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Elftes Kapitel.
Eine unerwartete Begegnung.


Am anderen Morgen, in der frühesten Frühe, saß Margarethe in ihrem Reisewagen. Sie hatte sich in ihrem festen Entschlusse nicht irre machen lassen, obwol dies von allen Seiten versucht worden war. Ein alter Kammerdiener, welcher der französischen Sprache mächtig, begleitete sie. Die frische Morgenluft, das Gefühl, daß sie etwas thue, wirke, stärkte sie wunderbar; sie athmete tief auf, und es kam etwas über sie, wie Zuversicht, wie eine Ahnung glücklichen Erfolges.

Die anmuthige Landschaft mit ihrem eigenthümlichen Farben- und Linienspiel, das die klare, morgenhelle Atmosphäre scharf hervortreten ließ, erhöhte diese Stimmung in der so schwer getroffenen Frau. Die Gegend, durch welche sie rollte, war noch nicht von der Cultur unterjocht, in jeder Ecke durchwühlt, an jedem grünen Strauche gefaßt und nach dem habsüchtigen Willen des Menschen gezerrt worden; da waren noch weite, mit einer Haideblumenbecke farbig überzogene Weidestrecken, worauf sich Herden tummeln konnten; da waren noch schmale, in phantastischen Schönheitslinien hin- und herschweifende Fußpfade über die Haide geworfen, frei und uneingeengt, wie ein träumerisch sich dahinziehendes Leben; da waren noch Wasserspiegel mit breiten Einfassungen von Schilfrohr und von Schwertlilien umher, deren Wellen leise im Morgenwinde wogten und auf deren stahlblauer Fläche die Krickente mit ihrem melancholischen Ruf hin- und herschoß; und Waldungen waren da, die ihre blauen Hügel bis an den Horizont zogen.

Bis in den Wagen der unglücklichen Frau warf diese Landschaft, die freie schöne Gotteswelt ihre Grüße: die hellen Noten schmetternder Lerchenlieder und den Duft der gelben Nymphäen, wenn der Wagen in die Nähe eines der Weiher gelangte, und die flügelschwirrenden, goldschillernden Libellen, die auf den Psycheschwingen in den Wagen flatterten. Der Hauch einer unmittelbaren und unentweihten Natur trat an Margarethens Herz und tröstete sie: nicht weil sie selbst heiter und glücklich gewesen wäre, die Natur, oder ihr Charakter von dem Sonnengolde bestimmt worden wäre, welches so strahlend auf ihr lag; nein, es ist der Geist der Schwermuth, der auf weiten Gefilden ruht; und weil es auch der Geist der Schwermuth ist, welcher über dem inneren Dasein des Menschen ausgebreitet liegt; weil die Schwermuth der Born, aus dem er sein bestes geistiges Leben schöpft, der Schacht, aus dem er das Gold seines schönsten Dichtens, Denkens und Schaffens zu Tage fördert – so ist eine tiefsinnige Verbindung zwischen dem Menschen und der Natur da, und wenn Beide sich ins Auge blicken, so entsteht in uns eine Harmonie, die etwas unendlich Tröstendes hat.

Mehrere Stunden war Margarethe davon gerollt, auf dem Wege nach der nächsten Eisenbahn-Station; der Wagen hielt endlich vor einem Wirthshause an der Chaussee, wo der Postillon die Pferde füttern wollte. Margarethe blieb im Wagen, ihr Diener auf dem Bocke. Der Postknecht blieb auffallend lange in der Schenke, endlich kam er mit dem Brotvorrathe für seine Thiere zurück, und während er die Stücke den Pferden in die Krippe schnitt, erzählte er dem Kammerdiener, daß im Hause »Scandal« sei.

Und was gibt's denn, Schwager? Kriegt das Weib Prügel oder der Mann? fragte der Diener Margarethens.

