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Drittes Kapitel.
Schloß Mildenfurth.


Maximilian Rauschenloo hatte so hastig wie möglich seinen Weg zurückgelegt. Er näherte sich um die Abendstunde seinem Ziele, dem Wohnsitze seines Oheims Ruprecht, des alten Freiherrn auf Mildenfurth. Sein Weg hatte ihn durch eine anmuthige, wohlangebaute Landschaft geführt, durchzogen vom Wellenschlag kleiner Hügelerhebungen von sehr geringer Höhe, reich an Wald und Gebüsch, übersäet mit höchst malerischen, nach altsassischer Weise zerstreuten Siedlungen; im Schatten der Eichenkämpe lagen die Oberhöfe; an den langsam schleichenden Wiesenbächen, welche der Sommer ausgetrocknet hatte, neben den getreideüberfluteten Halden hoben sich der Heuerlinge bescheidenere strohgedeckte Hütten. Es war die Zeit der Aernte; alles Volk war draußen auf den Feldern, man hörte überall das Rauschen der unter rastlosen Streichen niederschießenden Halme, das Gedengel der Sensen, das Gelächter und Scherzen der Dirnen, welche, Garben bindend und aufrichtend, den mähenden Männern auf dem Fuße folgten; während als dritte Reihe, als die Tertiarier dieser friedlichen Schlachtordnung, die nacktbeinige Schuljugend in ihren Holzschuhen nachgerückt kam, um die liegen gebliebenen Aehren zu lesen. Das johlte, sang, lachte und prügelte sich aus Freude über den lieben Gottessegen! Selbst der Luft schien warm und wohlig zu Muthe zu sein, sie hauchte unserm einsamen, düsterblickenden Reiter zuweilen ganze Fluten von kräuterhaften Wohlgerüchen ins Gesicht, den würzigen Duft aus den gemähten Pflanzen, die das Korn durchwachsen.

Maximilian aber blieb derselbe düstere Mann, der theilnahmlos und beinahe widerstrebend nur, die heiteren Bilder um ihn her in seine Augen, die warme Sonnenluft in seine verschlossene Brust aufnahm. Er hatte einen besondern Aerger noch; er hatte heute einen wahren Guignon mit seinen Vettern und Muhmen und Cousinen; es war, als ob sein böser Geist sie sammt und sonders hergelockt und ihm auf seinen Weg getrieben hätte, um ihn aufzuhalten, um ihm höchst ausführlich ihre Meinung über den Werth der Aernte, die Beständigkeit des guten Wetters und den Stand der heurigen Jagdaussichten mitzutheilen; und dann, wenn er endlich ihrer los zu sein glaubte, dann fing zumeist erst recht ihre Beredtsamkeit an, sich zu entwickeln, dann fragten sie nach Margarethen – dann wollten sie wissen, wie es Margarethen gehe und weshalb Margarethe Maximilian nicht begleitet habe, und wann Margarethe einmal aufs Land herauskomme, und wie sich Alle freuten, die liebe, liebe Margarethe wieder zu sehen …

Maximilian Rauschenloo wurde darüber in seinem Innern so bitter und gallig zu Muthe – es ging ihm zum ersten Male in seinem Leben eine Lord Byron'sche Weltverachtung auf. Bei der letzten dieser Begegnungen verlor er beinahe die Geduld. Es war ein vierschrötiger Landjunker, der mit seiner Gemahlin, drei Söhnen und vier ellenlangen, aber auch ellendünnen Töchtern von seinen Feldern kam und nun in die benachbarte väterliche Burg, deren Giebel seitwärts aus einer Baumgruppe hervorlugten, heimkehrte; wie echter Raubadel machten ihm diese Leute die Heerstraße unsicher und überfielen ihn und »verstrickten« ihn, wie die Stegreifritter einst es nannten, in ein unendliches Gespräch nämlich!

