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Neuntes Kapitel.
Bruder und Schwester.


Es gibt Nichts, was gründlicher die Achtung untergräbt, welche wir vor einem Wesen hegen, als wenn dieses sich uns gegenüber willenlos zeigt und sich von uns despotisiren läßt. Daher kommt es, daß die Unterwerfung, statt uns zu entwaffnen, gerade das Gegentheil davon bewirkt. In diesem Umstande liegt das Demoralisirende der Gewalt; in einer Zeit, in welcher die Menschheit, tausendfach umschlungen und gebunden durch die verwickelten Interessen einer übercivilisirten Gesellschaft, in allgemeiner und vollständigster Zähmung daliegt, stößt die Gewalt immer auf Unterwerfung. Darin liegt auch die Lösung des Räthsels, weshalb, wie die Sand sagt: il est dans la destinée des Princes de suivre l'exemple du despotisme, même quand ils en ont plus cruellement souffert.

In dem Verhältniß Alonso's zu seiner Schwester war dies nicht anders gewesen; so lange Manuela sich tyrannisiren ließ, war ihr Bruder nur immer rücksichtsloser und herrschsüchtiger geworden; seit sie ihm so keck die Stirn geboten, so kräftig ihren Willen durchgesetzt hatte, war sie himmelhoch in seiner Achtung gestiegen; ja, er war, als sein Zorn verraucht, unparteiisch genug, ihr seine Bewunderung für ihre kühne That nicht deshalb zu versagen, weil er dadurch auf mehrere Tage in eine höchst bedenkliche Lage gekommen und als Hochverräther in die Hände der Gerechtigkeit gerathen war. Eine Haussuchung, die auch nicht das leiseste Anzeichen wider ihn aufzustöbern vermochte, und noch mehr der Umstand, daß seit langer Zeit in der ganzen Gegend seiner Heimat Niemand von Kundgebungen carlistischer Gesinnung etwas erfahren hatte, daß Niemand von Briefen wußte, die Alonso empfangen hätte – das Alles war seiner eifrigen mündlichen Vertheidigung freilich so schlagend zu Hülfe gekommen, daß er keine ernsten Folgen befürchten durfte. Und als vollends seine Angabe, daß seine Schwester ihm einen Streich gespielt habe, um von seiner Aufsicht befreit zu werden, durch die rasche Flucht Manuela's bestätigt worden, wurde Don Alonso nach dreimal vierundzwanzig Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt.

Er verfolgte seine Schwester nicht. Anfangs war dies seine Absicht gewesen, aber er gab den Entschluß bald auf. Bei einem Grade der Entschlossenheit, wie sie mir bewiesen hat, würde sie mir schwerlich folgen, wenn ich sie auch erreichte, sagte er sich; und mit boshaftem Lächeln setzte er hinzu: Später suche ich sie einmal in ihrer neuen Heimat auf; und dann führe ich in meiner Brieftasche einen kleinen Zauber bei mir, der meine rebellische Schwester und den leichtsinnigen gewissenlosen Menschen, der sie bethörte, mir gebunden in die Hände liefert.

So hatte denn Don Alonso Revenga y Santigosa, aus der Haft entlassen, ruhig sein vereinsamtes Landhaus wieder bezogen, nur noch menschenfeindlicher und düsterer als je vorher. Da brachte ihm eines Morgens – mehr als vier Wochen waren seit Manuela's Flucht verflossen – der Postbote einen Brief, welcher seiner Schwester Schriftzüge trug. Er riß ihn auf und las zu seiner größten Ueberraschung folgende Zeilen:

»Mein Bruder – ich bin in Deutschland auf einem einsamen Landschlosse angekommen – aber ich bin namenlos unglücklich. Alles ist für mich verloren, unrettbar und auf ewig! O Gott, ich habe den Kelch des Schmerzes bis auf den tiefsten Grund geleert; nur der Tod bleibt mir noch zu erdulden übrig. O, welche Wohlthat – der Tod! für mich, für ihn, welche Wohlthat! Du, Alonso, warst mein böser Geist – an dem Streiche, den du führtest, verblute ich! Doch keine Vorwürfe mehr: wollte ich Vorwürfe machen – unsere Sprache hätte nicht Worte, all die Bitterkeit, all die vernichtende Schärfe, all die Verwünschungen hinein zu legen, welche ich hinein legen müßte. – Genug: ich will nicht daran denken, was du gethan hast, mag der Gedanke daran auf dem Grunde deiner Seele ruhen, und sieh du zu, wie du ihn dort tragen wirst! Ich will, um es zu vergessen, mir immer und immer wieder vorhalten, daß ich ja doch nicht zu den Menschen, welche mich hier umgeben, je hätte ein Herz fassen können, daß ich nie heimisch geworden wäre auf diesem unglückseligen Boden. Und wenn ich denke, was mich eigentlich so verlockte, was so gewaltig mich zog, was ich in Ihm liebte! War es nicht die Weite, die Ferne, die Fremde, mit deren Zauber Er mich bestrickte? Du weißt es, Alonso, welche Macht auf mein thörichtes Herz von je die Sehnsucht in die Ferne übte; Er trat wie ein Bote meines Phantasielandes zu mir und unwiderstehlich zog es mich ihm nach!