Nein, Beide sind über einen Dritten her. Es ist ein armer Teufel von Franzose, der ganz zerschlagen und zerschunden ist; er hat kein Geld, und sie wollen für die Nachtzeche bezahlt sein.

Kein Geld haben! das ist freilich impertinent!

Das Schlimmste ist, daß er kein Wort Deutsch versteht und man aus seinem Rothwelsch nicht klug werden kann.

Margarethe, welche diese Unterredung angehört hatte, gab ihrem Diener den Befehl, sich nach dem Unglücklichen umzusehen. Jakob ging und kam nach einer Weile aus dem Wirthshause zurück.

Es ist ein schwer verwundeter Mensch, sagte er, mit blutigem Kopfe, das Gesicht blau und gedunsen, und es ist nicht möglich, daß er sich in diesem Zustande weiter schleppt – er würde, fürchte ich, unvermeidlich den Tod davon haben. Der Schenkwirth will aber durchaus, daß er wenigstens jetzt sogleich sein Haus räume, da er ihn nicht für das Nachtquartier bezahlen kann.

Das ist ja unmenschlich!

Jakob zuckte die Achseln.

Der Wirth fürchtet wol, daß der Mensch gar in seinem Hause stirbt, und will die Leiche nicht unter seinem Dache haben … wenn er ihm die Zeche schenkt, glaubt er wol seine Christenpflicht mehr als genug erfüllt.

Aber dem unglücklichen Menschen muß doch geholfen werden, versetzte die junge Frau … öffne den Schlag – ich will selbst mit ihm sprechen.

Gnädige Frau, fiel Jakob besorgt ein, lassen Sie mich doch – der Anblick könnte Sie erschrecken!

Aber Margarethe war schon aus dem Wagen, sie nahm Jakob's Arm und ließ sich in die Schenke führen. Zum Erschrecken war freilich der Anblick, welcher sich hier ihr bot. In der räucherigen Küche, da, wo die Bank in einer Ecke endete und die beiden zusammenstoßenden Wände eine Art Rückenlehne bildeten, lag ein Mensch matt zusammengesunken, das hagere, tiefgelbe Gesicht aufgetrieben und von großen blauen Flecken entstellt; um den hohen und spitzen Schädel trug er ein durch und durch von Blut getränktes Tuch, der ganze Körper aber schien so matt und lag so regungslos, als sei alle Kraft dahin, oder als ob er von jeder Bewegung Schmerz fürchte. Die Augen des Fremden blickten wie ausgebrannte Kohlen aus ihren tiefen Höhlen unter dem blutrothen Kopftuche unheimlich, gespensterhaft hervor.

Margarethe redete ihn, nachdem sie ihre natürliche Zaghaftigkeit einem solchen Anblick gegenüber durch das Aufbieten ihrer Willenskraft überwunden hatte, in französischer Sprache freundlich an.

Ich bin von Räubern überfallen worden, sagte der Verwundete, sie haben mich mishandelt und in diesen Zustand gebracht; sie haben mich rein ausgeplündert; ich kann nicht weiter kommen, meine Glieder versagen mir den Dienst; ich habe sehr viel Blut verloren. Mir wäre geholfen, wenn ich auf der nächsten Eisenbahn-Station wäre.

Finden Sie dort Jemanden, der sich Ihrer annimmt?

Der Fremde nickte bejahend und legte dann, von dem Sprechen ermüdet, mit geschlossenen Augen den Kopf an die Mauer zurück.

Margarethe zuckte in diesem Augenblicke, wie von einer Schlange gebissen, zusammen; sie erkannte die Züge dieses Gesichtes, das sich durch die letzte Bewegung zu ihr empor gehoben und sich der Beobachtung Preis gegeben hatte. Aber die junge Frau wußte sich zu beherrschen. Ruhig, mit nur unmerklicher Veränderung der Stimme, befahl sie:

Jakob, holen Sie Kölnisches Wasser aus dem Wagen und reiben Sie ihm die Stirn damit. Dann sehen Sie, ob das Tuch ordentlich fest sitzt. Bezahlen Sie den Wirth und lassen Sie sich von ihm helfen, den armen Menschen hinaus zu führen und in meinen Wagen zu heben – der Postillon kann näher an der Thür vorfahren.

