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Achtes Kapitel.
Don Alonso Revenga.


Maximilian erschien am anderen Tage wieder auf dem Landhause; er kam um eine spätere Stunde und fand Manuela in dem Patio ihrer Villa, in dem mit zierlichen Arcaden umgebenen, von der sorglich gepflegten Pflanzen- und Blumenwelt durchdufteten und von dem reichen Strahle des immer sprudelnden Brunnens erfrischten Hofe. Sie hatte beschlossen, Maximilian heute sehr ernst und gemessen zu empfangen, damit er nicht etwa noch ein drittes Mal komme; drei Mal den Besuch eines Fremden zu empfangen, das war zuviel gewagt – alle Jungen von Motril waren darüber in Bewegung gerathen.

Wenn er sie aber heute zum letzten Male sah, so war auch kein Grund da, weshalb sie nicht hatte suchen dürfen, ihm einen so günstigen Eindruck zu hinterlassen, wie es ihr nur immer möglich war; und so hatte denn Manuela sich mit großer Sorgfalt gekleidet und hatte eine Robe von dunkelblauer brochirter Seide mit kleinen gelben und purpurnen Blumen, die in graziösen Verschlingungen darin eingewirkt waren, angelegt und eine dunkelglühende Granatblüthe in ihr glänzend schwarzes Haar gesteckt; sie sah so allerliebst, unwiderstehlich verführerisch aus.

Maximilian kam heute nicht mehr schüchtern und verlegen, wie er gestern gekommen; er war froh, ja, ein kleiner Anflug von Uebermuth lag in seinem Wesen, der aber sehr bald schwand, als er Manuela's förmliches Wesen wahrnahm.

Werden Sie bald nach Deutschland heimkehren? fragte sie ihn.

Ich weiß nicht – Sie sehen, der spanische Boden hat viel Fesselndes für mich … es gibt manche hinreißende Stelle, wo ich mir Hütten bauen möchte.

Die Reitervölker brechen ihre Hütten rasch wieder ab und ziehen weiter.

Sie halten also die Deutschen für Kosaken … haben Sie nie von unserer weltberühmten Treue gehört?

O, doch! … honrado come un Aleman! sagt man in Spanien. Erzählen Sie mir von Deutschland – ist es ein schönes Land?

Das schönste Land der Welt!

Wodurch?

Durch seine Natur, durch seinen Reichthum an Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, an den buntesten Sitten, Trachten, Dialekten, Volksthümlichkeiten aller Art; dazu ist es angebaut wie ein Garten; es ist nicht siech wie Frankreich, dessen Lebensblut nur noch in einem krankhaft geschwollenen Gliede pulsirt, und nicht ausgestorben, melancholisch wie Spanien, dessen Schönheit nur in seinen Erinnerungen lebt; es ist fruchtbar von einer Grenze bis zur andern; üppige, dunkelrauschende Wälder bedecken seine Bergzüge, und aus Obsthainen, an goldüberfluteten Getreidehalden ragen die Siedelungen und Dörfer intelligenter und wohlhabender Menschen.

Sie müssen also sehr glücklich sein, die Deutschen.

Sehr glücklich, Senhorita; der Himmel hat sie mit den reichsten Gaben bedacht, und so verschwenderisch, daß die anderen Völker endlich darüber neidisch geworden sind; die Sage geht, diese hätten sich deshalb – es war in den Heidenzeiten – durch ihre Druiden bei dem Allvater beklagt, und in seiner unendlichen Gerechtigkeit hätte derselbe ihnen erwidern lassen: Ihr habt Recht, meine guten Kinder, es ist wahr, daß ich die Deutschen parteiisch mit meinen Gaben überhäuft habe; ich liebe sie mehr als Alle, die guten Alemanen, weil sie friedfertig und langmüthig sind und kindlichen Herzens wie die Einfältigen, bei denen meine Gnade wohnt. Aber damit ihr euch nicht weiter zu beklagen habt, und ich nicht wieder in meinen Fehler der Parteilichkeit falle, will ich die Sorge für ihr Glück in andere Hände niederlegen; ich will ihnen von nun an, statt meiner, Untergötter als Statthalter geben. Und dieses ist geschehen, die Deutschen haben durch die Gnade Gottes viele »Götter der Erde«, lauter Söhne des Himmels, erhalten, welche für ihr Glück sorgen. Seitdem sind die anderen Völker nicht mehr neidisch auf sie. Sie selbst aber hat seitdem eine unerklärliche Sucht ergriffen, in andere Länder auszuwandern, wo der alte Gott noch lebt und selbst herrscht.

Manuela lächelte und verlangte mehr von Deutschland zu hören; Maximilian sprach mit einer wunderbaren Beredsamkeit von seiner theuren Heimat und weckte in der jungen Spanierin ihre ganze früh entwickelte Sehnsucht in die Ferne, ihre reiche, von Verheißungen des Schönen leicht in alle Weiten zu lockende Phantasie; sie saß so, still lauschend, das Kinn auf die weiße schmale Hand, den Arm auf die Lehne ihres Sopha's gestützt, dem sich zu ihr hinüber beugenden Maximilian gegenüber, daß sie an die Tochter Brabantio's erinnerte, wie sie einst den Erzählungen des von ihrer Schönheit trunkenen Mohren lauschte. Aber der Mohr war schwarz und häßlich, der schlanke Deutsche war weiß und schön; kein Wunder, daß er am Ende eben so glücklich war wie der Feldherr von Venedig, der mit der Erzählung seiner kriegerischen Eroberungen die friedliche Eroberung eines Herzens machte.