Ich bin geheilt … ich glaube es, daß ich es bin; dies Land hat keine Zauber mehr für mich und Er – er gehört ja zu diesem Lande und wie ganz anders erscheint er mir jetzt, in dieser Umgebung, zu diesen Menschen gesellt! O Himmel, welches Land! Die Sonne hat keine Kraft hier, und wenn sie hinter dem Horizonte niedergesunken ist, so zieht eine kalte, winterlich scharfe Luft über den eintönigen Wäldern daher, und trübe Nebel quellen aus den tiefen feuchten Gründen auf; ich kann nicht aufathmen in dieser beklemmenden Atmosphäre! Der Himmel hat keinen Azur, sondern nur ein milchicht Blau, und ein fades Weiß-Grün überkleidet die Pflanzen und die Fluren. Ach, wo ist mein Meer, mein schönes, unendliches Meer, das, so wie jener Edelstein, welcher nach der Sage das Gift anzieht, den Schmerz, die Unruhe, den Gram leise aus unserer Brust lockt und in sich aufnimmt, daß wir einen tiefen Frieden fühlen, während die unendliche Flut von den Stürmen, die eben noch in unserm Inneren tobten, aufgewühlt scheint! Ach, Alonso, und diese Menschen hier – welche Gestalten! – Im Süden hat der Himmel Menschen wachsen lassen, wie er die Bananen und die Palmen wachsen ließ: hoch, schwungreich, edel, nach der Sonne die Krone beugend, voll Anmuth dem Schaukeln der Winde sich hingebend, oder in die Gewalt der Stürme ergeben und wollüstig mit ihnen hin und her flutend, bis das leidenschaftliche Spiel von selbst ein Ende nimmt. Hier sind die Menschen wie die Eichen ihrer Wälder. Solch ein plumper, knorrichter Baum ist anders gesinnt, als die Palme; er kennt kein Nachgeben. Lockt ihn die Gluth der Sonne gen Süden, so richtet er sein eigensinnig Haupt gen Norden; will laue Luft seine Zweige schaukeln, so steift er seine starren Aeste und ächzt und ringt und will sich nicht beugen; mag selbst der Sturm kommen und an ihm zausen und seine Zweige brechen – ja, mag er ihn entwurzeln – das gibt nicht nach, das ist vom Wipfel bis zum Fuße nichts als in Zweig und Laub ausgeschlagene Starrheit, Hartnäckigkeit.

Und glaubst du, Alonso, daß ich diesem dürren Holze nicht edel genug bin: daß es sich für besseren Blutes hält, als die blaue Flut in den Adern der Revenga? Was würde Don Rafael, mein Vater, dazu sagen? was die hundert Ritter aus dem Hause Santigosa, die mit den Mauren, mit den Peruanern, oder mit den Ketzern in diesem seltsamen, zerrissenen, eigensinnigen Deutschland kämpften? O diese Menschen!

»Und Er – er, Alonso … doch laß mich schweigen von ihm! Komm, Alonso, und hole deine unglückselige Schwester zurück. Eile, so rasch du kannst! Am Rheine angekommen, kehre in dem Hotel ein, welches eine diesen Zeilen beigeschlossene Karte dir bezeichnet; dort, soll ich dir sagen, wird Jemand dich aufsuchen, der dir Eröffnungen machen und dir den weiteren Weg, den du zu wandern hast, um zu mir zu kommen, beschreiben wird.

Schloß Mildenfurth, am 12. Juni.

Manuela

Also so bald schon! sagte Alonso bitter, als er diesen Brief gelesen hatte. Dann stand er auf, warf seine Palette und seinen Malstock fort und begann augenblicklich sich zur Reise zu rüsten, die er ohne Verzug, und ohne erst seiner Schwester zu antworten, am anderen Tage antrat.

