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Viertes Kapitel.
Se. Gestrengen.


Der Freiherr von Mildenfurth war ein Mann von einer gewissen historischen Bildung; er war sogar nicht ohne Geist und besaß Menschenkenntniß genug, um eine Art Misanthrop geworden zu sein. Er war nie verheirathet, er hatte eine lange Existenz in der Einsamkeit seiner Eichenwälder verlebt, die selten unterbrochen wurde durch irgend eine Verhandlung, welche ihn mit seinen Standesgenossen zusammenführte, oder in seinen jüngeren Jahren durch eine Reise in die Niederlande und nach Paris, wo er Verwandte hatte. Er war der Letzte seines Stammes; sein Name ging mit ihm unter, sein Besitzthum erbte Maximilian Rauschenloo, der Sohn seiner einzigen Schwester.

Dazu kam, daß Ruprecht Mildenfurth sehr reich und daß er umgeben war von Menschen, welchen ihr Vortheil gebot, ihm unbedingt zu gehorchen, ihm nie zu widersprechen. Kein Mensch – es müßte ihm denn ganz an innerer geistiger Thätigkeit fehlen – wird in solchen Verhältnissen nicht zum Original werden. Die völlige Muße seines Geistes wird ihn zu excentrischen Vorsätzen, der Reichthum wird ihn zur Ausführung dieser Vorsätze verleiten, und Schmeichler und Schmarotzer werden, um ihn auszubeuten, ihn weiter locken, als er selbst Anfangs gehen wollte. Die Uebertreibung wird dann endlich Widerspruch erwecken, und dieser Widerspruch wird im excentrischen Wesen unerschütterlich machen.

Ruprecht Mildenfurth war in hohem Grade Das, was man einen Familientyrannen nennt. Er gehörte zu jenen Menschen, welche das große, im Grunde so räthselhafte Drama der Unterdrückung, das ganze Nationen und Völker mit sich spielen lassen, im Kleinen, im Kreise der Blutsgenossenschaft aufführen. Er war für Alles, was von ihm abhing, das lebendig gewordene Princip der Centralisation. Sein Machtwort entschied Alles. Auch hat es nie einen Mann gegeben, auf den besser jene feierliche Anrede paßte, welche ehemals altfranzösische Courtoisie gestrengen Rittern gab: Généreux, strenue, diligent, robuste et ingenieux chevalier, méritant du Roy nostre souverain seigneur familière bénigvolence … très hannouré et redoubté seigneur!

Es lag übrigens etwas wahrhaft Königliches über die Erscheinung des Schloßherrn von Mildenfurth ausgegossen. Eine hohe, breite Gestalt, ein mächtiges, sehr geröthetes Antlitz mit starken schneeweißen Brauen über den großen runden Augen, ein gewaltiger Haarwuchs von grauen Locken, eine Stimme, welche wie der Sturmwind, der sich in einer Felsenkluft verfängt, hohl und sonor daherrauschte, das waren die hervortretendsten Eigenschaften des Gewaltigen, vor dem Maximilian Rauschenloo stand.

Welcher unverschämte Schlingel dringt wider meinen Willen bei mir ein?! donnerte Onkel Ruprecht … aber auf dieses Forte folgte der Ausruf:

Du, Max, du hier? in einer so völlig veränderten Tonart, so wenig dem früheren Brüllen ähnlich, daß Maximilian Rauschenloo verwundert seinen Oheim fragte:

Nun ja, lieber Herr Oheim … Sie erschrecken darüber?

Erschrecken?! wiederholte der Freiherr, Luft schöpfend, wie Jemand, der über einen plötzlich vor ihm niederfahrenden Blitzschlag den Athem verloren hat, – erschrecken?! nein, aber … und die Röthe, die einen Augenblick von seinem Gesichte gewichen war, kehrte voll dahin zurück, und die gewaltigen Lungen zogen Luft ein, wie ein durstiger Dromedar Wasser aus dem Wüstenborn einsaugt, und der Freiherr donnerte:

Was soll das bedeuten? Hat man von mir Erlaubniß, hier zu sein? Hat man nicht morgen seiner Frau Gemahlin Namenstag zu feiern? Warum läuft man über Land und läßt seine Dame an einem solchen Tage daheim? Heißt das ein Weib verdienen, wie Margarethe …?

Lieber gnädiger Oheim, ich wußte nicht, daß Sie so gewaltigen Werth auf Galanterie gegen Damen legen. Lassen Sie uns in Ihr Arbeitszimmer treten, ich habe Wichtiges mit Ihnen zu besprechen!

Wichtiges …?

Ja, Wichtiges, und gerade Margarethen, Ihr und aller Welt Idol, betreffend.

Was ist es? Nur gleich heraus damit, und sofort dann in die Stadt zurück!

Aber, lieber Onkel, schreien Sie doch nicht so … wenn Sie mich denn durchaus zum Hause hinaus werfen wollen, gut, so gehe ich schon. Ich wollte Ihnen ankündigen, daß ich mich von Margarethen werde scheiden lassen. Das ist Alles, Adieu, Onkel!

Maximilian Rauschenloo wollte sich erzürnt abwenden; aber der Freiherr hatte ihn rasch am Arme gefaßt, und als der Neffe in das Antlitz des zornmüthigen alten Herrn blickte, wurde er erschreckt durch den Ausdruck des Entsetzens, welches sich darauf malte. Ruprecht stand eine Weile sprachlos und verrieth nur durch das Rollen der tiefen Runzeln in seinem Gesichte, wie gewaltig es in seinem Innern arbeitete. Dann öffnete er den Mund zum Sprechen – aber er hatte den Athem verloren, er stöhnte mühsam:

Um Gottes willen, Mäxchen! du wirst doch nicht deine Familie in Schande stürzen, du wirst doch deinen alten Oheim nicht ins Grab bringen wollen. Mäxchen, Mäxchen … und dann, wie plötzlich wieder im Besitze seiner vollen Kraft, donnerte er:

Junge, ich enterbe dich!

Thun Sie das, lieber Onkel! sagte der junge Mann mit dem Ausdruck der vollsten Gleichgültigkeit.

Des alten Freiherrn Muth schien wieder gebrochen – er faßte seinen Neffen unter den Arm und führte ihn in sein Wohnzimmer.

Maximilian Rauschenloo warf sich hier in einen wurmstichigen Lehnsessel, zog langsam sein Portefeuille aus der Tasche, überreichte den Brief an Margarethen, welchen er aufgefangen, seinem Oheim, und sagte tonlos:

Lesen Sie das.

