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Sechstes Kapitel.
Der Hohlspiegel.


Margarethe und Maximilian wurden mit einem wahren Jubel in Bursbeck aufgenommen. Der alte Raubritter versprach sich bei ihrem Anblick ein luftiges, humpenklingendes, die Reihe seiner eintönigen Tage unterbrechendes Fest; Frau von Bursbeck und ihre Töchter aber umringten Margarethen, die für sie ein Muster des guten Geschmacks, ein Spiegel feiner Weltsitte, ein Orakel vollendeter Bildung war, und die sicherlich eine ganze Ladung neuer Dinge aus den Gebieten der Mode, der neuesten Literatur und des allerfrischesten Klatsches bei sich führte!

Maximilian, so viel Anderes ihm auch zu sinnen und zu grübeln übrig geblieben, kam sich nun erst recht wie ein lächerlicher Phantast mit seinem jetzt ganz verschwundenen Argwohn gegen sie vor. Sah er sie doch in ihrer vollen Heiterkeit, mit einer Unbefangenheit, welche deutlich ein ungetrübtes Bewußtsein verrieth, sich unter diesen Leuten bewegen und sich mit der größten Anspruchslosigkeit und Anmuth in den Gedankenkreisen derselben ergehen, ohne nur einen Augenblick eine Ueberlegenheit geltend machen zu wollen, welche für ihre Gesellschaft etwas Drückendes gehabt hätte.

In Einem aber irrte Maximilian. Er täuschte sich sehr, wenn er Margarethen ganz rückhaltlos nur dem Verkehre mit ihren zuvorkommenden Wirthen hingegeben glaubte. Ohne daß er es ahnte, hielt sie ihn fortwährend im Auge, und es entging ihr keineswegs die Unruhe, welche ihn den ganzen Tag hindurch beseelte, hin und her trieb und oft die zerstreutesten Antworten auf die Reden des Freiherrn von Bursbeck, der nicht von seiner Seite wich, geben ließ.

Wennemar von Waterlapp hatte den Augenblick, wo die Seinigen vollauf damit beschäftigt waren, Maximilian und Margarethen zu begrüßen, schlau benutzt, um sich zu entfernen und draußen seinen Spanier zu erwarten, der denn auch nach sehr kurzer Zeit sich einstellte. Wennemar eilte, ihn in seine Wohngemächer zu führen. Er gab ihn bei den Domestiken, die ihn zufällig sahen, für einen Maler aus, der ihm ein altes Bild restaurire und der, um Zeit zu ersparen, nicht zu Tische zu kommen wünsche. Den Tag über verschwand Onkel Wennemar von Zeit zu Zeit, um nach den Bedürfnissen des arbeitenden Thaumaturgen zu sehen. Gewöhnlich flüsterte er dann bei seiner Rückkehr Maximilian ein paar Worte zu und zeigte nicht zu verkennende Spuren, daß er in einer überaus heiteren Stimmung, in einer über alle Begriffe angenehmen Aufregung sich befinde.

Was hat denn eigentlich Wennemar? fragte die Schwester des Historiographen, Frau von Bursbeck, endlich aufmerksam auf dieses erregte, trippelnde, unstäte Wesen – er ist ja so vergnügt wie ein Schüler, der morgen zum ersten Mal in die Ferien reist!

O, nichts, antwortete Wennemar, und schwang sich mit einem behenden Sprung auf eine Fensterbank, worauf er die Füßchen anzog und sehr graciös mit den Fersen auf den hölzernen Lambris unten trommelte – gar nichts, liebe Christine – es freut mich so, daß Maximilian und Margarethe da sind!

Ich will's euch sagen, half Maximilian dem Chronisten aus der Noth – er hat ein Capitel aus seiner Haus-Chronik fertig, und ich habe die feierliche Verpflichtung übernommen, heute Abend in seinen Thurm zu kommen und mir von ihm eine halbe Stunde lang vorlesen zu lassen.

Von allen Seiten wurde hiergegen Verwahrung eingelegt; der Freiherr von Bursbeck versicherte, es sei gar kein Styl und kein ordentlicher »Dictus«, wie er sich ausdrückte, in Dem, was Wennemar schreibe, Frau von Bursbeck behauptete, es sei so langweilig wie die epischen Gedichte des Herrn von R. – aber Maximilian betheuerte, er habe einmal sein Wort gegeben und sei nun doppelt entschlossen, es zu halten, um Onkel Wennemar für diese bitteren Verwundungen seiner schriftstellerischen Eitelkeit zu entschädigen, die er ihm, ohne es zu wollen, zugezogen!

Wie natürlich, wandte sich das Gespräch im Laufe des Tages auch auf den geheimnisvollen Bewohner, welcher sich im Schlosse Ruprecht Mildenfurth's aufhalte. Es war gegen Ende der Mittagstafel, als die Dame vom Hause die Unterhaltung auf diesen Gegenstand lenkte und damit das Zeichen zu einer Fülle von Mittheilungen gab, mit welchen man von allen Seiten Margarethen überschüttete, nachdem einmal das Eis gebrochen und die leicht erklärliche Scheu überwunden war, die man bisher gehegt hatte, in Gegenwart von Ruprecht's nächsten Angehörigen diesen Gegenstand zu berühren. Margarethe horchte gespannt zu. Sie warf zuweilen einen eigenthümlichen fragenden Blick auf ihren Gatten; stieg vielleicht gegen ihn ein Verdacht in ihr auf, weil er sie am Morgen abgehalten hatte, auch nur einen Versuch zu machen, ob Amalgunde ihren Besuch empfangen werde? Maximilian hielt es für seine Pflicht, seinen Oheim und dessen Schwester in Schutz zu nehmen; er erzählte deshalb, welche Erklärungen ihm Ruprecht Mildenfurth gegeben, und er hoffte so allen diesen, wie es schien, bereits so weit verbreiteten Sprechereien ein Ende zu machen. Aber es konnte ihm nicht entgehen, daß man seine Auflösung des pikanten Räthsels allgemein viel zu einfach fand; ein Mitglied der Gesellschaft machte diesen, das andere jenen Einwurf wider Maximilian's Erklärung, und als der Letztere dabei beharrte und sie vertheidigte, fiel ihm endlich Bursbeck ins Wort:

Es steckt etwas ganz Anderes dahinter, das könnt ihr mir glauben; ich habe einmal gerade so eine Geschichte in einem Buche gelesen – wie hieß das Buch auch noch, Christine?