Als er am Rheine angekommen war, schrieb er einige hastige Zeilen an Manuela nieder; er adressirte sie nach Schloß Mildenfurth, an die »Baronin von Rauschenloo« – konnte er ahnen, daß ein dienstbeflissener Beamter auf dem Postamte der Provinzialhauptstadt, welcher die Briefe zu sortiren hatte und wußte, daß sich die »Baronin von Rauschenloo« nicht auf dem Lande, sondern in eben dieser Hauptstadt befinde, die Zeilen, wie alle anderen Briefe an Margarethen, in die Wohnung der Letzteren senden werde?

Erst als Alonso seinen Brief abgesandt, als er in dem Gasthause, das ihm angegeben worden, seinen Namen ins Fremdenbuch eingetragen hatte, erhielt er Aufschlüsse über Manuela's eigentliche Lage. Der Wirth theilte ihm nämlich mit, daß er Auftrag habe, seine Anwesenheit einem Herrn in der Stadt zu berichten, und dieser Herr, ein ältlicher Mann, der Ruprecht Mildenfurth's in den Rheinlanden liegende Besitzungen verwaltete, erschien nach kurzer Zeit in der Wohnung des Spaniers.

Don Alonso nahm die Aufklärungen, welche dieser Mann ihm gab, mit einem Gleichmuth entgegen, der den Letzteren in ein unverhohlenes Staunen versetzte. Er hatte eine allmählige Vorbereitung und schonende Formen für seine Eröffnungen gesucht und wurde nun gewahr, daß er sich nie in seinem Leben einer unnützeren Mühe unterzogen – im Gegentheil, wenn ihn sein durch langen Verkehr mit Menschen aller Art geschärftes Auge nicht täuschte, so ließ dieser harte Spanier durch seine kargen und lakonischen Ausdrücke des Bedauerns über seiner Schwester Schicksal weit eher eine nicht geringe innere Genugthuung schimmern, als wahre Theilnahme oder gar wirklich empfundenen Schmerz! Und in der That, was konnte Alonso Angenehmeres hören, als daß Manuela ihren Gatten zum zweiten Male vermählt gefunden, daß sie den Bitten seiner Verwandten nachgegeben und sich verborgen gehalten, um mit dem Bruder in ihre Heimat zurück zu kehren, ohne Maximilian von Rauschenloo, gegen den Alonso einen tödtlichen Haß im Busen nährte, auch nur gesehen zu haben!

Der Abgesandte Ruprecht Mildenfurth's hatte sich auf einen schweren und zweifelhaften Kampf gefaßt gemacht, er hatte wochenlang vorher dieser peinlichen Stunde mit Bangen entgegengesehen, er hatte hundert Mal seinen Auftrag verwünscht, und wenn es nicht Ruprecht Mildenfurth gewesen wäre, der ihm denselben gegeben, er hätte sich wol gehütet, solche Geschäfte zu übernehmen – und nun löste sich zu seiner Verwunderung Alles mit größter Leichtigkeit auf. Der Spanier schien weit entfernt, die Rechte seiner Schwester geltend machen zu wollen; ahnte er denn gar nicht, wie reich Ruprecht Mildenfurth war – und daß derselbe Mann, welcher ihm gegenüberstand, Auftrag hatte, nöthigenfalls eine ungeheure Summe als Abfindung für Manuela und als Preis für ihres Bruders Schweigen zu bieten? Es schien nicht, oder dieser düstere Mensch mußte von einer unerklärlichen Uneigennützigkeit beseelt sein – das war Don Alonso Revenga auch; er war zum Eigennutz und zur Habsucht zu stolz!

Auch die Wünsche, welche Ruprecht's Abgesandter als die seines Auftraggebers vortrug, versprach Alonso ohne Schwierigkeit, erfüllen zu wollen. Er willigte ein, auf der Weiterreise einen anderen Namen zu führen, als den seinen, damit Maximilian nicht etwa durch einen Zufall auf ihn aufmerksam werde, er wollte an spätem Abend auf Mildenfurth ankommen und seine Schwester am Abend darauf mit sich fortführen. Der Geschäftsführer schied entzückt, daß es ihm so leicht geworden, Alles zu erreichen, was der Freiherr von Mildenfurth gewünscht hatte, und obendrein – ganz ohne Geld! Alonso aber eilte gleich nach dieser Unterredung zur Eisenbahn, mit erleichtertem Herzen – denn Aller Wünsche, seine, die Manuela's, die der Verwandten Maximilian's, stimmten ja jetzt aufs einträchtigste zusammen!

Wir sahen Alonso Revenga in der Abendstunde auf dem Herrensitze Ruprecht's ankommen.