Maximilian war doppelt und dreifach gereizt, er war mehr als hinlänglich mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, aber er konnte doch nicht die Seltsamkeit übersehen, welche sich in dem ganzen Betragen seines Oheims zeigte. Es war allerdings jedem der Verwandten verpönt, den alten Herrn zu besuchen»ohne schriftlich um die Erlaubniß dazu bei ihm eingekommen zu sein; aber Maximilian, der begünstigte Neffe, der Stammhalter und Majoratserbe, war dennoch eine andere Behandlung gewohnt, wenn er auch solche Vorschriften überschritt; und dazu war es unserm Freunde nicht entgangen, daß sein Oheim offenbar bei seinem Anblicke erschrocken war, daß er die Farbe gewechselt hatte, noch ehe Maximilian Margarethens nur mit einer Sylbe erwähnt hatte. Und dieses Schwanken zwischen Zorn und Kleinmuth … so etwas war vollends an dem wüthigen Wappenleuen von Schloß Mildenfurth ganz unerhört. Blaß, so blaß, wie die lebenstrotzenden Tinten seines Antlitzes es zuließen, aufgeregt, hastig, fuhr der alte Herr jetzt umher und konnte in der Verwirrung auf seinem mit Acten, Urkunden und Folianten bedeckten Arbeitstische nicht die Brille finden; endlich ward sie in einem schweinsledernen Exemplare von Schaten's Annalen, worin sie als Lesezeichen stak, entdeckt und ans Licht gezogen, und Ruprecht Mildenfurth las.

Maximilian Rauschenloo beobachtete seine Züge: diese Züge wurden einen Augenblick nachdenklich, dann ließen sie ihre Spannung fahren, dann wurden sie hell und heller, und endlich lachte der alte Freiherr sogar und sagte in einem Tone so freundlich, wie Maximilian ihn noch nie von ihm vernommen:

Den Schrecken hättest du mir sparen können – ist's weiter nichts?

Weiter nichts?! Ist das nicht genug?!

Ich will dir Etwas sagen, Maximilian … es thut mir sehr leid, daß du dich entsetzt hast … aber um dieses Briefes willen von Margarethen scheiden zu lassen brauchst du dich wahrhaftig nicht, denn … ja … auf Cavalierparole … nein, das brauchst du nicht!

Der alte Freiherr ließ den Kopf mit dem gewaltigen Unterkinn auf die Brust sinken und arbeitete mit den buschigen Brauen wie ein Löwe, dessen Stirn eine Wespe umsummt … er dachte.

Nach einer Pause, während welcher Maximilian trotz der peinlichsten Spannung ihn nicht zu unterbrechen wagte, erhob er das Haupt und rief mit einer Stimme, die darauf los zu segeln begann, wie ein Dampfer, der frischen Kohlen- und frischen Wasservorrath eingenommen hat:

Ja Maximilian, es ist ein recht schlechter Spaß, ich glaube, von dem niederträchtigen Wennemar oder einem ähnlichen Hanswurst geht er aus … ein Aprilscherz sollte es sein, nichts als ein Aprilscherz; sie haben den Brief in den letzten Tagen des verflossenen März fabricirt und dann an einen Freund am Rhein geschickt, daß er dort zu rechter Zeit auf die Post gegeben werde und am ersten April bei dir ankomme … siehst du, Junge, das ist die ganze Geschichte. Der Brief sollte dir am ersten April in die Hände fallen; nun hat, wie das so geht, der Teufel sein Spiel damit getrieben; der Spießgeselle war vielleicht gar nicht am Rhein anwesend und hat erst jetzt den Brief bekommen und ihn abgeschickt – es ist ein miserabler Streich …

Ist das wahr, Oheim, ist das wirklich wahr? jauchzte Maximilian auf.

Ich gebe dir meine Cavaliersparole, daß dieser Brief nicht an Margarethen gerichtet ist und daß deine Frau niemals von einem Alphonse auch nur reden gehört hat; mein Wort als Edelmann darauf! donnerte Onkel Ruprecht.

Auf Ruprecht's Ehrenwort konnte man Häuser bauen. Maximilian hätte seinen Oheim gern umarmt, wenn dieser nur nicht gar so grob gewesen wäre.

Sie geben mir das Leben wieder, sagte er. Aber Wennemar soll mir für diese Dummheit büßen …

Jetzt geh aber! fuhr der Freiherr von Mildenfurth fort; du bist ja jetzt fertig! ich habe zu thun. Adieu, Max!

Sie werfen mich ja vollständig zur Thür hinaus! Ich muß doch zuerst Amalgunden begrüßen. Auch sind meine Pferde müde, die Nacht werden Sie mich schon noch in Mildenfurth dulden müssen. Morgen mit dem Frühesten eile ich zu Margarethen zurück und leiste ihr demüthigst Abbitte.

Der Freiherr zeigte bei diesen Worten auf seinem Gesichte von Neuem deutliche Spuren eines mit Schrecken gemischten Unwillens.

Margarethen davon reden? Pinsel, der du bist! Als wenn man die Weiber auf solche Sachen bringen dürfte! Das grübelt und forscht … kein Wort davon an sie, hörst du, Junge! – Nun mache, daß du fort kommst. Tante Amalgunde kannst du nicht sehen, Amalgunde ist krank.

Krank? die gute Tante … und woran?

Woran? Nun, am Gallenfieber, woran anders? … man sieht ihr das permanente Gallenfieber ja auf drei Meilen Weges an.

Hören Sie, mein gnädigster Oheim, sagte Maximilian Rauschenloo, der in der freudig erleichterten Stimmung, in welche er durch die erhaltenen Aufschlüsse versetzt war, sich von einem ungewöhnlichen Uebermuth gestachelt fühlte, hören Sie, mein gnädigster Oheim, ich glaube nicht an das Gallenfieber … weshalb ich Tante Amalgunde nicht sehen soll, ist auch wieder solch ein kleines Geheimniß – ja, ja, es gibt allerlei Geheimnisse in Mildenfurth, denen ich auf den Grund kommen muß …

Maximilian wußte wohl, als er diese Worte begann, daß er den alten Herrn sofort in den Harnisch bringen werde; die Art von Todesgefahr, die mit diesem Recken für ihn verknüpft war, hatte ihn gerade dazu gereizt; aber er ahnte nicht entfernt, daß er mit seinem Scherz Ruprecht Mildenfurth selber in eine Art von Todesgefahr bringen werde, in die nämlich, vom Schlage gerührt zu werden. Der alte Herr ließ sich mit aschgrauem, fahlem Gesichte in seinen Sessel zurückfallen und wiederholte:

Geheimnisse? … Was willst du damit sagen, Maximilian?