Die Zeit verflog, es wurde Mittag, und noch saßen sich die beiden jungen Leute gegenüber … da kam Frai Torribio und machte ihrem Zwiegespräch ein Ende.

Ich danke Ihnen, sagte Manuela mit von innerem Vergnügen gerötheten Wangen, als Maximilian sich erhob; ich könnte Ihnen sehr lange zuhören, aber … nun werden Sie reisen, Senhor Masimilian … sie flüsterte das Wort mit einer unbeschreiblich reizenden Bewegung der Lippen.

Reisen … warum nicht gar! … Mein treues Thier, Senhora Manuela … er sprach den Namen zum ersten Male aus, und Manuela war es, als durchriesele sie leise etwas bei dem Tone, womit er es that … mein treues Thier muß noch sehr geschont werden und darf noch lange nicht …

Manuela that, als hörte sie nicht weiter; sie wandte sich, beinahe ohne einen Blick zum Abschiede für den jungen Mann, zu Frai Torribio, der in diesem Augenblicke mit Teresa die Marmorstufen aus der Arcaden-Halle herabstieg.

Am anderen Tage, beinahe so früh, wie er das erste Mal sich auf den Terrassen der Villa eingefunden hatte, kam Maximilian wieder. Teresa warf ihm dieses Mal einen höchst vielsagenden Blick zu, ging sehr langsam, ihn der Gebieterin zu melden, und ließ ihn lange warten, bevor sie, ohne ein Wort zu sprechen, die Thür vor ihm öffnete, welche in den Patio führte.

Manuela war schweigsam, wie es schien verstimmt – hatte sie einen Kampf mit ihrer Duenna zu bestehen gehabt? Es war wahrscheinlich, und daß sie in diesem Kampfe gesiegt, daß sie sich also mit Entschiedenheit über Rücksichten weggesetzt, um ihn zu sehen, das rief bei Maximilian erklärlicher Weise eine gewisse Trunkenheit hervor, in welcher er sich nicht mehr scheute, in seine Worte eine leidenschaftliche Hingebung zu legen. Sein Werben um Manuela's Gunst, der Blick, den sie in ein tiefes und mit einer so zarten Innigkeit verbundenes, warmes deutsches Gemüthsleben werfen konnte, war für das andalusische Mädchen so verführerisch, daß Manuela sich gefangen fühlte, und zwar zum ersten Mal in ihrem Leben gefangen, von Fesseln durchaus anderer Art als jene, die sie bisher an irgend einen Sterblichen geknüpft hatten.

Weshalb, fragte sie Maximilian einmal, ohne den Muth zu haben, dabei aufzusehen, weshalb haben Sie sich nicht nach meinem Namen erkundigen wollen, am ersten Tage, den Sie in Motril zubrachten?

Weshalb? können Sie danach fragen? Weil ich eine Antwort fürchtete, welche zu schmerzlich für mich gewesen wäre. Ich wußte ja nichts von Ihnen, wußte nicht, ob Sie frei seien oder gebunden … Sie aber wissen recht gut, daß in jenem Augenblicke, als ich Sie zuerst sah, mehr als die Eine Wunde geschlagen worden ist, welche Sie geheilt haben; ob Sie auch die andere, schlimmere durch – Sympathie heilen wollen …

Senhor Masimilian, unterbrach Manuela mit einer anmuthigen Handbewegung seine Worte, sehen Sie einmal dorthin!

Dorthin? und was soll ich sehen? –den Vogel?

Ja den hübschen kleinen Vogel, der sich in den Patio verirrt hat; sehen Sie, wie seine schönen goldenen Brustfedern schimmern und wie er ängstlich mit den Flügeln schlägt gerade über der Höhe des Springbrunnens – das arme Thier!

Sagen Sie lieber: das thörichte Thier! rief Maximilian aus – er will sich durchaus oben auf den Bogen des Springbrunnens niedersetzen und ausruhen, und die flüssige Säule mit ihren Schaum- und Tropfenschauern trägt ihn doch nicht.

Ja wohl, das thörichte Thier – beinahe so thöricht, wie das Wesen, von dem es ein Bild ist!

Und wovon ist es ein Bild?

Von einer geängstigten, flatternden Frauenseele, die eine Stütze sucht, die sich auch niederlassen möchte auf eine feste Säule; aber der Männer Betheurungen, so hoch sie sich auch versteigen, so prahlerisch und regenbogenfarbig und volltönig sie auch aufrauschen, ganz wie dieser Springbrunnen es thut, sind doch nichts als Schaum und lose Schauer, welche in sich selbst zusammenfallen. Ein Herz kann nicht darauf ruhen!

Maximilian wollte antworten … aber Manuela entschlüpfte ihm, um sich bei ihren Gewächsen zu schaffen zu machen, und, dann verschwand sie hinter der großen Blumen-Estrade, hinter welcher der Eingang in ihre Gemächer lag.

Am Nachmittage saß Maximilian träumend in dem kahlen und ärmlichen Zimmer seiner Posada. Er hatte Briefe geschrieben und wollte einen Spaziergang am Meeresufer machen. Da klopfte es leise an seine Thür, und als er öffnete, stand Frai Torribio vor seiner Schwelle.