Maximilian wollte endlich die Zügel des Pferdes, die der Landjunker ergriffen, ihm aus den Händen zerren; aber der Baron von Bursbeck ließ sich durch diesen schüchternen Wink nicht irre machen und plauderte weiter, und seine kleine Gemahlin, die einst, als sie noch jung und naiv war, das hübsche Füchschen geheißen hatte und jetzt, wo sie alt und naiv war, schonungslos die brandrothe Christine genannt wurde, wollte erst durchaus noch wissen, ob es denn wirklich gar keinen besondern Grund habe, daß Margarethe nicht mitgekommen? Dabei fiel der Raubritter mit schallendem Gelächter ein:

Du meinst wol, sie hätte Zahnweh oder dergleichen! … ein Scherz, dessen Zartheit und Schicklichkeit in Gegenwart der jungen Damen Maximilian heute ganz besonders zu schätzen geneigt und aufgelegt war, und für den er dem rothnasigen Edelmann gern mit seiner Gerte in die impertinent weißen, großen Zähne geschlagen hätte. Und dann fragte Elle I noch ganz besonders nach der lieben, lieben Margarethe, ob sie noch so viel lese und studire, und Elle II wollte wissen, ob sie noch viel singe, und Elle III war nicht zu trösten, daß Margarethe ihr nicht einmal ein paar Zeilen geschrieben, und Elle IV konnte sich nun völlig nicht zufrieden geben, daß sie ihre herzige Margarethe so lange nicht gesehen, und ließ nicht undeutlich merken, daß sie nächstens bei allen Verwandten der Reihe nach eine große Razzia auszuführen beabsichtige und dann auch Margarethen in der Stadt überfallen wolle; bei welcher Verheißung sie sehr laut in die Hände klatschte, um einen schwachen Vorgeschmack von der außerordentlichen Freude zu geben, welche, wenn dieser geniale Gedanke zur Ausführung komme, jedermänniglich erfüllen werde.

Maximilian hielt es jetzt nicht länger aus, er gab seinem Pferde, das sehr unruhig den Boden stampfte, eine leise Mahnung in die Weichen, und das Thier riß sich los. Max grüßte zum letzten Male, athmete hoch auf … aber o weh, da kam ja noch der Onkel Wennemar, das Original, von jenseits, von den Feldern her, den trockenen Chausseegraben herunter gekollert und diesseits keuchend wieder herauf – da half nichts, Maximilian mußte dem Onkel Wennemar erst guten Abend wünschen, und dabei umzingelte ihn aufs Neue die Raubritterschaft, und die vier Ellen standen wieder vor ihm und um ihn wie Palissaden, oder wie die häßlichen Grazien, die Macbeth's Roß nicht weiter ließen auf der Halde von Fores.

Guten Tag, Maximilian, rief der Onkel Wennemar und schüttelte dem Reiter die Hand – wo kommst du her? was macht Margarethe? Ei, morgen ist ja Margarethen-Tag, und du bist auf der Reise?

Ich habe unaufschiebbare Geschäfte mit dem Onkel Ruprecht Mildenfurth.

So, mit dem Onkel Ruprecht? Nun, ich hoffe, du hütest und hegst mir sonst die Margarethe, deine »Perle«, gut, du weißt, sie ist mein Herzblatt, das rosige Gretchen, und wenn es ihr je an einem Ritter fehlen sollte, so weiß sie, was sie am Onkel Wennemar hat!

Onkel Wennemar war kaum vier Schuh hoch, er hatte fünfzig ungetrübte Lebensjahre hindurch daran gearbeitet, seinen ätherischen Geist durch möglichste Wohlbeleibtheit an diese Erde zu fesseln, und der Gedanke, ihn als Ritter im Harnisch zu sehen, hatte etwas unendlich Komisches.

Ich glaube, sie wird dich nicht bemühen, lieber Wennemar, antwortete Maximilian mit einem ironischen Zucken um seine Lippen und dabei dachte er: Immer Margarethe – o, wenn alle diese thörichten Menschen wüßten …! ich glaube, dieses gute kindliche Herz, dieser Wennemar könnte tiefsinnig darüber werden, wenn es je an den Tag kommt!