Nun, wenn man Onkel Wennemar reden hört, so handelt es sich um nichts weniger als …

Es war ein Glück für den alten Freiherrn, daß Maximilian einen Gewährsmann nannte; jetzt hatte Ruprecht Mildenfurth doch mindestens Jemanden, an dem er unmittelbar seinen Zorn auslassen konnte; der Zorn gab ihm Luft, und den Stein, der ihm auf der Brust lag, schleuderte der gequälte Schloßherr in Form einer gräulichen Verwünschung dem unglücklichen Wennemar aufs Haupt.

Das hilft Ihnen Alles nichts! sagte Maximilian, der verlegen geworden war, aber sich nicht anders zu helfen wußte, als indem er fortfuhr, um so mehr, weil durch das ganze ungewöhnliche Betragen seines Oheims aufs Neue in hohem Grade seine Neugier gespannt war. – Sie können doch nicht leugnen, daß Sie den Grafen von Paris unter Ihrem Dache haben!

Ruprecht sah seinen Neffen betroffen mit großen Augen an, dann blitzte aus diesen großen, weit offenen, hervortretenden Augen Etwas hervor, in welchem eine eigenthümliche Schlauheit zuckte.

Den Grafen von Paris …? wiederholte er. Nein, Junge, der ist's nicht, auf Cavaliersparole, der ist's nicht …

Sie gestehen also ein, daß jemand Fremdes, jemand Geheimnißvolles …

Geheimnißvolles! Dummer Schnack! Ein armer Student ist's, den die Amalgunde drüben im alten Bau untergebracht hat, ein armer Teufel von Theolog, den sie unterstützt und den sie für die Pfingstferien hierhin geladen hatte … Der dumme Junge hat sich überstudirt und ist hier eines schönen Tages in unsrer Gegenwart, während wir ruhig zu Tische sitzen, urplötzlich übergeschnappt … irrenhausmäßig, Maximilian, es war schrecklich anzusehen, die Amalgunde hat aus Alteration ein gastrisches Fieber bekommen …

Ein Gallenfieber, lieber Onkel!

Gallenfieber – ich versprach mich – der Arzt aber meint, es würde in wenig Wochen vorübergehen.

Das Gallenfieber?

Die Verrücktheit – fall' mir nicht ewig in die Rede, Teufelsjunge! – die Verrücktheit; nur müsse man den fixen Ideen des Menschen, worunter auch die ist, in Weiberkleidern herumgehen zu wollen, nachgeben und ihn schonend behandeln. Deshalb haben wir das Unglückskind denn bei uns behalten und suchen ihn vor den Menschen zu verstecken – wenn wir ihn in ein Hospital oder in ein Irrenhaus gesandt hätten, wäre er auf ewig unglücklich – zum Geistlichen würde man nach der ausdrücklichen Vorschrift des tridentinischen Concils ihn nicht mehr nehmen, sein ganzes Leben hindurch würde er … nun, du begreifst das schon; darum halte reinen Mund und laß den Hanswurst Wennemar vom Grafen von Paris schwätzen!

Maximilian Rauschenloo wußte nicht, was in Wesen und Ton seines Onkels bei dieser Mittheilung lag, das ihm Mistrauen gegen die Wahrheit derselben einflößte; doch suchte er diesen Eindruck von sich abzuschütteln, da die Angaben ja nichts Unwahrscheinliches enthielten. Der Oheim klingelte seinem Bedienten jetzt, und als dieser erschien, sagte er seinem Neffen:

Du kannst freilich nicht mehr heim, es ist Nacht geworden. So geh denn jetzt in deine Zimmer nach oben, laß dir Nachtessen bringen, und dann lege dich schlafen. Morgen mit dem Frühesten mach dich heim. Gute Nacht, Max.

Gute Nacht, mein gnädigster Onkel, antwortete der junge Mann, sich aus einem unruhigen Nachdenken, in welches er sich zu verlieren begonnen, aufraffend, machte seinem Oheim eine tiefe Verbeugung und folgte dem Diener, der, einen silbernen Armleuchter mit brennenden Wachskerzen in der Hand, vor ihm herschritt und ihn durch einige Gemächer, dann eine breite Stiege empor in die Zimmer führte, welche Max gewöhnlich auf Mildenfurth bewohnte.

Diese Zimmer lagen im zweiten Stockwerke des Ruprechtsbaues, nach hinten hinaus und gingen auf einen offnen, von massiven Steinpfeilern getragenen Bogengang, eine sogenannte Laube, welche an dieser Seite des Gebäudes das ganze zweite Stockwerk entlang lief. In dem ersten der beiden Gemächer führte eine Fensterthür auf diesen Gang.

Als Maximilian dies erste Zimmer betreten hatte, setzte der Diener den Armleuchter auf einen Tisch, schob einen Sessel herbei und überließ den jungen Mann seinen Gedanken, mit dem Versprechen, sogleich mit kalter Küche und andern Erfrischungen wieder da sein zu wollen. In unglaublich kurzer Zeit kam er zurück und blieb dann im Zimmer, um Maximilian zu bedienen, obwol dieser ihm wiederholte, daß er sehr gut ohne ihn fertig werden könne. Der Diener antwortete nur durch ablehnende stumme Verbeugungen, bis Maximilian ihm winkte, das Couvert und die Schüsseln zu entfernen. Er hätte gern mit dem Alten geplaudert, um zu versuchen, ob dem vertrauten Hausmöbel seines Oheims nicht einige aufklärende Winke zu entlocken seien; aber er unterdrückte den Wunsch, weil er es unpassend fand, seines Verwandten Geheimnisse den Bedienten desselben abzulocken.