La gracia de Dios con Usted, Senhor! sagte der Capuciner mit der Unterwürfigkeit, welche diesen wackeren Mönchen, die den Bevölkerungen des Südens von so unermeßlichem Werthe sind, eigenthümlich ist. Er kam, um sein armes Klösterlein der Mildthätigkeit des Senhor Caballero zu empfehlen. Maximilian gab ihm und gab natürlich so reichlich, daß dem nicht sehr verwöhnten redlichen Frai ganz eigenthümlich warm zu Muthe wurde, während er mehrere Goldstücke in den großen Aufschlag seines groben Kutten-Aermels schob. Er erschöpfte sich in Danksagungen und konnte nicht enden, und als Maximilian glaubte, er habe nun alle Redewendungen rein aufgebraucht, begann er mit erhöhter Wortfülle noch einmal ganz von Neuem.

Maximilian entging nicht, daß er eine Gelegenheit zu einem weiteren Gespräche zu erhaschen suche, und er lud ihn deshalb freundlich ein, sich zu setzen dann erzählte er ihm, daß es auch in Deutschland Klöster seines Ordens gebe und daß die katholischen Deutschen sehr große Verehrer des seraphischen Ordens seien. Frai Torribio's Gesicht verklärte sich, er nahm schmunzelnd eine große Prise und erklärte, daß dieses seine Meinung von den ehrlichen Deutschen um ein Bedeutendes erhöhe; aber er verlor seinen Zweck nicht aus dem Auge, und so hatte er, ehe viel Zeit verflossen, das Gespräch unmerklich auf Maximilian's Aufenthalt in Motril, auf die Villa, auf Donna Manuela Revenga geleitet.

Er erzählte von Donna Manuela's Jugend, er erhob sie bis in den Himmel, und Maximilian hörte ihm mit einem wahren Entzücken zu; doch plötzlich zuckte dieser zusammen, wie Jemand, den aus einem Blumenstrauße, in dessen Duft er sich vertieft, eine Wespe in die Lippe sticht; dies war, als Frai Torribio seufzend sagte: Aber Donna Manuela hat sich muthwillig in eine Gefahr gestürzt, Senhor, und zwar in die, für ihre Lebenszeit sehr unglücklich zu werden.

Donna Manuela – unglücklich – und wie ist das zugegangen?

Senhor Caballero, antwortete mit einem eigenthümlichen erzwungenen Lächeln und mit Achselzucken Frai Torribio … ich kann nur Ihrem Scharfsinne überlassen, sich diese Gefahr selbst zu erklären …

Sie meinen doch nicht …?

Doch, doch, gerade das meine ich, fiel der kluge Mönch vom seraphischen Orden ein; denn – Ihre Sitten sind darin wohl anders, Senhor, aber in Spanien ist es von der Sitte nicht erlaubt, daß eine junge Dame, die allein und unabhängig ist, Tag für Tag den Besuch eines ihr wildfremden jungen Mannes empfängt.

Seit drei Tagen erst bin ich hier!

In drei Tagen, Senhor Caballero, ist schon mehr untergegangen und für immer vernichtet worden, als der gute Ruf eines unbesonnenen jungen Mädchens.

Padre Torribio, sagte Maximilian nach einer langen Pause, während welcher er in tiefe Gedanken versank, seien Sie ohne Unruhe darüber. Ich bin so ziemlich mein eigener Herr und habe zu leben; ich will Donna Manuela heirathen. Mein Diener ist bereits auf dem Wege nach Madrid, um die dazu nöthigen Papiere mir von meinem Gesandten zu holen, der alles Erforderliche ausfertigen kann.

Heirathen!? Ist das Ihr Ernst, Caballero?

Bei der heiligen Mutter Gottes von Atocha, oder del Pilar, wenn diese höher in Ihrer Achtung stehen sollte, ehrwürdiger Vater!

Mit solcher Auskunft war der ehrliche Capuciner vollständig befriedigt: er drückte seinen Beifall zu diesem Entschlusse in den ausschweifendsten Redensarten aus, und dann erhob er sich, wahrscheinlich um der Duenna und vielleicht Manuela selbst spornstreichs die Kunde zu hinterbringen. Aber Maximilian faßte ihn am Arm und versicherte ihm lächelnd, daß er seine Werbung um Manuela's Hand keine »Mönchsarbeit In einem Theile Deutschlands so viel wie das französische: Travailler pour le Roi de Prusse.« werden lassen wolle, sondern daß er im Augenblicke selber zur Villa gehe. So gingen sie denn Beide zusammen und Frai Torribio mußte sich damit begnügen, der Duenna die wichtige Kunde zuerst mitzutheilen, während Maximilian im Patio Manuela aufsuchte, wo Niemand sie belauscht hat.

Daß aber des jungen Mannes Werbung nicht zurückgewiesen worden, zeigte der Erfolg; die Duenna wurde, nachdem Maximilian gegangen, von ihrer Gebieterin gerufen, um eine Nachricht zu empfangen, welche sie mit den Ausrufungen der grenzenlosesten Ueberraschung und einem Schauer von Freudenthränen aufzunehmen für passend fand; Padre Torribio aber erhielt allerlei Aufträge von der jungen Braut, deren Ausrichtung in unglaublich kurzer Zeit der gutmüthige Mönch verheißen mußte, wollte er das glückliche Geschöpf, das er wie eine Tochter liebte, nicht ganz unsagbar ungeduldig machen.

Manuela erwiderte Maximilian's Neigung bald mit einer Leidenschaft, welche ihn in einen wahren Rausch versetzte. Ihrer Verbindung stand nichts entgegen; Manuela war völlig frei; die nöthigen Zeugnisse und Papiere waren bald beschafft, denn Frai Torribio hatte Alles gethan, um seine Aufgaben zu erfüllen.