Maximilian hätte sich in andrer Stimmung jetzt gern verweilt, denn er liebte Wennemar, und wol nie hat eine ehrliche Haut ein solches Gefühl mehr verdient. Der kleine Freiherr Wennemar von Waterlapp war der Bruder der rothen Christine und lebte als »Einspänner« im Hause seines Schwagers von einer ansehnlichen Leibrente. Er war durch die Gunst des Schicksals von allen Mühsalen des Lebens, unter denen andere Sterbliche keuchen, vollständig entbunden, und als Folge davon war der gutmüthige und lebhafte kleine Mann mit einer unsäglichen Masse Geschäfte und Arbeiten und Aufgaben geplagt. Onkel Wennemar hatte ja nichts zu thun, Onkel Wennemar hatte Zeit, an Onkel Wennemar wandte sich Jedermann. Onkel Wennemar mußte Briefe aufsetzen, Onkel Wennemar mußte Rechnungen nachsehen, Onkel Wennemar mußte Urkunden abschreiben, Onkel Wennemar mußte die Hauschronik führen und sorgfältig Alles darin eintragen, was sich von Wichtigkeit auf den Adelshöfen der Nachbarschaft ereignete; Onkel Wennemar mußte, so oft mit Advokaten oder Geschäftsleuten zu verhandeln war, bei Wetter und Wind auf dem kleinen offenen Jagdwagen, der so abscheulich stieß, hinaus – das Stoßen des Wagens hielt Schwager Bursbeck für so außerordentlich gesund, bei Onkel Wennemar's Complexion … und die einzige Erholung, welche ihm vergönnt blieb, war, zur Belehrung seiner Nichten, Elle I bis IV, die Weltgeschichte in gereimte Verse zu bringen, weil sie ihnen sonst zu schwer im Gedächtniß zu behalten wurde; auch durfte er in seinen Mußestunden über einer ererbten alten Handschrift brüten, welche Codex miraculosus betitelt war und wunderbare Recepte zu allen möglichen Dingen, zur Anfertigung des Steins der Weisen, untrüglicher Mittel wider die Hundswuth, des schwedischen Lebens-Elixirs, echter Perlen und Diamanten u. s. w. u. s. w. enthielt. Onkel Wennemar ging auch nach Anweisung des Buches zur Praxis über und verwendete viel Mühe und Geld auf diese thaumaturgischen Processe. Freilich nur mit zweifelhaftem Erfolg, denn seine eigene ehrliche Hand hatte in seinen Codex miraculosus unter die meisten der untrüglichen Anweisungen, Gold zu kochen und Perlen aus dem Tiegel zu zaubern, die entsagungsvolle Randbemerkung gezeichnet: »Hab' ich probiret, ist mir aber nicht geglückt.« Dies, wie seine übrigen Drangsale, hatte jedoch weder seine immer gleiche rosige Laune, seine unverwüstliche heitere Dienstbeflissenheit, noch auch seine unerschöpfliche, gutmüthige Theilnahme an Allem und Jedem, was in seinem Kreise auftauchte, erstickt. Wir müssen noch hinzufügen, daß Onkel Wennemar nicht frei von gewissen Renommistereien war, daß er z. B. unter martialischem Augenverdrehen zum unbeschreiblichen Vergnügen seiner Neffen und Nichten die Melonen in Schnupftabak getunkt aß und behauptete, er bade den ganzen Winter hindurch im Freien, was freilich – wol Dank seinem grenzenlosen Anstandsgefühle – noch kein Sterblicher mit eigenen Augen erblickt hatte.

Nun, nichts für ungut, erwiderte Wennemar auf Maximilian's letzte Worte – also nach Mildenfurth reitest du – höre, Maximilian, ich habe dir etwas zu sagen.