Als er endlich allein war, löschte er die Kerzen aus und begab sich in das größere Gemach nebenan, welches zum Schlafzimmer diente. Eine tiefe Dämmerung, das Dunkel einer Hochsommernacht, herrschte darin. Maximilian warf ein Paar Fensterflügel offen und legte sich dann angekleidet auf das breite Himmelbett, welches einen großen Theil der den Fenstern gegenüberstehenden Wand einnahm. Je mehr seine Augen sich an dies Dunkel gewöhnten, desto deutlicher traten die Umrisse der Gegenstände, welche dieser große, altväterisch aussehende Raum umschloß, hervor; und Alles, was aus dem Dunkel mehr und mehr auftauchte, schien unter seinen nebelhaft weichen Conturen und verschwimmenden Formen lebendig zu werden.

Maximilian war es, als hätten sich die schwarz gebeizten gewundenen Säulen, welche den Betthimmel über ihm trugen, unter der gründamastnen Last auf ihren Köpfen so zusammengekrümmt und litten unsägliche Schmerzen, die armen Krüppel. Die hohen, oben abgerundeten Sessel an den Wänden sahen auf ein Haar so aus wie stattliche schwarze Männer mit dicken Köpfen und breiten hohen Schultern, die aufrecht an der Wand entlang saßen, gleich einer Versammlung von ehrwürdigen Rathsherren; den eigenthümlichsten Eindruck aber machten zwei Wappenhalter aus Gips über dem großen Kamin, welche ein mächtiges Alliancewappen aus Stuck bewachten und wie es den Anschein hatte, die beiden Schilde dicht an einander geschoben hielten. Es war ein zähnefletschender Windhund und eine geflügelte Harpye, erhaben, beinahe en haut-relief aus der Wand herausgearbeitet. Schien es doch, als hätte der boshafte Zufall, der diese Bestien heraldisch zusammenbrachte, darauf anspielen wollen, welche lachende und wohlthätige Genien es sind, die nur zu oft solche standesmäßige »Alliancen« zusammenkuppeln und aneinandergeschlossen halten, der Windhund Hochmuth und die Harpye Habsucht!

Maximilian dachte dabei an seine eigene Verbindung und ließ in Gedanken die kurze Geschichte seines Verhältnisses zu Margarethe an sich vorübergehen. Und indem er an dieses schnelle sich Finden, dieses freie und offne Erschließen eines Herzens sich erinnerte, welches schwerlich je sich hatte unterdrücken lassen, sondern immer in beinahe übermüthiger Lebenslust schlug, fühlte er sich beschämt über den Verdacht, den er gegen sein junges Weib gehegt hatte. Nein, sie war gewiß nicht gegen ihre Neigung in eine Convenienz-Ehe gezwungen worden – wie hatte er nur so verblendet sein können, daran zu denken! Sie war ihm viel zu rückhaltlos entgegengekommen; ihre klare und freie und selbstvertrauende Natur hatte ihm so glänzenden Auges, so ungeziert und rasch die Hand gereicht – er mußte sich sagen, daß er ein rechter Thor gewesen mit seiner Eifersucht!

Räthsel blieben aber dennoch genug zurück. Ein Aprilscherz? … es konnte sein; doch war er im April ja noch gar nicht vermählt gewesen, und damals erst seit einigen Tagen mit Margarethe Wartenstein verlobt. Und der geheimnißvolle Gast … Maximilian grübelte und grübelte, bis er eine Lösung gefunden zu haben glaubte. Wer weiß, sagte er sich, ob nicht dieser Alphonse eine und dieselbe Person mit dem verrückten armen Studenten ist, den Onkel Ruprecht mit so viel Verlegenheit und sonderbarem Wesen vor mir in Scene gesetzt hat? Und wenn dieser Herr Alphonse einen solchen Brief an Margarethe schreibt – was kann er dann anders sein, als ein nächster Verwandter, als ein Bruder?! Das muß er sein … ein verlorener und plötzlich wieder auftauchender Bruder! Margarethe ist mir als einziges Kind, als die Erbin eines großen Reichthums vermählt … jetzt kommt ein verschollener Bruder plötzlich zurück, weiß der Himmel nach welchen überwundenen Schicksalen und aus welchen seltsam verschlungenen Verhältnissen; er beansprucht, als bevorrechtet durch sein Geschlecht, als Majoratserbe, Margarethens Rittergüter. Sie haben Angst mir zu gestehen, daß ich statt einer Erbin einer Frau ohne Vermögen getraut bin – man verheimlicht mir den von den Todten Auferstandenen, will mich erst langsam vorbereiten, vielleicht ist es ein verwilderter verkommener Mensch, den man sich scheut zu präsentiren: oder es gehören Thatsachen zu seiner Vergangenheit, die ihn zwingen verborgen zu bleiben; oder man hofft, seine Ansprüche im Stillen ihm abzukaufen – ja, das wird, das muß es sein!

Dieser Gedanke hatte alles mögliche Beruhigende für Maximilian; und so war er nahe daran, sich dem Schlummer zu überlassen, der ihn jetzt anwandelte. Schlaftrunken schweiften seine Blicke durch das geöffnete Fenster, über den dunklen Wiesenstreifen, auf den sie draußen fielen, und den noch dunkleren Wald dahinter, aus dem von Zeit zu Zeit der Schrei eines jagenden Nachtvogels tönte.

Da war ihm plötzlich, als höre er ein Knistern in seiner Nähe. Er lauschte. Tiefe Stille; nach einer Weile begann es von Neuem; es waren leise langsame Fußtritte, die über den Boden glitten; sie schienen aus dem offenen Gange durch die Fensterthüre in das Nebenzimmer zu kommen; sie nahten sich immer mehr, sie waren jetzt unverkennbar im Nebenzimmer, zugleich rauschte Etwas, wie ein seidenes Gewand – Maximilian hob leise und unhörbar den Oberkörper auf und lauschte; eine Weile war Alles wieder still – dann begann der Schritt wieder zu knistern, der Stoff leise zu rauschen und zwar jetzt lauter und noch näher – einen Augenblick noch und Maximilian sah eine feine duftige weibliche Gestalt in der offenen Thüre, welche aus seinem Schlafgemach in das Vorzimmer führte, wie in einen Rahmen treten.

Sie schien ihre Blicke in dem großen Raume prüfend umherzuwerfen, dann trat sie über die Schwelle, Maximilian hörte ein Summen, wie wenn Jemand für sich ein Lied summt, aber sein Herz begann heftig zu schlagen, als er wahrnahm, daß die seltsame Erscheinung zwar langsam, aber grades Weges auf das große Himmelbett zuschritt, dessen Vorhänge ihn verhüllten. Deutlicher hörte er das Summen, er unterschied eine Melodie; aber die Dunkelheit war zu groß, als daß er mehr denn die Umrisse der Gestalt, die ja dem dämmerigen Schimmer, welcher durch die Fenster quoll, den Rücken zuwandte, wahrnehmen konnte.