Frau von Bursbeck erinnerte sich nicht, ihren Gemahl je über Bücherlesen ertappt zu haben.

Es ist auch einerlei, wie es hieß, aber es war von – nun, der Name des Menschen, der es geschrieben hatte, ist mir auch entfallen – aber es war ein Buch – richtig, es hatte einen Titel wie Weizen, oder Gerste …

Gedroschene Aehren und Halme vielleicht – fiel Margarethe ein – derartige Werke kommen jetzt viele heraus, lieber Vetter!

So? – es ist auch möglich – nun gut, darin kommt dieselbe Geschichte vor; eine reiche Rentner-Familie, die in einer großen Stadt erscheint und ungeheuren Aufwand macht; man glaubt, daß sie in den Colonien ganze Fürstenthümer besitzt oder mindestens eine Goldgrube in Peru; bei den Bällen und Abendfesten, die im Hause gegeben werden, taucht regelmäßig ein uraltes, geheimnißvolles, sehr geputztes Wesen auf, das nach Moderduft riecht und die Leute entsetzt, wenn es ihnen nahe kommt …

Ach! rief jetzt mit herzlichem Lachen Margarethe aus, das ist eine französische Geschichte, der Mensch, der sie geschrieben hat, heißt Balzac, und der Titel ist Sarazine!

Sarrazin – Buchweizen – richtig, ich wußte doch, daß es eine Getreideart war!

Nun, und wer war das geheimnißvolle Wesen? fragte die Frau vom Hause.

Nichts Anderes, antwortete der Freiherr von Bursbeck mit vergnügtem Schmunzeln, als ein ehemaliger Opernsänger, der all den Reichthum der Familie zusammengekratzt hatte, und zwar mit einer ganz merkwürdigen Sopranstimme – der Patron war ein …

Margarethe hatte erröthend Frau von Bursbeck einen Wink gegeben, diese hob rasch die Tafel auf, und die Frauen rückten die Stühle so geräuschvoll, daß sie den Anschein annehmen konnten, das verfängliche Wort, womit der Freiherr seine Geschichte schloß, nicht gehört zu haben.

Man begab sich nach der Tafel in den Garten hinunter, um in einer schattigen Laube den Kaffee einzunehmen; Wennemar aber benutzte diesen Augenblick und entfernte sich still, um einmal wieder nach seinem Spanier zu sehen. Er hatte sich kaum, den Schlangenwindungen eines Bosquetpfades folgend, den Augen der Gesellschaft entzogen, als sich ein leiser Schritt hinter ihm hören ließ und eine weiche Hand sich auf seinen Arm legte.

Ah, Margarethe! sagte er überrascht, aber geschmeichelt.

Lieber Vetter! begann sie, reichen Sie mir einen Augenblick Ihren Arm; lassen Sie uns hier im Schatten eine Weile auf- und abgehen – in all dem Gewirr der Unterhaltung über hundert Dinge kommt man nicht dazu, sich zu finden und einmal ruhig auszutauschen!

Sie haben Recht, Margarethe, liebe Cousine, antwortete Wennemar, strahlend vor Freude über die einschmeichelnde Freundlichkeit der jungen Frau.

Wollen Sie mich denn nicht diesen Abend mit anhören lassen, was Sie Maximilian vorzulesen versprochen haben?

Wennemar's Herz war nun gar durch diese Holdseligkeit ganz und vollständig gefangen … er hätte jetzt beinahe den spanischen Magier, auf dessen Kunst er sich so gefreut hatte, dahin, wo der Pfeffer wächst, gewünscht, um vor Margarethen seine Autorschaft leuchten lassen zu können!

Ach, das ist ja Ihr Ernst nicht, Margarethe! sagte er mit bewegter Stimme.

Doch, doch – ich komme – um Neun, nicht wahr?

Um Gottes willen nicht! versetzte Wennemar erschrocken.

Sie erschrecken? Also ich darf, ich soll nicht dabei sein? Ihr verbergt etwas vor mir – sprechen Sie, lieber Wennemar, was habt ihr eigentlich vor?

War Wennemar eben roth geworden aus Freude, so war er es jetzt aus Verlegenheit; er suchte eine Weile vergeblich nach einer Ausrede und stammelte endlich:

In der That, nichts Anderes, als was Maximilian sagte – aber Ihre Anwesenheit, Cousine – offen gestanden, es handelt sich um eine Episode meiner Chronik, welche nicht für Frauenohren ist!

Schelm, Schelm! sagte lächelnd und mit dem Zeigefinger drohend Margarethe; wie vergnügt er ist, daß er diese prächtige Ausflucht gefunden hat!

Keine Ausflucht – in der That … stotterte Wennemar.

Ich bitte Sie, seien Sie still, Bösewicht, ich glaube Ihnen keine Sylbe mehr! antwortete Margarethe und ging eine Weile schweigend neben ihrem kleinen Cavalier her.

Wennemar, hub sie dann wieder an, haben Sie denn nicht so viel Freundschaft mehr für mich, um offen gegen mich zu sein? Ich muß Ihnen gestehen, es kränkt mich, daß Sie es über sich vermochten, mit Maximilian wider mich zu complotiren.

Margarethe, ich bitte Sie …

Still, still, vertheidigen Sie sich nicht! Wennemar, ich stehe einer Krisis in meinem Verhältnisse zu Maximilian nahe; mein Mann ist im Begriff, mir sein Vertrauen zu entziehen – geschähe es wirklich und in dem Umfange, wie es mir leider bereits der Fall zu sein scheint, es wäre der Tod für unsere Ehe; wenn der Mann der Frau nicht mehr vertraut, so ist das ein Beweis, daß er sie nicht mehr achtet – und eine Ehe ohne meines Gatten volle Achtung – zu der wird sich Margarethe Gräfin von Wartenstein nun und nimmermehr herablassen!