Als er dort in das Gemach geführt wurde, in welchem der Schloßherr mit seiner Schwester und Manuela ihn erwarteten, wollte diese Letztere im ersten Augenblicke der Freude ihm entgegen eilen und sich an seine Brust werfen – er war ja das einzige Wesen, welches ihr jetzt noch auf Erden geblieben; aber nein, sie faßte sich – so rückhaltlos konnte sie ihm nicht verzeihen; sie reichte ihm die Hand, und dann brach sie in ein lautes Schluchzen aus. Alonso umschlang ihre feine Gestalt, die jetzt willenlos an seine Schulter sank, und Amalgunde nahm ein Licht, um die beiden Geschwister auf Manuela's Zimmer zu führen. Hier klagte die unglückliche Verlassene, nachdem sie sich gefaßt, ihrem Bruder all ihr Leid – sie schüttete ihr ganzes Herz vor Alonso aus; sie erzählte ihm, wie sie auf diesem dunklen, alten Schlosse angekommen, und malte ihm mit erschütternden Farben das Furchtbare und Herzbrechende der Scene aus, als sie im Taumel des vollen Glückes aus dem Wagen gesprungen und zu allen Fenstern aufgeschaut, ob sie nicht an einem derselben Maximilian's Gestalt erblicke; wie sie jeden Augenblick erwartet, ihn erscheinen und seine Arme nach ihr ausbreiten zu sehen … wie sie dann von einem Diener zu den Verwandten Maximilian's geführt worden und der Baron Ruprecht mit einem zornrothen Gesicht ihr entgegengetreten sei und sie angedonnert habe:

Madame, der Diener meldet Sie mir als Baronin von Rauschenloo – haben Sie in der That die unbegreifliche Kühnheit gehabt, sich diesen Namen zu geben?

Manuela war bei dieser Anrede und der drohenden, ungeschlachten Gestalt gegenüber, die dicht vor sie getreten, so erschrocken, daß sie beinahe die Sprache verloren und nur noch mühsam hatte stottern können:

Ich heiße so, Senhor – ich bin die Gattin Maximilian's von Rauschenloo – wir sind in Spanien getraut, und er erwartet mich hier auf dem Landsitze seines Oheims.

Da war die Schwester Ruprecht's aufgesprungen, Manuela entgegen, hatte sie am Arm ergriffen, als ob sie ihn zerbrechen wollte, und hatte mit einem wahren Entsetzensschrei ausgerufen:

Das ist nicht möglich, das wolle der allmächtige Gott verhüten – das kann nur Wahnsinn oder Büberei sein, die mit uns ihr Spiel treiben will!

Und dann war sie wie vernichtet in einen Stuhl zusammen gesunken. Der Baron aber hatte Manuela starr und stier angeblickt, ohne ein Wort zu sagen, wol fünf Minuten lang – eine Ewigkeit schien es Manuela; dann hatte er sie leise, während eine fahle Blässe sein dunkelgeröthetes Antlitz überzogen, gefragt:

Sie haben Beweise, Madame?

Ja, ich habe vollgültige Beweise! aber bedarf es deren? hatte Manuela, bei der jetzt die Entrüstung an die Stelle des ersten Schreckens, zu treten begonnen, stolz geantwortet – ich brauche keine Beweise – wo ist Maximilian?

Der Freiherr von Rauschenloo ist nicht hier – er wohnt in der Stadt in dem Hotel, welches ich ihm am Tage seiner Vermählung eingeräumt habe!

Seiner Vermählung … mit mir?

Mit der Gräfin Margarethe von Wartenstein!

Ein leiser Schrei war Manuela's Lippen entfahren … sie hatte nach einem Gegenstande gegriffen, um sich zu halten, sie hatte verworrene Worte gelallt, sie hatte endlich ausgerufen:

O Alonso, Alonso, das hat deine Schwester dir zu danken!

Und dann hatte sie alle ihre Kraft zusammengefaßt, um das Haus zu verlassen, in welchem sie eine solche Aufnahme gefunden; aber Ruprecht Mildenfurth hatte ihren Arm ergriffen:

Wohin wollen Sie?

Zu meinem Gatten!

Unglückliche – keinen Schritt weiter!

Bin ich hier gefangen?

Der Baron hatte ihren Arm fallen lassen, wie gelähmt, wie rathlos, wie von Gott geschlagen; aber jetzt hatte Amalgunde sich vor Manuela geworfen, sie hatte beinahe gekniet vor der Fremden, sie hatte die Hände gerungen und gefleht, sie hatte die Spanierin bei allen Heiligen beschworen, zu bleiben, wenigstens Maximilian nicht zu suchen, sein junges Glück nicht zu zerstören, sein Haupt nicht dem Spott der Menschen Preis zu geben, die argwöhnische Thätigkeit der Gerichte oder gar die Strafe des Gesetzes nicht gegen ihn wach zu rufen!