Seine Pulse klopften beinahe hörbar – er hielt den Athem an, um sich nicht zu verrathen – es stand nur noch einen Schritt weit von ihm, – da seufzte es tief auf, wandte sich und ging eben so langsam zurück bis an die gegenüberliegende Wand, wo es sich auf einen der alterthümlichen Sessel niedergleiten ließ. Maximilian hob sich höher auf: er konnte wahrnehmen, wie die räthselhafte Erscheinung die Hände zusammenfaltete, dann sie an's Gesicht legte – er verwünschte die Dunkelheit, die der Bogengang verdoppelte – sie flüsterte etwas – es waren ein Paar unarticulirte Laute: dann beugte sich die Gestalt vorwärts, der Kopf senkte sich – sie blieb lange in dieser Stellung – Maximilian kam auf den Gedanken, sie müsse weinen – und in der That, nach einiger Weile vernahm er ein leises Schluchzen.

Maximilian strich sich mit der Hand über die Stirn – sie war kalt und feucht geworden – und über die Augen; er wollte sich überzeugen, ob er denn träume oder wache; die Bewegung, welche er dabei machte, berührte den Damastvorhang, der ihn verbarg, der Stoff rauschte, das alte Möbel, auf dem er lag, stöhnte leise – die Erscheinung fuhr empor, stand einen Augenblick lang aufrecht vor ihrem Sessel da und dann stieß sie einen Schrei aus und schwang sich mit Blitzesschnelle auf die niedere Brüstung des nächsten offenen Fensters. Einen Augenblick noch war sie sichtbar: einen Augenblick lang zeichneten sich ihre Umrisse an dem dunklen Abendhimmel ab – dann war sie jenseits hinuntergesprungen und verschwunden.

Maximilian hatte sich erhoben, hatte sich von seinem Bett hinabgleiten lassen, stand im Nu am Fenster und streckte den Oberkörper hinaus … er sah nichts mehr; auch er schwang sich jetzt über die Fensterbrüstung in den offenen Gang hinaus und spähete über die Brustwehr; eine leere Tiefe, auf deren Grund der schlammige Schloßgraben sich befand, gähnte ihn an; nun eilte er an das Ende des offenen Ganges, wo eine kleine Thüre sich befand, die auf einen Corridor im benachbarten »Amalgundenbau« führte; aber diese Thüre war so fest verschlossen, wie er sie immer seit seinen Knabenjahren auf Geheiß des Oheims verschlossen gewußt hatte. Es blieb ihm nichts übrig, als an die Thüre in seinem Vorzimmer zu eilen, dieselbe, durch welche er in diese Gemächer gekommen war und die außer jener andern den einzigen Zugang dazu bildete. Er faßte den Drücker – aber – auch sie war verriegelt; das alte Schloß krachte unter Maximilian's kräftiger Hand – doch, es hielt! Der junge Mann war ein Gefangener in seines Oheims Haus!

Betroffen ging er zurück. Das wurde denn doch des Räthselhaften und Geheimnißvollen zu viel. Maximilian's tröstende Hypothese war zu Boden geworfen. Das war kein Mann, kein Alphonse, auch sein verrückter Student, was sich eben mit der Leichtigkeit einer Sylphe über die Brüstung seines Fensters geschwungen: es war eine so feine weibliche Gestalt, wie Maximilian je eine gesehen. Unruhig schritt er lange auf und nieder, und grollte auf den Haustyrannen, von dessen despotischer Gemüthsart er sowol wie alle andern ihm Angehörigen sich viel hatte gefallen lassen, – der aber jetzt den Bogen über das erträgliche Maaß spannte, indem er seinen Neffen wie ein Kind behandelte, dem man Mährchen aufbindet und das man einsperrt. Aber was war zu thun? Lärm machen und den alten Bären in seiner eigenen Höhle reizen? Maximilian stand nach einigem Besinnen von dem Gedanken ab und mußte endlich, in sein Schicksal ergeben, sich zur Ruhe legen.

Ruprecht Mildenfurth hatte unterdeß, nachdem sein Neffe ihn verlassen, auf dem Gange vor seinen Gemächern das Zurückkommen des Dieners von oben abgewartet und ihm einige Aufträge gegeben. Kurze Zeit darauf dröhnte der schwere Schritt des Freiherrn in dem engen und langen Corridore, welcher aus seiner Wohnung in die Gemächer seiner jungfräulichen Schwester Amalgunde führte. Sie saß in ihrem Salon in einem Lehnsessel am Fenster.

Es war eine große, hagere und ernste Dame in einem schwarzen Seidengewande, welches bis hoch am Halse schloß; ein zierliches Spitzenhäubchen bedeckte das ergrauende Haar. Das Gallenfieber, welches sie verhinderte, ihren geliebten Neffen zu begrüßen, mußte sehr milde und geringfügig sein, denn sie saß aufrecht da, und ihre feinen, aber markirten, langgespannten Züge zeigten ihren gewöhnlichen mattgelben Teint mit starkem, durch die trockene Haut schimmerndem rothem Geäder; gerade so sah sie immer aus.

Vor ihr stand ein Nähkorb auf einem kleinen Tische, angefüllt mit einem großen Vorrath von buntfarbiger Wolle, welche Fräulein Amalgunde zu einer Stickerei brauchte; aber sie hatte, so schien es, schon lange nicht mehr gearbeitet, denn auf die weiche Wolle hatte sich ihr weiß und braun gefleckter, seidenhaariger Wachtelhund gebettet und blickte, das Kinn auf den Rand des Korbes stützend, mit unbeschreiblicher Keckheit seine Gebieterin an, welche nicht Grausamkeit genug besaß, ihren ungezogenen Liebling aus seinem warmen Neste zu werfen. Es war ja zudem auch zum Arbeiten viel zu dunkel geworden, als der Freiherr Ruprecht eintrat und, den Schweiß sich von der Stirn wischend, seiner Schwester zurief:

Der Junge ist da! Sie muß augenblicklich fort – noch in dieser Nacht, oder die Sache schlägt uns über den Kopf zusammen!