Gnädige Frau! unterbrach sie der Diener bestürzt – Sie wollen doch nicht …

Ich will, Jakob! sagte die junge Frau mit einem Tone, der den Widerspruch abschnitt, und der Diener gehorchte; er brachte zudem eine Flasche Madeira herbei, welche er zur Vorsicht mit genommen hatte und die dem Fremden eine große Erquickung zu gewähren schien.

Als der Verwundete endlich in ihrem bequemen Reisewagen ausgestreckt lag, setzte Margarethe sich neben ihn, aber sie zog den blauen Schleier dicht vors Gesicht, um nicht gleich von ihm erkannt zu werden. Er hielt die Augen geschlossen, ohne sie anzusehen. Sie beobachtete desto schärfer von der Seite ihren unheimlichen Nachbar – denn unheimlich genug sah er aus, nicht allein in dem Zustande, in welchen er jetzt versetzt war, nein, diese gelbe, markirte Physiognomie mußte auch, wenn er unverletzt und gesund war, einen abschreckenden Eindruck auf eine Natur wie die Margarethens machen; denn eine ganze fremde Welt von Frevelmuth und Haß und Leidenschaft sprach daraus.

War er wirklich auch von Räubern so zugerichtet? Wer hatte je von gewaltthätigen Räuberanfällen in dieser ruhigen Gegend gehört? Es klang höchst unwahrscheinlich! Trotzdem, daß die Bewegung des Führens ihm unmöglich wohlthuend sein konnte, schien er sich doch immer mehr zu erholen – der Umstand, daß er aus seiner verzweifelten Lage gerettet, der Hülfe entgegengeführt wurde, mochte eine große moralische Heilkraft auf ihn üben.

Er begann nach einiger Zeit, in welcher er stumm dagelegen hatte, mit leiser Stimme zu sprechen:

Darf ich Sie fragen, Madame, wie weit wir noch von dem Orte entfernt sind, zu welchem Sie mich zu bringen die Gnade haben?

Eine halbe Stunde.

Nur noch eine halbe Stunde! Die heilige Jungfrau sei gelobt dafür! Dort bin ich gerettet!

Sie finden einen Freund dort, der Sie erwartet, und der Sie pflegen wird?

Eine Schwester, Madame. Sie wird Ihnen danken, denn Sie retteten ihr das Einzige, was ihr geblieben ist, ihren Bruder; ich selbst kann Ihnen nicht genug danken, ich bin zu erschöpft!

Sie sind nicht aus Paris oder aus dem nördlichen Frankreich … Ihre Sprache erinnert mich an einen Dialect, den ich in einem Pyrenäenbade von Leuten aus dem Languedoc gehört habe.

O, Sie thun diesen Leuten Unrecht, wenn Sie ihnen mein Französisch unterschieben, ich rede diese Sprache sehr ungeläufig, ich bin Spanier, Madame!

Spanier? Und Sie heißen …

Alonso Revenga.

Vor einigen Tagen hießen Sie Don Henrique Valderrama!

Alonso öffnete die Augen und hob sich überrascht aus seiner ruhenden Stellung:

Madame, ich glaube, ich sehe Sie nicht zum ersten Male – Sie sind …

Allerdings sehen wir uns nicht zum ersten Male, mein Herr – ich bin die Baronin Rauschenloo.

Welches Zusammentreffen! rief, etwas beklommen, Alonso aus, dem bei dieser Entdeckung nicht ganz wohl zu sein schien.

In der That! Aber da der Zufall es so gefügt hat, so lassen Sie uns dieses Zusammentreffen dazu benutzen, offen gegen einander zu sein.