Madame, war Ruprecht Mildenfurth dann plötzlich, wie von einem in ihm auftauchenden Strahl von Hoffnung neu belebt, eingefallen, wenn Sie einwilligen, auf Ihre Rechte zu verzichten und, ohne Maximilian gesehen zu haben, sich still in Ihre Heimat zurück zu begeben, so bin ich bereit, Ihnen zur Entschädigung für Ihre Ansprüche eine Einschreibung von einer halben Million Franken auf meine Güter ausstellen zu lassen!

Manuela hatte ihn bei diesem Antrage groß, starr, mit verwilderten Augen angesehen. Er hatte, weil sie nicht antwortete, aus diesem Blicke ihre Einwilligung gelesen.

Sie haben, war er fortgefahren, sich aber eidlich zu verpflichten, für immer jede Annäherung an Maximilian, es sei mittelbar oder unmittelbar, zu vermeiden, Ihren Namen zu …

Ruprecht Mildenfurth war hier unterbrochen worden; Manuela war, zu Ende mit ihrer Kraft, ohnmächtig zusammengesunken.

Als sie erwachte, hatte sie sich in einem düsteren großen Gemache wieder gefunden, ihre treue Teresa am Fußende des Himmelbettes, auf welchem sie ruhte, und sich zu Häupten die gebrochene, von Schrecken und Schmerz gebeugte Gestalt der Freiin Amalgunde. Der Anblick dieser Frau hatte Manuela zum Bewußtsein ihres ganzen Elends zurückgerufen, und nicht im Stande, ihre Gegenwart zu ertragen, hatte sie durch Teresa der Freiin bedeuten lassen, sich zu entfernen. Dann, als Manuela sich mit ihrer Duenna allein gesehen, waren ihrem Leid die Thronen zu Hülfe gekommen. An Teresa's Brust hatte sie sich ausgeweint.

Aber mehrere Tage waren verflossen, in welchen Manuela, ihrem Schmerze und all seiner Furchtbarkeit hingegeben, nicht vermocht hatte, mit ihrer Dienerin von Dem zu reden, was nun zu geschehen habe, welchen Entschluß ihre Lage sie zu ergreifen zwinge. Erst nach und nach vermochte Teresa es über ihre Pflegebefohlene, diese zu einer ernsten Ueberlegung Dessen, was zu thun, zu bewegen. Dazu mußte denn auch Amalgunde herbeigezogen werden; denn Manuela verlangte Aufschlüsse, die Teresa, welche weder Deutsch noch Französisch verstand, nicht vermitteln konnte. Amalgunde kam, und da sie bei aller äußeren Schärfe ihres Wesens nicht ohne Herz und weibliche Theilnahme war, so überwand Manuela ihren ersten Widerwillen gegen sie und gewann es über sich, ruhig den Vorstellungen zuzuhören, welche die Freiin von Mildenfurth mit Milde und Schonung machte. Amalgundens Herz war ja auch kummerbeschwert genug, und der Schmerz gibt eine weiche, heilkräftige Hand für die Wunden Anderer. Manuela erzählte endlich dem alten Fräulein die ganze Geschichte ihrer Verbindung mit Maximilian.

Nur Eines Amalgunden mitzutheilen, gewann sie nicht über sich, obwol sie lange mit sich kämpfte: das war der von Alonso erschlichene Todtenschein. Es war ihr nicht möglich, ein solches Verbrechen von ihrem eigenen Bruder zu gestehen, es war ihr, als falle dadurch ein Flecken auf sie selber, und vor den Augen Ruprecht's und seiner Schwester wollte sie um Alles in der Welt nicht in demüthigendem Lichte stehen – nein, Alonso's Frevel wollte nicht über ihre Lippen – und wer hätte auch dies Widerstreben ihr verargt? So beschränkte sie sich darauf, Amalgunden unbestimmte Andeutungen zu geben, von Feinden Maximilian's, welche ihn mit der falschen Nachricht von ihrem Tode hintergangen, und von der Wachsamkeit des gegen ihre Verbindung aufgebrachten Bruders, der ihr unmöglich gemacht, Briefe zu empfangen oder abzusenden.

Amalgunde hörte Manuela mit gespannter Teilnahme zu, fern davon, ihr über irgend einen Theil ihres Verhaltens Vorwürfe zu machen, oder von Maximilian's Schultern einen Theil Dessen zu nehmen, was ihr als seine Schuld erschien. Dagegen verschwieg Amalgunde Manuela Nichts, was diese von seinem jetzigen Glücke überzeugen konnte. Sie schilderte ihr Margarethen, sie suchte ihr klar zu machen, welche Verheißungen einer glücklichen Zukunft für beide Gatten diese Verbindung enthalte, die nach den Verhältnissen und den Anschauungen des Landes eine so passende, von aller Welt gebilligte sei.

