoßen – ich bin es, ich, Margarethe, dein Weib! ja, ich bin dein treues Weib, und wenn dich die ganze Welt verläßt, ich verlasse dich nun und nimmer – ich gehe mit dir in dein Schicksal und mit dir in den Tod, wenn es sein muß und wenn du in den Tod gehst!

Erschüttert standen die Anwesenden umher. Margarethe war aus dem Nebenzimmer gekommen, wo sie mit Amalgunden Alles angehört hatte; Amalgunde hatte ihr nicht Ruhe gelassen, bis sie sich dazu entschlossen. Wie eine Erscheinung war sie jetzt in den Saal geflogen, so plötzlich, so überraschend, als sei sie aus dem Boden aufgewachsen. Ihre Wangen glühten, ihre Brust wogte stürmisch, ihre Gestalt war gehoben – sie hatte etwas von der hinreißenden Schönheit, welche der Begeisterung ein siegreicher Kampf verleiht. Als sie neben Amalgunden den Reden der Männer gelauscht und Maximilian's Vertheidigung angehört hatte: wie flüchtig die Verbindung Maximilian's mit Manuela gewesen, und wie abscheulich er hintergangen worden – da hatte sie, sie ganz allein ihm jede Sylbe geglaubt, und jede Sylbe, welche die Anderen für Phrase hielten, hatte sie verstanden; und als er endlich noch versichert, daß er nicht nach Spanien zurückkehren wolle, daß er sich in tiefster Seele scheue, Manuela je wieder zu sehen – da war seine Lossprechung vor dem Richterstuhle ihres Herzens erfolgt; und als sie endlich gehört, wie Alles ihn verdammte, wie Alles auf ihn los stürmte, wie er ein Geächteter, ein Verbrecher, ein Bettler werden sollte, da hatte es sie überwältigt, da hatte sie gefühlt, daß sie sein Weib sei und daß es keine andere Rücksicht für sie geben dürfe, als dahin zu folgen, wohin ihre Pflicht sie rufe, und mit fliegenden Pulsen, mit zitternden Gliedern hing das schöne Weib an seinem Halse und fühlte in der Tiefe ihrer Liebe Riesenkräfte, ihn festzuhalten und zu vertheidigen gegen eine Welt von Feinden.

Margarethe! stammelte Maximilian – Margarethe! – Es war ein Ton, worin ein unsäglicher Schmerz und ein unsägliches Entzücken lag dann aber brachte er keinen Ton mehr hervor, seine Brust war zu voll, seine Augen strömten über und schlossen sich, und schluchzend barg er sie in den dichten blonden Locken seines Weibes.

Sei ruhig, fasse dich, sei stark und vertraue, tröstete sie … ich werde nach Spanien gehen, ich will deine Rechtfertigung führen, und vertraue mir, Max!

Sie führte ihn, während der Beamte bescheiden in eine Fensternische zurück getreten war, zu einem Sopha, welches entfernt von den Anwesenden am unteren Ende des Saales stand. Dort erfaßte sie seine beiden Hände und sah ihn mit den tiefen blauen Augen durch die nassen Wimpern an.

Auch sie hat dich verlassen, sagte sie kaum hörbar – wer kann dich jetzt mir streitig machen! Wir sind aufs Neue getraut und von einem Priester, der die unauflöslichsten Bande schlingt, von einem großen, zusammen erduldeten Lebensschmerz! O Maximilian, ich habe viel gelernt in diesen Tagen … ich habe gelernt, was es heißt, Leiden tragen, sich ergeben in die Pflicht der Unterwerfung, und als einen uns versagten Luxus des Gefühls abthun, was die harte Wirklichkeit reinheitstolzen Seelen nicht gestatten will; ich habe gelernt, was es heißt: Selig sind die Demüthigen, und selig sind die Sanftmüthigen, die ohne Empörung ihr Schicksal aus den Händen Gottes entgegen nehmen, wie es ihnen gereicht wird, und wenn es auch nicht spiegelblank und glänzend rein ist vor den Augen der Welt, wie es ehrgeizige Tugend verlangt, um ihren Hochmuth zu nähren. O, es gibt auch eine Ascese in der Liebe, Maximilian, eine Ascese, wobei die Seele ihre theuersten Ansprüche, ihre süßesten Bedürfnisse zu opfern über sich bringt. Ja, Maximilian, ich habe viel gelernt, ich habe gefühlt, wie viel dunkler Tiefe sich birgt unter dem Leben, und dann wieder: welche lichte Höhen zu erreichen sind für die Liebe!

Maximilian drückte glühende Küsse auf ihre Hände.

Wie auch mein Schicksal fällt, Margarethe, ich bin jetzt versöhnt mit ihm! sagte er; ich bin selbst im Kerker glücklich!

Ich würde ihn mit dir theilen, keine Macht sollte mich von dir reißen – aber ich bin nöthiger für dich hier draußen in der Freiheit – ich raste nicht eher, als bis ich die Beweise schaffe, daß du schändlich hintergangen und betrogen bist!

Du wolltest das wirklich – trotz all der Gefahren – du wolltest es, Margarethe, du?

Gott wird mich geleiten. Sorge nicht um mich, Maximilian! Ich habe Freunde in Paris, die mir Adressen für Madrid verschaffen; dort finde ich ja auch deinen Gesandten. Und mit deinen Spaniern werde ich schon fertig werden: du sollst mich nicht umsonst ihre Sprache gelehrt haben! Mein treuer alter Jakob begleitet mich. In – in … wie heißt es?

Motril.

In Motril eile ich zum Alcalden. Es ist nicht möglich, daß er mir seine Dienste weigert: er muß den Todtenschein irgendwie eingetragen haben – du sollst sehen, ich kehre mit deiner vollen Rechtfertigung zurück – im Fluge, in deine Arme!

Maximilian hörte auf, sich dieser Zuversicht, diesem Eifer zu widersetzen. Er gab ihr Anhaltspunkte und eine Karte für Padre Torribio.

Sie warf sich noch einmal stürmisch an seine Brust, sie überließ sich noch einmal der vollen Leidenschaftlichkeit ihres Gefühles in einer Umarmung, als ob sie in ihm vergehen wolle – dann eilte sie rasch, das Gesicht mit dem Tuche verhüllend, auf demselben Wege, auf welchem sie gekommen, aus dem Raume – die Tapetenthür fiel zu, sie war verschwunden wie eine Erscheinung.



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