Der Vicario general ihres Districts hatte bereits dem Prior der Hauptkirche von Motril die Ermächtigung gegeben, das Paar zu proclamiren und zu trauen; zwei Proclamationen waren vorgenommen … da trug eines Nachmittags der Postbote einen Brief in die Posada Maximilian's von Rauschenloo, dessen Inhalt in alle Vorbereitungen aufs störendste eingriff. Es war ein Schreiben des Gesandten, dem Maximilian beigegeben war; Graf N. machte seinem Attaché bittere Vorwürfe, daß er seinen Urlaub über alles anständige Maaß hinaus überschritten habe, und fügte die ernsteste Aufforderung hinzu, sofort nach Madrid zurück zu kommen, um von hier aus einen eben abgeschlossenen Handelsvertrag nach seiner deutschen Residenzstadt zu überbringen und dem dortigen Ministerium dabei mündliche Aufklärungen zu geben.

Maximilian eilte mit dieser Schreckensbotschaft zu Manuela; sie war außer sich darüber, sie betheuerte, dies sei ein Streich ihres bösen Schicksals, nun werde sie niemals Maximilian's Gattin werden, sie habe die feste Ahnung, daß Maximilian's Abreise sie für ewig trenne, ihr Verlobter werde, wenn er ohne sie in seine Heimat zurückkehre, auf immer für sie verloren sein … das leidenschaftliche Wesen war gar nicht zu beruhigen, und umsonst waren alle Schwüre, womit Maximilian ihr seine Treue verpfändete. Sie gestand ihm endlich auch die Furcht, welche sie vor ihrem Bruder hegte, dem sie ihre bevorstehende Verbindung angekündigt habe; sobald ein Aufschub eintrete und ihm die Zeit gewähre, zurück zu kommen und seine Vorkehrungen zu treffen, werde er Alles aufbieten, um sie zu trennen, und vor keinem Mittel zurückscheuen, und sollte es auch ein verbrecherisches sein.

Maximilian that Alles, um sie zu beruhigen, aber vergebens: sie kenne, sagte sie, ihren Bruder, und wisse, welcher Entschlüsse er fähig sei und wie der Gedanke, daß seine Schwester Niemandem auf Erden angehören solle, zu einer Art Monomanie bei ihm geworden; bevor er sie gar einem Fremden ins ferne Ausland folgen lasse, werde er Himmel und Erde in Bewegung setzen.

Maximilian war in Verzweiflung. Manuela's leidenschaftlicher Jammer zerriß ihm das Herz. Dazu kam, daß er in den Augen und den Worten Teresa's und Frai Torribio's, der sich ebenfalls einstellte, um als Hausfreund eine Rolle in diesem Drama zu übernehmen, obendrein etwas zu lesen glaubte, das für ihn die tiefste Kränkung enthielt … etwas, das wie Mistrauen und Unglauben an die Wahrheit seiner Angaben und die Aufrichtigkeit seiner Versprechen aussah! Dies war ihm unerträglich.

Manuela, sagte er endlich, ich kann meine Pflicht nicht verletzen, welche mich zwingt, unverweilt abzureisen … aber ist es denn nicht möglich, daß wir uns morgen trauen lassen? Du bist dann mein Weib und sicher, daß ich in der Heimat meiner süßen Andalusierin nicht vergesse! Ich habe stolze, in manchen Vorurtheilen befangene Verwandte, von denen ich zwar nicht abhänge, die aber, seit meiner ersten Jugend Elternstelle an mir vertreten haben. Ich werde sie auf deine Ankunft vorbereiten, und du folgst mir alsdann ruhig, sobald nur deine Reisezurüstungen fertig sind, von Teresa begleitet, in deine neue Heimat. Die französischen Dampfschiffe und die Eisenbahnen bringen dich in wenig Tagen wohlbehalten nach Schloß Mildenfurth und in meine Arme.

Manuela willigte nach einigem Zögern in diese Auskunft ein, und Frai Torribio eilte, um dem Prior kund zu thun, daß man früh am anderen Morgen von ihm die Trauung des jungen Paares verlange. Der Pfarrer ließ sich geneigt finden; er nahm es über sich, vom fehlenden dritten Aufgebot zu dispensiren, und versprach die Trauung für die Frühe des folgenden Tages.

Manuela befand sich nun in einer unbeschreiblichen Aufregung. Die Abreise Maximilian's, die Vorbereitungen zur Trauung, die jetzt in aller Eile getroffen werden mußten, der Gedanke an Alonso, und daß sie nun vielleicht allein seinem Zorne gegenüberstehen werde, wenn er ankomme, noch bevor sie abreise – denn daß er nach dem Empfange ihres Briefes sich auf den Weg gemacht habe, daran zweifelte sie keinen Augenblick – alles Das versetzte sie in einen fieberhaften Zustand. Dieser vermehrte sich in der schlaflosen Nacht, und am anderen Morgen war Manuela von allen diesen Gemüthserschütterungen des vorigen Tages wirklich ernstlich erkrankt; sie lag im heißen Fieber und klagte in der furchtbarsten Aufregung ihr entsetzliches Schicksal an, welches sie von ihrem Geliebten losreißen wolle …

Der Arzt, mit dem Maximilian aus Motril herbeigeeilt kam, sobald ihm Teresa selbst die Schreckensnachricht in seine Posada gebracht, erklärte, daß die Kranke durchaus beruhigt werden müsse, wenn ihr Zustand nicht gefährlich werden solle. Maximilian drang deshalb darauf, daß die kirchliche Function im Hause vorgenommen werde, und so war es denn wieder an Frai Torribio, sich dienstfertig auf den Weg zu machen und den Priore aus der Kirche, wo er bereits harren mußte, herbeizuschaffen. Dieser erschien denn endlich, nach langem Harren, mit seinem Meßner in der Villa und traute vor dem Bette der Braut Maximilian und Manuela. Als die Ceremonie beendet war, drückte Maximilian noch einmal einen heißen Kuß auf die Lippen seiner jungen Frau, empfahl sie flehentlich dem Arzt und Teresen und eilte davon, um seine Courierreise in die Heimat anzutreten.