Ich habe Eile, lieber Wennemar, du verzeihst …

Nun, so laufe ich eine Strecke nebenher, fiel das Original ein und setzte sich sofort in kollernde Bewegung.

Maximilian grüßte noch einmal die Uebrigen und trieb sein Pferd an, froh, doch wenigstens weiter und fort zu kommen. Anfangs ließ er es in raschem Tempo vorwärts schreiten … aber sehr bald erhielten die Mittheilungen, die ihm wurden, ein Interesse, welches ihn veranlaßte, die Zügel mehr und mehr anzuziehen, um seinen Gefährten zu Athem kommen zu lassen. Dieser trippelte, wie erzählt, neben dem Pferde seines düstern Vetters Maximilian her und achtete des Staubes nicht, der seine Schuhe und weißen Strümpfe und die etwas fleckigen schwarzen Beinkleider aschgrau färbte, während er den Obertheil des grünen Sergeröckleins, um größere Kühlung zu erlangen, auf die Schulterblätter und Achseln zurückgeschoben hatte und mit beiden Händen in dieser Lage fest hielt.

Ich wollte, Maximilian, du wärest über Nacht bei uns in Bursbeck geblieben, wir hätten dann in größerer Ruhe mit einander reden können, begann er.

Ich muß Onkel Ruprecht noch heute sprechen, und außerdem weißt du, Wennemar, daß ich mir vorher keinen Geleitbrief, keinen salvum conductum gegen euren großen Familien-Humpen von deinem Schwager ausgewirkt habe: ohne den komme ich nicht gern nach Bursbeck.

Der raubritterschaftliche Historiograph lachte herzlich.

Was ich dir sagen wollte, Vetter Max, fuhr er dann fort, es geht etwas vor in Mildenfurth.

In der That? Und was könnte das sein?

Höre, Maximilian … du mußt mir Eins versprechen – du mußt mir versprechen, mir sogleich Mittheilungen für meine Hauschronik zu machen, wenn …

Ich will dir Mittheilungen für deine Hauschronik machen – also, was geht vor beim Onkel Ruprecht?

Ja, wer es wüßte! Aber so viel ist gewiß, es sind mehr Köpfe unter deines Oheims Dach, als die Leute glauben.

Was willst du damit sagen?

Es ist Etwas vorgefallen in Mildenfurth … was, das weiß Niemand … Onkel Ruprecht hat sich auch seit einiger Zeit so abgeschlossen, daß Niemand mehr zu ihm dringt, und wenn irgend Jemand in seine erhabene Gegenwart vorgelassen wird, so macht er solch' ein Gesicht, daß sich Jedermann und auch der Keckste schönstens hütet, ihn mit Fragen zu belästigen … und deine Tante Amalgunde, nun, du weißt, von Frauen-Eigenschaften besitzt Amalgunde manche nicht, und darunter gehört auch die Gesprächigkeit: sie kann schweigen, wie ein Abgrund, wie die Meerestiefe – es ist zum Verzweifeln – schon zweimal in dieser Woche war ich dort, aber ich habe auch nicht das Allermindeste wahrgenommen …

Wer hat denn Etwas wahrgenommen?

Mehrere von unsern Bekannten. Kurt Prallhofen, Hedwig Raesfeld … sie haben ihn gesehen; es ist ein junger Mann, sagt Hedwig Raesfeld, es ist eine junge Dame, behauptet Kur t … fein gebaut, wunderbar schön, mit dunklen, blitzenden Augen und einer Haltung so stolz und keck, wie die Feenkönigin Titania … und was das Wunderbarste ist, wenn er oder sie erscheint, so springt dein Onkel Ruprecht vom Sessel auf und verbeugt sich vor ihm oder ihr, wie vor einem überirdischen Wesen, und wird gerade so freundlich und zuvorkommend wie ein Ohrwürmchen.

Das ist allerdings höchst wunderbar, sagte lächelnd Maximilian von Rauschenloo – so habe ich meinen guten Oheim noch nicht erblickt!