Der Spanier machte eine leichte Bewegung mit dem Kopfe.

Sprechen Sie, Madame, sagte er.

Gestehen Sie mir – es sind nicht Räuber, die Sie in diesen Zustand gebracht haben – es gibt keine Straßenräuber in diesem Theile Deutschlands.

Nicht einmal Räuber? welches Land! Dann muß ich freilich gestehen: ich gebrauchte den Vorwand, um weitläufiger Erklärung überhoben zu sein.

Also – wer hat Sie so mishandelt?

Der Gärtner des Barons Mildenfurth.

Der ehrliche Martin? der? und wie kam das?

Als ich mit meiner Schwester bereits auf dem Wege begriffen war, begann Alonso zu erzählen, vernahm ich von ihr durch eine zufällige Wendung des Gespräches, daß sie einen Edelstein von großem Werthe, der mir besonders theuer ist, weil einer meiner Vorfahren ihn einem im Gefechte von ihm erschlagenen Mauren abgenommen hat, dem Kinde des Gärtners zu Mildenfurth geschenkt habe. Ich mochte den Stein nicht zurücklassen; ich bat meine Schwester deshalb, als wir auf der nächsten Eisenbahn-Station angekommen waren, meiner dort zu harren, und dann legte ich den Weg zu dem Schlosse Mildenfurth noch einmal zurück, um gegen ein Geldgeschenk das Kleinod einzutauschen. Der Weg ist nicht gar weit, aber ich wollte erst spät Abends ankommen, um nicht von den Schloßbewohnern gesehen zu werden; denn ich brauche nicht hinzuzufügen, daß eine nochmalige Begegnung mit diesen mir nur unangenehm sein konnte. Deshalb wartete ich in einer Dorfschenke am Wege auf den Einbruch der Nacht. Während ich hier mich damit beschäftigte, um die langsam schleichenden Stunden zu tödten, einige Skizzen in mein Taschenbuch zu zeichnen, wurde ich von einem Tabuletkrämer angesprochen, welcher ein so abenteuerlicher Typus von einem alten Landstreicher war, daß ich ihm winkte still zu stehen; ich wollte meinem Skizzenbuche diese Rembrandt-Gestalt nicht entgehen lassen. Als er wahrnahm, daß ich die Reden, mit denen er mich während des Zeichnens zu unterhalten suchte, nicht verstand, begann er mich mit französischen Brocken zu regaliren; er hatte unter Napoleon gedient, war mit den Heeren des Kaisers in Italien, in Spanien gewesen und erinnerte sich sogar meiner Heimat. Ich bedurfte eines Führers; auch fiel mir ein, daß ich mit dem Gärtner, den ich aufzusuchen beabsichtigte, mich schwerlich werde verständigen können, da ich nicht erwarten durfte, daß er Französisch spreche: und so verhieß ich dem Vagabunden eine Belohnung, wenn er mich am Abende begleiten wolle, um mir als Dolmetscher bei dem Gärtner des Barons Mildenfurth zu dienen, der durch einen Zufall in den Besitz eines mir gehörenden Talismans gekommen, welchen ich wieder zu haben wünsche. Der Tabuletkrämer machte bei dieser Eröffnung ein sehr pfiffiges Gesicht, er kannte den Gärtner sehr wohl, wie er sagte, und er kannte auch den Gegenstand, um den es sich handelte – er hatte den Stein noch am Morgen gesehen und dem Gärtner ein Goldstück dafür geboten; der Gärtner, klagte er, habe ihn aber zum Dank für ein so glänzendes Anerbieten aus dem Hause geworfen. Trotzdem war er sehr bereit, mich zu begleiten, und so machten wir uns mit dem Anbruche der Dunkelheit auf den Weg. Durch eine Oeffnung in der Umzäunung des Parkes gelangten wir unbeobachtet in die Nähe des Herrenhauses von Mildenfurth. Als wir still daherschreitend uns der Wohnung des Gärtners nahten, war es jedoch bereits so spät geworden, daß wir besorgen mußten, Alles im tiefsten Schlafe zu finden. Und in der That, Niemand vernahm uns, als wir an die Thür pochten; größeren Lärm zu machen, wollte ich vermeiden, und die Bewohner des kleinen Hauses schienen von einem todähnlichen Schlummer befangen.