Der Arzt hatte jetzt übrigens ein leichtes Spiel – die Krankheit war sehr bald überwunden, und Manuela sehnte sich mit allen Kräften ihrer Seele dem jungen Gemahl in die Ferne des schönen deutschen Landes nach. Ein paar Tage Vorsprung wollte sie ihm lassen, dann auf dem Umweg an den Küsten des Mittelmeeres entlang ihm mit Teresa folgen. Sobald sie fähig war, sich zu erheben, begann sie sich für die Reise zu rüsten. Bald war Alles bereit, die Koffer waren gepackt, Frai Torribio hatte sein geliebtes Beichtkind mit den letzten Segnungen seines guten Herzens überschüttet, und Teresa war gegangen, die Plätze auf der Diligentia nach Almena, dem nächsten Hafen, wo der französische Dampfer sich vor Anker legte, zu bestellen …

Da klopfte es plötzlich, in der Dämmerungsstunde, an die Hausthüre, Manuela ging zu öffnen und wie ein böser Geist aus der Erde emporgestiegen, stand Don Alonso Revenga vor seiner Schwester. Ihre Züge wurden von einer Todtenblässe überzogen bei dem Anblick dieses Mannes, und ihre Hand fuhr zum Herzen, das in diesem Augenblicke krampfhaft stockte.

Wo ist der Fremde? fragte er … Wenn ich zu spät komme, will ich ihn tödten!

Er ist fort – nach Deutschland! ich folge ihm, Alonso, versetzte kaum hörbar, aber mit einem Tone, in den sie Festigkeit zu legen suchte, Manuela.

Also verlassen! rief, ohne darauf zu achten, mit einem bitteren Lachen des Triumphes Alonso aus.

Nicht verlassen – er ist mein Gatte; ich sage dir ja, ich will ihm folgen, er harrt meiner.

Das wirst du nicht thun, Manuela; du wirst ihm nicht folgen; so lange ich lebe, wird meine Schwester nicht wie eine Landfahrerin allein einem fremden Menschen in die weite Welt nachreisen … nein, Manuela, das wirst du nicht thun!

Alonso sprach mit einer Bestimmtheit, daß Manuela aller Muth sank und alle Hoffnung schwand, sie werde ihren Willen durchsetzen können.

Aber er ist mein angetrauter Gemahl, er wird kommen, mich zu holen.

Dein Gemahl? Ah bah! Ich werde auch dafür sorgen, daß er nicht zurück kommt, das überlaß mir!

Manuela brach in lautes Schluchzen aus. Sie rang die Hände, sie warf sich ihrem Bruder zu Füßen, aber Alles vergebens. Don Alonso war nicht zu erweichen: er schwur, seine Schwester nicht von seiner Seite lassen zu wollen, er stieß die furchtbarsten Drohungen gegen Maximilian von Rauschenloo aus. Mitten in seinem Toben aber ließ dieser harte, unerbittliche Mensch durch seinen Zorn hie und da, wie helle Sonnenblicke durch einen Himmel voll dunkler Wolken, Ausrufe und Andeutungen sich entschlüpfen, woraus eine Anhänglichkeit für seine Schwester hervorging, welche beinahe etwas Leidenschaftliches hatte. Es schien, als ob das Leben allen Werth für ihn verlieren würde, sobald er auf die Gewißheit verzichten müsse, daß er es mit Manuela zu Ende führen werde, mit ihr im engsten Kreise, von der Welt abgeschlossen, wie ein freiwilliger Gefangener.

Auf einem tiefen Durchdrungensein vom Werthe der Eigenschaften Manuela's beruhte diese brüderliche Liebe keineswegs; nicht einmal große Achtung vor seiner Schwester hatte Alonso je in seinem Leben an den Tag gelegt; es war wie ein Instinct in ihm, eine nicht mehr auszurottende Gewöhnung, ein Bedürfniß seiner Natur, alles Das, was er von menschlicher Theilnahme der übrigen Welt entzog, auf das eine Haupt zu übertragen, welches er liebte. Er war wie jener vereinsamte Kerkerbewohner, dem eine von ihm gepflegte Blume die Welt ersetzte, und der eine andere Blume ganz eben so geliebt haben würde, hätte der Zufall sie ihm gebracht.

Alonso hatte einen zuverlässigen Diener aus Frankreich mitgebracht, einen unheimlichen Graukopf und eben so verschlossenen Menschen, wie sein Herr war, der ihn durch irgend eine Wohlthat zu einem unbegrenzten Dankgefühl verpflichtet hatte und ihm nun mit voller Sicherheit die Hut Manuela's anvertrauen konnte, wenn Alonso gezwungen war, auf kurze Augenblicke die Villa zu verlassen.