Ja, nicht wahr? fiel lebhaft der Historiograph und Alchymist ein, dessen Inneres mehr als Eine noch nicht ganz verharschte Wunde barg, welche Onkel Ruprecht's sprüchwörtlich gewordene Unumwundenheit ihm geschlagen … nicht wahr, das ist höchst wunderbar, und eben so unglaublich ist Amalgundens Aufmerksamkeit für den jungen Menschen; ihr saures, gelbes Gesicht … du nimmst nicht übel, Maximilian, Amalgunde ist deine Tante, aber …

Sauer und gelb ist ihr Gesicht doch, ich gebe es dir zu, lieber Wennemar, fiel Maximilian ein – also was geschieht damit? … sprich, denn in der That, es ist, glaube ich, das erste Mal, daß sich Männer für Amalgundens Gesicht interessiren.

Nun, es strahlt von Süßigkeit: um ihren anmuthig sich spitzenden Mund schaukeln sich die Genien der Zuvorkommenheit und Zärtlichkeit … Beide aber, Ruprecht und Amalgunde, verwenden kein Auge von dem jungen Menschen, setzen sich neben ihn, flüstern mit ihm, und dann dauert es nicht lange, bis Tante Amalgunde ihn in eine Fensternische gezogen hat, ihm sehr eifrig Etwas zuraunt und unmittelbar darauf ihn unter den Arm faßt und mit ihm verschwindet.

Tante Amalgunde, die einen fremden jungen Menschen unter den Arm faßt … ich bitte dich, theuerster Wennemar, nimm das nicht eher in die Chronik auf, als bis du es selbst gesehen hast!

Maximilian von Rauschenloo und sein Begleiter hatten jetzt eine Stelle des Weges erreicht, wo eine Gruppe hoher Eichen und Buchen einen reichlich sprudelnden Quell zur Seite der Chaussee mit ihrem Laubdache überschattete. In der Kühle dieses zum Rasten einladenden Ortes hielt der Reiter sein Pferd an, stützte seine Rechte auf die Kruppe des Thieres, und während sein Fuß nachlässig den Bügel in die Höhe warf und wieder auffing, beugte er sich neugierig zu dem Erzähler nieder.

Wird denn der geheimnißvolle Fremde nicht vorgestellt, nicht genannt? Sagt denn der Onkel nicht, wer er ist? Wissen denn die Dienstboten …

Nichts sagt Ruprecht Mildenfurth, wenigstens nichts mit dem Munde, aber desto mehr mit den Löwenblicken, wenn er eine Frage auf eines Fremden Lippen schweben sieht. Und die Dienstboten … ich weiß nicht, ob Jemand sie gefragt hat, aber falls es sollte geschehen sein, so würden sie sicherlich keine Sylbe verrathen aus Angst vor ihrem Gebieter. Ich habe freilich Jemanden, der darum hätte wissen können, gefragt, fuhr Onkel Wennemar mit leiserer Stimme und geheimnißvollerem Tone fort: es ist Ruprecht's Gärtner, der Martin.

Nun, und was erwiderte der ehrliche Bursche?

Er wollte Anfangs nicht mit der Sprache heraus, blickte betroffen auf den Boden und zeichnete Figuren mit seinem Stecken in den Sand. Er hatte, behauptete er, keine Sylbe vernommen von allem Dem: er stellte sich einfältig wie ein listiger Bauer; und als ich in ihn drang, da hob er endlich melancholisch den Kopf auf und sagte: O, gnädiger Herr, ich weiß nicht anders, als daß es die Königin der Nacht ist.

Die Königin der Nacht? Man nennt so eine große, prachtvolle Blume. Deine Erzählung wird immer wunderbarer: ich muß annehmen, daß es sich um einen verführerischen Hausgeist handelt, der in meines Oheims Schloß gezogen ist und der Jedem in der Gestalt erscheint, welche ihn am meisten lockt. Kurt sah darin ein schönes Weib, Hedwig einen hübschen jungen Mann, und der Gärtner eine Blume!