Pochen wir an das Fenster der Schlafkammer, rieth deshalb mein Begleiter; er kannte die Einrichtung des Innern.

Wir traten auf die Rückseite des Hauses, pochten an eines der Fenster und legten dann unsere Gesichter an die Scheiben, um zu sehen, ob unser Klopfen den gewünschten Erfolg habe. Es war heller Mondschein, so hell, daß wir unsere Blicke in das Innere der Kammer werfen konnten.

In demselben Augenblicke hörten wir einen hellen Schrei.

Diebe! Räuber! Räuber! rief eine kreischende Frauenstimme drinnen.

Das Weib des Gärtners mußte aus dem Schlafe auffahrend durch die beiden fremden Männergesichter, welche sie im Mundscheine an die Scheiben gedrückt erblickte, so erschrocken sein, daß sie alle Besinnung verloren hatte; genug, im nächsten Augenblicke sahen wir eine weiße Gestalt auftauchen, und dann fuhren beide Flügel des Fensters auf, ein mit einem Knittel bewaffneter Mensch im Hemde stürzte heraus, und mit dem zornigen Ausruf:

Wartet, Gaudiebe!

fielen einige so wüthende Hiebe auf meinen Kopf und auf meine Schulter, daß mir nichts übrig blieb, als die Flucht zu ergreifen; denn halb betäubt, wie ich vom ersten Schlage geworden war, fühlte ich, daß ich nicht mehr im Stande sei, den geringsten Widerstand zu leisten, und daß ich deshalb in Gefahr schwebe, von dem rasenden Menschen wie ein Hund todtgeschlagen zu werden. Zu meinem Glücke ließ er in dem Augenblicke von mir ab, in welchem ich mich zur Flucht wandte, und rief einen Namen, den ich nicht verstand, schreiend meinem Begleiter nach, der, klüger als ich, im ersten Augenblicke hinter den Bäumen des Parkes verschwunden war.

Sie erinnern sich jenes Namens nicht mehr?

Nein.

Aber Sie haben Ihren Begleiter gezeichnet.

Alonso zog mit einiger Mühe ein Portefeuille aus der Brusttasche und blätterte darin.

Hier ist die Gestalt! sagte er, nachdem er das Blatt gefunden.

Margarethe warf einen Blick darauf, es war eine groteske Zeichnung, in den kühnsten, unendlich kräftigen Linien.

Ach ja – er ist es, ich dachte es mir! Sie haben sich einen von den Landleuten eben so gehaßten als gefürchteten Gauner, der sich in dieser Gegend umhertreibt, bei Ihrer nächtlichen Expedition zum Begleiter erwählt – kein Wunder, daß der brave Gärtner an einen räuberischen Ueberfall glaubte, als er Nachts plötzlich erwachte und die Galgen-Physiognomie dieses Landstreichers an seine Scheiben gedrückt erblickte.