So wurde denn Maximilian's junge Gattin völlig eine Gefangene; die Argusaugen der beiden Späher hüteten sie Tag und Nacht … an eine Flucht war nicht zu denken, Alonso hatte seine Schwester des wesentlichsten Mittels dazu, ihres Geldes, beraubt, und wie er sie hütete, so hütete er auch Teresa, der er mistraute; damit sie nicht etwa einen Brief Manuela's absende, mußte sein Diener sie begleiten, so oft sie ausging, um Einkäufe zu machen oder Bestellungen in Motril auszurichten.

Frai Torribio aber wurde, als er das nächste Mal in der Villa erschien, unumwunden erklärt, daß er seine Besuche einzustellen habe und daß Manuela sich einen anderen Beichtvater erwählen werde. Manuela ließ sich diese gewaltthätige Behandlung Anfangs mit dumpfer Resignation gefallen; sie hatte ja die Hoffnung, daß Maximilian zurückkehren und strenge Rechenschaft fordern werde für die Unbill, welche seiner rechtmäßigen Gemahlin angethan wurde; auch zweifelte sie nicht, daß sie im Laufe der Zeit, wenn erst Alonso's Eifer in der Bewachung seiner Gefangenen nachlasse, Maximilian werde schreiben und ihn zur Hülfe herbeirufen können – obwol sie freilich wieder mit tiefem Zagen an den Augenblick dachte, wenn diese beiden Männer sich einander Aug' in Aug' gegenüber stehen würden!

Aber mit unsäglicher Angst wurde sie erfüllt, als kurze Zeit nach seiner Ankunft schon Alonso ihr eine Eröffnung machte, welche sie vollständig auf die Folter spannen mußte. Sie hatte eine jener alten Romanzen, die Maximilian so geliebt hatte, auf ihrem Instrumente angeschlagen und dann sich erhoben, um, den schmerzlichsten Gedanken hingegeben, im Patio ihres Hauses auf- und abzuschreiten.

El ultimo sospiro del Moro! sagte, um ihr Seufzen zu verspotten, Alonso, der eben eintrat.

Ich wollte, es wäre mein letzter Seufzer! antwortete leise, aus grambeklommener Brust Manuela – ich würde den Tod als eine Wohlthat hinnehmen, weil er mich aus deiner tyrannischen Gewalt befreite!

Der Uebergang in die andere Welt muß sehr unmerklich sein, Manuela, versetzte mit ungewöhnlicher Heiterkeit Alonso; denn dein Wunsch ist erfüllt, du bist schon todt, du weißt es nur selber noch nicht; und ich gestehe dir, fuhr er in leichtsinnigem Tone fort, für eine Todte ist es sehr unpassend, Romanzen von unglücklicher Liebe zur Guitarre zu singen!

Für eine Todte? was willst du mit diesen Scherzen sagen?

Ja ja, für eine Todte … glaubst du mir nicht, so will ich es dir schriftlich zeigen: ich komme eben vom Alcalden damit.

Bei diesen Worten zog Alonso ein Papier aus der Tasche und schlug es vor Manuela's Augen aus einander, doch in einer gewissen vorsichtigen Entfernung von ihr. Die Schrift war – Manuela's Todtenschein: der Alcalde hatte es mit seiner Unterschrift und dem großen Amtssiegel beglaubigt, daß Donna Maria Manuela Revenga y Santigosa, neunzehn Jahre und fünf Monate alt, Tochter u. s. w. u. s. w., am 3. Mai 184*, Morgens um vier Uhr, an einem Nervenschlage verschieden sei.

Um Gottes willen, rief Manuela aus, wie ist das möglich?! Der Alcalde …

Der Alcalde hat gethan, was er thun mußte – ich bin zu ihm gegangen, um ihm die Anzeige von deinem plötzlichen Tode zu machen, und mein Diener und Gil Perez, von allen meinen früheren Schulkameraden in Motril derjenige, welcher mir am treuesten bei meinen tollen Streichen beigestanden hat, und der keinen Grund sah, an meiner Aussage zu zweifeln, haben mich zum Alcalden begleitet, um mir als Zeugen zu dienen. Siehst du? da stehen ihre Namen!

Manuela wollte das Papier ergreifen, um es zu vernichten, sie ahnte nur zu gut, wozu es dienen sollte; aber Alonso hielt das Document triumphirend in die Höhe.

Verknittere mir die Schrift nicht, sagte er, sie muß noch heute auf die Post an deinen Don Masimilian Rosoglio abgehen, noch in dieser Stunde, Manuela; ich habe dem unglücklichen Jünglinge dabei die rührendsten Details über dein christlich erbauliches Ende niedergeschrieben; sein Gesandter in Madrid, an den ich das Blatt adressire, damit es ja nicht verloren geht, wird es ihm zugleich mit irgend einer Staats-Depesche übersenden!

Das ist abscheulich, das ist teuflisch! fuhr Manuela in einer Heftigkeit auf, wie sie noch nie gezeigt hatte … wenn du Das thust, Alonso, will ich dich hassen bis zum letzten Athemzuge meines Lebens! Es ist ein vollendeter Schurkenstreich, ein himmelschreiendes Verbrechen … o Gott, o Gott im Himmel, welche Verruchtheit!

Beruhige dich, Manuela … es ist Alles nur zu deinem Besten … laß ein – zwei Jahre verrinnen, und du wirst es selbst einsehen, wie dein Bruder für dein Bestes sorgt, du wirst mir von ganzem Herzen für Das danken, was du jetzt meine Grausamkeit nennst!