Leiser, ich bitte dich, guter Ruprecht, lispelte Amalgunde, sich erhebend. – Das Fräulein, welches in Allem das Widerspiel ihres Bruders war, hatte sich nach und nach das sanfteste Lispeln angewöhnt, um ihm dadurch das Ueberflüssige des Kraftaufwandes anzudeuten, welchen er ohne Unterlaß seinem Respirations-Organe zumuthete.

Wo ist Maximilian? fuhr sie fort.

Ich habe ihn in sein Zimmer führen und ihn darin einsperren lassen!

Gott, wie unvorsichtig ist das! Immer deine rohen Gewaltmittel!

Rohe Gewaltmittel! Als wenn es andere gäbe! Schaffe sie fort, rathe ich dir, oder ich greife zu einem noch viel roheren Gewaltmittel! Ich nehme Schwefelfaden und Zunder und lasse noch diese Nacht den alten Bau in Flammen aufgehen, damit Alles, was darin ist, von der Erde vertilgt werde und in Asche verwehe!

Der Freiherr warf sich erschöpft in den Sessel seiner Schwester.

Ich habe an diesem Abende mehr gelogen, fuhr er dann fort, als ich in meinem ganzen Leben, wenn ich's zusammenrechne, gelogen habe … das thue ich nicht wieder, Amalgunde – lieber den rothen Hahn aufs Dach des alten Baues … bei Gott, es wäre das Beste … es wäre sicherlich das Beste!

Ruprecht, Ruprecht! sagte seine Schwester mit dem Tone bittren Verweises.

Amalgunde lehnte den Rücken ihrer lang aufgeschossenen Gestalt an die Wand der Fensternische ihrem Bruder gegenüber und heftete, die Arme unterschlagend, Blicke voll des Vorwurfs auf ihn.

Ruprecht Mildenfurth versank nach und nach in tiefe Gedanken; er saß weit vorgebeugt und hatte das Unterkinn auf die Brust sinken lassen; seine Hände hielt er, in einander verschränkt, um sein rechtes übergeschlagenes Knie geklammert; so saß er da, wie der Richter im Sachsenspiegel, und seine Stirnfalten rollten, seine Brauen arbeiteten gewaltig.

Der Spanier ist da! hob er nach einer Weile wieder an. Er hat seine Ankunft in Köln angekündigt … er hat geschrieben, und der Brief ist Maximilian in die Hände gefallen.

Maximilian? Um Gottes willen, das ist ja …

Sei ruhig, unterbrach der Freiherr Amalgundens ängstlichen Ausruf – der Brief verrieth nichts, es waren nur ein Paar Zeilen; ich habe Maximilian beschwichtigt – ich sage dir ja, ich habe gelogen!

Ruprecht Mildenfurth brüllte diese Worte mit einem Ingrimm, wie ein verwundeter Kampfstier. Und dann murmelte er wie ein Wahnsinniger, der immer zu seinen früheren Ideen zurückkehrt, halblaut zwischen den Zähnen wieder die Worte:

Den alten Bau noch diese Nacht in Brand zu stecken, es wäre das Beste, Amalgunde, es wäre das Beste!

Amalgunde schwieg. Bruder und Schwester saßen sich lange Zeit verstummt gegenüber. Es wurde dunkler und dunkler. Endlich schien Amalgunde aus dem tiefen Versunkensein in ihren Gram sich aufzuraffen.

Ruprecht! rief sie leise.

Was willst du, Amalgunde?

Was geschehen, geschah nach deinem Willen. Geh hinüber und sage ihr, daß sie …

Ich zu ihr gehen? Ich ihr Etwas sagen? fuhr Ruprecht mit ungeheucheltem Schrecken auf … wo denkst du hin, Amalgunde! … Es ist mir immer in ihrer Gegenwart, als stände ich neben einer mit Pulver gefüllten Tonne, und jedes unbedachtsame Wort könnte zum Funken werden, welcher uns in die Luft sprengt. Mit ihr zu reden, ist deine Sache, Amalgunde … Hüte dich nur …

Der Freiherr stockte hier, ein leiser Tritt ließ sich draußen vor der Thür des Salons vernehmen, die der Seite, von welcher vorhin Ruprecht gekommen war, gegenüber lag; die Thür öffnete sich geräuschlos, und der Gegenstand, welcher Ruprecht Mildenfurth einen solchen tiefen Schrecken einflößte, trat über die Schwelle.

Es herrschte, wie erwähnt, bereits tiefe Dämmerung in dem Wohn- und Empfangzimmer der Freiin Amalgunde von Mildenfurth; aber dieses unbestimmte, alle Gegenstände mit duftigeren und weicheren Umrissen umgebende Licht diente nur dazu, der eben eintretenden Gestalt einen desto größeren und bestrickenderen Zauber zu verleihen. Es war eine junge Dame von einer unbeschreiblichen Anmuth in jeder Bewegung, von mittlerer Größe, aber so zart und so schlank gebaut, daß sie unwillkürlich an jene Bildungen voll unnachahmlicher Harmonie und Schönheit der Linien erinnerte, welche das Eigenthum der Pflanzenwelt sind. Sie trug das dunkle Haar glatt gescheitelt und am Hinterkopf in einer reichen Krone aufgebunden; ein Kleid von dunkler Seide mit Volants von demselben Stoffe rauschte in vollen Falten an ihrer biegsamen Gestalt nieder und umschloß knapp die volle Büste; weite offene Unterärmel von einem feinen, aber einfachen Gewebe gaben die runden und blendend weißen Arme der Bewunderung Preis. Es war ein hinreißendes Geschöpf, dessen Umrisse in der tiefen Dämmerung etwas von einer verführerischen Traumgestalt hatten.

Und doch wurde die Schönheit dieser merkwürdigen Gestalt eigentlich erst sichtbar, nachdem Freiin Amalgunde mit eigenen Händen eine große Carcellampe aus dem Vorzimmer geholt und entzündet hatte. Das reizende Oval des Gesichts, die nach allen Regeln der Schönheit gewölbte kleine Stirn, die fein gebogene Nase und den anmuthig geschweiften kleinen Mund hatte man auch vorher noch unterscheiden können; aber erst das volle Licht ließ die verlockenden und bezwingenden Geister sichtbar werden, welche in diesen Zügen wohnten; zuerst einen für ein so junges Geschöpf auffallend starken Ausdruck von Schwermuth, der in der kleinen Falte zwischen den dunklen Brauen sich barg, und dann Schalkhaftigkeit und Trotz um Nasenflügel und Mund – zwei Geister, die von dem auf der Stirn thronenden stärkeren jetzt wie gebändigt und in Haft gehalten schienen; und dann war noch etwas von einem kleinen Dämon da, der aus dem mandelförmigen Auge sprach.