Ich bin leider selbst bereits über die Moralität meines Führers aufgeklärt: als ich am heutigen Morgen nach meiner Börse suchte, war sie verschwunden … es ist ein Glück, daß ich zur Vorsicht keine bedeutende Summe darin mit mir führte. Was aber Ihren »braven Gärtner« angeht, fuhr Alonso bitter fort, so hat er mich dem Tode nahe gebracht! Freilich, hätte ich sofort eine hülfreiche Hand gefunden – einen Verband für meine Wunden, so würde mein Zustand nicht so grauenerregend geworden sein; so aber mußte ich mich blutend, allein, ohne Weg und Steg zu kennen, eine halbe Nacht hindurch in der Irre umherschleppen. Von Zeit zu Zeit, wenn ich ein Licht schimmern oder ein dunkles Dach über einem Gebüsche vor mir aus den Schatten der Nacht auftauchen sah, belebte sich eine neue Hoffnung in mir; aber nahte ich mich solch einem Gehöft, so tobten mir böse Hunde von ungeschlachter Größe entgegen und drohten mich zu zerreißen. Ich werde dieser Nacht gedenken, so lange ich lebe: sie war über alle Beschreibung fürchterlich! Jeden Augenblick sank ich zusammen und fürchtete zu sterben! – und das Sterben – o, glauben Sie mir, das Sterben muß etwas unendlich Grausigeres und Entsetzlicheres sein, als wir Alle ahnen! setzte er mit sinkender Stimme hinzu. Endlich gegen Sonnenaufgang erreichte ich die Schenke an der Heerstraße und habe den gestrigen Tag darin zugebracht, ohne Arzt, beinahe ohne Erquickung, an ein schmutziges Lager gefesselt.

Margarethe schwieg eine Weile. Sie ließ ihm Ruhe, in die Kissen zurücksinkend, sich von der Anstrengung dieser Erzählung zu erholen.

Aber Margarethe war zu sehr bewegt, um ihn lange dieser anscheinenden Apathie zu überlassen und nicht bald wieder das Schweigen zu brechen.

Sie sollen den Stein von dem Gärtner zurück erhalten, Don Alonso, sagte sie; ich verspreche es Ihnen, sobald Sie in meinem Wohnort angelangt sind.

In Ihrem Wohnort?

Nun ja, freilich!

Aber der liegt ja hinter uns …

Allerdings; doch wenn Sie sich erholt, wenn Sie Ihre Schwester wieder gefunden haben …

Dann glauben Sie, würde ich dahin zurückkehren?

Sicherlich!

Und wozu?

Wozu? weil Ihre Anwesenheit dort höchst nöthig ist!

Nöthig? meine Anwesenheit?

Begreifen Sie das nicht? Sie sind mir, Sie sind Maximilian, Sie sind dem Gerichte dort ganz unumgänglich nothwendig!

Unmöglich!

Doch, Sie können es sich selbst sagen! In dem Verfahren, welches gegen meinen Gatten eingeleitet ist, bedürfen wir durchaus Ihres Zeugnisses.

Ich bedaure, antwortete Alonso, wie es schien, erschrocken über diese Nachricht von der gerichtlichen Einmischung – aber, fuhr er fort, ich werde nicht zurückkehren!

Sie werden es müssen!

Ich will nicht! wer wird mich zwingen?

Ich!

Sie? und wie sollte das geschehen?

Durch die Gerichte. Ich werde Sie verhaften lassen.

Man hat nicht die Spur eines Rechtes dazu!

Das Gericht hat das Recht, Sie zu zwingen, Ihr Zeugniß abzulegen, und – zu untersuchen!

Und welches Zeugniß soll ich ablegen?

Daß Sie es waren, der an Maximilian einen falschen Todtenschein sandte.

Das ist sehr viel verlangt! antwortete Alonso mit bitterem Lächeln.

Sie läugnen es?

Ja. Ein solcher Schein existirt nicht!

Weil Sie ihn zurück erhalten, weil Sie ihn vielleicht, ja, sicherlich vernichtet haben!

Er existirt nicht! wiederholte der Spanier lakonisch.

Ich reise nach Spanien, die Beweise zu sammeln, daß er existirt hat.

Das ist ein sehr kühner Entschluß, Madame!

Mag sein, aber ich werde ihn ausführen!

Sie werden viel Zeit dazu gebrauchen!

Desto schlimmer für Sie!

Für mich?