Spaß bei Seite, flüsterte Onkel Wennemar, in dem jede Fiber, von der Spannung der Neugier angezogen, zitterte und dem vor Aufregung die Augen aus dem Kopfe quollen, wie bei einer Gespenstergeschichte … Spaß bei Seite, es ist etwas Unerklärliches … Ruprecht, der sich herabläßt, höflich zu werden wie ein junger Candidat, ja, zu erschrecken vor der oder dem Fremden, wenn er eintritt – denn man hat Ruprecht roth werden und erschrecken gesehen – Amalgunde, die einen jungen Menschen mit süßem Gelispel umkost und ihn schnell aus Aller Augen zu bringen sucht, um ihren Edelstein allein zu hüten …

In der That – in der That! sagte Maximilian Rauschenloo, der nur zu gut wußte, mit welch' urweltlicher Grobheit gegen Jedermann auf Erden sein edler Ohm das Imposante seiner hochfreiherrlichen Erscheinung zu würzen liebte, und wie schneidend und diktatorisch Tante Amalgunde ihre lange und magere Jungfräulichkeit vor alle ihre Mitchristen, weß Ranges und Standes sie waren, hinstellte.

Und dann denke dir! Ruprecht Mildenfurth, der doch regelmäßig Schlag vier Uhr Nachmittags seine Spazierfahrt machte, tritt nicht mehr über die Schwelle seines Hauses; Amalgunde, die täglich Morgens elf Uhr durch die Gärten, die Allee nach dem Dorfe und bis an das Haus des Pfarrers lustwandelte, kommt nicht mehr ans Licht … sie liegen Beide wie Drachen vor dem Eingange der Höhle und hüten ihren Schatz! Eine Bedeutung muß das haben …

Das ist richtig! nickte Maximilian.

Und was mich angeht, so bin ich erbötig, dir meine Vermuthung mitzutheilen, aber halte mir dein Versprechen … nicht meinetwegen … ich bin nicht neugierig, das weißt du – es ist nur …

Der Chronik wegen, ich weiß, Onkel Wennemar – du sollst Alles erfahren, was ich entdecken werde! Sieh! etwa ein Sohn von Ruprecht … oder von Amalgunde …

Maximilian konnte trotz seiner Stimmung bei dieser Voraussetzung sich eines Lächelns nicht erwehren.

Das, siehst du ein, kann es nicht sein … aber wer es sein kann … das ist – ich bilde mir ein, es ist der Graf von Paris!

Wer?!!

Ja ja, der Graf von Paris! Du kennst ja doch Ruprecht's streng monarchische, unerschütterlich loyale Denkungsart … du kennst ja auch seine Verbindungen mit mancherlei Höfen – wäre es nicht sehr möglich, daß ihm die Hut eines Prinzen, auf dessen Haupt so große Hoffnungen ruhen, anvertraut wäre? Der alte Ludwig Philipp ist schlau und durchtrieben … Wartet, wird sich der gesagt haben, ich will ihn unterbringen, wo ihn keine Dolche schnöder Republikaner erreichen, wo ihn kein Sterblicher vermuthen wird – bei meinem lieben Freunde Mildenfurth, tief in den deutschen Wäldern, da ist er sicher! O, der Ludwig Philipp ist ein alter Fuchs.

Aber um Gotteswillen …

Ich weiß Alles, was du einwerfen kannst. Ruprecht hatte Ludwig Philipp als König nie anerkannt, er ist strenger Anhänger der älteren legitimen Bourbonenlinie; aber als Ludwig Philipp noch Herzog von Orleans war, sind sie Beide sehr intime Freunde gewesen!

Maximilian stellte im Stillen eine Betrachtung über die naiven Anschauungen eines solchen Landjunkers an, der sich in seinem Selbstgefühl nicht im Mindesten von einer Regung des Erstaunens angewandelt fühlen würde, wenn er alle Adler der Geschichte in seinen Hühnerstall zu nisten kommen sähe; dann riß der junge Mann sich von seinem redseligen Begleiter los.