Aber, um Gottes willen, Sie nehmen eine unbedeutende Sache so ernst und tragisch, Margarethe, als wenn …

Als wenn es sich um die wichtigsten Dinge handelte? Darum handelt es sich auch, mein Freund, es handelt sich um mein Lebensglück. Glauben Sie, ich sähe nicht? Halten Sie den Scharfsinn einer Frau, welche liebt, für so gering, daß sie blind für Dinge ist, wie sie gestern und heute mir entgegengetreten sind? Maximilian's plötzliches Auf- und Davongehen, seine Rücksichtslosigkeit dabei gegen mich, seine Weigerung, mich die Verwandten in Mildenfurth begrüßen zu lassen, dieser Spanier mit dem Galgengesichte, – erklären Sie mir nur das Eine, wer ist dieser Spanier, der euch diesen Morgen in dem Augenblick verließ, als ich zu euch trat, der jetzt in Ihrer Wohnung »Bilder restaurirt«, wie Sie vorgeben und der dabei so fleißig ist, daß er gar nicht mehr zum Vorschein kommt? … und dann Ihre und Maximilian's Aufregung – o, es geschieht Etwas, das vor mir verborgen wird, wobei ich getäuscht werde – aber, bei Gott, Wennemar, ich lasse mich nicht täuschen, ich will Alles wissen, durch Sie will ich Alles wissen, oder ich bin eine unglückliche Frau für ewig!

Wennemar war außer sich gerathen bei diesen Worten der schönen jungen Frau, die ihre Erregung nicht mehr zu verbergen suchte und in deren Wimpern eine Thräne perlte.

Aber, mein Himmel, Margarethe, meine liebe Cousine! sagte er, woher soll ich Worte nehmen, um Ihnen den Ungrund Ihres Argwohns darzuthun? – Ich will gleich mit Maximilian reden, er wird …

Nichts davon – Sie, Sie selbst sollen offen gegen mich sein, damit ich Maximilian bestrafen und für seine Heimlichkeiten beschämen kann!

Der ehrliche Chronist, dem so alle Ausflüchte abgeschnitten waren, stand eine Weile in heftigem Kampfe mit sich selber. Endlich hatte er ein Auskunftsmittel gefunden, mit dem er sein Gewissen beruhigte, während er erweicht nachgab und das Schweigen brach, welches er Maximilian gelobt hatte.

In der Gemüths-Verfassung, in welcher Sie sind, Margarethe, sagte er, bleibt mir nichts übrig, als Ihnen die ganze Wahrheit zu gestehen; ich glaube, es ist das meine Pflicht, um ein trauriges Zerwürfniß zu verhüten. Sie sollen sehen, wie ungegründet, wie lächerlich all Ihr Verdacht wider den guten Maximilian ist. Der Spanier hat sich erboten, uns diesen Abend, wenn die Dunkelheit eingetreten, im »Hohlspiegel«, wie er es nennt, sehen zu lassen, wer eigentlich der Fremde auf Mildenfurth ist. Um uns von seiner Kunst zu überzeugen, will er auch Scenen und Gestalten aus Maximilian's früherem Leben herauf beschwören; wir haben beschlossen, die Sache für uns zu behalten, um nicht vom Zudrang Aller gestört zu werden – das ist das ganze Geheimniß.

Das ist Alles? Und weshalb durfte ich das nicht wissen? Sind Sie auch jetzt wahr, wo Sie zu bekennen scheinen? Ich will es glauben – aber, Wennemar, ich will dabei sein, ohne daß Maximilian mich sieht.

Das ist unmöglich; die Anwesenheit von zwei Personen, wo er nur Eine erwartet, kann ihm nicht verborgen bleiben.

Ich will an Ihrer Stelle dabei sein!

An meiner Stelle? Aber ich möchte für mein Leben gern …

Wennemar, habe ich Ihnen umsonst mein Herz ausgeschüttet – habe ich Ihnen umsonst gesagt, was für mich auf dem Spiele steht?

Dem guten Chronisten war zu Muthe wie einem Kinde, welches sich auf ein Fest gefreut hat und nun plötzlich verurtheilt wird, zu Hause zu bleiben. Aber der liebenswürdigen jungen Frau war nicht zu widerstehen. Er mußte sich fügen. Sobald Maximilian's ganze Aufmerksamkeit von den Phantasmagorien des Spaniers in Anspruch genommen worden, sollte Wennemar, so ward verabredet, aus dem Zimmer schlüpfen, Margarethen seinen Mantel und seinen Sommerhut mit dem breiten Rande geben und sie dann an seiner Statt eintreten und seinen Platz hinter Maximilian einnehmen lassen. Margarethe versprach dagegen, dem guten, aufopfernden Vetter Alles haarklein zu erzählen, was sie sehen würde, und schüttelte ihm dankbar gerührt die Hand.

Der Abend kam endlich herbei; man hatte im Freien unter der Ulme im Hofe zu Nacht gegessen, der Freiherr von Bursbeck zeigte Spuren von Müdigkeit und Schlaf … er wich dem Gotte, dem er heute so fleißige Libationen dargebracht. Frau von Bursbeck nahm Margarethe unter den Arm, um mit ihr in den Anlagen an dem Weiher spazieren zu gehen, auf den der Mond seine ersten Strahlen warf und in dessen stahlblauer Fläche der Himmel seine phantastisch geformten und gefärbten Abendwolken spiegelte. Wennemar gab Maximilian einen Wink, Beide entfernten sich; der Vorwand, den der Letztere erfunden, war vortrefflich: Niemand von den Bursbecks hatte die geringste Lust, ihnen neugierig zu folgen!

Zu der Wohnung Wennemar's gelangte man durch eine Art Paß, den die Ecke des Herrnhauses von Bursbeck und die Ecke des zunächstliegenden Oekonomie-Gebäudes bildeten. – Man kam durch diese Lücke im vollständigen Abschlusse des Hofes, auf einen feuchten Platz vor einem an die Rückseite des Herrnhauses sich anschließenden Thurme. Eine dichte Gruppe von Edeltannen beschattete diesen Raum, auf welchem ein kränklicher, dürftiger Rasen um sein sonnenloses Dasein mit den aufschießenden Nesseln und den niederfallenden dürren Nadeln der Bäume kämpfte. Durch eine schmale Thür mit gothischem Bogen unten im Thurm und über eine Wendelstiege gelangte man auf einen Vorplatz, dann in ein großes, rundes Thurmgemach, das nach zwei Seiten Fenster, im Hintergrunde, dem Eingang gegenüber, eine breite Glasthür hatte, die zu einem Alkoven führte, in welchem Onkel Wennemar sein viel angestrengtes Haupt nach des Tages Mühsal zur Ruhe zu legen pflegte.