Weil Sie hier in der Haft den Ausgang meiner Nachforschungen werden abwarten müssen.

Der Spanier zwang sich zu einem kurz abgebrochenen Lachen.

Ich bitte, Madame, fahren Sie nicht weiter fort, mir mit der Gerechtigkeit zu drohen. Ich habe die tiefste Ehrfurcht vor der alten Dame in der schwarzen Robe, aber aus einer eigenthümlichen Idiosynkrasie wünsche ich ihre Bekanntschaft nicht zu machen.

Leider ist diese alte Dame in hohem Grade zudringlich.

Mag sein, aber ich habe nichts mit ihr zu schaffen.

Sie haben ein Verbrechen begangen – Sie haben einen falschen Todtenschein geschmiedet; ich glaube, die schwarze Dame läßt es sich nicht nehmen, so große Ansprüche auf ihre Beachtung zu berücksichtigen.

Man wird es mir beweisen müssen. Und werden Sie das thun? Nein, Madame, dazu werden Sie nicht den Muth haben. Manuela's und meine Stellung Ihnen gegenüber macht uns unverletzlich für Sie. Wir sind vor Ihnen zu sehr im Vortheile, Madame – denn wir sind es, die entsagen, die ihre Ansprüche opfern, die sich zurückziehen. Werden Sie die Stirn haben, uns verfolgen zu lassen – Sie, uns?

Warum sagen Sie: uns? Handelt es sich hier irgend um Manuela? Nein, nur um Sie, und – Don Alonso, was Sie angeht, so würde ich den Muth haben, zuzusehen, wenn man Sie hängte!

Alonso stieß noch einmal sein kurz abgebrochenes Lachen aus.

Ich danke Ihnen! sagte er. Sie sind sehr offen.

Seien Sie es auch! Wollen Sie, sobald Sie sich erholt haben, mit mir zurückkehren und freiwillig ein Zeugniß ablegen, welches meinen Gatten rechtfertigt, oder soll ich Sie verhaften lassen und – weiter reisen?

Keines von Beiden. Das Letztere ist überflüssig und das Erstere für Sie unmöglich.

Weshalb?

Weil ich nicht vor die Schranken eines Gerichtshofes geführt werden könnte, ohne daß man die rechtliche Beschaffenheit der Ansprüche Manuela's einer genauen Erörterung unterwürfe. Das werden Sie nicht wollen, Madame, das können Sie unmöglich zugeben.

Margarethe sah ihm fest und stolz ins Auge. Sie täuschen sich, sagte sie. Es könnte doch sein, daß ich das wollte – es könnte doch sein, daß ich mit Freuden meine Rechte opferte, daß ich Alles hingäbe, wenn ich dadurch erkaufen könnte, daß der verdächtigte Charakter, daß die in Zweifel gezogene Ehre meines Gatten wieder im reinsten Glanze vor der Welt erschienen.

Don Alonso's entstelltes Gesicht nahm bei diesen Worten einen unheimlichen Zug mehr an, und seine Blicke zeigten eine Weile ein unstätes Flattern. Seine stolze Sicherheit war plötzlich dahin. Er mußte sich gestehen, daß er doch wie ein Thor gehandelt, als er seiner leidenschaftlichen Nachsucht sich hingegeben hatte. Aber wie hätte er auch ahnen können, daß Dinge gleich denen, welche er Maximilian und Margarethen enthüllt hatte, nicht von Beiden mit dem tiefsten Schweigen verschleiert gehalten würden? Einen solchen Frauen-Charakter hatte er außer der Berechnung gelassen – einen Frauen-Charakter, der in seinem Stolze und im Bewußtsein seiner Reinheit vor nichts zurückbebte, als vor der – Heimlichkeit.

Dazu kam, daß Alonso, noch außer dem erschlichenen Todtenschein, Gründe hatte, Manuela's Ansprüche keiner gerichtlichen Untersuchung unterworfen zu sehen.



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