So wurde Manuela nach und nach ohne einen eigentlichen inneren Kampf zu der Ueberzeugung hingeführt, daß ihr nur Eines zu thun übrig blieb. Freilich, sie konnte ihr Recht geltend machen; es war so unbestreitbar, daß jedes andere ihm zu weichen hatte. Aber mußte sie sich nicht sagen, daß sie, wenn sie damit beginne, Maximilian's Glück zu zerstören, an seiner Seite unmöglich ihr eigenes finden werde? Konnte sie mit ihren Ansprüchen auftreten, ohne ihn Preis zu geben dem Hohn der öffentlichen Meinung, den Untersuchungen einer mistrauischen Justiz? Und Das fiel bei ihr am schwersten ins Gewicht: hatte er sie nicht vergessen – ganz und so bald vergessen? – Das war der bitterste Gedanke für Manuela, daß es möglich sei, so schnell zu vergessen!

Manuela war deshalb mit Amalgunden, mit welcher allein sie sich zu besprechen einwilligte, bald über Das, was ihr einzig zu thun übrig bleibe, einig. Nachdem sie ihre Fassung wieder erlangt hatte, schrieb sie an ihren Bruder jenen Brief, den wir oben mittheilten. Ruprecht Mildenfurth gab zu gleicher Zeit seinem Administrator am Rhein die ihm nöthig scheinenden Aufträge. Bis der Bruder aus Spanien anlangte, wollte Manuela sich in strengster Abgeschiedenheit in ihrer Wohnung halten. Dem Glücke Maximilian's wollte sie das eigene opfern, sie wollte wirklich todt für ihn sein. Niemand sollte ihren Namen erfahren, kein sterbliches Wesen in diesem Lande von ihrem Dasein Kunde erhalten. Mit einem Strom von Thränen gelobte sie das in Amalgundens Hand.

Wie Manuela diese Vorsätze und Versprechungen ausführte, haben wir früher gesehen. Sie war unvorsichtig. Sie schien die Einsamkeit nicht ertragen zu können und erschien in den Zimmern Amalgundens; ja, ein paar Mal kam sie zum größten Schrecken Ruprecht's und seiner Schwester, während Fremde anwesend waren. Sie hatte Amalgunden versprochen, nicht anders ins Freie gehen zu wollen, als in den spätesten Abendstunden, im Dunkel des Parks und dann in den Knabenanzug verkleidet, den sie sich mitgebracht hatte, um ihn erforderlichen Falls auf der Reise zu tragen. Wir haben gesehen, wie sie sich dennoch auch in Frauenkleidern vor dem Gärtner und seinem Weibe blicken ließ.

War dieses Unbedachtsamkeit, Mangel an Vorsicht? Nein, man müßte das menschliche Herz nicht kennen, um solches Betragen blos dem Leichtsinne Manuela's zuschreiben zu können. Es war nichts Anderes als ein natürlicher, ein instinctartiger Drang ihres Innern, was sie aus der Verborgenheit ans Licht trieb. Der verständigen Auffassung ihrer Lage hatte sie eine volle Genüge gethan, indem sie den Entschluß gefaßt, sich unter die eiserne Hand des Verhängnisses zu beugen, ihr Glück und ihre Rechte zu opfern; sie hatte entsagt, und damit war Alles geschehen, was die Logik des Herzens von ihr heischen konnte.

Aber nach der Logik kam das Recht, wir möchten sagen: der Metaphysik des Herzens. Es kam das Recht der Ahnungen, der Träumereien, die einen anderen Ausgang dieses erschütternden Dramas sich ausspannen; die Stunden kamen, wo auch sie vergaß, und zwar vergaß, daß sie vergessen schien; wo sie sich hinaus sehnte, ob vielleicht ein Vogel, der draußen über ihr Haupt wegflatterte, an sein Fenster fliegen und ihm Kunde von ihrem Leben bringen werde; ob vielleicht der Zufall, der so räthselhaft über dem Dasein waltet, auch hier, wo der Menschen Weisheit keinen Rath zu geben wußte, eine Lösung ihr in den Weg werfe und eines seiner großen Wunder an ihr thue, mit denen er Lebende wie einen Hauch in die Ewigkeit schleudert und Todte auferweckt, über Bettler Millionen ausschüttet und Könige in den Staub tritt.