Als Maximilian in den runden Saal eintrat, konnte er nicht läugnen, daß seiner Spannung ein unheimliches Gefühl, etwas Drückendes und Beklemmendes sich beimischte. Er war weit entfernt, sich einzugestehen, daß er irgend Glauben an die übernatürliche Macht des Hohlspiegels und die Verheißungen des Spaniers hege; und doch lag es wie eine Gewitterschwüle auf ihm, und ihm selbst vielleicht unbewußt schwebte schon jetzt jener Geist der Niedergeschlagenheit über ihm, der in uns einzieht, wenn wir gezwungen werden, einer in unserer Brust begraben liegenden Vergangenheit wieder ins Auge zu sehen, und wenn wir dann so wenig mehr darin finden als gestorbene Hoffnungen und verflogene Illusionen, so viel des Verlorenen gegen so wenig, was gewonnen ist!

Die Blenden der Fenster waren dicht geschlossen, nur die eine war so weit geöffnet, daß eine dürftige Dämmerung von Licht in den Raum fiel. In diesem grauen dünnen Lichte sah Max von Rauschenloo Anfangs nichts als den unheimlichen und – wie es jetzt schien – todtenfahlen Kopf des Spaniers, mit seinem hohen, spitzen, kurzgeschorenen Schädel und seinen stahlscharfen Zügen. Hinter ihm deckte ein in schweren Falten niederfallender Vorhang die Alkoventhür; rings an den Wänden umher tauchten nach und nach in dem Maße, wie die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, allerlei fremdartige Gestalten und Formen in bizarren Umrissen auf; es waren die zahlreichen Gegenstände und Werkzeuge, welche der wackere Haus-Chronist bei seinen geheimen alchymistischen Anstrengungen um den Stein der Weisen und das »philosophische Werk« zu Hülfe rief.

Als die beiden Männer eintraten, legte der Spanier den Finger auf die Lippen. Dann nahte er sich Maximilian, legte seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes und führte ihn an eine Stelle, etwa zwei Schritte von dem Vorhang entfernt, wo er auf den Boden deutete. Maximilian erkannte, daß er innerhalb eines mit starken Kreidestrichen gezeichneten Kreises stand, der von magischen Figuren gebildet wurde.

Bleiben Sie hier stehen, ohne sich zu regen, flüsterte Don Henrique Valderrama, lassen Sie kein Wort über Ihre Lippen kommen und überschreiten Sie diesen Kreis nicht ohne mich! –

Dann setzte er in spanischer Sprache hinzu:

Genehmigen Sie, daß Ihr Freund, der kleine Senhor dort, zugegen bleibt und Zeuge Dessen ist, was Ihnen der Hohlspiegel zeigen wird?

Es wäre zu grausam, ihm die Lösung des Geheimnisses, das Sie uns enträthseln wollen, vorzuenthalten … und was Sie uns aus meiner Vergangenheit zeigen werden, das – fuhr Maximilian, mit einem gewissen Stolze fort – darf mein guter Freund Wennemar sehen.

Dies schien dem Spanier unangenehm; er machte Einwürfe, aber Maximilian bestand auf seinem Entschluß und so sagte jener endlich:

Wie Sie wollen! und führte nun auch den vor Aufregung zitternden Wennemar in den Kreis, empfahl ihm Dasselbe, was er Maximilian geboten, und ging, den noch offen gebliebenen Theil der einen Fensterblende zu schließen. Die tiefste Finsterniß herrschte jetzt. Kein Laut wurde mehr vernehmbar. Der Magnetiseur schien sich aus dem Gemache entfernt zu haben und hinter dem Vorhang verschwunden zu sein.

Nach einer Pause wurde ein leises Rauschen wie eines Stoffes hörbar; ein rother Lichtstrahl fiel den Harrenden entgegen und vergrößerte sich in dem Maße, wie die Falten des Vorhangs sich in der Mitte öffneten und nach beiden Seiten hin vor einer runden, nicht großen Glasscheibe zurückschoben, welche Maximilian gerade gegenüber, in der Höhe seines Auges sichtbar wurde, ohne daß er auf der Stelle entdeckt hätte, worein diese Scheibe gefaßt sei und wie sie gehalten werde; denn das plötzliche Licht hatte ihn geblendet.

Gleich darauf jedoch nahm er Umrisse und Farben in oder hinter dem Glase wahr; es waren Häuser, Menschen, eine ganze Landschaft, welche wie aus einem Nebel auftauchte und sich nach wenig Augenblicken zu einem festen Bilde gestaltet hatte. Maximilian sah eine südliche Landschaft sich vor seinen Augen ausdehnen; er sah sich nach Spanien versetzt. Den Horizont nahmen die rothbraunen, am Fuß bewaldeten, aber oben unbeschreiblich öden Höhen einer Gebirgswelt ein, die wie eine ausgebrannte und in Schutt versunkene Schöpfung dalag, ein gigantisches Chaos, aus dessen wüster Physiognomie etwas von der Hölle sprach, bis in welche hinunter seine Grundpfeiler reichen mußten, und etwas vom Himmel, in den empor seine nackten Jacken ragten. Nur hier und da hatte eine kecke Schar von Bäumen auf den dürren Halden und am Rande der Schluchten sich trotzig einen Platz für ihre Vegetation erobert; über ihnen und wie mitten aus ihren Wipfeln aufsteigend ragten schroffe Felsmauern empor, die hohen und stolzen Schlössern glichen und welche die Phantasie zu Burgen aus der Maurenzeit voll morgenländischer Pracht umschaffen konnte, die irgend ein alter Zauberer in Felsgestein verwünscht, um ihre Schätze nicht in die Hände der habgierigen Christen fallen zu lassen.

Vor diesem Hintergrunde jedoch füllte ein lachendes, offenes Stromthal die Mitte des Bildes, und während links sich das Thor einer Stadt mit einem großen maurischen Bogen zeigte, lag rechts zwischen Reben und über Garten-Terrassen thronend, auf denen eine üppige Fülle tropischer Gewächse wucherte, ein kleines weißes Landhaus, dessen niedriges Dach weit über die blanken sonnigen Mauern vorsprang. Durch das Thor zur Linken sah man in das Innere einer kleinen spanischen Stadt, mit getünchten Hausfronten, die von wenigen vergitterten Fenstern durchbrochen waren, mit den offenen platt abgestumpften Glockenthürmen, den stattlichen Kloster-Façaden und den Gartenmauern, über welche der Johannis-Brodbaum, die Banane und die hohe Palme nickten.