Balzac, der feinste aller Beobachter, bemerkt, daß eine Macht der Zauberei, eine »fascinirende« Gewalt allein in den Augen der ursprünglich aus den Wüsten stammenden Racen liege. Diese Augen behalten etwas von der Unendlichkeit, deren Bild sie so lange in sich aufgenommen und wiedergespiegelt haben; die Geschlechter der Menschen vererben ja überhaupt etwas, das an die Atmosphäre und die Umgebungen erinnert, in welchen sie ursprünglich aufgewachsen sind und sich entwickelt haben, für Jahrhunderte auf einander. So lag in dem Blicke der Fremden etwas Bezauberndes, als ob ihr schmalgeschlitztes Auge Fata-Morgana-Spiegelungen über unendlichen Horizonten lange in sich aufgenommen, und als ob eine große Natur den Eindruck der Trauer und des Dämonischen jahrelang auf diese Netzhaut hervorgebracht habe, bis er darin wie gefangen und festgebannt und nun zum Ausdruck derselben geworden war.

Bei allem Liebreiz lag etwas in der Fremden Auge, was eine deutsche Natur einschüchtern, von der Hingabe abschrecken und sie befürchten lassen konnte, daß hier ein unbezwinglicher und unberechenbarer Geist vorhanden sei, der bei der Liebe einen Wettkampf der Leidenschaft verlange, in welchem das kältere deutsche Blut nicht gleichen Schritt halten könne, sondern unterliegen müsse.

Die Wirkung, welche das Erscheinen der jungen Dame auf den Freiherrn und seine Schwester übte, hatte etwas Wunderbares, das beinahe an das Komische streifte. Der Freiherr erhob sich rasch und verbeugte sich so tief, als sei die Fremde eine wirkliche Königin und nicht blos die »Königin der Nacht« für Martin, den Gärtner. Amalgunde ging ihr entgegen und verneigte sich und zeigte ein schmelzend süßes Lächeln um ihren Mund, so daß hier eine Fülle von Falten sich zusammenzog, welche so kraus und wirr waren, als throne der launenhafte Genius der Arabeske auf diesen Lippen. Die Freiin reichte der Fremden die Hand, in welche die letztere ihre Fingerspitzen legte, um sich auf diese Weise zum Sopha führen zu lassen. Dort zog sie ihren feinen Handschuh aus und hielt dem Baron ihre Hand hin.

Baron, Sie müssen mir die Hand küssen, sagte sie in gebrochenem Deutsch, wobei sie oft französische Ausdrücke zu Hülfe nahm, wenn sie die deutschen nicht gleich fand. Küssen Sie mir die Hand für den charmanten Einfall, den ich hatte … Ihre Schwester soll uns auf dem Piano spielen, und Sie sollen mit mir tanzen … ich möchte einmal, ehe ich scheide, mit Ihnen tanzen, recht auf deutsche Weise – man tanzt so schön in Deutschland – mit wahrer fougue, wie ein Wirbelwind – la Walse – zeigen Sie mir das!

Der Freiherr Ruprecht von Mildenfurth sollte den Tanzmeister machen … das war ihm noch nicht geboten, das war zu viel! Sein Gesicht röthete sich, und mit erhobener Stimme sagte er:

Pardon … ich tanze nicht!

Ist das wahr? wandte sich die Fremde an Amalgunde, hat er nie getanzt, der garstige Baron, auch als er noch jung war? Hat er nie sich adonisirt, nie als gewissenloser Herzenbrecher geflattert, nie wie ein Schmetterling gegaukelt?

Amalgunde blickte zu ihrem Bruder auf; sie bewunderte ihren Bruder: seine Lippen bebten, aber kein Laut kam über diese Lippen; er beherrschte sich. Ruprecht Mildenfurth war groß in diesem Augenblicke.

Er hat nie für schicklich gehalten, zu tanzen, erwiderte Amalgunde kurz, mit einer besonders scharfen Betonung des Wortes.

Nicht tanzen? Aber wie kann man nicht tanzen, wie erträgt man das Leben, wenn man nicht tanzt? Haben Sie nie gesehen, daß die Pferde zu laufen beginnen, wenn sie eine Last einen Hügel hinanschleppen müssen? So muß man durchs Leben tanzen, um damit zu Ende zu kommen, und wenn ich Baron von Mildenfurth wäre und ewig in diesem verwünschten Schlosse wohnen müßte, ich tanzte den ganzen Tag lang!

Die Fremde sprach diese Worte mit eigenthümlicher Betonung, mit einem gewissen spöttischen Zucken der Mundwinkel, worin etwas von Schmerz, aber auch von boshafter Neckerei lag. Es war augenscheinlich, sie fühlte eine unbegrenzte Gewalt über diese beiden ceremoniösen Menschen – denn auch Baron Ruprecht war ceremoniös, d. h. er verlangte von Anderen unerbittlich die größten Rücksichten gegen sich, wenn er selbst auch gegen Niemanden in der Welt Rücksichten nahm – und sie fand eine Freude darin, diese Gewalt zu üben. Der Freiherr und seine Schwester waren in einem Kreise von fossilen Vorstellungen aufgewachsen, welche ihrem Denken, Fühlen und Glauben etwas so Sprödes, ihren Geistesthätigkeiten etwas so Schwerfälliges gegeben hatten … welche Pein mußte es für sie sein, wenn dieses launenhafte, übermüthige, alle ihre tiefgewurzelten und heiligen Ueberzeugungen verlachende Wesen an ihren steifen Junkerseelen wie an einer ungefügigen und rostig gewordenen Gliederpuppe zerrte, wenn sie bald dieses, bald jenes Glied mit den Kobolthänden reckte, bald gar mit dem Sylphenfuße auf den stolzen und ungebeugten Köpfen tanzte! Und sie durften nicht einmal schreien bei ihrem Weh, die Armen, nicht einmal fluchen und wettern durfte der unglückliche Baron Ruprecht Mildenfurth; und nur Amalgunde, die, weil sie eine Frau war, feinere Fühlfäden für die Seelenzustände eines Andern hatte, genoß den Trost, zu sehen, wie dieses boshaft neckende Geschöpf sich zu solcher Heiterkeit mit Gewalt zwinge, und wie alle diese Scherze, gesucht, erzwungen, anmuthlos, wol nichts Anderes sein, als das Ringen und sich betäuben Wollen eines Geistes, der im Kampfe mit einem tiefen Schmerze begriffen ist.