In diesem fast instinctartigen Drange eines weiblichen Gemüths war Manuela unvorsichtig und hörte nicht auf, Ruprecht und seiner Schwester das bitterste Herzenleid anzuthun, mit ihrer »Launenhaftigkeit«, wie diese es nannten. Es war ein Betragen, welches die beiden Leute jeden Augenblick fürchten ließ, daß Manuela sich eines Anderen besinne; und daher jene Schonung, jene Unterwürfigkeit gegen die Spanierin, welche wir früher belauscht haben, und welche um so peinlicher war, als Manuela in ihrer oft krankhaft gereizten Stimmung eine Genugthuung darin fand, die tiefe Antipathie, welche sie gegen ihre Umgebung, besonders gegen Ruprecht Mildenfurth, hegte, offen an den Tag zu legen.

Alonso hörte allen Mittheilungen seiner Schwester über ihr Schicksal zwar ohne die geringste Reue wegen seines Antheils daran, aber doch mit einer Theilnahme zu, welche ihr ein wahrer Trost war; aber desto mehr erschrak sie, als sie Alonso in seinen Antworten und Bemerkungen aufs Neue seinen alten bitteren Haß gegen Maximilian verrathen sah, und als ihr Bruder durch seine Aeußerungen unverhohlen das Bedürfniß der Rache und schlimme Vorsätze, schimmern ließ.

Manuela sagte sich auch, daß sie Maximilian zürne, daß er alle Strafen verdiene, welche der Himmel für ein flatterhaftes Herz habe – aber einem Anderen, aber Alonso konnte sie das Recht, sich gegen Den, welchen sie einst geliebt hatte, zu erheben, nicht einräumen, das erregte augenblicklich den leidenschaftlichsten Widerspruch in ihr.

Nein, nein, Alonso! rief sie aus, ich habe dich nicht hierher gerufen, damit du alles Das vernichtest, was mein Trost ist, damit, durch dich das ganze ungeheure Opfer, welches ich gebracht habe, unnütz und vergeblich werde; du darfst, du sollst Maximilian mit keinem Worte verrathen, daß ich lebe, daß du hier seiest; auch nicht schreiben sollst du es ihm – versprich mir das, ich will wenigstens das Bewußtsein aus diesem Lande mit mir nehmen, daß durch mein Unglück das Glück zweier anderen Menschen erkauft ist, und wenn nicht seines, doch das des unschuldigen Geschöpfs, welches sich ihm so vertrauend hingegeben hat, wie ich es einst that.

Alonso erhob sich und ging schweigend in dem großen Gemache auf und ab, ohne eine Antwort zu geben. Aber Manuela ließ ihn nicht; sie sprang auf, sie ergriff seinen Arm und rief:

Alonso, ich kehre nicht eher heim mit dir, als bis du mir geschworen hast, daß du Nichts von allem Dem thust, was du mich eben fürchten ließest; und bei der heiligen Mutter Gottes, ich biete Alles wider dich auf, was in meiner Macht steht, ich eile zu dem brutalen Freiherrn hinüber und fordere von ihm …

Sei ruhig, Manuela, fiel Alonso ihr in die Rede und senkte einen scharfen, prüfenden Blick in ihre Augen. Er fühlte, daß es gefährlich sei, sie in dieser Aufregung zu lassen: er durfte nicht zugeben, daß Manuela sich zur Beschützerin Maximilian's aufwerfe, daß sie plötzlich ihren Gedanken, welche bisher nur Anklagen gegen ihn enthalten hatten, eine Wendung gebe, in welcher sie auf seine Seite trat, oder sich in befreundetem Sinne mit ihm beschäftige. Das war ein viel zu gefährliches Spiel für ein noch lange nicht bezähmtes und zu völliger Unterwerfung gebrachtes, leidenschaftliches Herz, wie das Manuela's.

Also du schwörst mir bei dem Andenken unseres Vaters, bei der Ehre unseres Hauses, bei allen Heiligen Gottes, daß du Maximilian nicht aufsuchen, daß du ihm keine Sylbe von deiner oder meiner Anwesenheit hier sagen oder sagen lassen oder auch nur schreiben willst – du schwörst mir Das, Alonso?

Bei der Ehre unseres Hauses, Manuela, ich werde Nichts von Dem thun, was du eben gesagt hast. Nein, nein; ich will gleich zum Baron hinübergehen und ihn bitten, morgen, am späten Abend, uns einen Wagen bereit zu halten, mit dem wir abreisen können. Er mag ihn an irgend einer verborgenen Stelle des Parkes halten lassen, wo Niemand uns sieht.