Mehr als dies Alles jedoch fesselte die Blicke eine Gruppe von lebenden Wesen, die rechts in dem Bilde oder der Vision, wie man es nennen will, unterhalb des Landhauses sichtbar war. Auf einem gelben kiesigen Wege, welcher von einem Hügel herab, an dem ebenfalls hoch liegenden Landhause vorüber sich nach dem Stadtthor hinzog, lag ein zusammengestürztes Roß, ein edles Thier, Hals und Kopf erhebend und, wie es sich aus der Spannung der Nüstern, aus dem vorquellenden Auge entnehmen ließ, vom entsetzlichsten Schmerze gepeinigt; ein Blutstrom floß aus seinem Munde in den Sand nieder. Rechts, verzweifelnd über den Untergang des herrlichen Pferdes, stand der Besitzer, und dieser Besitzer, das war unverkennbar, Wennemar sah es an Maximilian's Schulter vorbei auf den ersten Blick, war Niemand anders als dieser, Maximilian von Rauschenloo selber.

Aber noch eine menschliche Gestalt zeigte sich auf dem Bilde: eine feine Frauengestalt, ganz schwarz gekleidet, die schwarze Mantille ums Haupt, stand neben dem Pferde und tauchte vorsichtig vorübergebeugt, um nicht von den heftigen Bewegungen des von Schmerz zur Raserei gestachelten Thieres getroffen zu werden, ein weißes Tuch in das niederlaufende Blut.

Maximilian entfuhr, trotz der Anweisungen des Nekromanten, ein Ausruf des Erstaunens und der Ueberraschung, sobald er diese Gruppe wahrgenommen hatte. In demselben Augenblicke aber, wo dieses heftige »Ach« über seine Lippen kam, rollten die Falten des Vorhangs zusammen, das Bild verschwand, und volle Finsterniß umgab die beiden Schauer.

Um Gottes willen … du hast es zerstört! flüsterte Wennemar vorwurfsvoll – ich habe beinahe nichts gesehen …

Still, still, beschwichtigte Maximilian seinen Gefährten, denn er hörte das Rauschen des Vorhanges wieder. Doch war es dieses Mal eine Täuschung; mehr als fünf Minuten ängstlichster Spannung vergingen, bevor der Lichtstrahl aufs Neue aufblitzte und die erleuchtete Scheibe Maximilian, der gierig seine Blicke hineinsenkte, ihre rothe Gluth entgegenwarf.

Diesen Augenblick benutzte Wennemar: er gewann mit brechendem Herzen einen heroischen Entschluß über sich und verschwand unhörbar von der Seite seines Freundes. Wenige Augenblicke nachher stand Margarethe verhüllt, hinter ihrem Gatten.

Auch das zweite Bild löste sich nur allmählich aus einer gewissen nebelhaften Unklarheit los; es zeigte dann eine ganz reizende Composition – das Innere, den Hof eines spanischen Landhauses nämlich. Vorn führten aus einer auf schlanken Säulen ruhenden Halle Marmorstufen in den Hof hinab, der rechts, im Hintergrunde und links von Arcaden, denen der vorderen Halle gleich, umschlossen war. In der Mitte erhob sich ein mächtig aufsteigender hoher Springbrunnen, der ganze Schauer feiner Tropfen über das Bouquet von blühenden Stauden und farbenprangenden Gewächsen ausstreute, welches sein rundes Bassin umgab. In den Ecken des Hofes hoben sich prachtvolle tropische Pflanzen in unbezähmbarer Ueppigkeit, pyramidenförmig geordnet, bis zum flachen, mit einer zierlich durchbrochenen Galerie gekrönten Dache empor; riesige Bananenstauden, gelbgrüne Aguacatas, purpurne Erythrinen und eine Fülle anderer Gewächse hatten ihren ganzen Farben- und Formenreichthum entfaltet, um diesen poetischen Aufenthalt zu schmücken; gegen die Strahlen der Sonne schützte ein über den ganzen Hof gezogenes Dach von roth und weiß gestreifter Leinwand. Rechts im Vordergrund befand sich die Staffage. An einem Tische, der mit Büchern und Schreibzeug bedeckt war, auf einem Divan, saß ein junger Mann … es war derselbe junge Mann, dem das zusammengestürzte Pferd angehörte, es war Maximilian; er saß das Haupt vorübergebeugt, denn vor ihm kniete die Spanierin, die Hände über seinem Knie gefaltet, das schöne Antlitz zu ihm mit leuchtenden Blicken emporgehoben.

Es wurde ein lautes kurzes Athmen neben Maximilian hörbar. Der Letztere war dieses Mal stumm wie eine Leiche. Das Bild verschwand beinahe so rasch wie das erste; dagegen währte die Pause bis zum nächsten weit kürzere Zeit; der Vorhang rauschte auf, und nach wenigen Augenblicken rann in dem Hohlspiegel ein Bild zusammen, welches in einem schroffen Gegensatze zu dem vorigen stand.

Man sah das Innere eines Krankenzimmers; herabgelassene grüne Rouleaux hatten ein gedämpftes Licht hervorgebracht; der mäßig große Raum verrieth Geschmack und Eleganz, wenn auch nicht Luxus; an der Wand im Hintergrunde hing ein Portrait, welches einen Greis in Uniform darstellte, aber mit einem schwarzen Flor überzogen war. Rechts im Mittelgrunde befand sich ein Tisch mit weißer Decke, ein großes Crucifix, von brennenden Kerzen auf silbernen Armleuchtern umgeben, darauf, und vor demselben, zu den Füßen des Gekreuzigten, ein großes geöffnetes Buch. Zwischen dem Tische und dem Krankenbette stand ein Priester im kirchlichen Ornate, ein paar Männer und eine ältliche Frau hinter ihm. Reichte man einem Sterbenden hier die letzten Heilsmittel der Kirche? –

Nein, denn der oder die Kranke saß im Bette aufgerichtet, geschmückt, einen vollen Kranz von Myrten im dunkeln Haar; sie hielt ihre rechte Hand ausgestreckt, und ein junger Mann hielt diese Hand mit der seinigen umfaßt, und der Priester hatte eben seine Stola um die beiden Hände geschlungen … es war eine Trauung! Die Kranke zeigte blasse, vergeistigte, aber nicht von Leiden entstellte Züge; und diese Züge waren wohl erkennbar – es war das Antlitz der Spanierin, welche ihr weißes Tuch in das Blut des Pferdes getaucht hatte, derselben Spanierin, welche in dem Innern des blumengeschmückten Hofes die Kniee des jungen Mannes umschlossen hatte; und der, welcher vor ihr kniete und den der Priester mit ihr unauflösbar vereinigte, war … war Maximilian von Rauschenloo!