Du hast mich so auf die Folter der Neugier gespannt, daß es mich unwiderstehlich weiter treibt, sagte er und schüttelte Wennemar die Hand.

Sehe ich dich morgen bei deinem Zurückkommen auf Bursbeck?

Wenn ich Etwas erfahre – du sollst es alsogleich wissen, verlaß dich darauf, Wennemar.

Gewiß und ehe Jemand anders …?

Ehe irgend Jemand anders von mir eingeweiht wird!

Maximilian setzte sein Pferd in Trab; Wennemar blieb noch eine Weile stehen, um dem hohen, schlanken Reiter nachzublicken; dann ging der Familien-Chronist langsam und tief in Gedanken versunken dem heimatlichen Raubschlosse zu.

Ohne weiteren Aufenthalt langte Maximilian Rauschenloo nach kurzer Frist in der Allee alter breitgeästeter Eichen an, die zu dem äußeren Thore von Mildenfurth führte. Die verrostenden Gitter, welche den Hof des Herrensitzes abschlossen, standen weit offen; es war still und einsam auf dem geräumigen Platze; Hunde, Federvieh, Sperlinge belebten ihn allein. Der Hof wurde an beiden Seiten, rechts und links, durch Landwirthschafts- und Dienstgebäude begrenzt; rechts zeigte sich zudem ein Gitterthor, gerade wie das, durch welches der Reiter gekommen war; es führte zu den Schloßgärten, in deren Mitte unsers Freundes Martin und seiner Gertrude kleine Wohnung lag.

Mit Strohschobern, Brettern, Ackergeräthschaften, Brennholzvorräthen und hundert andern Dingen ausgefüllt und bedeckt, bot der Hof von Mildenfurth, obwol er geräumig und von ansehnlichen Gebäuden umringt war, keinen sehr imponirenden Anblick dar; desto stattlicher jedoch zeigte sich im Hintergrunde, von hohen Linden und Pappeln an den Seiten eingerahmt, das eigentliche Schloß. Dieses große und mächtige Gebäude bestand aus drei sich sehr scharf von einander absondernden Theilen. Zur Linken des Beschauers erhob sich ein verfallender Bau, der an seinen Thür- und Fenstergesimsen schwache Ansätze zu Verzierungen im Renaissancestyl zeigte; in diesem Styl waren auch die Längen- und Höhenverhältnisse des etwas plumpen Ganzen angeordnet, die Thüren, die Fensteröffnungen breit und niedrig. Am Mauerwerk waren große Stellen des Bewurfs von den Händen der Zeit abgerissen, so daß das nackte Ziegelsteingefuge zu Tage trat; unten um den Fuß des Ganzen hatte früher ein breiter und gefüllter Wassergraben sich gezogen; weil aber im Laufe der Zeit das reine Element, in welchem Pindar das Urprincip der Dinge verehrte, sich in dem Maße, wie es schwärzer und trüber geworden, mehr und mehr zurückgezogen hatte, war, einige Fuß breit, ein schlammiger Boden, rings an den Grundmauern entlang, frei geworden, eine wahre Insel der Atlantis für alles Wasserungeziefer, das hier hockte und nistete, ein wahres Paradies für Nesseln, Kletten, Schilf und Binsen, die, urwaldartig aufwachsend, des Menschen und seines schwachen Willens spotteten, der ohnmächtige Versuche gemacht hatte, dieses aus dem Nichts emporgewachsene Gebiet durch Spaliere und Anpflanzung von Reben … arme Reben! … sich und der Civilisation unterthänig zu machen.