Alonso ging in der That, um eine Unterredung mit Ruprecht Mildenfurth zu suchen. Der Schloßherr war voll freudiger Zuvorkommenheit und theilte ihm unter Anderm mit, daß sein Brief an Manuela unglücklicher Weise in Maximilian's Hände gefallen sei, und welche Auslegung derselbe diesen Zeilen gegeben. In seiner Freude über Alonso's staunenswerthe Willfährigkeit, auf alle Ansprüche seiner Schwester zu verzichten, war Ruprecht Mildenfurth mehrmals im Begriffe, ihm Anerbietungen ähnlicher Art zu machen, wie er sie Manuela gleich nach ihrer Ankunft gemacht hatte; aber so oft er in das stolze Auge des Fremden blickte, entfiel ihm der Muth dazu; und so wenig Verschiedenheit der Meinungen und der Wünsche sich im Verlaufe ihres Gespräches zwischen den beiden Männern auch heraus gestellt hatte –, Ruprecht athmete doch erleichtert auf, als der unheimliche Spanier von ihm ging, um sich in einem der Gastzimmer, welches ihm im alten Baue angewiesen worden, zur Ruhe zu begeben.

Mit der Sonne war Alonso am anderen Morgen auf. Er trat ins Freie, er schweifte in den Umgebungen des Schlosses umher; aber er war verstimmt und unzufrieden über das Versprechen, welches er Manuela hatte ablegen müssen; er ertrug den Gedanken nicht, von diesem Orte scheiden zu sollen, ohne Maximilian, den sein böser Stern ihm so dicht in die Nähe gebracht hatte, irgend ein unheilvolles Andenken zurück zu lassen.

Während er so sinnend umherschweifte, ließ der Zufall ihn Maximilian finden. Das war keine Verletzung seines Schwures: er hatte nur versprochen, ihn nicht suchen zu wollen. Eben so hatte er gelobt, nicht durch Wort oder Schrift Manuela's Dasein zu verrathen: blieb ihm nicht noch das Bild? Dieser Gedanke durchkreuzte seinen Kopf, und im Augenblicke stand sein Plan fest. Er stellte sich als Nekromanten vor und gab ausschweifende, die Neugier spannende Verheißungen. Dann verschwand er, um Manuela mitzuteilen, daß er den Tag über abwesend sein werde und daß er sie um zehn Uhr Abends im Wagen Ruprecht Mildenfurth's an einer bestimmten Stelle im Parke seiner harrend zu finden wünsche.

Angekommen in der Wohnung Wennemar's fand er Aquarell-Farben, einige optische Gläser; der dienstfertige Chronist mußte ihm einen auf dem Hofe beschäftigten Tischler heraufsenden und diesem seine Aufträge verdolmetschen, die dann unter Alonso's Augen ausgeführt wurden; so hatte er mit angestrengter Thätigkeit gegen Abend eine Vorrichtung hergestellt, welche seinem Zwecke genügte und deren Unvollkommenheit die Zuschauer nur zu natürlich über der Spannung vergaßen, in welche die dargestellten Gegenstände sie versetzten. Als es für ihn darauf ankam, Maximilian's und seiner Schwester Verbindung zu trennen, da hatte jener Manuela todt glauben sollen: jetzt, wo er Maximilian durch eine neue Verbindung für immer unlöslich gefesselt wußte, wo ihm keine Gefahr von dieser Seite mehr drohte, da wollte er dem unglücklichen jungen Manne einen tiefen Stachel in die Seele drücken – Maximilian sollte erfahren, daß Manuela lebe, und seine innere Ruhe sollte durch diese Offenbarung für ewig vergiftet werden.

Es war ihm deshalb unangenehm, als er hörte, daß auch Wennemar seine Phantasmagorien mit anschauen solle. Für Wennemar hing nicht beinahe Tod und Leben davon ab, daß das Geheimniß bewahrt bleibe. Aber es war zu spät; er konnte nicht wohl mehr zurück, und es war, als ob ein böser Genius ihn weiter triebe. Als er am Schlusse Margarethens Anwesenheit entdeckte, erschrak er; das war gefährlich, sie konnte empört sein, oder, seine Intrigue konnte zur Sprache kommen … aber nein, sie liebte ja Maximilian, sie bot gewiß Alles auf sich ihn zu erhalten … darin lag für Alonso die Bürgschaft seiner Sicherheit, und eine andere Bürgschaft sah er in der vorbereiteten Flucht. Als er die Wohnung Wennemar's verlassen, als er einen Theil seiner »magischen« Präparate in dem Weiher versenkt hatte, eilte er mit hastigen Schritten dem Orte zu, wo Manuela ihn im Reisewagen Ruprecht Mildenfurth's erwartete, und rollte mit ihr in gestrecktem Trabe der nächsten Eisenbahn-Station zu.



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