In dem Augenblicke, wo dieses Bild ganz sichtbar und in allen seinen Theilen fest und deutlich wurde, vernahm Maximilian, dem bei dem Anblick desselben alles Blut zum Herzen zurückgetreten war und dem die dicken Tropfen kalten Schweißes auf der Stirn perlten, einen leisen, kurz ausgestoßenen, unheimlichen Schrei, wie eines tiefen unterdrückten Schmerzes.

Was ist das, Wennemar? bist du's? flüsterte er. Er erhielt keine Antwort.

Maximilian glaubte noch einmal ein tiefes Athmen, etwas wie ein Rauschen zu vernehmen, aber dieses Rauschen konnte auch das des Vorhanges vor dem Hohlspiegel gewesen sein; denn der Vorhang blieb, nachdem er sich eben geschlossen, in Bewegung und fuhr nach wenig Secunden wieder in der Mitte aus einander. Maximilian wollte jetzt bei dem rothen Licht, das aus der freiwerdenden Glasscheibe quoll, sich umsehen und forschen, wo Wennemar geblieben und ob dieser den Schrei ausgestoßen; aber zu solcher Untersuchung verging ihm im nächsten Augenblicke die Fähigkeit, denn beinahe im selben Moment hatte sein Blick auch den Hohlspiegel gestreift, und das Bild, welches sich hier eben zur Klarheit gestaltete, hatte alle seine Sinne unterjocht.

Er sah in das Innere eines geräumigen Gemaches, gewölbt, achteckig, mit einem umfangreichen Kamin im Hintergrunde, rechts und links schmale Fenster, mehr nach vorn rechts ein breiter Erker. Dem Erker gegenüber, auf einer Erhöhung, stand ein großes altkränkisches Bett mit einem Thronhimmel von weißen und grünen Draperieen und einer schwer aus Holz geschnitzten Krone als Träger darüber. Auf dem Rande des Bettes saß die Spanierin, dieselbe, welche der Mittelpunkt der vorhergehenden Bilder war, unverkennbar dieselbe, obwol man nur das Profil ihres Gesichtes erblickte, welches sie mit Zügen, in denen tiefer Kummer zu liegen schien, dem Himmel zuwandte, der durch das geöffnete Erkerfenster hereinleuchtete. Zu ihren Füßen lag eine spanische Guitarre.

O Gott im Himmel – das ist das Erkerzimmer im alten Bau zu Mildenfurth! … stöhnte Maximilian bei diesem Anblick wie aus tiefster, wie aus einer unter ungeheurer Last erstickenden Brust …

Manuela, Manuela! schrie er dann laut, und wie ein Rasender wandte er sich, schleuderte die Gestalt, die hinter ihm stand, zur Seite und wollte davon stürzen. Er erreichte die Thür in demselben Augenblick, in welchem der Vorhang vor dem Spiegel zugezogen wurde. Der runde Saal kehrte sogleich in plötzliche, völlige Dunkelheit zurück. Maximilian schien dadurch wie von seinem Vorsatze abgewendet und einem anderen Entschlusse zugedrängt zu werden. Er riß eine der Fensterblenden auf; das Mondlicht goß eine dämmerige Helle in den Raum. In demselben Augenblicke trat der Spanier seitwärts hinter dem Vorhange hervor. Maximilian sprang auf ihn zu, faßte ihn an der Brust, als ob er ihn erdrosseln wolle, und rief ihm mit zitternder Stimme entgegen:

Was war das? ist das Wahrheit, Mensch, oder willst du mich höhnen?!

Senhor Rosoglio, sagte Don Henrique de Valderrama, den Wüthigen abschüttelnd und mit einer Ruhe, die diesem stürmischen Ausbruch von Leidenschaft gegenüber etwas Tückisches hatte – Senhor Rosoglio, ich weiß nicht, was Sie von mir wollen! Ich habe für Sie gearbeitet, ganz allein Ihnen zu Liebe, Sie haben geschaut … was Sie geschaut haben, das ist mir verhüllt geblieben; denn ich habe nicht neben Ihnen gestanden, ich habe nicht in den Spiegel geblickt!

Gaukler! schrie Maximilian außer sich, und dann wandte er sich, um hinaus zu stürzen. Aber ihm in den Weg trat Wennemar; er wies gebückt auf einen am Boden liegenden Gegenstand – es war eine weibliche Gestalt.

O du mein Gott! stammelte Maximilian und warf sich auf die Kniee neben der Gestalt nieder, bedeckte ihre kalte, feuchte Hand wie wahnsinnig mit Küssen und rief:

Margarethe, Margarethe! o, welches Schicksal! und dann sprang er auf und preßte, zu Wennemar gewendet, die Worte heraus:

Hilf der Ohnmächtigen, rufe die Frauen herbei; aber schweige, schweige, ich muß fort, ich muß zu Manuela – ich muß wissen, ob ich von einem Teufel geäfft wurde oder ob dies Wahrheit ist!

Er stürzte zur Thür hinaus.

Wennemar folgte ihm auf dem Fuße, um Hülfe herbei zu schaffen. Nur der Spanier blieb zurück. Dieser holte aus einer Ecke seinen Mantel herbei, raffte einige Gerüche zusammen, die er in den Falten seines Ueberwurfs verbarg, dann trat er neben die leblos daliegende Gestalt Margarethens und blickte mit untergeschlagenen Armen auf sie nieder.

Die hab' ich nicht erwartet – das ist schlimm! sagte er für sich, aber ein dämonisches Lächeln glitt dabei über das hagere Gesicht, über dieses Antlitz, dessen Haut so trocken gespannt an den Knochen des Schädels zu haften schien, als ob sie von einem Feuer im Innern ausgedörrt worden. Das Mondlicht machte diese Züge und die ganze Gruppe mit der todtenbleichen, bleifahl aussehenden, ohnmächtigen Frau unbeschreiblich unheimlich – es war wie ein Bild des Mephistopheles an der Leiche eines Gretchens.

Nur einen Augenblick stand er so; dann schritt Don Henrique unhörbar hinaus, die Schneckenstiege hinab, und unaufgehalten, unbemerkt gelangte er ins Freie. Er vermied, über den Hof zu gehen; durch die Schatten der Edeltannen hinter den Stallgebäuden her glitt er lautlos; am Weiher angekommen, warf er mehrere dunkle Gegenstände, welche die Finsterniß nicht erkennen ließ, in die Mitte des Wasserspiegels – sie sanken augenblicklich – und dann verschwand der Spanier im Dunkel der Nacht.