Dem im Jesuitenstyle geschmückten Portale fehlte nichts, um eine würdige Schwelle für den Einzug stolzer Gebieter und hoher Gäste zu bilden … nur Einen Fehler hatte das Portal, nicht ganz unähnlich dem großen Fehler, der einst am Rosse Bayard zu finden war – man konnte nicht hinein! Die Brücke, welche vom Pflaster des Hofes über den Graben an das Thor geführt hatte, war eingestürzt – die Werkstücke und Trümmer lagen in Haufen unten in der Tiefe über einander, und die höchsten dieser Bruchstücke, welche das Wasser nicht überspülte, dienten an sonnigen Tagen schwänzelnden Eidechsen zum Spielplatz, und an milden Abenden kunstsinnigen Fröschen zur Orchestra für ihre musikalischen Aufführungen und Serenaden zu Ehren des Gebieters von Mildenfurth.

Neben dem beschriebenen Gebäude – der Schloßherr, der darin hauste, nannte es den Ruprechtsbau – erhob sich, unvermittelt an ihn angelegt – es war das Bild eines Ehepaares, von dem Niemand zu sagen weiß, weshalb es eigentlich ein Ehepaar ist – das Corps de Logis, welches Tante Amalgunde bewohnte, im Rococostyl, zwei Stockwerke hoch, mit Risalits und Mansardendach; die Fortsetzung des erwähnten Grabens umzog es und wandte sich rechts herum, so daß er diesen Bautheil von einem dritten trennte, der ganz isolirt sich erhob – es war dies der älteste Theil des Ganzen, ein Stück von einem gothischen Burghause. Am Ende dieses Baues rechts befanden sich jene massiven Thürme mit den glockenartigen Dächern und dem hohen spitzen Giebel dazwischen, deren wir früher erwähnten. Links jedoch, nach dem Graben hin, war die Seite dieses Bauwerks einer einzigen offenen Wunde ähnlich: man sah hier deutlich die Spuren eines Abbruches, der dem benachbarten Rococobau hatte Platz schaffen müssen. Von diesem aus schlug sich eine Brücke oder eine Galerie, ein Ding, von welchem Chronist Wennemar behauptete, daß es an die venetianische Seufzerbrücke erinnere, durch die Luft zu dem »alten Bau« hinüber, der anders keinen sichtbaren Eingang hatte.

Maximilian von Rauschenloo hatte sein Pferd einem aus den Stallungen herbeieilenden Knechte übergeben; er eilte nun in die Wohnung seines Oheims, in den Ruprechtsbau. Es war eine nicht leichte Aufgabe, bis zu dem Freiherrn zu dringen: wie ein verzaubertes Schloß lag seine Wohnung jenseit des düstern Grabens – keine Brücke, kein Steg führte an das ewig geschlossene Thor. Aber Maximilian hatte den Schlüssel zu dieser räthselhaften Verschlossenheit. Besaß er doch eine Art jus postlimmii bei seinem Oheim und indem er sich links durch ein Nebengebäude begab und nun das Gebäude umging, gelangte er durch eine Hinterthüre in den Raum, der zu den Gemächern des Schloßherrn führte. Es war ein langer Corridor, auf dessen geweißten Wänden die Sonnenstrahlen standen, so hell, so öde, so still, daß man die Fliegen von einem Ende bis zum andern summen hören konnte. In der Mitte des Ganzen befand sich eine Flügelthür; Max wollte sie aufreißen, aber von innen kam man ihm zuvor – eine Stimme rief hastig:

Der gnädige Herr sind nicht zu Hause!

Ein grauer Kopf blickte hinter dem einen Flügel der Thür hervor, dann erschien eine ganze Gestalt, ein kleiner alter Mann in grauer Hauslivree; hinter ihm aber aus dem Innern der Gemächer hervor dröhnte eine Stentorstimme:

Der gnädige Herr empfangen nicht! – sollst du sagen, du Lügner, in meinem Hause bin ich allerdings!

Max aber schob den Diener mit den Worten:

Da ist ja mein Oheim! bei Seite und trat über die Schwelle in das Allerheiligste, in die Höhle des Löwen.



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