Sie wollen nicht spielen, Baronesse? fuhr die Fremde zu Amalgunden gewendet fort … ich fürchte, Sie sind eifersüchtig auf Ihren Bruder! Und in der That, setzte sie mit einem coquetten Lächeln hinzu, sehen Sie, er glotzt mich mit seinen großen Augen an, als ob er mich damit verzehren wolle.

Der Baron zwang sich zu einem Lächeln, das über sein Gesicht fuhr, als wenn ein plötzlicher Windstoß einen Weiher aufwühlt, der gleich danach wieder in seine stagnirende Starrheit fällt.

Es sind offenbare Spuren da, daß ich ihn demoralisire, fuhr das unerbittliche Mädchen fort: er ist schon so weit gekommen, daß er an mir das Rauchen eine allerliebste Gewohnheit findet … Permettez!

Mit diesen Worten schwebte die Fremde mit elastischem Schritte durchs Zimmer und zündete an der Carcellampe eine spanische Papier-Cigarette an, welche sie bisher zwischen den Fingern gedreht hatte.

Amalgunde warf ihrem Bruder einen unbeschreiblichen Blick voll Entrüstung und voll tiefer Hoffnungslosigkeit zu. Ruprecht antwortete mit einem schmerzlichen Zucken der Achseln und einem furchtbaren Arbeiten seiner löwenhaften Brauen.

Wie viel wiegen Sie, Baron? hub die junge Dame, nachdem sie sich nachlässig in die Sophaecke geworfen, wieder an. Sie müssen ein hübsches Gewicht haben … In England schätzt man die Barone nicht alle nach der Zahl der Ahnen, sondern einige auch nach der Zahl der Centner und Pfunde … wenn sie recht viel wiegen, ißt man sie!

In der Brust Ruprecht Mildenfurth's rollte etwas wie ein unterirdisches Getöse von vulkanischer Natur. Er war gereizt wie das unglückliche Thier, dem bei den Stiergefechten von seinen Peinigern Widerhaken mit schwirrendem, buntem Federschmuck in die Haut geschleudert werden, um es zur Wuth zu bringen. Auch auf ihn warf die Fremde in boshafter Beharrlichkeit »Banderillos« auf »Banderillos«. Ein dumpfer Ton der Wuth löste sich nach den letzten Worten der jungen Dame von seinen Lippen. Diese nahm keine Notiz davon, aber Amalgunde war so erschrocken, daß sie rasch das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu bringen suchte.

Sie waren gestern unvorsichtig, sagte sie zu der Fremden, indem sie mit übermenschlicher Anstrengung ihrer Stimme alle Schärfe und Bestimmtheit eines Vorwurfs zu nehmen suchte … Sie waren am Abende im Garten; des Gärtners Frau hat mir anvertraut, daß sie ihr Kind von Ihnen entführt geglaubt hat.

Von mir? Entführt?

Von Ihnen, das heißt von der fremden Bewohnerin des Schlosses, über welche das Gesinde bereits viel zu viel zu grübeln beginnt … wenn Sie doch nicht wieder den Garten besuchen wollten …

Baronesse, ich muß freie Luft schöpfen, und da ich mich vor dem Sonnenlichte verbergen soll, so ist mein Reich die Nacht geworden, und das lasse ich mir nicht nehmen …

Aber Sie haben ja von mir den Schlüssel zu dem offenen Bogengang erhalten, fiel Amalgunde ein, – um dort freie Luft zu schöpfen.

Freilich; aber da ist es so unheimlich: ich habe noch heute Abend dort ein Geräusch gehört, und bin zu Tode erschrocken fortgestürzt; kaum hielt ich so viel Besinnung, den Riegel hinter mir vorzuschieben, als ich glücklich aus dem Gange war …

Ruprecht Mildenfurth horchte hoch auf. Daß seine Schwester den Schlüssel zu der kleinen Verbindungsthüre zwischen ihrer Wohnung und dem Gange vor Maximilian's Zimmern aus den Händen gegeben hatte, wußte er nicht. Die Blicke der beiden Geschwister begegneten sich mit einem unbeschreiblichen Ausdruck. Die Fremde fuhr unterdeß fort:

Was das Kind betrifft, so fand ich es in seiner Kammer, dicht unter dem offenen Fenster des Gärtnerhauses, an dem ich vorüberging. Das Kind spielte wach in seinem Bettchen und streckte, als ich bei ihm stehen blieb, die Händchen nach mir aus. Es war allerliebst! Ich tändelte eine Weile mit ihm, nahm es auf den Arm und lief damit auf und ab im Schatten der Eichen hinter dem Hause der Eltern. Als ich es dann niedersetzte und ihm befahl, in sein Bettchen zurückzukehren, weigerte der kleine Trotzkopf sich und hielt mich am Kleide fest und wollte nicht weichen. Durch den ganzen Garten verfolgte das eigensinnige kleine Ungeheuer mich, und endlich mußte ich ihm etwas Glänzendes, eine Spange schenken, um es zu bewegen, von mir zu lassen; ich bin ängstlich fortgelaufen, weil ich die Stimmen seiner erschrockenen Eltern hörte. Dem Kinde ist doch nichts geschehen?

Die Fremde sprach diese Worte mit einem Tone, der im schärfsten Contraste mit ihrem früheren Wesen stand; es lag so viel Herzensgüte und Wärme darin, daß es an Rührung streifte; aber gleich darauf fiel sie in den alten Ton zurück und sagte lachend:

Das kommt davon, Baron, daß Sie nicht galanter sind … wenn mich das nächste Mal der Mondschein lockt, hole ich mir nicht wieder Cavaliere mit nackten Beinchen zu meiner Begleitung herbei, dann hole ich mir …

Sie wurde mitten in ihrer Neckerei unterbrochen. Die Thür öffnete sich, und der alte Bediente in der grauen Livree trat hastig ein, um seinem Gebieter eine Karte zu überreichen.

Gott sei gedankt, daß er endlich da ist! rief, jauchzte vielmehr Ruprecht Mildenfurth aufspringend und warf die Karte auf den Tisch. Sie trug unter einer kleinen siebenspitzigen Krone den Namen:

Don Alsonso Revenga y Santigosa.



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