Maximilian hatte sich unterdeß die Treppe hinab in den Hof gestürzt, hatte Diener herbei gerufen, nach seinem Pferde geschrieen, und darauf, bevor noch einer der Knechte mit dem Reitzeug sichtbar geworden, hatte er seinem Rosse den ersten, besten Zaum übergeworfen und war auf dem ungesattelten Thiere durch die Nacht davon gesprengt, der Chaussee und, dieser folgend, Mildenfurth zu. Er war ohne Hut, der durch die reißend schnelle Bewegung aufgewühlte Luftzug warf ihm sein Haar flatternd ums Haupt. Dieses frische Windesrauschen und die heftig schüttelnde Bewegung thaten ihm wohl; sie beruhigten etwas das furchtbare Hämmern in seiner Brust, welches so stark war, daß er seine Halsbinde hatte losreißen müssen, um nicht zu ersticken.

Obwol sein Renner die Wegstrecken zu verschlingen schien, war es ihm doch, als sei die Strecke von Bursbeck nach Mildenfurth an Länge verzehnfacht, und als er dann endlich den Eingang zu der großen Eichen-Allee erreicht hatte, da fand er obendrein noch hier das Gitterthor verriegelt – er hätte verzweifeln mögen über dieses Hemmniß. Das Gitterthor war in Mauern eingesetzt, die rechts und links sich an hohe, um den Park und die Gärten laufende Dornenhecken schlossen. Maximilian mußte sich entschließen, über eine solche Hecke zu klettern; er that es – in wenig Augenblicken – aber er kam auf dem Boden jenseits mit blutender Stirn und blutenden Händen an.

Jetzt war nur die Allee noch zu durcheilen – das Gitterthor vor dem innern Schloßhofe von Mildenfurth stand offen, er eilte hindurch, zur Brücke, die in der Freiin Amalgunde Wohnung führte – eben war der alte Diener hier auf die Schwelle der Thür getreten, um sie zu schließen; Maximilian schob ihn bei Seite, ohne auf seine Ausbrüche von Verwunderung und Schrecken zu antworten, und flog die Treppen zu Tante Amalgundens Zimmer hinan. Zu seinem Glück kannte er jeden Winkel in diesem Hause, er hätte sonst auf den düstern Treppen-Absätzen und auf den Vorplätzen sich den Kopf einrennen müssen.

Als er die Flügelthür weit aufwarf und in das Zimmer stürmte, wie hineingeschleudert, stießen der Freiherr Ruprecht und seine Schwester, die Beide wegen des ungewöhnlichen Geräusches gespannt die Augen der Thür zugewendet hatten, fast zusammen einen lauten Schrei der Ueberraschung aus.

Maximilian! – Sei ruhig, Amalgunde, es ist Maximilian! rief der Freiherr von Mildenfurth, trat seinem Neffen entgegen und sagte, während er fest seinen Arm umklammerte:

Mensch! was ist dir? was willst du?!

Amalgunde fiel mit geschlossenen Augen in den Sessel zurück; der Anblick ihres Neffen mit offener Brust, mit flatternden Haaren, mit blutigen Striemen über der Stirn hatte sie einer Ohnmacht nahe gebracht.

Oheim, lassen Sie mich! rief Maximilian weiter drängend aus, lassen Sie mich, oder ich werfe Sie über den Haufen – in den alten Bau will ich, zu Manuela will ich, ich will sehen, ob sie lebt oder ob eine verruchte Gaukelei ihr Spiel mit mir treibt!

Ha, so hast du es dennoch erfahren! so war Alles umsonst? sagte mit den Zähnen knirschend Ruprecht Mildenfurth und schleuderte den Arm seines Neffen, den er gefaßt hielt, weit von sich fort, als wolle er seine Wuth dadurch ausdrücken – ja, sie lebt, sie lebt, deine Manuela!

Es wäre unmöglich, den Hohn und die tiefe Bitterkeit, womit der alte Edelmann diese Worte: deine Manuela! aussprach, wiederzugeben.

Maximilian ergriff einen Leuchter mit brennendem Licht vom Tische, und dann verschwand er durch die Thür, durch welche wir am gestrigen Abende den geheimnißvollen Plagegeist der beiden alten Leute eintreten sahen. Er eilte über einen langen Corridor, dann über eine kleine Treppe in einen schmalen Gang, dessen Gebälke unter seinen raschen Schritten ächzte – es war die »Seufzerbrücke«, welche aus Amalgundens Gemächern in die des alten Baues hinüber führte. Noch eine Galerie, worin der Schein der flackernden Kerze über eine Reibe dunkler, wie von Zorn und Trotz verzogener Köpfe zuckte, die von den Wänden auf den Sprossen ihres Geschlechts niederblickten – und Maximilian stand in dem achteckigen gewölbten Gemache mit dem Erker und dem Himmelbette; es war der Raum, dessen Bild der Spanier gezeigt hatte und der als Gastzimmer für geehrte Fremde auf Schloß Mildenfurth diente.

Es war tief dunkel in dem Saale; Maximilian hob sein Licht hoch in die Höhe: er senkte seine Blicke so weit wie möglich in jeden dunkeln Winkel, aber er erblickte kein menschliches Wesen, Niemanden als sich selber in dem großen Trumeau-Spiegel, sich, mit dem blassen, blutigen Gesichte – es erfaßte ihn selbst ein tiefes Grauen vor dieser Gestalt, er wandte sich ab, schlug die Vorhänge des Bettes zurück, er rief leise, dann laut, dann beinahe schreiend:

Manuela! – Manuela! – Manuela!

Aber Niemand war zu finden, Niemand antwortete ihm.

Auf der halbrunden Marmorplatte vor dem Spiegel stand eine Blume. Maximilian streifte mit einem Blicke darüber hin: es war eine eben in voller Blüthe aufflammende, strahlende Königin der Nacht.

Wankenden Schrittes, wie innerlich gebrochen, kehrte Maximilian zu dem Zimmer Amalgundens zurück. Die beiden alten Leute saßen sich schweigend gegenüber; ihre grauen Häupter waren von der Last eines unsäglichen Schmerzes niedergedrückt.