Schweig, Verruchter! Ich habe mir Alles von dir gefallen lassen, ich habe Uebermenschliches ertragen, aber dieses dulde ich nicht, ich laufe zum Alcalden …

Bemühe dich nicht – zum Alcaden werde ich nach einer Stunde meinen Diener senden, um ihm mitzutheilen, daß du zu meiner unsäglichen Freude nicht gestorben, sondern daß du so eben aus einem Starrkrampf erwacht seiest – er könne meine Anzeige jetzt nur in seinem großen Buche wieder auslöschen, den ausgestellten Schein hätte ich sofort verbrannt.

Aber ich, ich enthülle dieses ganze Gewebe von Schändlichkeit …

Alonso ergriff Manuela am Arme und warf sie mit barscher Bewegung in ihren Sessel zurück.

Du wirst nichts enthüllen, sagte er, was deinen Bruder, den Sohn deines Vaters Don Rafael de Revenga, auf zehn Jahre in die Presidios brächte.

Damit entfernte er sich, um das Zeugniß in ein Couvert einzusiegeln und seinen Diener mit demselben auf die Post zu senden.

Von diesem Augenblicke an stand Manuela's Entschluß fest, sich durch jedes Mittel der Wachsamkeit ihres Bruders zu entziehen und die Flucht zu ergreifen. Anscheinend war ihr Muth gebrochen, war sie in den Willen ihres Tyrannen ergeben; sie heuchelte eine dumpfe Gleichgültigkeit gegen das Andenken ihres Geliebten, gegen die Welt, gegen Alles; sie erfüllte mit der nachgiebigsten Sanftmuth alle Wünsche Alonso's; sie unterschrieb mehrmals Documente und Formulare, welche er ihr mit der Angabe, daß sie die Verwaltung ihres kleinen Vermögens beträfen, vorlegte; sie saß ihm Stunden und Tage lang zu seinen Bildern; denn in der That, während er sie als seine Sklavin gefangen hielt, mußte sie der Typus seiner Göttinnen und Heroinen, das Urbild der Schönheit für seinen künstlerischen Cultus sein! Aber im Inneren war Manuela rastlos mit ihren Fluchtplanen beschäftigt.

Sie beschloß endlich, Frai Torribio darüber zu Rathe zu ziehen. Eines konnte ihr Bruder ihr ja nicht wehren, so gern er es gethan hätte – in die Messe zu gehen und ihre Pflichten als gute Christin zu erfüllen; Frai Torribio hatte er zwar das Haus verboten, und Manuela mußte in seiner Begleitung in eine andere Kirche als die der Capuciner gehen; aber was hinderte sie, ihrem neuen Beichtvater ihre Lage zu gestehen und um seine Vermittlung zu bitten? War es doch gewiß nichts Arges, daß sie eine Unterredung mit ihrem würdigen ehemaligen Seelenhirten verlangte! Der Geistliche hörte sie mit größter Theilnahme an und versprach ihr, eine Unterredung mit Torribio suchen zu wollen; und als Manuela das nächste Mal zur Beichte ging, da hatte sie die unbeschreibliche Freude, ihren guten Frai Capucino in dem Confessional zu finden, vor dem sie niederkniete. Damit war viel gewonnen. Frai Torribio sprach ihr Trost ein, so viel er vermochte, und dann verhieß er ihr, Alles aufbieten zu wollen, was in seiner Macht stehe, um sie aus der unwürdigen und unchristlichen Tyrannei zu erlösen, in welcher sie gehalten werde.

Ueber einen Monat sollte Manuela wieder zur Beichte gehen – öfter erlaubte es Alonso ihr nicht – dann wollte Manuela Torribio Schmucksachen bringen, welche sie, in Gold umgesetzt, einen Monat später aus ihres väterlichen Freundes Händen als Reisegeld zurück empfangen sollte; damit war dann einem wesentlichen Bedürfniß abgeholfen. Alonso, der, an eine Säule der Kirche gelehnt, unterdeß Studien an dem geschwärzten Altarbilde, das von der Hand des Zurbaran gemalt sein sollte, gemacht zu haben schien, hatte nichts bemerkt, als Manuela aus dem Beichtstuhl trat, und ging bei der Heimkehr schweigend neben ihr her, der Villa zu.

Nach zwei Monaten war Manuela im Besitz einer ansehnlichen Summe, die ausreichte, um damit nach Deutschland zu gelangen. Aber umsonst hatte sie gehofft, Alonso's Wachsamkeit werde mit der Zeit von ihrer ersten Strenge nachlassen. Er schien hundert Augen zu haben, und sein Diener hütete Tag und Nacht wie ein wachsamer Hofhund den einzigen Ausgang, die Hausthür; die Fenster waren dicht vergittert, wie es die Vorsicht gegen Räuber und Diebe bei der einsam liegenden Villa geboten hatte.

Woche nach Woche, Monat nach Monat verrann – Manuela hielt es nicht länger aus, sie faßte einen heroischen Entschluß. Sie hatte allerlei verzweifelte Plane ausgesonnen; sie hatte einmal beschlossen gehabt, die Villa anzuzünden, um in der Verwirrung einer Feuersbrunst zu entkommen; endlich blieb sie bei dem Auskunftsmittel stehen, welches, indem es sie rettete, zugleich für ihren Bruder eine wohlverdiente Strafe enthielt und allen ihren Schmerz an ihm rächte.