Wäre, ehe dieser Mensch geboren wurde, ich in die Grube gefahren und der zerbrochene Schild von Mildenfurth mir nachgeschleudert worden! … Gottes Barmherzigkeit hätte so viel Gunst für mich haben können … sagte der alte Edelmann, und ein feuchter Glanz kam in seine grauen Wimpern; vielleicht die erste Thräne, die er geweint, seit die Jahre der Kindheit hinter ihm lagen; die Thräne, welche kein Schmerz des Lebens ihm hatte auspressen können, die vielleicht nicht auf den Sarg seines Vaters gefallen war – er weinte sie bei dem Gedanken an die Schande Dessen, der einst seinen Schild führen und seinen Namen auf die Nachwelt bringen sollte.

Wir haben Gottes Barmherzigkeit nicht verdient, Ruprecht, flüsterte Amalgunde im Tone tiefster Seelenzerknirschung; wir haben sie nicht verdient – es war unsrer nicht würdig, das Unrecht hehlen zu wollen und uns dadurch zu Mitschuldigen daran zu machen – darum ist vergebens gewesen, was wir gesorgt, uns abgeängstigt, uns gemüht haben, all die Noth, all der Kummer! Alles, Alles vergebens!

Maximilian kam zurück.

Es ist nicht wahr – sie ist nicht da! sagte er über die Schwelle tretend – sie ist nicht da! und in dem Tone, womit er dies sagte, lag etwas wie eine Hoffnung.

Ruprecht Mildenfurth sah ihn stier an, ohne zu sprechen, Amalgunde versetzte leise:

Mach dir keine Hoffnungen; sie lebt, sie war da; sie ist fort, sie ist ohne Abschied und plötzlich von uns gegangen, wie sie ohne Botschaft und plötzlich gekommen.

Maximilian fiel kraftlos in einen Sessel. Amalgunde sah, daß er nahezu vernichtet war; aber ihr Herz war zu voll, sie konnte ihm ihre Vorwürfe nicht ersparen. Er ließ sie eine Weile sprechen, ohne ihr zuzuhören. Dann sagte er ihr:

Aber wenn sie zu euch kam, im Wahne, hier mich, ihren Gatten, zu finden, weshalb verbargt ihr es mir? Ich hätte sie gesehen, ich hätte mich vor ihr rechtfertigen können, ich hätte von ihr Winke zur Erklärung des abscheulichen Spieles, das mit mir getrieben wurde, erhalten, ich hätte mit ihr über unsere Lage gesprochen, wir hätten eine Lösung, eine Rettung aus diesem schrecklichen Abgrunde gefunden …

Eine Lösung? wiederholte Amalgunde … als ob es eine Lösung, eine Befreiung aus solcher Lage gäbe, als ob noch eine Rettung möglich wäre, wenn der Schlag des Verderbens gefallen ist und uns in eine bodenlose Tiefe des Elends geschleudert hat! Als sie einmal da war, mit den Beweisen, daß sie dein Weib sei, in der Hand, was konnten wir da Anderes thun als sie kniefällig bitten, um deinetwillen auf dich zu verzichten, in ihre Heimat zurück zu kehren und ihre Existenz vor Jedermanns Auge, aber besonders vor deinem geheim zu halten? Denk an Margarethen! War sie nicht in dem Augenblicke, wo du erfuhrst, daß die Spanierin noch lebe, für immer verloren – ist sie es nicht jetzt, bist du nicht in deinem Gewissen verpflichtet, Margarethen zu verlassen, um deines ersten, rechtmäßigen Weibes willen? Geh, folge ihr nach, diesem Weibe, dem wir den Staub von den Füßen geküßt haben, um sie bei ihren guten Vorsätzen, bei dem Entschlusse der Entsagung zu erhalten – von der wir das Unwürdigste schweigend ertragen haben, um deinet- und um Margarethens willen!

Und um der Familienehre, um eures Namens und eures Rufes vor der Welt willen, Tante … es ist nicht der Augenblick, Vorwürfe zu machen!

Geh, fuhr die Freiin fort, aber ein Thränenstrom erstickte ihre Stimme, und nur schluchzend konnte sie noch einige unverständliche Sylben hervorbringen.

Ich gehe nicht – sagte Maximilian entschlossen. Margarethe ist und bleibt mein Weib!

So wird der Bruder der Spanierin …

Ihr Bruder?!

Ja ihr Bruder …

Don Alonso Revenga?

So steht auf seiner Karte – er ist gestern gekommen, und sie ist mit ihm gegangen …

Er war es also! rief Maximilian aus; dieser Spanier, der sich Henrique Valderrama nannte – o, ich ahnte, ich fürchtete es … Ja, der wird Alles thun wider mich … der ist ein Mensch wie ein böser Geist. Ich kann mich auf eine Ladung der Gerichte, auf den Kerker gefaßt machen.

Maximilian sank in sich zusammen und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Ruprecht Mildenfurth saß lautlos brütend da; Amalgundens leises Schluchzen unterbrach allein die Stille in dem hohen düsteren Gemache, in welchem die Kerzen bis auf den Rand niedergeflackert waren und eine rothe, unruhige Helle verbreiteten. Maximilian wurde diese Stille nach einer Weile unerträglich.

Er erhob sich und verließ schweigend, ohne Gruß das Zimmer; es trieb ihn wieder in die Nacht hinaus. Langsam schritt er über die Brücke, den Hof und die Eichen-Allee hinab; sein Pferd stand noch jenseits an dem Gitterthor festgebunden, wie er es verlassen hatte. Noch einmal übersprang er die Hecke, schwang sich auf und schlug den Weg nach Bursbeck ein. Es zog ihn im tiefsten Innern zurück zu Margarethen, wenn auch der Gedanke an sie Das war, was seinen Seelenschmerz zur Verzweiflung steigerte, wenn er sich auch von ihr durch einen Abgrund getrennt fühlte, über dessen schauerlicher Tiefe wie ein ihn zurückweisender, abwehrender Geist der Fluch eines gebrochenen Herzens schwebte.

Es mochte Mitternacht sein, als er in Bursbeck ankam. Noch waren mehrere Fenster erleuchtet. Als er, ohne von Jemand aufgehalten zu werden, die Treppe zum ersten Stock hinaufstieg, kam ihm Wennemar entgegen.

Bist du's, Maximilian? sagte er; Margarethe ist besser – sie wie ich haben gegen Alle geschwiegen … aber sie will dich nicht sehen, sie hat ausdrücklich verboten, dich zu ihr zu lassen.

Maximilian sah einen Augenblick Wennemar an, als ob er nicht gehört habe, was dieser gesprochen, dann schlug er die Hände vors Gesicht und begann zu weinen wie ein Kind.

Wennemar zog den willenlos Gehorchenden mit sich fort in seine Wohnung.



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