Sie übergab Frai Torribio, als sie das nächste Mal ihn an der Stelle ihres aufgedrungenen Beichtvaters wieder im Confessional fand, einen Brief an den Alcalden von Motril, mit der Bitte, ihn selbst und noch an demselben Tage zu übergeben, ohne zu sagen, von wem er komme. Torribio war bereit dazu, und nachdem Manuela, dieses Mal von Alonso's Diener begleitet, die Kirche verlassen hatte, machte er sich augenblicklich auf den Weg zum Haupte der bürgerlichen Gewalt in der kleinen Stadt.

Manuela erwartete unterdeß mit pochendem Herzen den Erfolg ihrer List; mehrere Stunden noch dauerte es, da klopfte der Rettungsengel für sie an das Thor der Villa, ein Engel in sonderbarem Aufputz freilich, in blauem Rock mit rothem Kragen und einen Säbel an der Seite – Niemand anders nämlich, als der Alguacil, begleitet von zwei stämmigen Guardias Civiles.

Don Alonso Revenga y Santigosa, sagte dieser vortreffliche Mann, ich bedaure Euch und Euren Diener auf einige Zeit der Kunst entziehen zu müssen, welche Ihr mit so großem Fleiße ausübt; aber der Alcalde will es aus höheren Rücksichten so, und hat am heutigen Tage diesen Verhaftsbefehl wider Euch erlassen: Ihr könnt darin lesen, daß es zur Anzeige gekommen, wie Ihr Euch, trotz Eurer auffallenden Zurückgezogenheit, hier doch mehr als billig mit den Welthändeln beschäftigt und durch Eure Vermittlung die Verräther und Ränkeschmiede unterstützt, welche in Paris gegen die geheiligten Rechte unserer edlen Königin Isabel complotiren; ja wohl, Senhor, so ist es, protestirt nicht dagegen, denn die Gerechtigkeit weiß Alles; Ihr dient den Cabreristen und befördert die Briefe, welche sie aus Paris senden. Die Haussuchung nach Euren Papieren vorzunehmen, ist es heute zu spät; es wird morgen im Beisein des Alcalden selbst geschehen – für heute habt die Gefälligkeit, mir in die Stadt hinunter zu folgen.

Don Alonso Revenga war nahe daran, bei dieser Rede des Alguacils vom Schlage gerührt zu werden. Aber weder sein Zornausbruch, noch die Betheurungen seiner Unschuld fruchteten etwas; ja, die Diener der Gerechtigkeit schienen eine gewisse Befriedigung bei der Ausführung ihres Auftrages zu empfinden und aufs strengste ihre Pflicht zu erfüllen. Denn Don Alonso, der Misanthrop, der hochmüthige, schweigsame Mensch, war weder geliebt noch geachtet, und seine auffallende Zurückgezogenheit, sein stetes Eingeschlossensein in der einsamen Villa war längst zu seinem Nachtheile gedeutet worden. Manuela's Vermählung war natürlich nicht unbekannt geblieben; daß sie ihrem Gatten nicht folgte, daß dieser nicht zu ihr zurückkehrte, war man in Motril sehr geneigt, auf die Rechnung von Alonso's Intriguen zu schreiben, so wenig man auch im Stande war, das ganze Verhältniß zu durchschauen. Manuela aber war Gegenstand allgemeiner Theilnahme. Und so kam es, daß der Alcalde von Motril den Verhaftsbefehl gegen den Maler mit großer Hast und Bereitwilligkeit auszustellen befohlen und mit Vergnügen unterschrieben hatte.

Manuela bereute bei Alonso's entsetzlichen Wuthausbrüchen beinahe, was sie gethan. Aber sie nahm sich ein Herz, sie dachte an Das, was sie selbst gelitten, noch mehr an Das, was Maximilian gelitten haben mußte, und so wappnete sie sich mit Entschlossenheit, und als Alonso, an jeder Seite einen der Gardisten, die Schwelle überschritt, da legte sie ihm zum Abschied die Hand auf die Schulter und sagte:

Alonso – es ist gefährlich mit dem Feuer spielen.

Kannst du falsche Zeugnisse schmieden lassen, ich verstehe auch die Hülfe des Alcalden zu finden … du hättest an die Romanze denken sollen:

No estè tan contenta, Juana,
En ver me penar vor tì;
Que so que hoy fuere de mì
Podrà ser de tì mañana!

Alonso warf ihr einen Blick voll stummer Wuth zu. Wenn dies dein Werk ist, sagte er, so rathe ich dir, nicht zu triumphiren; meine Gefangenschaft hilft dir nicht mehr, unglückliches Geschöpf, es ist für dich zu spät dazu, hörst du, zu spät! Du würdest es bis an dein Lebensende bereuen, wenn du diesen Augenblick benutztest, um zu fliehen!

Manuela erbleichte bei diesen Worten, die Alonso mit einem eigentümlich drohenden Ausdruck sprach; sie wollte eine Erklärung fordern, aber die Diener des Gerichts zogen ihn fort. Auch schlug sie sich die Sorge darüber bald aus dem Sinn. Sicherlich war es nichts Anderes als eine leere Drohung, welche sie von der Flucht abhalten sollte, während er selbst daran gehindert war, sie zu hüten. Darum machte sie hastig die letzten Reisezurüstungen; wenige Stunden waren verflossen, und Manuela saß, von ihrer treuen Teresa begleitet, auf der Diligentia, welche sie nach Almeria entführte.



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